12 | Kai Havertz x Julian Brandt

⚠️Suizid (von den beiden stirbt keiner)

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ᵐᵃᶰᶜʰᵐᵃˡ ˢᵖᶤᵉˡᵉᶰ ᵐᵉᶰˢᶜʰᵉᶰ ᵘᶰˢ ᵛᵒʳ, ᵍˡüᶜᵏˡᶤᶜʰ ᶻᵘ ˢᵉᶤᶰ, ᵈᵃᵐᶤᵗ ʷᶤʳ ᵉˢ ᵃᵘᶜʰ ˢᵉᶤᶰ ᵏöᶰᶰᵉᶰ


Kais pov

„Ich hab dich vermisst, Jule", meinte ich lächelnd und zog ihn in eine Umarmung. „Glaubst du etwa, ich dich nicht", lautete seine Antwort, während er seine Stirn an meine legte. Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus, als ich merkte, wie seine Lippen sich meinen langsam etwas näherten. Zu lange war es her, dass wir uns gesehen hatten und umso erleichterter war ich, dass er nun doch für die Nationalmannschaft nachnominiert worden war. Julian war gerade kurz davor, den restlichen Abstand zwischen uns zu überbrücken, als uns das Klingeln seines Handys ablenkte. Mit einem Augenrollen löste er sich von mir und griff nach dem Telefon, um Sekunden später den Anruf entgegenzunehmen.

Ich setzte mich auf unser gemeinsames Bett, das wir uns nun teilten, da wir extra noch Zimmer getauscht hatten, um uns eines zu teilen, und beobachtete ihn. Zuerst schien er glücklich, meinte dann jedoch besorgt: „Weinst du? Ist alles in Ordnung?" Kurz schwieg er und setzte sich ebenfalls aufs Bett, bevor er wissen wollte: „Was ist mit ihm?" Während des kompletten darauffolgenden Gesprächs, wurde er immer unruhiger, bis ihm schließlich auf einen Schlag die Farbe aus dem Gesicht wich. Etwas später legte er dann auf und sah mit Tränen in den Augen zu mir.

„Ist was passiert", fragte ich besorgt und er griff unmittelbar nach meiner Hand, während erste Tränen über seine Wangen rollten. Er versuchte, mir zu erklären, was los war, wurde dabei allerdings immer wieder von heftigem Schluchzen unterbrochen. „Kai, das... war meine Mutter... und sie hat... also... J-Jascha ist... er hat..." Er schaffte es nicht, weiterzusprechen, weshalb ich vorsichtig fragte: „Was ist passiert?" Eine Antwort erhielt ich vorerst nicht, er begann nur immer mehr zu weinen, weshalb ich ihn schützend in meine Arme nahm und irgendwie versuchte, ihn zu beruhigen.

Julians Reaktion auf den Anruf seiner Mutter sorgte dafür, dass ich langsam auch begann, mir ziemliche Sorgen um den jüngeren seiner beiden Brüder zu machen. Erneut fragte ich, was los war, erhielt jedoch wieder keine Antwort und wollte schon aufgeben, als ein einziges Wort über seine Lippen kam, welches jedoch definitiv genug war, um mir auf der Stelle das Blut in den Adern gefrieren zu lassen. „Tot."

„Was", fragte ich geschockt, „Wann? Und wie?" Vielleicht war es nicht die beste Idee, ihn direkt mit tausenden Fragen zu löchern, doch ich hatte nicht wirklich darüber nachgedacht, bevor ich ihm diese gestellt hatte.

Julian begann lediglich noch mehr zu schluchzen und vergrub verzweifelt seinen Kopf an meiner Schulter. Es half auch nicht viel, ihm immer wieder ruhig über den Rücken zu streichen oder ihm gut zuzureden, aber verübeln konnte ich ihm das nicht, immerhin hatte er gerade erfahren, dass sein Bruder aus mir noch unbekannten Gründen gestorben war.

Ich wusste nicht, wie lang wir so dort saßen, doch mindestens eine halbe Stunde war es bestimmt, bis er von selbst zu erklären begann: „Meine Eltern waren heute Morgen nicht zuhause und als sie wiedergekommen sind da", erneut brauchte er einen Moment, um durchzuatmen, „da haben sie ihn gefunden, er... Mann, Kai, er hat sich umgebracht, er hat eine Überdosis Schlaftabletten genommen und als unsere Eltern da waren, hat er schon nicht mehr gelebt."

Entgeistert starrte ich ihn an. Als er meinte, Jascha wäre tot, dachte ich eher, er hätte vielleicht einen Unfall gehabt, aber an Suizid hatte ich keinen einzigen Gedanken verschwendet. Zwar wusste ich von Julian, dass sein Bruder wohl schon länger an Depressionen gelitten hatte, doch meines Wissens war er dank Jule in Therapie gewesen und laut eigener Aussage, war es ihm dadurch immer besser gegangen.

Ich beschloss erstmal, Jule nicht weiter auszufragen. Es gab nichts, was ich in diesem Moment sagen konnte, nichts das ihm helfen würde. Ich konnte seinen Verlust keineswegs nachempfinden und ich wollte auch nicht so tun als ob. Alles was ich in dieser Situation tun konnte, war für ihn da zu sein, versuchen ihn zu beruhigen, seinen Schmerz und seine Tränen zu teilen. Ich versuchte irgendwie, ihm zu verstehen zu geben, dass er da nicht allein durchmusste und ich für ihn da sein würde.

Während er in meinen Armen weinte, sich an mir festhielt, nahezu als würde er sonst ertrinken, dachte ich verzweifelt darüber nach, wie ich wohl reagieren würde, sollten mein Bruder oder meine Schwester sterben, bis ich schließlich zu dem Schluss kam, dass ich es nicht wusste.

Immer wieder strich ich ihm sanft durch die Haare und flüsterte ihm beruhigende Worte ins Ohr, doch auch die halfen nichts. Schließlich konnte ich selbst nichts anderes tun, als ebenfalls in Tränen auszubrechen und so saßen wir noch bis spät in die Nacht zutiefst verzweifelt in unserem Zimmer und versuchten, mit dieser Nachricht klarzukommen.

Irgendwann war er tatsächlich in meinen Armen eingeschlafen, woraufhin ich ebenfalls versuchte, etwas Schlaf zu bekommen, jedoch sollte das nicht von langer Dauer sein, da Julian mitten in der Nacht aufwachte und erneut leise zu weinen begann, wodurch ich ebenfalls wach wurde.

Sofort fiel sein Blick auf mich und er wimmerte: „Ich wollte dich nicht wecken." „Ist doch nicht schlimm, ich bin für dich da, wenn du mich brauchst, in Ordnung?" Er nickte und versuchte sich, die Tränen von den Wangen zu wischen, bevor er seinen Kopf auf meiner Brust ablegte.

„Ich verstehe einfach nicht warum er das gemacht hat", schluchzte er dann, „er hat immer gesagt, es geht ihm besser, seit ich ihn überredet habe in Therapie zu gehen und er hat auch immer einen ganz guten Eindruck gemacht, ich dachte wirklich, es geht ihm gut." „Weißt du, Jule, manchmal spielen Menschen uns vor, glücklich zu sein, damit wir es auch sein können und uns keine Sorgen um sie machen", meinte ich und legte einen Arm um ihn, bevor ich nach seiner Hand griff.

„Aber ich hätte doch merken müssen, was mit ihm los ist", erwiderte er, „bin ich so ein schlechter großer Bruder?" „Natürlich nicht", versuchte ich weiter, ihn zu besänftigen, doch er meinte: „Heißt es nicht immer, alles passiert aus einem bestimmten Grund? Kannst du mir den Grund hierfür sagen?" „Den weiß vermutlich nur Jascha selbst", murmelte ich und hielt ihn etwas stärker fest, als er leicht zu zittern begann.

Es dauerte tatsächlich nur wenige Minuten, bis er wieder eingeschlafen war und ich tat es ihm gleich. Morgens wurde ich dann von einem Klopfen an unserer Zimmertür geweckt. Ich sah auf und entdeckte Julian, welcher bereits wach war und mit Tränen in den Augen auf sein Handy sah. Nach genauerem Hinsehen erkannte ich, dass es sich um Bilder von Jascha und dem Rest seiner Familie handelte und selbst ich war auf manchen vertreten. Ruhig legte ich ihm eine Hand auf die Schulter, woraufhin ihm ein leises Schluchzen entwich.

Nachdem es erneut an unserer Tür klopfte, stand ich auf und wollte die Person, die mich geweckt hatte, abwimmeln. Ich war etwas überrascht, als ich unserem Trainer gegenüberstand, welcher meinte: „Hallo Kai, ich wollte zu Julian." „Das ist grade schlecht, ihm geht's–" Er ließ mich gar nicht ausreden, sondern meinte: „Ich weiß was passiert ist, darum geht es ja." Ich überlegte einen Moment, bevor ich ihn in den Raum bat. Zwar wollte ich eigentlich dabei sein, da ich Jule gerade wirklich nicht allein lassen wollte, doch Hansi hielt es für besser, unter vier Augen mit meinem Freund zu sprechen, weshalb ich auf dem Gang wartete, bis die beiden fertig waren. Schließlich betrat ich den Raum wieder und war allein mit Julian.

„Was wollte er", fragte ich vorsichtig und setzte mich zu ihm. Mit noch immer tränenverquollenen Augen sah er mich an. „Er wollte wissen, ob ich nicht vielleicht nach Hause zu meiner Familie will und ich hab gesagt, ich denke drüber nach." Neugierig sah ich ihn an. „Und? Gehst du? Ich kann mir vorstellen, dass sie dich brauchen, und ich glaube du brauchst sie auch, Jule." Er schüttelte den Kopf. „Ich glaub ich bleib hier und fahr dann direkt nach der Länderspielpause nach Bremen", meinte er dann leise. Auf meinen noch immer fragenden Blick hin, erklärte er mit zitternder Stimme: „Ich glaub einfach, Jascha hätte das vielleicht so gewollt. Er hat mir immer Hoffnungen gemacht, dass ich irgendwann wieder für die Nationalmannschaft spielen kann, und er hat mir mal versprochen, dass er dann auf jeden Fall zu dem Spiel kommen würde und... wenn ich hierbleibe, vielleicht... vielleicht schaut er ja zu, wo auch immer er jetzt ist."

Gegen Ende liefen erneut Tränen über sein Gesicht. Klar konnte ich seinen Gedankengang verstehen, doch so wie es ihm jetzt ging, wusste ich nicht, ob er das durchhalten würde. Ich war eigentlich fest davon überzeugt, dass er momentan seine Familie um sich brauchte.

„Sicher", fragte ich zögernd und er nickte. „Noch was, Kai", murmelte er dann, während er sich ein paar Tränen wegwischte, „Ich weiß noch nicht, wann genau seine Beerdigung ist, aber... meine Mutter hat gesagt, so in den nächsten zwei bis drei Wochen. Ich weiß, dass bei dir grade ziemlich viel los ist, ihr spielt noch Champions League, steht im FA Cup Halbfinale und was nicht noch alles, aber... kannst du bitte dabei sein? Ich glaub ich kann das nicht ohne dich." Lächelnd meinte ich: „Das ist doch alles völlig egal, natürlich komm ich mit, Jule. Ich denke jeder wird das verstehen, wenn ich mir dafür ein paar Wochen freinehmen will, das ist überhaupt kein Problem."

Während er leise etwas sagte, das nach einem Danke klang, zog ich ihn in eine Umarmung. Ich hätte dort ewig sitzen können, einfach Julian in meinen Armen haltend, doch irgendwann hörte ich ein leises Magenknurren seinerseits, woraufhin ich fragte: „Hast du Hunger? Soll ich uns was holen oder willst du runter zu den anderen zum Frühstück?" Eigentlich war ich fest davon überzeugt, dass er nicht unter zu viele Menschen wollte, doch er beschloss mitzukommen. So zogen wir uns lediglich schnell etwas anderes an, bevor wir und durch das Hotel auf den Weg zum Frühstück machten. Dort angekommen, griff Julian nun doch leicht nervös nach meiner Hand, bevor wir den Raum betraten. Innen hallten verschiedenste Gespräche durch den Raum, alle redeten gut gelaunt durcheinander, doch hörten sofort damit auf, als sie uns sahen. Alle Blicke lagen auf Jule, keiner sagte irgendetwas. Als sie ihn so ansahen, alle mit Mitleid in den Augen, wurde mir eins klar. Sie wussten, was passiert war.

Julians Griff um meine Hand wurde fester und er warf mir einen unsicheren Blick zu. „Sie sollen aufhören, mich so anzustarren", flüsterte er mir zu, woraufhin ich versuchte, ihn zu beruhigen, indem ich mit meinem Daumen ruhig über seine Hand strich. „Wo willst du sitzen", fragte ich und er sah sich im Raum um. Er suchte offensichtlich nach einem freien Tisch, doch es gab keinen, an dem nicht mindestens zwei Personen saßen. Unruhig wippte er von einem Fuß auf den anderen, bis er schließlich in Richtung eines Tisches ziemlich weit hinten deutete, an welchem bis jetzt durch Weigl und Draxler nur die anderen beiden Julians saßen. Einverstanden steuerte ich diesen Tisch an und zog ihn hinter mir her. Schweigend setzten wir uns. Ich dachte eigentlich, die anderen würden wieder beginnen, sich zu unterhalten, wie vor unserem Eintreffen, doch auch als wir uns etwas zu essen geholt hatten, herrschte noch Totenstille. Schlechte Wortwahl, sehr schlechte Wortwahl.

Julian schien sich sichtlich unwohler zu fühlen, je länger es so ruhig war. Ich merkte, wie er unter dem Tisch unsicher nach meiner Hand suchte, welche ich ihm daraufhin bereitwillig hinhielt. Leicht nervös räusperte ich mich einmal und fragte ruhig an die beiden uns Gegenübersitzenden gewandt: „Passt doch, dass wir hier sitzen, oder?" Als Antwort erhielt ich lediglich ein Nicken. Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben, dass heute noch irgendjemand etwas sagen würde, da meinte Jule plötzlich völlig gelassen: „Wie geht's euch so? Wie läuft's bei Benfica und Paris?"

Nicht nur ich sah ihn erstaunt an. Die Jungs an den anderen Tischen sahen das offenbar als Zeichen, ihre Gespräche fortzusetzen, wodurch die Stimmung im Raum wesentlich entspannter wurde. „Geht so", begann der Pariser zögernd auf Julians Frage zu antworten und Weigl fügte hinzu: „Bei mir ist auch alles okay. In Dortmund noch alles beim Alten? Und bei dir, Kai?" Mein Freund nickte zögernd und sah mich hilfesuchend an, wollte offenbar nicht, dass die Stille von eben zurückkehrte. „Naja, ist grade alles nicht so einfach bei uns, aber wir machen das Beste draus", antwortete ich deshalb.

„Wie geht's Chris", murmelte der Ex-Dortmunder dann plötzlich und verwirrt fragte ich: „Chris?" „Christian", erklärte er und noch immer irritiert fragte ich: „Pulisic? Wie kommst du auf den?" Schulterzuckend meinte er: „Hab ihn einfach lang nicht mehr gesehen." Entweder bildete ich mir ein, etwas Traurigkeit in seiner Stimme mitschwingen zu hören oder es war tatsächlich so. Ich wollte eigentlich noch weiter nachfragen, denn ich glaubte, dass da mehr dahintersteckte, doch die Stimme unseres Trainers hielt mich davon ab.

„Hast du es dir jetzt überlegt", hörte ich diesen Fragen und sah, dass er neben meinem Freund an unserem Tisch stand. „Wie gesagt, du bist zwar gestern erst angekommen und ich müsste gucken, ob nicht doch noch jemand anders kann, aber das ist wirklich kein Problem. Wenn du gehen willst, ist das vollkommen in Ordnung, das ist einfach eine Extremsituation, mit der wir alle nicht rechnen konnten." „Ich bleib hier", meinte der Blonde und fügte mit Blick zu mir hinzu: „Ich schaff das schon irgendwie." Hansi sah ihn zwar etwas skeptisch an, akzeptierte seine Entscheidung jedoch. Beim ersten der beiden Testspiele ließ er Jule noch nicht spielen, mit der einfachen Begründung, dass er nicht wusste, ob er mit der ganzen psychischen Belastung bereits klarkam. Beim 1:1 gegen die Niederlande war er am Ende zwar etwas enttäuscht, dass das Spiel nur unentschieden ausgegangen war, sagte mir dann jedoch ehrlich, wie viel es ihm bedeutet hatte, trotz den Ereignissen der letzten Woche, wieder für Deutschland auflaufen zu dürfen und das mit seinem oder eben auch Jaschas Nachnamen auf dem Trikot.

Nach der Länderspielpause nahm ich mir selbst erstmal ein paar Wochen Auszeit, um mit Julian gemeinsam zu seinen Eltern zu fahren. Immer wieder sagte er mir, wie dankbar er war, dass ich dabei war, denn er meinte allein würde er das nicht durchstehen. Schon allein bei unserer Ankunft wurde mir selbst etwas mulmig. Wie ging man mit einer Familie um, die gerade ihren Sohn beziehungsweise Bruder verloren hatte?

Schon nach Betreten des Hauses wurden wir direkt von Julians Vater in Empfang genommen. Mit Tränen in den Augen zog er seinen ältesten Sohn in eine Umarmung, Julian sagte mir später, er habe seinen Vater zuvor nie weinen sehen. Anschließend brachte er uns ins Wohnzimmer, wo wir schließlich auf Jannis und seine Mutter trafen. Ich stand etwas hilflos daneben, während er auch vom Rest seiner Familie begrüßt wurde. Währenddessen sah ich mich etwas im Raum um. Es kam mir beinahe wie gestern vor, dass ich zum ersten Mal hier gewesen war, als er mich seiner Familie vorgestellt hatte. Viel verändert hatte sich nicht, lediglich das eingerahmte Bild von Jascha, welches gemeinsam mit einigen Teelichtern auf dem Esstisch stand, war damals nicht dagewesen.

„Kommst du mal kurz mit", fragte seine Mutter dann an Julian gewandt, welcher sofort nach meiner Hand griff, um mir zu verdeutlichen, dass ich mitkommen sollte. Etwas unbeholfen folgte ich den beiden in den Hausflur. Zwar kam ich mir irgendwie fehl am Platz vor, da seine Mutter offensichtlich nur mit ihm allein hatte sprechen wollen, doch er ließ mich nicht gehen. „Schatz, das ist von Jascha, den haben wir gefunden, er hat jedem von uns einen geschrieben", lautete die Erklärung zu dem kleinen Briefumschlag, welchen sie Julian in die Hand drückte und uns anschließend allein ließ.

Seine Finger zitterten als er den Umschlag öffnete und anschließend das darin enthaltene Papier auseinanderfaltete. Sein Blick flog über die darauf geschriebenen Zeilen, welche sein Bruder geschrieben haben musste. Seine Augen wurden immer glasiger, bis ihm letztendlich wieder Tränen über die Wangen kullerten. Als er den Text zu Ende gelesen hatte, ließ er das Papier sinken und sah mich verzweifelt an, bevor er sich schluchzend in meine Arme warf. Wir standen noch ewig so auf dem Flur, ich versuchte einfach nur ihn zu beruhigen, doch es dauerte, bis ich das endlich geschaffte hatte. Als es dann so weit war, faltete er den Brief, auf welchem sich mittlerweile einige Tränenflecken seinerseits befanden, zusammen und steckte ihn in die Hosentasche. Während er sich die letzten Tränen von den Wangen wischte, lief er wieder in Richtung Wohnzimmer, wo er sich neben Jannis aufs Sofa setzte und mich neben sich zog, um anschließend seinen Kopf auf meine Schulter fallen zu lassen.

Dass seine Mutter gar nicht bei uns war, fiel mir erst auf, als diese mit einer Thermoskanne und mehreren Büchern zu uns kam, nachdem sie die Teelichter auf dem Tisch angezündet hatte. „Rutscht mal ein Stück, ihr zwei", forderte sie ihre beiden Söhne auf, woraufhin diese zwischen ihnen etwas Platz machten und sie sich setzen konnte. Die Bücher legte sie auf dem Couchtisch vor ihr ab und nahm nur das oberste vom Stapel, welches sie aufschlug. „Wir heulen uns hier seit einer Woche die Augen aus, es wird Zeit, dass wir mal wieder was anderes machen", erklärte sie und plötzlich kam es mir so vor, als hätte man Julian wieder etwas Leben eingehaucht. Offenbar wusste er, dass es sich um alte Fotobücher handelte, denn er rief aufgebracht: „Du zeigst Kai jetzt aber keine peinlichen Babyfotos von mir, oder?"

Den restlichen Nachmittag verbrachten wir damit , uns einfach alte Bilder anzusehen. Immer wieder wurden mir alle möglichen Dinge erzählt, die Julian und seine beiden Brüder früher mal angestellt hatten, beinahe zu jedem der Fotos gab es irgendeine Geschichte. Gerade bei Julian selbst konnte ich gut beobachten, wie glücklich er dabei war. Zwar trat hin und wieder ein verdächtiges Glänzen in seine Augen, doch trotz allem lächelte er und beim Rest seiner Familie war das ähnlich. Er konnte teilweise gar nicht anders als laut zu lachen, nachdem er verschiedene Bilder gesehen hatte und die Hintergründe zu erfahren, ließen mir auch keine andere Wahl, zu süß waren die Erzählungen aus seiner Kindheit.

Und dann war irgendwann der Tag von Jaschas Beerdigung gekommen. Die Zeremonie war für den frühen Nachmittag geplant, weshalb wir uns gegen halb zwei zum Gehen bereit machten. „Ich kann das nicht", kam es plötzlich von Julian und erst dachte ich, es ginge um die Beerdigung generell, doch als ich zu ihm sah, konnte ich nicht anders als leicht zu lachen. In die Krawatte, welche er sich umbinden wollte, hatte er einen unmöglichen Knoten gemacht und ich bezweifelte ehrlich, dass er den je wieder lösen könnte. „Was hast du denn da gemacht", fragte ich, woraufhin er schief grinste. Ich machte einige Schritte auf ihn zu und versuchte mein Glück beim Lösen des Knotens.

„Ich glaub das ist hoffnungslos", gab ich es irgendwann auf, „Ich würde sagen du lässt die Krawatte einfach weg." Mühsam half ich ihm dabei, das Stoffstück über seinen Kopf zu ziehen, denn der Knoten saß beinahe noch fester als zuvor. „Also gut, dann halt nicht", meinte er anschließend und richtete seine Frisur wieder etwas, bevor er nach seinem Jackett griff und es sich überzog. Er hatte darauf bestanden, im Anzug zu gehen, mit der Begründung, Jannis und sein Vater würden dies auch tun. Ich selbst hatte lediglich ein langärmliges schwarzes Hemd und eine schwarze Jeans an, was mitunter daran lag, dass meine schickeren Sachen alle noch in London waren und ich nicht unbedingt extra neue kaufen wollte.

Die Trauerfeier war wirklich schön. Als wir letztendlich alle um das frisch ausgehobene Grab herumstanden, während der Sarg dort hinuntergelassen wurde, spürte ich, wie Julian sich immer stärker an meiner Hand festhielt, ich befreite diese jedoch aus seinem Griff und legte ihm stattdessen einen Arm um die Schultern. Mit Tränen in den Augen beobachtete er die Szene, die sich vor uns abspielte und auch ich war kurz davor, mit dem Weinen zu beginnen. Julian neigte seinen Kopf etwas zu mir, nahm seinen Blick jedoch nicht von dem Sarg, welcher nun beinahe komplett im Boden versunken war und flüsterte: „Er kommt nicht mehr zurück." Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte und so schwieg ich einfach, während er sich etwas an mir anlehnte. „Danke, dass du da bist, Kai."


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Sorry Jascha... aber ich hatte letztens die Idee und irgendwen musste es eben treffen😢 Davon mal abgesehen, was wäre ein Fußball OS Buch ohne Bravertz

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