11.1 | Ben Chilwell x Jack Grealish
⚠️Depressionen, Selbstverletzung
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ʷᵃˢ ᵐᵃᶜʰˢᵗ ᵈᵘ ᵈᵉᶰᶰ ᶠüʳ ˢᵃᶜʰᵉᶰ?
Bens pov
Und schon war es wieder so weit. Länderspielpause. Doch dieses Mal würde sie ohne mich stattfinden. Wenn es sich auch nur um zwei Freundschaftsspiele handelte, die ich verpasste, so waren es jedoch wichtige Möglichkeiten, mich für England unter Beweis zu stellen. Aber nein, ich durfte dank meiner Knieverletzung ja noch nicht wieder spielen. Ich verstand gar nicht warum, mir ging es bestens, ich hatte keine Schmerzen, das Aufbautraining lief gut, meiner Meinung nach könnte ich schon lang wieder auf dem Platz stehen, doch diese Entscheidung musste ich trotzdem den Menschen überlassen, die sich mit Verletzungen dieser Art auskannten.
Ich wollte das alles nicht. Seit ich nicht mehr spielte, ging es mir immer schlechter. Dadurch, dass ich nicht im Training war, hatte ich weniger Kontakt zu den anderen und auch Reece, welcher mir zu Beginn noch Gesellschaft bei der Reha leisten konnte, war bereits wieder in der Lage zu spielen. Anfangs war ich noch zu den meisten Spielen gekommen, aber auch das hatte ich nun schon lang nicht mehr getan. Ich hielt es nicht aus, die Jungs alle lachend über den Rasen laufen zu sehen, während ich nicht dabei sein konnte. Der Kontakt zu meinen Teamkollegen war immer weniger geworden und selbst mit Mason, mit dem ich mich eigentlich noch am besten verstand, hatte ich seit einer Woche auch kein bisschen Kontakt mehr. Ich hatte sogar schon mehrfach mal einen der Termine für mein Aufbautraining ausgelassen. Einen Sinn hatte es doch sowieso nicht. Niemand meldete sich mehr bei mir, niemand interessierte sich dafür, wie es mir ging. Und so fand ich es natürlich schade, dass ich bei den Länderspielen nicht dabei sein konnte, doch eigentlich war mir das alles egal, ich war egal. Ich wusste ja noch nicht mal, ob ich bis zur Weltmeisterschaft dieses Jahr wieder fit wäre und selbst wenn würde ich kaum Einsatzzeit bekommen, denn mal ganz ehrlich, was hatte ich denn erreicht dieses Jahr? Ja, ich konnte mich mit Chelsea als Club-Weltmeister bezeichnen, doch was hatte ich denn dazu beigetragen? Richtig, nichts.
Ich hatte mein Haus seit gut drei Wochen gar nicht mehr verlassen, gegessen hatte ich auch kaum etwas und darüber wann ich das letzte Mal geduscht hatte, musste man auch nicht reden.
Schluchzend starrte ich auf das Bild, welches Jack eben von sich und Phil auf Instagram gepostet hatte und die beiden auf dem Weg zum St. George's Park zeigte. Ich spürte etwas Eifersucht in mir aufsteigen. Schon lange war ich mir über meine Gefühle gegenüber Jack bewusst und ich schaffte es nicht, mich mit dem Gedanken anzufreunden, dass ich ihn jetzt nicht sehen würde. Stattdessen würde er mit dem restlichen Team dort eine gute Zeit haben und vermutlich keinen Gedanken an mich verschwenden.
Tränen liefen unaufhaltsam über meine Wangen, während ich mir einige Bilder und Videos vom letzten Trainingslager ansah. Ich konnte einfach nicht mehr.
Abends erreichte mich doch tatsächlich eine Nachricht von Jack. „Ich weiß, du kommst nicht zum Training, aber kommst du wenigstens zu einem von den Spielen", stand dort und es überraschte mich wirklich, dass er überhaupt an mich gedacht hatte, ich machte mir jedoch nicht einmal die Mühe, zu antworten, sondern schaltete mein Handy direkt wieder aus, ich hatte keine Kraft, um ihm zu schreiben, dass ich dort nicht auftauchen würde.
Im Laufe des Tages sah ich immer mehr Bilder meiner Nationalmannschaftskollegen, wie sie sich alle nach der ganzen Zeit wiedersahen. War es zu viel verlangt, dass ich das auch wollte? Ich wusste nicht wie ich das noch länger aushalten sollte, doch jemandem anvertrauen konnte ich mich auch nicht und selbst wenn, wem denn bitte? Mason und Reece waren beide bei der Natio, Kai und Timo waren auch bereits gestern nach Deutschland geflogen und mit dem Rest des Teams verstand ich mich natürlich schon, aber lang nicht so gut, dass ich mit ihnen über meine momentane psychische Situation reden würde.
Völlig fertig schlurfte ich ins Bad. Bei einem Blick in den Spiegel erschrak ich mich beinahe selbst. Der Kerl, der mir dort entgegenblickte, war nicht ich. Nichts erinnerte mehr an den ehemaligen, ständig gut gelaunten Ben Chilwell. Dunkle Augenringe und eingefallen Wangen waren das erste, das mir auffiel. Durch das wenige Essen, das ich zu mir nahm, musste ich unglaublich an Gewicht verloren haben. Bei diesem Anblick schossen mir erneut Tränen in die Augen, doch ich fühlte mich schlecht dabei. Ich hatte keine Probleme, mir ging es gut im Gegensatz dazu, was sonst alles für Scheiße in der Welt vor sich ging, ich durfte mich nicht beschweren.
Mit zitternden Fingern öffnete ich den kleinen Schrank rechts vor mir und musste gar nicht lange suchen, bis ich fand, was ich wollte. Es war nicht das erste Mal, dass ich die kleine Packung mit Rasierklingen aus dem Schrank nahm, und es würde auch definitiv nicht das letzte Mal sein.
Jacks pov
„Jack, wird das noch was heute", hörte ich Phil genervt rufen, welcher sich schon in unserem Zimmer befand und seine Sachen aus dem Koffer holte. Ich stand noch immer vor der geöffneten Tür und starrte völlig in Gedanken auf mein Handy. Warum hatte Ben meine Nachricht nicht beantwortet? Sonst schrieb er mir immer direkt zurück, doch bis jetzt hatte er die Nachricht nur gelesen.
„Mann, wie lang willst du noch da stehen, komm rein oder bleib draußen, aber mach wenigstens die Tür zu", beschwerte Phil sich erneut, woraufhin ich wie in Trance ins Zimmer stolperte.
Phil sah auf und blickte mich besorgt an. „Alles in Ordnung?" „Ben hat mir nicht geantwortet", murmelte ich, schmiss meinen Koffer in eine Ecke und ließ mich aufs Bett fallen. „Willst du gar nicht auspacken", fragte mein Zimmergenosse und ich meinte kurz angebunden: „Nein, passt schon." „Okay, kommst du wenigstens mit runter zu den anderen? Ich glaub Mason und Declan sind schon Basketball spielen und den Rest finden wir auch noch."
Wenige Minuten später schlurfte ich gelangweilt hinter Phil her. Ich hatte nicht wirklich Lust, die anderen wiederzusehen, in dem Wissen, dass Ben nicht dabei sein würde, denn ich vermisste den Jüngeren unheimlich. Ich hatte gar nicht wirklich aufgepasst und stand so plötzlich Mason und Declan gegenüber, welche mich freudig in Empfang nahmen. Ich nickte ihnen nur einmal abwesend zu und widmete mich wieder meinem Handy, über welches ich Ben eine weitere Nachricht schickte. Nur nebenbei bemerkte ich, wie die beiden ein Gespräch mit Phil begannen, bis wir alle durch lautes Schreien abgelenkt wurden.
„Ich hab dir gesagt, Gio ist einfach nur ein Freund von mir, kannst du mir das nicht mal glauben?"
Verwirrt sahen wir alle in Richtung von Reece und Jude, welche gerade durch den Raum liefen und dabei waren, sich anzuschreien. „Ich weiß doch was ich gesehen habe, die ganzen Bilder sagen mehr als genug", kam es von Reece, woraufhin Jude wütend erwiderte: „Du musst ja nicht immer gleich von dir selbst auf andere schließen, so wie das klingt, vögelst du doch auch regelmäßig mit irgendwem hinter meinem Rücken! Wer ist es? Ben? Mason?" „Davon wüsste ich aber was", schrie der zuletzt Erwähnte quer zu den beiden durch den Raum, woraufhin ihn ein zweistimmiges „Halt dich da raus" erreichte.
So schnell wie die beiden aufgetaucht waren, hatten sie den Raum auch wieder durch eine andere Tür verlassen. Man hörte noch einen Moment lang unverständliches Schreien, bis Phil verwirrt fragte: „Erster Beziehungsstreit oder was war das jetzt?" „Was heißt erster", kam es lachend von Mason, „das geht schon mindestens einen Monat so, die zwei können keine fünf Minuten telefonieren, ohne sich gegenseitig anzuschreien. Ich glaube es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sie sich wieder trennen." „Schade", meinte Declan noch schulterzuckend, „hat mal ein bisschen Abwechslung reingebracht."
Ein paar Tage passierte nicht sonderlich viel Aufregendes. Das Highlight des Tages waren fast schon die regelmäßigen Streitereien zwischen Jude und Reece, doch mit der Zeit nervte auch das unglaublich.
Gerade saß ich mit Phil, Declan und Mason gemeinsam beim Frühstück und starrte ungläubig auf die mittlerweile gut zwanzig Nachrichten, die ich in den letzten Tagen an Ben geschickt hatte. Keine einzige Antwort hatte ich von ihm erhalten. Ich hatte sogar mehrfach versucht, ihn anzurufen, doch nie hatte er den Anruf entgegengenommen.
„Jack ich rede mit dir", hörte ich plötzlich jemanden sagen, „ist dein Handy so interessant?" Ich sah gar nicht nach, von dem diese Frage kam, sondern murmelte lediglich: „Sei ruhig, das hier ist wichtig." „Wem schreibst du denn? Gibt's da etwa jemanden, von dem wir wissen sollten?" „Wenn ihr es genau wissen wollt, ich schreibe Ben, der antwortet nicht auf meine Nachrichten, seit wir hier sind."
Ich hörte nur, wie die Person, mit der ich mich gerade unterhalten hatte, zu einer erneuten Antwort ansetzte, jedoch von Schreien unterbrochen wurde. „Weißt du was? Fick dich! Du glaubst mir auch gar nichts, oder? Vielleicht hätte ich ja wirklich was mit Gio anfangen sollen, dann wäre mir diese scheiß Beziehung hier erspart geblieben. Du nutzt mich doch nur aus, dir liegt überhaupt nichts an mir! Das war's! Du bist ein Arschloch, Reece James!"
Dass Jude gerade offenbar mit Reece schlussgemacht hatte, zog die Aufmerksamkeit des kompletten Teams auf sich. Alle starrten sie die beiden an, bevor Jude hektisch den Raum verließ und Reece zögernd unseren Tisch ansteuerte.
„Was hab ich gesagt? Die halten das nicht bis zum ersten Spiel aus. Dec, gib mir mein Geld", lachte Mason, woraufhin Declan augenrollend zehn Pfund über den Tisch schob, welche Mason grinsend annahm.
„Jetzt wettet ihr auch noch, wann wir uns trennen, oder was", kam es offensichtlich ziemlich genervt von Reece, welcher sich auf einen freien Stuhl an unserem Tisch fallen ließ und beinahe aggressiv auf seinem Handy tippte. „Entspann dich doch mal", beteiligte sich nun auch noch Phil am Gespräch, „so wie das klang, bist du ja nicht ganz unschuldig, dass ihr euch grade getrennt habt." „Sei leise Foden", kam grimmig eine Antwort von Reece, bevor er sich sein Handy ans Ohr hielt. Die Person, die er anrufen wollte, ging offenbar nicht ran, woraufhin er weiter irgendwelche Nachrichten schrieb. Kurz darauf versuchte er erneut, jemanden anzurufen, meinte dann jedoch genervt: „Geh doch endlich ran, du Idiot."
„Wen versuchst du denn anzurufen", wollte Mason wissen, „schon mal überlegt, dass nicht jeder um die Uhrzeit wach ist?" „Ben steht immer so früh auf außerdem hat er weiterhin Reha, da muss er schon wach sein", war alles was ich von der darauffolgenden Antwort mitbekam. Ben ging also auch nicht ans Telefon, wenn jemand anders ihn anrief? Ich hatte zwischenzeitlich überlegt, ob es an mir lag, aber wenn er Reece ebenfalls ignorierte, änderte das die Situation enorm.
„Jack versucht auch durchgehend, ihn zu erreichen", meinte Phil und Mason fügte hinzu: „Wenn ich so drüber nachdenke, hab ich auch schon länger nichts mehr von ihm gehört. Er war auch schon lang nicht mehr bei unseren Spielen."
„Was wenn ihm etwas passiert ist", fragte nun Declan und sah besorgt in die Runde. „Ich fahr nach London", beschloss ich ohne Umschweife und erntete dafür drei verwirrte Blicke. Mason war der Einzige, der mir zustimmte und meinte: „Ich komm mit, da kann doch wirklich irgendwas nicht stimmen." „Also gut", entschied sich nun auch Reece, „ich begleite euch, dann muss ich diesen Idioten nicht länger sehen." Fragend sah ich zu Phil und Declan, die erklärten, sie würden hierbleiben, wir sollten uns allerdings melden, wenn wir wüssten, was mit Ben war.
So schnell wir konnten, verließen wir zu dritt das Gebäude. Mason beschloss zu fahren und führte uns auf direktem Weg zu seinem Auto. Es dauerte mehrere Stunden, bis wir in London ankamen, Stunden die ich mit nichts anderem verbrachte, als mir Sorgen um Ben zu machen. Reece hatte irgendwann begonnen, mit Mason über seine gescheiterte Beziehung zu diskutieren, doch mehr als dass Mason davon überzeugt war, Reece solle einfach nochmal in Ruhe mit Jude reden, bekam ich nicht mit. Erst als wir in London angekommen waren und vor Bens Haus hielten, hatten die beiden wieder meine volle Aufmerksamkeit.
Eine Zeit lang standen wir vor seiner Haustür und klingelten, doch nichts passierte. „Hat jemand von euch einen Schlüssel", fragte ich und wurde immer nervöser. Beide schüttelten sie die Köpfe. „Vielleicht einer von seinen Nachbarn", schlug Mason vor und zeitgleich liefen wir in Richtung des Hauses direkt neben Bens. Hektisch betätigte ich die Klingel. Es dauerte etwas, bis die Tür von einer älteren Dame geöffnet wurde. Sie sah uns einen Moment lang verwirrt an, bis ich fragte: „Haben sie zufällig einen Zweitschlüssel zu Bens Haus?"
„Sind sie Freunde von ihm", fragte sie neugierig und ich nickte freundlich lächelnd. „Na dann, kommen sie kurz mit, ich habe irgendwo einen Schlüssel, den er mir mal gegeben hat." Unruhig folgte ich Bens Nachbarin in ihr Haus, während sie fleißig erzählte: „Ben ist ja schon ein netter junger Mann. Wissen sie, ich bin nicht mehr so gut zu Fuß und er hat mir immer mal wieder geholfen, zum Beispiel meine Einkäufe ins Haus zu tragen. Und Ende letzten Jahres, da bin ich 83 geworden, kam er zum Kaffeetrinken vorbei. Er hat mir sogar erklärt, wie mein Fernseher funktioniert und dann hat er mir vor ein paar Wochen vorgeschlagen, mich mal ins Stadion mitzunehmen. Mein Mann war auch großer Fußballfan, müssen sie wissen, aber seit er vor vier Jahren gestorben ist, habe ich kaum noch Spiele gesehen." Lächelnd wühlte sie in einer Schublade, bevor sie einen Schlüssel herausholte und mir gab. Ehe ich gehen konnte, fragte sie noch: „Ist alles in Ordnung mit ihm? Ich habe ihn seit fast drei Wochen nicht mehr gesehen." „Drei Wochen", wollte ich erstaunt wissen. Sie nickte. „Nicht dass ihm etwas passiert ist." „Hoffen wir das beste", meinte ich, bedankte mich bei ihr für die Hilfe und lief so schnell ich konnte zurück zu Bens Haustür, wo die anderen beiden bereits auf mich warteten.
Meine Finger zitterten als ich versuchte, die Tür zu öffnen. Nachdem mir das endlich gelungen war, stolperte ich fast schon ängstlich ins Innere des Hauses. „Ben", rief ich zögernd, „bist du da?" Keine Antwort. Auch auf erneutes Rufen meinerseits kam nichts zurück. Mason und Reece schienen beide genauso hoffnungslos wie ich. Immer wieder versuchte ich mir einzureden, dass er vielleicht gar nicht hier war, doch das brachte nichts. Spätestens als wir ein völliges Chaos im Wohnzimmer vorfanden, schlichen sich ziemlich unschöne Szenarien in meine Gedanken. Was wenn er gefährlich gestürzt war, keine Hilfe holen konnte und nun möglicherweise gar nicht mehr am Leben war? Oder wenn, wonach dieses Chaos aussah, hier eingebrochen worden war und er nun schwer verletzt war, was wieder der ersten Theorie ähnelte. Keins dieser Hirngespinste ging gut aus, in den wenigsten war er noch am Leben. Glücklicherweise riss Reece mich plötzlich aus meinen Gedanken, indem er sagte: „Ich glaub ich hab was gehört, vielleicht ist er oben."
Panisch lief ich die angrenzende Treppe nach oben und versuchte herauszufinden, was es war, das Reece gehört hatte. Es war ziemlich ruhig, ich hatte keine Ahnung auf welche Art von Geräusch ich achten sollte, bis ich plötzlich leises Schluchzen vernahm. So schnell ich konnte, machte ich den Raum ausfindig, aus dem das Geräusch kommen musste. Als ich meinte, die richtige Tür gefunden zu haben, öffnete ich diese und fand mich in Bens Badezimmer wieder.
Erleichtert stellte ich fest, dass meine Vorstellungen sich nicht bewahrheitet hatten und Ben offensichtlich noch lebte, doch erneut überkam mich Panik, als ich ihn genauer betrachtete. Er saß zusammengekauert auf dem Boden, hatte sich an der Wand hinter ihm angelehnt und – das mit Abstand Schlimmste – hielt mit zitternden Fingern eine Klinge in der Hand. „Ben, nein", war alles was ich schreien konnte, bevor er ebendiese an seinem Unterarm ansetzte. Erschrocken sah er auf und schien das Metallstück dabei etwas bewegt zu haben, denn er zuckte einen Moment lang zusammen. Ich spürte beinahe das Adrenalin durch meine Adern schießen, als ich auf ihn zustürzte, ihm die Klinge aus der Hand riss und in eine möglichst weit entfernte Ecke des Raumes warf.
„J-Jack", stammelte er und starrte auf den beinahe geraden Schnitt nahe seines Handgelenks, welcher nicht der einzige war, wie ich feststellen musste.
„Mann Chilly, was machst du denn für Sachen", fragte ich, während ihm langsam einige Tränen über die Wangen kullerten. Leicht begann er zu zittern, woraufhin ich ihn sanft in eine Umarmung zog. Augenblicklich vergrub er seinen Kopf in meiner Halsbeuge und begann immer heftiger zu schluchzen. Verzweifelt krallte er sich mit einer Hand an meinem Oberteil fest, während er seinen verletzten Arm auf seinem Schoß liegen hatte. Das musste doch wehtun, oder nicht?
Mit einem „Komm mal her, Kleiner" schob ich vorsichtig einen Arm unter seine Kniekehlen, während der andere unter seinem Rücken Platz fand. Ein erschrocken klingendes Quieken entwich ihm, als ich ihn hochhob und aus dem Raum trug. Es erstaunte mich, wie leicht er war. Allein dass seine Wangen ziemlich eingefallen waren, deutete auf einen enormen Gewichtsverlust hin, welcher sich mir nun bestätigte. In diesem Moment machte ich mir unglaubliche Sorgen um ihn. Ihm schien es sowohl psychisch als auch physisch nicht sonderlich gut zu gehen und ich verstand einfach nicht warum. Er war immer ein extrem lebensfroher Mensch gewesen, soweit ich mich erinnern konnte, hatte ich ihn bis heute noch nie ohne ein strahlendes Lächeln im Gesicht gesehen.
Ich trug ihn die Treppe hinunter ins Wohnzimmer, wo Mason und Reece noch immer standen und für einen Moment erleichtert schienen, als sie Ben auf meinem Arm entdeckten. Im Vorbeigehen bat ich Mason darum, im Haus nach Verbandszeug zu suchen, während ich Reece in die Küche schickte, um nach etwas zu Essen für Ben zu sehen, was er meiner Meinung dringend nötig hatte. Anschließend setzte ich mich aufs Sofa und zog den Jüngeren auf meinen Schoß, wo er sich erneut ängstlich an mich klammerte.
Reece war als erster wieder zurück, meinte jedoch: „Da war so gut wie kein Essen, ich hoffe Mal ein Glas Wasser tut's fürs Erste." Dankend nahm ich das Glas an und hielt es Ben hin, welcher vorsichtig danach griff, während ich erneut an Reece gewandt fragte: „Hier in der Nähe hat's doch sicher sowas wie einen Bäcker, kannst du vielleicht schnell was holen? Ich weiß echt nicht, wann er das letzte Mal was gegessen hat."
Beinahe noch im selben Augenblick machte er sich auf den Weg, als Mason zu uns kam. „Also hier hast du Pflaster, Verbände und Desinfektionsspray, brauchst du sonst noch was? Und darf ich fragen wozu–" Er stoppte abrupt als sein Blick auf Bens Handgelenk fiel.
„Ben", fragend sah er ihn an, „warum?" Seine Stimme war lediglich ein Flüstern. Ben murmelte irgendetwas, das wie eine Entschuldigung klang, bevor er wieder stärker zu weinen begann.
Wortlos versuchte ich, ihm die Tränen von den Wangen zu streichen, während Mason vorsichtig anfing, die Schnitte an seinem Arm etwas zu säubern. Noch immer ohne ein Wort zu sagen, griff ich nach einer der Mullbinden, die Mason zuvor geholt hatte, und wickelte diese behutsam um Bens Handgelenk. Anschließend beschloss Mason, Bens Nachbarin ihren Schlüssel zurückzubringen, sich mal bei Phil und Declan zu melden, die ja wissen wollten, wie es Ben ging, und uns beide etwas allein zu lassen.
„Was ist los", fragte ich zögernd, während er sich noch fester an mich klammerte, sofern das überhaupt möglich war. Einerseits würde ich wirklich gerne wissen, was dafür gesorgt hatte, dass es ihm so mies ging, andererseits wollte ich ihn auf keinen Fall dazu drängen, mit mir zu sprechen. Er antwortete nicht, begann lediglich wieder mehr zu zittern. „Du musst es mir nicht sagen, wenn du nicht willst", meinte ich ruhig, „aber wenn du drüber reden möchtest, bin ich für dich da, in Ordnung?" Er nickte kaum merklich und ich hauchte: „Das wird schon wieder, Chilly." Ich glaubte ein leises „Danke" zu hören und lächelte ihn aufmunternd an.
Einen Moment lang war es ruhig, bis er plötzlich wieder völlig aufgelöst schluchzte: „Ich kann nicht mehr, Jack." Bevor ich überhaupt darüber nachdenken konnte, was ich sagte, hatten die Worte bereits meine Lippen verlassen. „Alles wird gut, Baby."
Augenblicklich entgleisten Bens Gesichtszüge ein wenig und er stammelte: „W-Was? Was hast du grade gesagt?" Erst da fiel mir auf, wie ich ihn gerade genannt hatte. „Ich", nahezu verzweifelt rang ich nach Worten, „da reden wir mal in Ruhe drüber, wenn's dir wieder besser geht, in Ordnung?"
Hektisch schüttelte er den Kopf. „Nein, was hast du grade gesagt, Jack, wie meinst du das?" „Hältst du das hier wirklich für die richtige Situation, um über sowas zu reden", wollte ich wissen, denn ich hatte im Moment wirklich nicht das Bedürfnis, mit ihm über meine eventuell vorhandenen Gefühle für ihn zu diskutieren, was ihn am Ende vielleicht nur noch mehr verletzen könnte.
„Jack, verdammt, was sollte das?" „Ben, das ist mir halt so rausgerutscht, ich will da wirklich nicht drüber reden, verstanden", antwortete ich ihm etwas lauter als ursprünglich geplant. „Du hasst mich, oder", murmelte er und wandte seinen Blick von mir ab. Vorsichtig drehte ich seinen Kopf wieder zu mir, damit er mich ansehen musste. „Nein, natürlich nicht."
„Was dann", fragte er und versuchte sich aus meiner Umarmung zu befreien, doch ich hielt ihn fest. „Scheiße, Ben, ich", nervös versuchte ich, die richtigen Worte zu finden, auch wenn ich am Ende etwas ganz anderes sagte. „Ich liebe dich, okay?"
„Warum solltest du, niemand tut das", war alles was er erwiderte, bevor er erneut mit Tränen in den Augen sein Gesicht in meinem Shirt vergrub. „Das stimmt nicht Ben, es gibt genug Leute, die das tun", versuchte ich ihm klarzumachen. Es verletzte mich ziemlich, dass er so dachte. „Und wer soll das sein", schluchzte er, während ihm erneut Tränen in Sturzbächen über die Wangen flossen. „Ben, jeder, deine Familie, deine Freunde, vielleicht nicht unbedingt so wie ich das tu, eben auf eine andere Art, verstehst du?" Zögernd nickte er. „Und du... warum?"
„Warum", wiederholte ich seine Frage, bevor ich erklärte: „Ich weiß nicht Mal, ob ich das so einfach erklären kann. Weißt du, schon als ich dich kennengelernt habe, war ich direkt beeindruckt von dir. Du hast immer so eine gute Laune ausgestrahlt, wenn es mir einmal komplett beschissen ging und du da warst, war sofort wieder alles gut. Es zerreißt mich innerlich, zu wissen, dass ich dich an jemand anderen verlieren könnte. Naja, über die letzten Monate ist mir einfach klar geworden, dass das was ich für dich empfinde wirklich Liebe sein muss, weil ich es mir nicht anders erklären kann und Ben, du... ich weiß nicht... du warst einfach immer für einen da, wenn man dich gebraucht hat und was auch immer grade los ist, lass mich jetzt mal für dich da sein, in Ordnung?"
Er hob seinen Kopf wieder und sah mich traurig an. „Das war schön", flüsterte er, „aber stimmt das alles wirklich?" „Ich kann dich nicht anlügen", meinte ich nickend, „schon gar nicht, wenn es um sowas geht."
Ein kleines Lächeln bildete sich auf seinen Lippen, wenn auch nur für wenige Sekunden. Es tat gut, zu wissen, dass er trotz allem noch lächeln konnte. Ich spürte, wie er mit seiner einen Hand vorsichtig nach meiner griff und seine Finger mit meinen verschränkte. Beinahe wie in Zeitlupe, bewegte er seinen Kopf etwas näher zu meinem, bevor er plötzlich stoppte und unsicher auf meine Lippen blickte. Ohne lange darüber nachzudenken, überbrückte ich den Abstand zwischen uns und legte sanft meine Lippen auf seine. Es war ein vorsichtiger Kuss, ich wollte ihn in seiner aktuellen Situation nicht überfordern und löste mich so wenige Sekunden später wieder von ihm. Ich merkte, wie seine Wangen sich leicht rot färbten, woraufhin er nahezu schüchtern sein Gesicht erneut in meiner Halsbeuge versteckte. Schweigend fuhr ich ihm immer wieder durch die Haare, während sein Atem langsam ruhiger wurde.
Wenige Minuten später kamen Reece und Mason zurück, ersterer mit etwas zu essen für Ben, ich deutete den beiden jedoch, leise zu sein, da ich mir ziemlich sicher war, dass der Jüngere in meinen Armen eingeschlafen war. So schnell würde ich ihn sicher nicht mehr aus den Augen lassen.
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Tun wir einfach mal so als wäre Reece dabei, hatte den One Shot schon angefangen als es hieß, dass er doch noch wegen ner Verletzung ausfällt. Gibt evtl noch eine Fortsetzung, ich kann die zwei nicht so zerstritten lassen🙈
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