Niemand hätte gedacht das so etwas derartiges passieren würde, auch Jo nicht, als sie ihren kleinen Bruder Samuel an der Hand auf den Linienbus in die Stadt wartete. Ihr kleiner Bruder brabbelte quitschend vor sich hin, während Jo genervt in die Ferne starrte.
Wie sie es jeden Morgen tat. Das glich so zu sagen einer Art Ritual, dachte Jo und sah zähneknirschend in die Ferne. Sie hatte miese Laune. Was eigentlich in letzter Zeit nichts ungewöhnliches war. Eher etwas das immer wie eine Schicht auf allem lag.
Wie jeden Morgen verspätete sich der Linienbus für die Schule um haargenau fünf Minuten. Was ansich nicht schlimm war, würden ihre Beine nicht so wehtun. Was wahrscheinlich daran lag, dass sie gestern wieder gejoggt war. Das tat sie wirklich nicht oft und im Anbetracht der Schmerzen in ihren Beinen endschied sie das es in der nächsten Zeit auch nicht mehr stattfinden würde.
Ihr kleiner Bruder, Samuel, der gestern stolze vier Jahre alt geworden war, schlänkerte ihre Hand hin und her und hüpfte auf den Pflastersteinen hin und her, bedacht nicht die Ritzen zu berühren. Jo wünschte sie hätte ihn nicht mitnehmen müssen, doch er musste in den Kindergarten und es blieb keine andere Möglichkeit als ihn mit in den Bus zu nehmen. Eigentlich hätte er auch einen Bus später nehmen können, aber ihre Mutter hatte das als zu gefährlich deklamiert.
Eigentlich hätte sie sich darangewöhnt haben müssen, schließlich war das ganze seit ungefähr einem Jahr schon so, aber es zehrte dennoch an ihren stramm gespannten Nerven. Jo war kein Mensch der Veränderungen mochte, sie brauchte Ordnung in ihrem Leben.
Jo wurde aus den Gedanken gerissen, als Samuel erpicht in seinem roten Brustbeutel kramte und seine Busfahrkarte bereithielt. In der Ferne bewegte sich auf der Landstraße etwas auf sie zu. Ihr kleiner Bruder hatte definitiv bessere Augen als sie, bekannte Jo und holte langsam ihre zerknitterte Schülerkarte hervor.
"Bus, Jo! Da ist der Bus!", krähte Samuel erpicht und zog sie in Richtung Bus, der langsam hielt.
Mit ihm an der Hand stieg sie in den schon etwas volleren Bus ein. Die Linienbusse, die über das Land fuhren, waren für gewöhnlich etwas voller und doch setzte sich Jo mit Samuel auf zwei Plätze in die Mitte des Busses. Wie jeden Morgen drückte sie Samuel ihr Handy in die Hände. Ihre Mutter wäre wahnsinnig geworden, hätte sie es gewusst. Tat sie zum Glück nicht. Aber Jo hatte wirklich keine Lust die ganze Zeit von Samuel vollgequatscht zu werden. Er konnte wirklich aufdringlich werden. Sie sah wie er eine Malapp öffnete und mit seinen kleinen Fingern auf dem Bildschirm rumtatschte. Plötzlich wünschte sie sich, er hätte sich davor die Hände gewaschen. Aber das konnte sie jetzt nicht mehr ändern, also lehnte sie sich an das Fenster zu ihrer rechten. Sie fuhren gegen die Fahrtrichtung, da das die letzten freien Plätze gewesen waren.
Manchmal wünschte Jo, eine Freundin würde mit ihr Bus fahren. Aber dem war es nicht. Und aus diesem Grund starrte sie jeden Morgen aus dem beschlagenen Fenster. Ordnung. Der noch kühle Frühling hatte eingesetzt und sie betrachtete die grünen Blättchen, die sich an den Ästen bildeten und versank in tiefen Gedanken.
Jo wusste nicht was gleich passieren würde, wenn sie es gewusst hätte, hätte es wahrscheinlich nicht viel geändert.
Und so passierte es, dass ungefähr fünf Minuten später auf der Fahrt in dem vollen Bus eine Frau in einem Anorak auf den Flur im oberen Viertel aufstand und mit einem klackerten Gerräusch eine Pistole zückte.
Jo merkte es erst nicht, sie verfiel oft in tiefe Gedanken. Auch ihr kleiner Bruder war zu sehr auf den Handybildschirm fixiert, als das er etwas von dem um ihn herum passierende bemerkt hätte.
Dann fiel der erste Schuss aus der Pistole der Frau.
Blitzschnell drehte Jo sich erschreckt um und sah, wie einige Reihen vor ihr jemand in sich zusammensackte. Dann sah sie sie.
Jo blickte in Schreckenstarre die Mörderin an.
Die harten Augen ihrer fuhren durch die verängstigten Blicke der hauptsächlichen Schüler und zu der Leiche auf dem Boden.
Der Bus fuhr seltsamer Weise weiter, als sie in die Schreie der Kinder das Feuer erhob. Kugeln prasselten auf die nächste Reihe nieder.
Sie trafen ihr Ziel.
Samuel klammerte sich an Jo, dass Handy war am Boden. Er weinte und Jo war immer noch in Schreckenstarre. Bis sie Elly erblickte.
Ein Mädchem aus dem Orchester der Schule, die immer ihr Cello mit sich herumschleppte. Mit aufgerissenen Augen lag sie bleich am Boden. Doch das erschreckendste war das hohle Loch in ihrer zarten Stirn.
Kurze Stille herrschte als die Frau neu lud. Kurz musterte sie alle. Dann schoss sie queer durch den Bus.
Im selben Moment riss Jo Samuel gewaltsam auf den Boden. Niemand hatte Jo für mutig gehalten. Man sah sie als stille Person, aber nicht als mutige.
Das hier war alles andere als eine Ordnung.
Doch was sie in diesem Moment tat, war wohl das mutigste, was sie getan hatte und tun würde.
Jo warf sich auf ihren weinenden Bruder, der am Boden lag und legte ihm in einer hektischen Bewegung die Hand auf den Mund. Die kleine Gestalt unter ihr lag still, beschwert von dem schweren Gewicht seiner größeren Schwester. Jo spürte die Tränen, die ihm übers Gesicht rannen.
Die Kugeln pralltem gegen Sitze, Kinder und Metallstangen. Inzwischen schoss die Mörderin eher panisch anstatt strategisch.
Neben Jo fiel etwas schweres zu Boden. Ohne sich umzudrehen wusste Jo was passiert war.
Etwas war auf ihrem Bein gelandet. Es musste eine Leiche sein. Sie spürte wie ihr schwere Blut durch die Ohren rauschte, durch die Venen pochte.
Ihre braunen Haare lagen über ihr, unfähig sich zu bewegen. Eine ihrer Hände lag neben ihr, zitternd, als sie etwas berührte.
Ihre Gedanken waren zu laut und erschreckt, als das sie realisierte, was sie tat. Mit einer Hamd fasste sie in die Flüssigkeit und verteilte sie fahrig über Samuels Stirn. Blutrot flossen Tropfen über den Kinderkopf, der nicht verstand was gerade passierte.
Schützend legte sie die blutigen Finger über seine kleinen Hände und drückte sie fest.
Plötzlich war ihr etwas bewusst geworden.
Jo würde erschossen werden.
Und sie hatte Angst, ihre Glieder schlackerten in dem Kugelhagel und ihr Gesicht tropfte vor Angstschweiß. Jo war zu groß um sich zu verstecken. Sie hatte keine Fluchtmöglichkeit um dem Senario zu entkommen. Es war aussichtslos. Doch etwas klang noch klarer durch den Kopf.
Sie konnte mit ihrem Tod jemanden beschützen. Solange niemand Samuel bemerkte oder das Blut an ihm sah, würde man ihn nicht erschießen. Zumindest war das ihre einzige Hoffnung. In dem Blutmassaker konnte man nicht klar denken.
"Ich liebe dich. Bleib leise, alles wird gut.", wisperte sie in das Ohr ihres Bruders und ihr Atem ging schnell. Es war riskant, aber wenn sie sowieso schon sterben würde, musste sie diese Worte an ihren Bruder richten.
Sie hörte neben sich etwas auf den Boden schlagen. Jo wusste nicht, wie die anderen reagiert hatten, ob sie sich auf ihre Sitze gekauert hatten, auf dem nassen Boden lagen. Der Geruch von Blut stieg ihr in die Nase. Salzig und metallisch. Jo weinte selten.
So gut wie nie.
Aber nun rollte eine Träne über ihr Wange und tropfte auf den Boden.
"Bitte lass es schnell gehen.", flehte sie in Gedanken. Sie wusste, dass ihre Zeit gekommen war. Immer mehr Menschen in ihrer Nähe verließen das Leben.
Jo war immer tapfer gewesen.
Auch jetzt war sie es, als die ziellose Kugel ihren Haarschopf erreichte und in ihren Kopf eindrang, ein fingergroßes Loch zurücklassend.
Nachdem der brennende Schmerz kurz durch sie gefahren war, war Jo tot.
Wenn sie noch gelebt hätte, hätte sie gedacht, dass es schnell ging.
Doch so bemerkte nur Samuel, wie das Gewicht seiner Schwester durch etwas erschüttert wurde. Er war zu jung um zu verstehen. Und deshalb klammerte er sich an ihre leblose Hand unter ihr begraben.
Irgendwann ließ der Hagel an Schüssen nach.
Der Bus hielt und Menschen verließen ihnen. Zumindestens hörte Samuel Schritte. Dannach wurden die schweren Türen verschlossen.
Stille. Mehrere Minuten passierte nichts. Samuel zitterte. Das war zuviel für das Kinderherz und alles wurde dunkel.
Später würde er in einem weichen Bett aufwachen. Besinnungslos. Die weinenden Eltern sehen. Er würde nach seiner Schwester weinen. Doch Jo war nicht mehr auf der Erde. Nur noch ihr durchlöcherter Korpus weilte dort. Ihre Seele hatte sich auf die Reise gemacht. Wohin, dass wusste sie selbst nicht.
Samuel liebte seine Schwester vom ganzen Herzen. Doch auch wenn er weinte, es würde sie nicht zurückbringen.
Nachrichtensprecher würden erschüttert über das Ereigniss berichten. Die Mörderin und die Mittäter wurden gefunden und in Haft genommen. Wieso sie so etwas grausames getan hatten, man wusste es nicht. Und es brachte die dreiundreißig Kinder nicht zurück.
Wer hätte denn auch damit gerechnet, dass ein Linienbus, der als Schulbus diente, solch einem Ereigniss zum Opfer fiel?
Niemand. Auch Jo nicht. Denn die vierzehnjährige Schwester war fort.
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