DAY 6 /1
In aller Herrgottsfrühe werde ich abrupt wach, denn mir ist so verdammt übel, dass ich mich übergeben muss.
Verdammte Feuerzangenbowle.
Ich eile in meinem kuscheligen Pyjama ins Badezimmer, reiße den Klodeckel und die Klobrille hoch, und übergebe mich. Tränen steigen mir in die Augen, Magensäure brennt in meinem Mund und der Geruch von dem süßen Alkohol der letzten Nacht, lässt mir schlagartig noch übler werden.
Ich halte mich noch einen Moment über die Toilette gebeugt, während mein Magen sich ein weiteres Mal zusammenkrampft. Der Nachgeschmack ist grauenhaft, und Tränen laufen mir über die Wangen. Ich schnappe nach Luft und drücke die Spülung, während ich mich auf den kühlen Fliesen abstütze. Gerade als ich mich einigermaßen wieder gesammelt habe, klopft es leise an der Badezimmertür.
"Yuna? Alles okay? Brauchst du Hilfe?" Ninos Stimme klingt besorgt.
Ich schlucke schwer und antworte heiser: "Nein, danke. Ich komme klar."
Langsam richte ich mich auf, schalte den Wasserhahn an und spüle mir den Mund aus. Das klare Wasser fühlt sich erfrischend an, auch wenn es kaum den brennenden Nachgeschmack von meiner Zunge vertreiben kann. Ich betrachte mein blasses Gesicht im Spiegel und seufze leise.
Selbst Schuld, Yuna. Wer nicht hören will, muss fühlen.
Als ich schließlich aus dem Badezimmer komme, kommt Nino mir entgegen. In seiner Hand hält er eine dampfende Tasse Tee. "Hier, Pfefferminz. Beruhigt den Magen."
Ich lächele dankbar und nehme die Tasse entgegen. "Danke, Nino. Das ist total lieb von dir."
"Ach was", winkt er ab und folgt mir ins Wohnzimmer, wo wir uns gemeinsam auf das große Sofa setzen. Ich kuschele mich in eine der weichen Decken und nehme vorsichtig einen Schluck Tee.
"Soll ich Vito holen?", fragt Nino nach einer kurzen Pause, wobei er mich aus dem Augenwinkel beobachtet. Seine blonden Haare sind vom Schlaf verwuschelt, sein athletischer Körper steckt in einem winterlichen Pyjama aus weißem Shirt und rotkarierter Flanellhose.
Ich schüttele entschieden den Kopf. "Nein, lass ihn schlafen. Er war gestern Abend schon viel zu geduldig mit mir."
Ein Grinsen huscht über Ninos Gesicht. "Ach, ihr könnt also doch noch ohne einander?"
Ein Lächeln schleicht sich auf meine Mundwinkel, obwohl ich mich immer noch elend fühle. "Gerade so."
Nino lehnt sich zurück und lächelt. "Spaß beiseite - ihr seid echt süß zusammen. Ich freue mich, dass ihr wieder zueinander gefunden habt. Vito liebt dich wirklich sehr."
Sein ehrlicher Ton überrascht mich, und ich sehe ihn einen Moment lang überrumpelt an. "Danke, Nino. Es war nicht einfach, aber wir haben es hingekriegt."
"Du meinst, wegen seines Auslandseinsatzes?", hakt er nach.
Ich beiße mir auf die Unterlippe und ziehe meine Knie schutzsuchend an den Bauch. "Nicht nur deshalb. Es war für uns beide schon schwer, uns wieder in die Rolle eines Paares reinzufinden. Ich für meinen Teil hatte anfangs große Angst, dass Vito und ich schnell wieder aneinander knallen, aber die Sorge war unbegründet. Wir sind mit sehr viel gegenseitigem Raum und Verständnis an die Sache rangegangen, haben viel und offen über alles geredet. Wir haben so viel Zeit wie möglich miteinander verbracht, aus Angst, dass jeden Moment die Nachricht kommen würde, dass er nach Afghanistan eingezogen wird. Letztendlich hatten wir knapp sechs Wochen miteinander, bevor wir Abschied nehmen mussten."
"Immerhin sechs Wochen, aber trotzdem viel zu kurz", kommentiert Nino und trinkt einen Schluck Kaffee.
"Auf jeden Fall. Ich hatte auch echt Bedenken, ob das hinhaut. Vier Monate sind lang, die Entfernung riesig und der Kontakt auf ein absolutes Minimum beschränkt. Aber Vito hat sich viel Mühe gegeben und es geschafft, mir immer ein gutes Gefühl zu geben. Es gab vereinzelt Nächte, wo wir stundenlang telefoniert und Deeptalks geführt haben, über uns, unsere Vergangenheit, die Zukunft, das Leben.. Da waren so viele Momente, in denen wir gemerkt haben, dass die Verbindung zwischen uns nie wirklich verschwunden war. Wir haben uns Briefe geschrieben, seitenlange Romane, in denen wir uns gegenseitig das Herz ausgeschüttet haben, und ich habe ihm Pakete geschickt, über die er sich immer sehr gefreut hat. Fotos, Süßigkeiten, sein Lieblingsduschgel oder kleine Geschenke. Wir haben es geschafft, dass die Zeit uns noch enger zusammengeschweißt hat, anstatt dass sie uns auseinander gerissen hat, und ich glaube, das ist ein gutes Zeichen."
Nino nickt immer wieder verständnisvoll, während er mir aufmerksam zuhört.
"Auf jeden Fall! Dann steht Hochzeit und Kindern ja jetzt nichts mehr im Weg", grinst der charismatische Beau und fährt sich mit den Fingern durch die blonden Haare.
"Ich möchte erstmal noch die Zeit mit Vito alleine genießen und unsere Beziehung festigen, aber wenn ich ehrlich bin, sehe ich mich in ein paar Jahren definitiv mit ihm an der Seite", räume ich ein, und es ist das erste Mal, dass ich das so ausspreche. Ich bin selbst überrascht über die Klarheit in meinen Worten.
"Das ist wirklich schön, Yuna. Ihr habt das richtige Timing gefunden. Ich hoffe für euch, dass alles so wird, wie ihr es euch wünscht."
"Und was ist mit dir? Willst du nicht irgendwann mal sesshaft werden?"
Ein schelmisches Grinsen überzieht seine Wangen. "Och, weißt du.. Ich habe da keine Eile. Ich fühle mich ganz wohl als ewiger Junggeselle."
"Aber auch in fünf oder zehn Jahren noch?", hake ich nach und lege den Kopf schief, um ihn prüfend zu betrachten.
"Man soll niemals nie sagen, aber Stand jetzt sehe ich mich zumindest nicht mit eigenen Kindern. Ich bin aber liebend gerne der lustige Onkel für all die vielen Kinder, die Asya, Pepe, Vito und du auf die Welt setzen."
Ich schenke ihm ein ehrliches Lächeln. "Das klingt schön, wenn du das so sagst. Darf ich dich mal was fragen, wenn wir gerade über das Thema Kinder sprechen?" Meine Stimme wird leiser, bricht am Ende beinahe weg. Ich weiche Ninos Blick aus und sehe auf meine schlanken Finger, die die warme Teetasse haltsuchend umklammern.
"Na klar", antwortet er.
"Wisst ihr das eigentlich? Hat Vito euch jemals davon erzählt?" Ich schlucke schwer. Die Frage ist bewusst vage, sodass er nur verstehen kann, worauf ich anspiele, wenn Vito ihn eingeweiht hat. Ich möchte ihm nicht vorgreifen, falls Vito nicht mit seinen Freunden über Livio sprechen will - aber ich habe ihn nie danach gefragt.
"Ja, er redet manchmal darüber. Es fällt ihm schwer, weil er noch immer sehr unter dem Verlust leidet, aber ich habe das Gefühl, es ist besser geworden, seit du wieder in seinem Leben bist. Als würde die Last sich auf euch beide verteilen."
Mein Herz zieht sich kurz schmerzhaft zusammen, denn ich weiß genau, was Nino meint. So geht es mir auch. Es ist viel leichter geworden, mit dem Schmerz klarzukommen, seit Vito wieder an meiner Seite ist und wir uns wirklich gegenseitig die Stütze sein können, die wir damals nicht waren.
"Mein Beileid, Yuna", schiebt Nino hinterher und streichelt mir kurz anteilnehmend über den Oberarm. "Danke", wispere ich. Dann schiebe ich die Decke beiseite und stehe auf. "Auch nochmal danke für den Tee. Ich versuche, mich nochmal ein bisschen hinzulegen. So wie ich Pepe kenne, wird das wieder ein anstrengender Tag für uns alle."
Nino lacht auf. "Das stimmt. Auf dem Schneemobil solltest du deine Übelkeit besser überwunden haben. Schlaf gut, Yuna."
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top