DAY 4 /3

Vito nickt langsam. "Ich komme damit klar. Es hilft, dass ich weiß, dass ich nicht alleine mit diesen Erfahrungen bin. Ich tausche mich viel mit Kameraden aus, und ich gehe seit meinem ersten Auslandseinsatz regelmäßig zur Psychotherapie. Anfangs fand ich es unangenehm und schwer, über meine Gefühle zu reden, aber ich habe schnell gemerkt, wie sehr es mir hilft. Nicht nur wegen der Einsätze, sondern auch wegen all dem privaten Ballast, den ich aus der Vergangenheit mitschleppe. Diese Geschichte mit meiner Mum und ihren ganzen Typen, dass sie mich oft wegen denen vernachlässigt hat und sowas. Und natürlich auch das mit dir und Livio."

Überrascht sehe ich ihn an. "Das wusste ich gar nicht, aber das finde ich richtig gut. Ich finde man merkt es dir auch an, dass du vieles mittlerweile besser verarbeitet hast. Du wirkst mit dir im Reinen, nicht so wie früher. Es zeigt, wie stark du wirklich bist, dass du dir Hilfe geholt hast und kontinuierlich an dir arbeitest."

Er sieht mich an, ein schwaches Lächeln auf den Lippen. "Es hat mir aber auch sehr geholfen, zu wissen, dass du da bist, wenn ich zurückkomme. Auch wenn es gleichzeitig eine ungewohnte Belastung war. Es war das erste Mal, dass ich jemanden zuhause hatte, der auf mich gewartet hat. Dadurch sind ganz neue Gefühle über mich hereingebrochen. Ich habe mich schuldig gefühlt, dass du wegen mir leidest. Ich hatte zum ersten Mal richtig Heimweh, wenn auch mehr nach dir als nach zuhause. Wir hatten so traumhafte Wochen nach Mallorca, und dann musste ich dich alleine zurücklassen. Das tat weh. Ich war irgendwie richtig wütend und traurig, weil das Timing so scheiße war. Da finden wir nach all den Jahren endlich wieder zusammen, und dann muss ich gehen. Und ehrlich gesagt hatte ich auch Angst, dass du bemerkst, dass du mit der Situation doch nicht klarkommst. Vier Monate sind lang. Manchmal hatte ich Angst, dass du dich von mir trennst oder in der Zeit jemand anderen kennenlernst."

Ich ziehe einen Schmollmund, Tränen steigen in meine Augen und ich rutsche näher zu ihm. Dass ihm die Zeit ohne mich doch so schwer gefallen ist, hat er gut verborgen. Liebevoll lege ich meine Hände an seine Wangen und sehe ihm tief in die Augen. "Nein, niemals. Ich habe jeden Tag tausendmal an dich gedacht. Ich hatte überhaupt keine Augen für jemand anderen. Ich habe dich so vermisst und mich einfach die ganze Zeit nur darauf gefreut, dass du zurückkommst, und wir weitermachen können, wo wir aufgehört haben. Und obwohl du weg warst, hat uns diese Zeit irgendwie noch fester zusammengeschweißt. Die Deeptalks, die wir manchmal am Telefon hatten, haben mir gezeigt, dass es die absolut richtige Entscheidung war, uns noch eine Chance zu geben. Ich habe es in keiner Sekunde bereut und mich jeden Tag mehr in dich verliebt, auch wenn du fast 7.000 Kilometer von mir entfernt warst."

Vitos markante Gesichtszüge werden ganz weich. Er zieht mich an sich, drückt mich kurz voller Emotionen an sich, dann küsst er mich. "Ich liebe dich, Yuna. Und ich will dir noch etwas geben."

Ich lege den Kopf schief. "Hoffentlich kein Weihnachtsgeschenk."

Er grinst schuldbewusst.

"Nicht wirklich, oder?", frage ich voller schlechtem Gewissen. "Du hast mir schon diese Überraschung gemacht, und jetzt willst du mir noch was schenken? Und ich habe gar nichts für dich dabei, weil ich dachte, wir sehen uns erst in zwei Wochen, nach dem Urlaub und lange nach Weihnachten.

Vito winkt ab. "Es geht doch beim Schenken nicht um eine Gegenleistung. Ich freue mich einfach, wenn du dich freust."

Dann zieht er eine schwarze Schachtel aus der Tasche seiner schweren Skijacke und überreicht sie mir. Neugierig klappe ich sie auf und ein silbernes Armband von Pandora mit einigen bunten Charms kommt zum Vorschein.

"Ich fand den Gedanken schön, dass du unsere gemeinsamen, schönsten Erinnerungen sammeln kannst", erklärt er. Dann zeigt er auf die ersten beiden Charms, ein silbernes V und ein silbernes Y. "V für Vito und Y für Yuna, das ist klar. Dieser kleine Engel hier, der einen Stern festhält, steht für Livio." Er deutet auf einen silbernen Ring, an dem eine Daisy Duck hängt. "Die Daisy Duck mit dem großen Schnabel bist du, aber das süße Gänseblümchen daneben, eine daisy flower, bist du auch. Die beiden Anhänger stehen für deinen Kosenamen. Das Herz mit der 1 steht für unseren ersten Versuch damals und dafür, dass du meine erste große Liebe bist. Die Palme aus grünem Opal steht für Mallorca, wo wir uns wieder gefunden haben. Der kleine Liebesbrief mit dem roten Herzchen steht für die vier Monate Afghanistan, wo wir eben nur Briefe schreiben konnten, und die süße Schneeflocke steht für diesen Winterurlaub."

Tränen der Rührung kullern über meine Wangen. "Das ist.. wunderschön. So ein durchdachtes Geschenk habe ich noch nie bekommen", wispere ich und streiche ehrfürchtig über das schöne Armband.

"Wann immer wir etwas besonderes zusammen erleben oder einen gemeinsamen Meilenstein erreichen, kannst du das in Form eines neuen Anhängers an diesem Armband verewigen. Quasi wie ein Marmeladenglas für die besonders schönen Momente."

"Danke Vito. Ich würde gerne mehr sagen, aber mir fehlen einfach nur die Worte. Ich weiß nicht, womit ich das verdient habe..", stammele ich, dann lehne ich mich zu ihm rüber und küsse ihn liebevoll.

"Wie hast du das überhaupt geschafft, so kurzfristig zu besorgen? Das ist doch kein Last-Minute-Gescgenk, so viel Gedanken wie dahinter stecken."

Vito grinst schief und entblößt zwei Reihen strahlend weißer Zähne. "Das ist in der Tat eine Geschichte für sich. Dir das Armband zu schenken, habe ich schon lange geplant. Der ursprüngliche Plan war, dass Pepe es dir am ersten Weihnachtstag stellvertretend überreicht. Er hat mir auch geholfen, das alles zu besorgen. Das war ein richtiger Akt, weil ich vorher jeden einzelnen Anhänger ausgesucht habe und Pepe die Artikelnummern geschickt habe. Dann wollten wir das alles zusammen via Skype einkaufen, aber ich konnte ja nicht planen, wann ich mal eine stabile Internetverbindung habe. Als es dann endlich geklappt hat, war der Arme gerade beim Sport. Er hat alles stehen und liegen gelassen, ist sofort abgehauen und im Jogginganzug in die Stadt gefahren. Kannst du dir das vorstellen? Pepe, unser Model. Er hat mich auch nur so fünfundzwanzigmal während des Gesprächs dafür verflucht und gebetet, dass ihn niemand in diesem Aufzug sieht."

Ich kann mir das bildlich vorstellen und stimme in sein Lachen ein. "Danke, dass du dir so viel Mühe für mich gemacht hast. Ich liebe das Armband, und ich liebe dich."

Vito legt mir das Armband an, dann kommen auch schon unsere Schüsseln mit dampfend heißem Eintopf. Wir essen genüsslich, bevor wir uns langsam wieder auf den Weg zurück zu Toni und seinen Hunden machen.

Erneut gleitet der Schlitten beinahe mühelos über die dicke, weiße Schneedecke. Die Sonne geht unter, der Himmel färbt sich erst rosa, dann tieforange, bevor die Dämmerung einsetzt.

Ich sitze gut gewärmt in Vitos Schoß, genieße seine Nähe und die Wärme, die vom ihm ausgeht. Der Weg, den wir fahren, ist nur sperrlich von Laternen beleuchtet und die Atmosphäre unendlich romantisch.

Als wir den Tag auf einer großen Lichtung abschließen, und tatsächlich aus dem Nichts Polarlichter über uns auftauchen, muss ich weinen.

Sie tanzen in atemberaubenden Bögen und fließenden Wellen über den dunklen Himmel. Leuchtend grüne Schleier, durchzogen von sanften violetten und bläulichen Schimmern leuchten mal intensiver, mal sanfter. Die Farben scheinen in Bewegung zu leben - sie pulsieren, strömen, und verschwinden kurz, nur um an einer anderen Stelle des Himmels wieder aufzutauchen. Der Schnee unter uns reflektiert die Lichter und verstärkt die surreale Stimmung, als würde das Universum für einen Moment all seine Schönheit entfalten.

Ich kann meinen Augen kaum trauen. Das uns wirklich die Ehre zu Teil wird, dieses atemberaubende und seltene Naturspektakel zu erleben, setzt dem ganzen Tag die Krone auf.

Tränen laufen heiß über meine kalten Wangen. Vito wischt sie liebevoll weg, doch auch er ist außergewöhnlich still und bedächtig.

Als er mich an sich zieht und mir einen liebevollen Kuss aufdrückt, unter uns weißer, glitzernder Schnee, und über uns ein klarer Sternenhimmel, durchzogen von dem farbenfrohen Spiel der Polarlichter, kann ich mein Glück kaum fassen.

Vermutlich ist heute der schönste Tag meines Lebens.

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