DAY 4 /2
Gemeinsam gehen wir zu der urigen Waldhütte, wo wir eine kurze Einführung bekommen und warme Decken holen. Die Hunde bellen vorfreudig, während sie vor den Schlitten gespannt werden.
Ich sehe Vito an, mein Herz voller Liebe und Freude. "Ich kann's kaum glauben", stammele ich noch immer. "Das ist zu schön, um wahr zu sein."
"Es freut mich, dass du dich so freust", antwortet er. Seine grünen Augen glänzen im Sonnenlicht, seine blonden Haare hat er unter einer dicken schwarzen Wollmütze versteckt. Er zieht den Zipper seiner grauen Skijacke etwas höher und richtet dann liebevoll meinen kuscheligen Schal.
Der Moment, in dem wir endlich im Schlitten sitzen, ist magisch. Die Decken umhüllen uns mit wohliger Wärme, während Vito hinter mir Platz nimmt und seine Arme schützend um meine Taille legt. Sein gleichmäßiger Atem kitzelt in meinem Nacken. Die Hunde vor uns bellen aufgeregt, ihre Energie ist fast greifbar, als sie ihre Positionen einnehmen und der Guide die Zügel überprüft.
"Seid ihr bereit?", fragt der freundliche Mann mit dem wettergegerbtem Gesicht und den rauen Händen. Seine dicke Mütze verdeckt beinahe seine Augenbrauen und er lächelt freundlich.
"Und wie", rufe ich zurück, mein Herz schlägt schneller vor Aufregung.
Toni gibt ein Kommando und die Hunde spannen sich vor Antrieb in die Leinen. Plötzlich setzt sich der Schlitten in Bewegung. Zuerst gleiten wir langsam, doch schon nach ein paar Metern ziehen die kräftigen Tiere uns mit beeindruckender Geschwindigkeit durch die verschneite Landschaft.
Der Fahrtwind streicht über mein Gesicht, die Landschaft um uns herum gleitet vorbei. Der Schnee glitzert in der Wintersonne und die schmalen Pfade schlängeln sich durch eine Szenerie, die aus einem Märchen stammen könnte: verschneite Bäume, glitzernde Eiskristalle und gelegentlich ein scheues Reh, das zwischen den Ästen aufblitzt.
Toni steht hinter uns auf dem Schlitten und ruft den Hunden Anweisungen zu. "Die Huskys lieben das, sie brauchen es sogar", erklärt er laut genug, damit wir ihn über das Rauschen des Schnees und des Fahrtwindes hören können. "Sie können stundenlang laufen, ohne müde zu werden. Huskys dienen den Inuit schon seit ungefähr 2000 Jahren als Zug- und Nutztiere..
Ich lehne mich zurück, schmiege mich an Vitos kräftigen Körper und spüre seine warmen Hände, die auf meinem meinem Bauch ruhen. "Wie gefällt's dir bisher?", fragt er an meine Wange. Seine Bartstoppeln kitzeln die zarte Haut in meinem Gesicht und sein unvergleichlicher Duft strömt mir in die Nase.
"Es ist unbeschreiblich", antworte ich, meine Stimme vor Emotionen leicht belegt. Ich bin nicht in der Lage, das Erlebte besser in Worte zu fassen. Es ist wie ein Traum.
Nach etwa anderthalb Stunden Fahrt wird der Pfad breiter und wir erreichen eine offene Lichtung. Der Schlitten hält an, Toni steigt ab. "Hier machen wir eine kleine Pause", verkündet er und deutet auf eine Almhütte am Waldrand, aus deren Kamin dichter grauer Rauch aufsteigt. "Ihr könnt dort was essen gehen. Ich versorge derzeit meine Tiere und dann sehen wir uns in einer Stunde wieder."
Die Almhütte wirkt auf den ersten Blick wie aus der Zeit gefallen. Ihre dicken Holzbalken sind dunkel gealtert, die Fensterrahmen mit kunstvoll geschnitzten Verzierungen versehen. Innen empfängt uns eine wohlige Wärme, die von einem großen offenen Kamin in der Ecke ausgeht. Das Feuer knistert leise, wirft ein sanftes Licht auf die rustikalen Holzmöbel und die Wände, die mit traditionellen Wandteppichen und alten Schwarz-Weiß-Fotografien geschmückt sind. Die Luft duftet nach Holzrauch, Gewürzen und Fett.
Um diese Zeit sind nur wenige Gäste hier. Ein älteres Paar sitzt in einer Ecke, eng beisammen und leise redend, und eine kleine Gruppe Wanderer wärmt sich an dampfenden Bechern mit Glühwein. Der Rest der Hütte ist ruhig, fast still.
Vito und ich suchen uns einen abgelegenen Tisch in der Ecke. Nachdem wir uns gesetzt haben, bestellt er zwei Glühweine und deftige Erbsensuppe mit Mettwürstchen für uns beide.
Der süße, dunkelrote Glühwein schmeckt nach Zimt und Nelken und wärmt uns von innen. Ich beobachte Vito selig, während die Flammen des Kamins sein Gesicht weichzeichnen. Dann lege ich meine Hand auf seine und sehe ihn ernst an.
"Es ist so schön, dass du wieder da bist. Willst du mir jetzt erzählen, wie es in Afghanistan war? Ich kann mir das überhaupt nicht vorstellen. Auch wenn ich ein bisschen was mitbekommen habe, wir konnten ja noch nie ungestört über alles reden."
Er senkt den Blick und streicht mit seinem Daumen zärtlich über meinen Handrücken. "Es war eine Erfahrung, die ich nie vergessen werde. Es war nicht so schlimm, wie ich befürchtet habe. Es gab keine direkten Angriffe auf unsere Einheit, keine größeren Gefechte. Die Lage war zum Glück relativ ruhig."
Ich nicke, lasse ihn in seinem eigenen Tempo reden. Seine Augen werden nachdenklich und er blickt schwermütig auf die orange flackernden Flammen im Kamin.
"Aber ruhig ist nicht gleich leicht. Die Bilder, die man dort sieht, kann man nie mehr vergessen. Ich werde noch ein bisschen Zeit brauchen, um die ganzen Eindrücke zu verarbeiten."
Ich nicke verständnisvoll, auch wenn ich mir nicht anmaßen will, zu sagen, ich würde ihn verstehen. Ich glaube niemand, der nicht selbst in dieser Situation war, kann nachempfinden, was Vito fühlt.
"Dort gibt es die ärmsten Menschen, die ich je mit meinen eigenen Augen gesehen habe. Kinder mit kaum genug Kleidung für die Kälte, Mütter, die um Essen betteln. Und leider auch immer wieder Verwundete, Schwerverletzte, die kaum Zugang zu medizinischer Versorgung haben, und Tote. Auch Kinder."
Ein Kloß bildet sich in meinem Hals. Vito hält kurz inne, und ich drücke seine Hand, um ihm zu signalisieren, dass ich da bin.
"Es ist schwer, sich damit abzufinden, dass man nicht allen helfen kann. Deshalb füht man sich manchmal so hilflos. Vor allem, wenn man weiß, dass man nach vier Monaten wieder nachhause fliegt, in den reinen Luxus, mit riesiger Wohnung, dickem Auto, teuren Klamotten und so viel Essen, dass man nie wirklich hungrig ist.
Aber im Vergleich zu anderen Einsätzen, von denen ich von anderen Kameraden gehört habe, war das wirklich noch Kindergarten. Auch im Irak war es schlimmer. Alle Kameraden sind heil nachhause gelommen, keiner von uns wurde verletzt und dafür bin ich sehr dankbar."
Seine Worte treffen mich, und ich sehe den Schmerz in seinen grünen Augen, der zwischen der Dankbarkeit und der Traurigkeit hindurch schimmert.
"Und wie geht es dir damit? Kannst du das alles gut verarbeiten? Das ist schließlich eine große Belastung", antworte ich und beobachte ihn aufmerksam.
Er schluckt hart und atmet tief durch, bevor er antwortet.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top