DAY 3 /1
Als ich am nächsten Morgen aufwache, fühle ich mich, als sei ich über Nacht um gut fünfzig Jahre gealtert oder einen Marathon gelaufen.
Jeder Muskel meines Körpers schmerzt und meine Beine sind so schwer, dass ich kaum aus dem Bett komme.
Eine gute Stunde später schaffe ich es doch und bin die erste, die das Badezimmer aufsucht und nehme eine ausgiebige Dusche. Das heiße Wasser lindert meine Schmerzen zumindest ein wenig.
Nachdem ich mir die Haare geföhnt und mich ein wenig geschminkt habe, ziehe ich meine gemütliche Thermounterwäsche an. Danach mache mich auf den Weg in die Küche, wo ich Kaffee koche und das Frühstück vorbereite.
Ich schließe leise die Küchentür hinter mir, um niemanden zu wecken, und genieße die Stille des frühen Morgens. Vor dem Fenster rieseln dicke, weiße Flocken vom Himmel. Die zugeschneite Landschaft ist so idyllisch und irreal schön, dass ich mir kurz die Augen reibe, nur um sicherzugehen, dass ich nicht träume.
Der verlockende Kaffeeduft breitet sich im ganzen Chalet aus, während ich die Brötchen zum Aufbacken in den Ofen lege. Ich decke den Tisch, stelle Marmelade, Nutella, Honig, Aufschnitt und Käse bereit und schneide frisches Obst.
Gerade als ich die letzten Handgriffe erledige, öffnet sich die Küchentür und Asya tritt ein, noch in ihrem kuscheligen Pyjama und mit einem zerzausten Dutt. Sie schenkt mir ein verschlafenes Lächeln. "Guten Morgen, Frühaufsteherin. Du bist ja schon richtig fleißig."
"Immer", erwidere ich grinsend und schenke ihr eine Tasse Kaffee ein, die sie dankend annimmt.
Asya setzt sich an den Tisch, nimmt einen Schluck des schwarzen Goldes und sieht mich aufmerksam an. "Hat er sich gestern noch gemeldet?"
Ich presse die Lippen zusammen und schüttele den Kopf. "Nein. Aber bitte, lass uns nicht darüber reden, okay?" Meine Stimme klingt etwas brüchiger, als ich wollte und ich schlucke hart.
Meine beste Freundin sieht mir tief in die Augen und scheint zu überlegen, ob sie noch etwas sagen, oder das Thema auf sich beruhen lassen soll. Letztendlich entscheidet sie sich für die zweite Option, legt eine Hand auf meine und nickt verständnisvoll. "Okay, dann reden wir über etwas anderes. Was machen wir heute?"
Erleichtert atme ich aus. "Ich dachte, wir könnten heute ein bisschen entspannter Ski fahren, nur zwei oder drei Abfahrten, und am Nachmittag zum Après-Ski. Gestern haben wir es ja nicht mehr geschafft."
"Perfekt", stimmt Asya zu, ihre dunklen Augen schimmern im warmen Licht der Deckenlampe. "Ich habe schon ein paar Geschichten über die Partys hier gehört. Das dürfen wir uns nicht entgehen lassen."
Wenig später tauchen auch Pepe und Nino in der Küche auf. "Was für ein Service", freut sich Pepe, als er die gedeckte Tafel sieht. "Zu schade, dass du mich nicht willst. An so ein Frühstück könnte ich mich gewöhnen", feixt Nino und zwinkert mir zu.
"Träum weiter", lache ich, während ich ihm eine Tasse Kaffee hinschiebe.
Beim Frühstück besprechen wir den Tagesplan. Pepe protestiert zwar kurz gegen die Idee, es ruhiger angehen zu lassen, fügt sich aber schließlich, als wir ihm einen ausgiebigen Partyabend schmackhaft machen. Auch wenn er Sport und Herausforderungen liebt, ist er der Letzte, der eine Party ausschlägt.
Nach dem Essen machen wir uns fertig. Ich ziehe meine Skisachen an, schnappe mir meine Mütze und Handschuhe und trete schließlich in die klare, kalte Bergluft hinaus, wo die Sonne die verschneiten Gipfel in goldenes Licht taucht. Schon kurze Zeit später sind wir wieder an der Piste. Das Gefühl von frischer Motivation und Vorfreude auf den Tag ist bei allen spürbar, und trotz des leichten Muskelkaters von gestern kann ich es kaum erwarten, die Skier wieder anzuschnallen und loszulegen.
Die erste Abfahrt des Tages beginnt ruhig. Heute haben wir richtiges Kaiserwetter. Die Sonne steht hell am tiefblauen Himmel und wir gleiten durch den glitzernden Schnee. Ich halte mich wieder an Nino, der wie gestern geduldig an meiner Seite bleibt. Never change a winning team.
"Vielleicht wirst du ja doch noch professionelle Skifahrerin", ruft er und zieht neben mir einen gekonnten Schlenker, der einen kleinen Wirbel aus Pulverschnee aufwirbelt.
Als wir unten ankommen bin ich außer Atem, aber die Schmerzen in meinem Körper sind längst vergessen. Die pure Lebensfreude und das überwältigende Freiheitsgefühl überwiegen.
Ohne zu zögern machen wir uns auf zur zweiten Abfahrt. Diese ist etwas anspruchsvoller, mit engeren Kurven und ein paar steileren Passagen. Gestern morgen hätte ich mir die Strecke noch nicht zugetraut, doch heute passiere ich sie souverän und mit Vertrauen in meine neugewonnenen Fähigkeiten.
Der Wind rauscht in meinen Ohren, und die Geschwindigkeit verleiht mir ein berauschendes Gefühl.
Unten angekommen, strahle ich mit Asya um die Wette. Die Sonne hat den Schnee in ein funkelndes Meer verwandelt, und der Himmel könnte nicht klarer sein. Ich sehe zu den beiden Männern, die sich kurz beraten, ob wir jetzt aufhören oder noch eine letzte Abfahrt wagen wollen.
"Also, ich bin für eine letzte Runde", sagt Pepe. Natürlich. "Wir können doch nicht aufhören, wo es gerade anfängt, Spaß zu machen."
"Ja und dann heult ihr wieder rum, weil ihr zu müde seit. Heute verzichte ich nicht auf meine Skihasen, das schwöre ich euch - und wenn ich euch dafür an den Skiern auf die Party ziehen muss", protestiert Nino.
Ich schenke ihm einen mitfühlenden Blick. "Nino, heute gibt es auf jeden Fall Glühwein, Lumumba und Feuerzangenbowle für dich, aber eine letzte Abfahrt schaffen wir noch, und danach machen wir uns direkt auf den Weg zur Hütte, okay?"
Er hebt mahnend den Zeigefinger, um eine eins zu symbolisieren. "Eine!"
Bevor ich antworten kann, spüre ich plötzlich eine Bewegung rechts von mir. Ein großgewachsener Mann tritt von der Seite an mich heran. Er trägt eine Kombination aus schwarzer Schneehose und passender, hellgrauer Jacke. In der Hand hält er seine Skier, auf dem Kopf einen schwarzen Helm und im Gesicht eine verspiegelte, blaue Skibrille. Den schwarzen Fleeceschal, den er um den Hals trägt, hat er so tief ins Gesicht gezogen, dass er völlig vermummt ist.
Er tritt näher an mich heran.
Ich spüre, wie mein Herz schneller zu schlagen beginnt - ohne genau zu wissen, warum.
Aus großen Augen mustere ich den Unbekannten, der direkt neben mir stehen bleibt und auf mich herab sieht.
"Du siehst aus, als wäre Weihnachten 'ne richtige Enttäuschung für dich gewesen. Vielleicht kann ich das ändern", nuschelt er dumpf und leise durch seinen Schal.
Ich ziehe eine Augenbraue hoch und werfe ihm einen vernichtenden Blick zu. Wenn das eine Anmache sein soll, sollte er an seinem Sprüchereportoire lieber nochmal arbeiten.
"Ich verzichte dankend", antworte ich kühl und wende mich von ihm ab.
"Wahrscheinlich hast du alle deine Geschenke schon ausgepackt, aber eins fehlt noch", setzt er nach.
Na, der hat ja Nerven.
Wütend fahre ich zu ihm herum, um ihn zu fragen, ob er noch alle Tassen im Schrank hat, da zieht er mit einer schnellen Bewegung erst den Schal herunter und die Skibrille nach oben.
Ungläubig reiße ich meine Augen auf und schlage mir die Hände vor den Mund.
Das kann nicht wahr sein.
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