#7

Also. Cool bleiben, Humor und Charme volle Kanne hochdrehen und Gefühle ausschalten.

Das klang doch nach einem guten Plan, der einfach umzusetzen war!

Ich schulterte meine lederne, abgewetzte Umhängetasche und ging in das Schulhaus. Ich lächelte entgegenkommende Leute an, zwinkerte ein paar Mädels zu, die kichernd an mir vorbeigingen, und begrüßte sogar höflich alle Lehrer, die mir über den Weg liefen. Ich merkte, wie langsam aber sicher mein gewohntes Selbstvertrauen ans Tageslicht kam. King Damian, back on track!

Voller Energie und Elan betrat ich das Klassenzimmer und sah schon den lustigen Blondschopf an seinem Platz sitzen. "Hey, Alter, was geht!" Sogar Noah konnte mich vom Lächeln nicht abhalten, obwohl er müde auf seinem Stuhl saß und wahrscheinlich am liebsten noch eine Runde pennen würde.

"Boah, wieso bist du schon so gut gelaunt?", grummelte er und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, während ich mich neben ihm niederließ.

"Damian ist immer gut drauf", zwitscherte Blair von hinten und kurz gefror mir das Blut in den Adern. Dann jedoch drehte ich mich zu ihr und lächelte auch sie entwaffnend an. Kaum eine halbe Minute war ich im Klassenzimmer, da sprach sie mich schon an. Es schien wirklich, als würde sie meine Nähe und Aufmerksamkeit suchen. Oder so.

"Aber nicht immer SO gut drauf", meinte ich und grinste schief. "Ich habe gestern deinen Bruder in Fifa so hart abgezockt, er hat sich bestimmt in den Schlaf geweint."

Blair grinste verschmitzt. "Ach deswegen, ich habe mich schon gewundert, warum er gar nicht mehr aufgehört hat zu heulen", ging sie auf mein Geplänkel mit ein. 

"Du solltest ihn die nächsten Tage wahrscheinlich nicht aus den Augen lassen, nicht, dass er aus Trauer irgendetwas Dummes anstellt." Es fiel mir überraschend einfach, normal mit Blair zu spaßen. Aber Grundgütiger, ich hatte das vermisst!

"Danke für den Tipp, vielleicht sollte ich schon unseren Arzt informieren und auf das Schlimmste vorbereiten." Sie beugte sich ein wenig zu mir und strahlte mich mit ihren grünen Augen an.

Ich zwinkerte ihr nur zu und drehte mich dann wieder nach vorne. Innerlich zitterte ich unkontrolliert, nach außen hin wirkte ich gelassen. Ich hatte es tatsächlich geschafft. Und ich hatte unser kleines 'Gespräch' als erster unterbrochen. Ich war verdammt stolz auf mich.

Isabelle kam in dem Moment ins Klassenzimmer und Noah winkte ihr zu. Ich tat es ihm gleich, denn hey, wenn ich schon dabei war... Sie strahlte uns an und platzierte sich neben Blair. Was ich nur aus dem Augenwinkel mitbekam, da ich Blair ganz sicher nicht die nächsten Stunden anschauen würde.

Unser Lehrer betrat auch endlich das Klassenzimmer und der Unterricht konnte beginnen.

"Eure Kurswahl liegt jetzt auf meinem Schreibtisch und ich darf mich diese Woche dann noch dahinter klemmen, wie ich euch in die Kurse bringe, die ihr gerne hättet." Hätte man das Lächeln dazu nicht gesehen, hätten die Worte fast ein wenig forsch klingen können. "Aber bevor wir jetzt mit Lernfeld neun weiter machen, habe ich noch ein paar Infos für euch." Er hielt einen riesigen Stapel mit Ausdrucken in der Hand, den er vor dem Schüler in der ersten Reihe auf den Tisch fallen ließ. "Einmal durchgeben bitte und jeder nimmt sich ein Päckchen." 

Großes Geraschel war zu hören, als die Blätter durchgegeben wurden. Das 'Päckchen' hatte immerhin sechs Seiten.

"Ihr habt letztes Jahr bereits in Gruppen eine fiktive Projekt- und Kommunikationsplanung für ein Restaurant gemacht. Dieses Jahr bekommt ihr einen echten Kunden." Überrascht zog ich eine Augenbraue hoch und das Gemurmel, das durch die Klasse ging, zeigte mir, dass auch die anderen ein wenig überrascht waren. Jetzt wurde es ernst.

"Morgen wird die Gründerin von 'Majestic Art' vorbei kommen, um euch ihre Firma vorzustellen und zu erklären, welche Aufgaben sie von euch erwartet. Deswegen bildet ihr heute schon Gruppen mit je vier bis fünf Personen. Ihr lest euch das Skript durch, das ich gerade ausgeteilt habe und in dem euch schon die wichtigsten Eckdaten gegeben werden und dann könnt ihr euch Fragen überlegen, die ihr morgen stellen könnt. Ihr findet auch schon die Aufgabenstellungen in dem Handout. Wenn euch hier also noch irgendetwas unklar ist, dann fragt gleich nach. Das Konzept der besten Gruppe wird dann sogar verwendet und die Gruppe erhält als Dank einen Schnupperkurs in Akrobatik." 

Na das klang doch... spannend. Aber ich merkte, wie einige andere schon ein wenig unruhig auf ihren Plätzen hin und her rutschten. War das freudige Erwartung? Naja, so ein Schnupperkurs wäre bestimmt ganz witzig. Gerade als ich mir Gedanken über eine Gruppe machen wollte, hatte sich Noah schon zu Blair und Isabelle umgedreht.

"Mädels, wie schaut's aus? Seid ihr bei uns dabei?" Er lächelte sie entwaffnend an und sie konnten gar nicht anders als 'Ja' zu sagen. Anscheinend hatte ich meine Gruppe gefunden. 

"Die nächsten drei Wochen werdet ihr hauptsächlich mit der Ausarbeitung des Projekts verbringen. Ihr werdet also sehr viel selbstständig und alleine in Gruppenräumen arbeiten."

Die nächsten drei Wochen? Waren die verrückt? Ich konnte doch nicht die nächsten drei Wochen Seite an Seite mit Blair arbeiten? Da würde ich wohl noch mehr an meiner Selbstdisziplin arbeiten müssen. Meine Maske aufsetzen und durch.

"Wer ist in welcher Gruppe?", fragte unser Lehrer in dem Moment und hielt bereits Zettel und Stift in der Hand, um sich unsere Wahl zu notieren. Noahs Hand schoss sofort in die Höhe und er nannte unsere vier Namen. Der Lehrer kritzelte unsere Namen auf das Blatt und wandte sich dann uns zu.

"Dann könnt ihr euch schon einmal einen Gruppenraum suchen. In einer halben Stunde seid ihr bitte wieder hier." Wir schnappten uns die zusammengehefteten Blätter, Textmarker und Kuli und machten uns dann auf die Suche nach einem freien Raum.

Es war, als würde ich mich auf den Weg zu meiner eigenen Hinrichtung machen. Schnell verdrängte ich das Gefühl und atmete tief durch. Ich hatte schon die erste Viertelstunde überlebt, die nächsten drei Wochen würde ich da auch schon schaffen.

Wir fanden einen freien Raum und setzten uns hin, Blair und Isabelle gegenüber von Noah und mir. "Also, erstmal durchlesen, oder?", meinte mein blonder Kumpel auch schon und wir nickten zustimmend. Stille senkte sich über uns, als wir uns alle auf die Unterlagen vor uns konzentrierten. Ab und zu war das charakteristische Kratzen von Markern auf Papier oder das Rascheln beim Umblättern zu hören.

Ich schrieb kleine Notizen und Bemerkungen an den Rand, kaute auf meinem Kugelschreiber und spürte plötzlich, wie Blairs Bein unterm Tisch meins traf, als sie sich anders hinsetzte. Ich ignorierte die Berührung, die kleine Stromschläge durch meinen Körper schickte und versuchte mit aller Macht, nicht hoch und in ihre Augen zu blicken. 

Einfach so tun, als würde mir die Berührung nichts ausmachen.

"Sorry", hörte ich sie aber im gleichen Moment murmeln und ihre süße Stimme ließ mich dann doch zu ihr sehen. Sie lächelte mich zaghaft an und im ersten Augenblick war mein Kopf wie leer gefegt. Dann riss ich mich zusammen.

"Das kriegst du irgendwann zurück", warnte ich sie grinsend und senkte wieder den Blick. Vorsichtig atmete ich wieder aus und schüttelte die Anspannung von mir ab. Ich hatte die Situation unter Kontrolle!

"Also, haben wir's?" Noah hatte anscheinend die Führerrolle übernommen. Fürs erste. Denn ich war mir sicher, dass sobald wir richtig am Arbeiten waren, Blair ihm diese Position streitig machen würde. "Erste Gedanken?", fragte er dann in die Runde und es war erst einmal still. Selbst wenn man sich gut kannte, musste man in so einer Arbeitsgruppe seine eigene Rolle finden und sich daran anpassen, dass man zusammen hauptsächlich arbeitete und nicht nur Spaß hatte. Die ersten Minuten waren irgendwie immer ein wenig... peinlich.

Blair übernahm das Wort und kam gleich einmal mit einer haarscharfen Zusammenfassung und Analyse der Unterlagen. "Wir müssen morgen unbedingt fragen, welches Image 'Majestic Art' haben möchte; wie wollen sie dastehen? Erst dann können wir uns konkrete Vorstellungen darüber machen, wie wir das Problem handhaben wollen."

"Wir brauchen auch die wichtigsten Konkurrenten. Nur dann können wir uns von ihnen abheben", fügte ich hinzu. Ich überflog noch einmal kurz die Stichpunkte, die ich mir markiert hatte. Eigentlich war das schon ein ziemlich gutes Dossier. Wahrscheinlich würden sich weitere Fragen erst morgen aus der Vorstellung ergeben und dann direkt beim Arbeiten aufkommen. Aber da auch die Kontaktdaten vermerkt waren, sollte es kein Problem sein, auch im Nachhinein noch Fragen zu stellen.

"Wir brauchen auch noch Grafiken, um Werbematerialien zu erstellen", meldete sich Isabelle zu Wort. Daran hatte ich gar nicht gedacht. Anerkennend nickte ich ihr zu und notierte mir einen Stichpunkt. Unsere Grafikerin hatten wir also wahrscheinlich schon gefunden.

"Hm." Noah schien zu überlegen, ob er auch noch etwas Sinnvolles in der Gruppe beitragen konnte. Dann schlich sich ein Grinsen auf sein Gesicht. "Die anderen werden ja morgen hoffentlich auch ein paar nützliche Fragen stellen, dann können wir uns da ein bisschen was abschauen." Typisch Noah. Erst mal die anderen arbeiten lassen. Ich boxte ihm gegen die Schulter, so hart, dass er beinahe von seinem Stuhl fiel.

Aber ich musste zugeben, dass der Gedankengang nicht schlecht war. Dreißig Köpfe kamen nun mal auf mehr Ideen als vier. "Gut, gehen wir dann wieder zurück?", schlug ich vor und wollte schon aufstehen, doch Noah hatte andere Pläne.

"Ach komm, bleiben wir doch noch ein wenig hier und quatschen ein bisschen. Warum nicht die Zeit ausnutzen?"

Weil ich verdammt nochmal nicht auf vier Quadratmetern mit Blair hocken wollte?!

"Gute Idee!", pflichtete Isabelle ihm bei und setzte sich etwas gemütlicher hin. Die würde vorerst ihren Hintern hier also auch nicht raus bewegen... Als Blair auch noch gleich anfing, mit Noah und Isabelle zu reden, gab ich mich geschlagen und sank zurück in meinen Stuhl.

Vor einem Dreivierteljahr hätte ich alles dafür getan, auf so engem Raum mit Blair zu sein. Fast ihre ungeteilte Aufmerksamkeit zu haben. Einfach nur mit ihr zu reden und mit ihr Spaß zu haben. Ich hätte die Nähe zu ihr genossen.

Selbst als sie kurz darauf klar gemacht hatte, dass meine romantischen Wünsche ihr gegenüber nie im Leben in Erfüllung gehen würden, hatte ich gedacht, dass es weniger schmerzhaft wäre, noch mit ihr Kontakt zu haben, obwohl sie mich nicht wollte, als gar nichts mit ihr zu tun zu haben. Der Gedanke, vielleicht nie wieder mit Blair zu reden, hatte mir so viel Angst bereitet, dass ich sie noch ein paar Monate auf meinen Gefühlen herumtrampeln ließ.

Ich hatte ehrlich gedacht, dass ich das aushalten könnte. Dass es mir im Grunde nicht so verdammt viel ausmachen würde. Hauptsache, ich hätte sie in meiner Nähe.

Aber ich hatte schnell die bittere Erfahrung gemacht, dass ein Cut doch die humanere Alternative war. Es würde hart werden – und es war hart – aber es würde mich nicht umbringen. Nicht ganz zumindest.

Und jetzt saß ich hier, nach diesem ganzen Gefühlschaos, und befürchtete, wieder in einen Strudel aus Herzschmerz und unerfüllten Hoffnungen zu geraten. Alle Alarmglocken in mir schrien mich an, rieten mir, weg zu laufen, auszuwandern oder eine neue Identität anzunehmen. Hauptsache weg von Blair. Weg von ihrem Charme, ihrer süßen Stimme, ihrem bezaubernden Lächeln, ihrem großen Herzen...

"Meinst du nicht auch, Damian?" 

"Hm?" Abrupt riss ich den Kopf zur Seite und sah Noah fragend an. Keine Ahnung, worüber sie gerade gesprochen hatten.

"Du bist heute komisch", bemerkte Noah, als er einsah, dass ich gerade nichts schnallte.

"Ich bin nicht komisch, ich bin einzigartig", grinste ich und hörte, wie Isabelle und Blair leise lachten, während Noah seine Augen verdrehte.

"Eigentlich wollten wir nur wissen, ob du nicht auch findest, dass wir uns mal außerschulisch treffen sollten? Vielleicht am Freitag?"

"Sicher", nickte ich mit gespieltem Elan, hielt aber meinen Blick auf Noah gerichtet. Blair hätte mich sofort durchschaut.

Und ich konnte es gerade echt nicht gebrauchen, dass jemand durch meine hart erkämpfte Fassade blickte. Echt nicht.


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