#11

Damian

Völlig gerädert erschien ich am nächsten Morgen in der Schule. Die ganze verdammte Nacht hatte ich von Blair geträumt und davon, dass wir bis über die Wolken geklettert waren, weil wir irgendeinen Gegenstand hoch oben am Himmel erreichen wollten.

Vielleicht hatte es mein Unterbewusstsein auf die "Wolke 7" abgesehen. Dieses hinterlistige Miststück.

Dabei war der Abend bei Bastian und Blair gar nicht mal so übel gewesen. Es war anfangs verdammt komisch, aber dann... Was redete ich mir selber ein - es war die ganze Zeit komisch gewesen. Erst, weil ich einfach immer noch nicht wusste, wie ich mich gegenüber Blair verhalten sollte und dann, weil sie mich plötzlich so unfassbar komisch angesehen hatte. Musternd. Nachdenklich. Verwirrt.

Ich war verwirrt.

Aber deswegen durfte ich mich trotzdem nicht von meinem Plan abbringen lassen, Blair nur als Freundin zu sehen. Also musste ich irgendwie diese Verwirrung loswerden. Ich wollte doch eigentlich auch, dass es einfach wieder so wurde wie früher.

Unsere Freundschaft war mir noch immer wichtig. Blair würde mir einfach immer wichtig sein.

Ich hatte jetzt immerhin ein halbes Jahr lang Zeit gehabt, mich an den Gedanken zu gewöhnen, dass Blair in mir nur einen Freund sah. Es warf mich wenigstens nicht mehr ganz so aus der Bahn, wie er es anfangs getan hatte. Die Situation hatte mich damals so überfordert, dass ich den Kontakt zu Blair ganz abgebrochen hatte. Aber seitdem sie mir in der Schule wieder über den Weg gelaufen war, hatte ich das Gefühl, dass mir die letzten Monate etwas gefehlt hatte. Ich hatte Blair und unsere gemeinsamen Nachmittage, das Herumgealbere, einfach vermisst.

Die ersten drei Stunden konnten wir heute gleich wieder an unserem Projekt arbeiten, aber da jeder etwas zu tun hatte, würde das wohl ein stilles Nebeneinander-Arbeiten werden. Hoffte ich. Denn dass wir uns gestern wieder ein wenig einander angenähert hatten, könnte heute vielleicht komisch werden, wenn wir wieder viel miteinander reden müssten.

Ich machte mir definitiv zu viele Gedanken. Definitiv.

Ich holte noch einmal tief Luft, dann betrat ich den Klassenraum und scannte im Bruchteil einer Sekunde das Zimmer. Blair war noch nicht da. 

Aber Noah. Der breit grinsend mit Isabelle quatschte. Der konnte sich auch nicht entscheiden, oder?

"Hey", murmelte ich und zwängte mich an ihm vorbei zu meinem Platz am Fenster. Ich war froh, dass die ganze Klasse sich an den inoffiziellen Kodex hielt, die ganze Berufsschule über an dem Platz zu bleiben, den sie am ersten Tag ausgesucht hatten. Blondschopf und Brünette begrüßten mich kurz angebunden und redeten dann weiter. 

Das war mir eigentlich recht so, denn ich hatte die nächsten paar Minütchen bitter nötig, um ordentlich wach zu werden. Das Klassenzimmer füllte sich immer mehr, und als ich halb schlafend die Gesichter der Schüler betrachtete, die durch die Tür traten, stellte ich fest, dass ich nicht den blassesten Schimmer davon hatte, wie sie hießen. 

Der Versuch, mich nicht nur auf Blair zu fokussieren, war nach hinten losgegangen. Denn all meine Anstrengungen hatten nur darin resultiert, dass ich mich noch mehr auf sie fokussiert hatte.

Wie blöd war ich eigentlich?

Wie aufs Stichwort kam sie als nächstes durch die Tür. Ich musterte sie unauffällig, während ich meinem schneller schlagenden Herzen die kalte Schulter zeigte. Blair sah müde aus. Sie hatte dunklere Augenringe als gestern noch und sofort fragte ich mich, ob bei ihr alles in Ordnung war. 

Aber das war nicht meine Sorge, erinnerte ich mich, und wandte den Blick ab.

"Wow, wie siehst du denn aus?", hörte ich aber dann Isabelles schockierte Stimme und ich drehte mich leicht nach hinten. Ich war einfach zu verdammt neugierig!

"Habe schlecht geschlafen", seufzte Blair und setzte sich hin. "Kennt ihr das, wenn man so viel träumt, dass man sich gar nicht entspannen kann?"

"Oh, wovon hast du denn geträumt?", fragte Noah und grinste fast schon anzüglich, weswegen ich ihn am liebsten geköpft hätte.

"Naja..." Unsicher schnellte ihr Blick kurz zu mir, dann senkte sie ihn auf den Tisch und sah dann leicht grinsend, aber falsch grinsend, wieder zu Isabelle. "Kann mich nicht erinnern." Selbst ihr Schulterzucken wirkte in meinen Augen unecht. Was zum Henker war los mit ihr?

Unser Lehrer betrat in dem Moment das Klassenzimmer und verhinderte so jegliche weitere Unterhaltungen. Er gab kurz einige wenige Anweisungen, dann durften wir uns wieder in unsere Gruppenarbeitsräume verziehen und konzentriert ein marketing-technisches Meisterwerk vollbringen.

Kaum hatten wir uns gesetzt, machte Noah wieder sein viel zu großes Maul auf. "Also ich würde ja schon zu gerne mehr über deine Träume erfahren." Sein breites Lächeln zeigte mehr als deutlich, dass er stark hoffte, in irgendeiner Weise darin eine Rolle gespielt zu haben. Ich biss hart meine Zähne zusammen. Blairs Träume gingen ihn ja wohl einen feuchten Dreck an!

"Jetzt lass uns einfach arbeiten", mischte Isabelle sich ein und sandte Noah einen mahnenden Blick. Blair schien erleichtert und auch ich war dem dunkelhaarigen Mädchen dankbar.

"Also, machen wir dort weiter, wo wir gestern aufgehört haben oder haben wir vorher was zu besprechen?", fragte ich in die Runde und sah alle an. Außer Blair. Bei ihr huschte mein Blick etwas schneller vorbei.

Als alle nur ebenfalls fragend durch die Gegend schauten, ergriff Blair wieder das Wort. "Es weiß ja jeder, was zu tun ist. Ich würde also sagen, wir arbeiten an unseren Aufgaben und setzen uns kurz vor Schluss nochmal zusammen, um unsere Ergebnisse zu besprechen, falls vorher nichts sein sollte." Ich hatte ein bisschen das Gefühl, dass sie damit eigentlich 'Haltet am besten alle die Klappe und lasst mich in Ruhe' sagen wollte und wieder fragte ich mich, was ihr wohl den Schlaf geraubt hatte.

Ich begann zu grinsen. Es wäre doch total freundschaftlich, sie jetzt ein wenig zu ärgern, oder? "Und was ist mit der SWOT?", fragte ich sie und sah, wie sie erschrocken die Augen weitete. Die hatte sie doch tatsächlich vergessen.

"Ach, stimmt. Verdammt", murmelte sie und fuhr sich durch ihre Haare.

"Die kleine Blair ganz durch den Wind", vernahm ich wieder Noahs Stimme. "Ich werde immer neugieriger, was du denn alles so geträumt hast." 

Als Blairs Wangen einen leichten Hauch von Pink annahmen, boxte ich meinem Kumpel leicht gegen die Schulter. "Halt's Maul, Noah", wies ich ihn kameradschaftlich an und wandte dann meinen Blick zu Blair. "Und du solltest heute Nacht mal ausnahmsweise nicht wieder von mir träumen, du brauchst deinen Schlaf", neckte ich sie und lächelte so selbstverliebt, wie ich es normalerweise gewohnt war.

Ich bekam die gewünschte Wirkung, denn Blair schluckte ihre leicht miese Laune runter und setzte eine spöttische Miene auf.

"Glaub mir, wenn du in meinen Träumen vorgekommen wärst, wäre meine Laune nicht im Keller, sondern am Gefrierpunkt", gab sie mir zurück und in ihren Mundwinkeln zuckte ein Lächeln. Da war wieder meine Blair, wie ich sie kannte. Ich war schon immer fasziniert gewesen, wie dieses meist doch recht schüchterne Mädchen bei mir einfach nie ein Problem hatte, einen frechen Kommentar zu finden.

Ich mochte es, dass sie bei mir schon immer einfach sie selbst war. Obwohl ihr Kommentar unter den gegebenen Umständen auch recht kränkend aufgefasst werden konnte. Aber ich wollte mich jetzt nicht deswegen beleidigt fühlen, Blair war einfach sie selbst. Sie verstellte sich nicht und ärgerte mich, als wären wir... beste Freunde.

Und schon wieder drifteten meine Gedanken in eine Richtung, die nicht gut war.

"Gut, aber die SWOT haben wir ja gestern schon größtenteils fertig bekommen. Ist dazu noch jemandem etwas eingefallen?", versuchte Blair sich jetzt wieder und sah uns abwechselnd an.

Wieder blieben alle still. "Gut, dann stelle ich das Dokument auf OneDrive und gebe es euch allen frei. Wenn noch jemandem was dazu einfallen sollte, kann er es gleich dort rein schreiben und markieren, damit wir gemeinsam nochmal drüber schauen. Bei dieser verflixten SWOT muss man immer so penibel auf die richtige Formulierung achten", regte sich Blair ein wenig auf und ich zog überrascht die Augenbraue hoch. Blair musste wirklich fertig sein, wenn sie sich so benahm. Ich unterdrückte den Impuls, sie in den Arm zu nehmen und hörte ihr stattdessen weiter zu.

"Dann arbeitet jetzt also erst mal jeder für sich und wir setzen uns wie gesagt dann später nochmal zusammen." Die Arme. Sie wollte das hier einfach nur schnell hinter sich bringen. Wo war denn meine kleine, freudige, immer gut gelaunte Blair hin verschwunden?

Und sie war nicht 'meine' Blair. An so etwas durfte ich mich gar nicht erst gewöhnen. 

Ich versuchte, so gut es ging, zu arbeiten. Einfach nur zu arbeiten und nur an unser Projekt zu denken. Doch immer wieder schweifte mein Blick zu Blair, und immer wieder ertappte ich sie dabei, wie sie mich ansah.

Ich wurde aus dem Mädel nicht schlau. 

Ich ignorierte ihre Blicke und schrieb weiter Notizen, machte mein Research und konzentrierte mich auf alles, nur nicht auf Blair. Das klappte ungefähr eineinhalb Minuten. Denn ich spürte, dass sie mich ansah. Zwar nicht konstant, aber oft. Irgendwas lief doch völlig falsch gerade?

Als dieses kleine Spielchen mir reichte, lehnte ich mich gemütlich in meinem Stuhl zurück und sah abwartend zu Blair, die wahrscheinlich jede Sekunde wieder ihren Blick zu mir wenden und mich komisch mustern würde.

Und ganz recht, drei Sekunden später traf das schimmernde Grün ihrer Augen abermals auf meine. Eine leichte Röte überzog ihr Gesicht und sie senkte den Blick, wahrscheinlich doch ein wenig unwohl darüber, dass sie mich so offensichtlich anstarrte. 

Ich musterte sie weiter, denn ich wollte wissen, was sich hier gerade abspielte. Unsicher flatterte ihr Blick gleich darauf wieder zu mir und da reichte es mir.

"Blair, hast du kurz Zeit?", fragte ich, stand auf und ging zur Tür. Ich machte sie auf und sah über die Schulter, wie Blair verwirrt aufstand und mir folgte. 

Es war an der Zeit zu reden.


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