S i x t y - s e v e n

Kapitel: Ein Versprechen dass zerbricht
3 Monate später

Graysons POV

Drei Monate. Drei lange, quälende Monate. Die Zeit hier drin fühlt sich an wie ein träge fließender Fluss aus Kälte und Dunkelheit. Jede Stunde dehnt sich aus, als wollte sie mich verhöhnen, jede Nacht ist ein endloser Kampf gegen Gedanken, die ich nicht mehr kontrollieren kann.

Ich habe vergessen, wie es sich anfühlt, wirklich zu schlafen. Wie könnte ich auch, wenn sie – Leyla – nicht hier ist? Sie ist überall und nirgendwo zugleich. In meinem Kopf sehe ich ihr Lächeln, höre ihr Lachen, spüre ihre Wärme, doch wenn ich die Augen öffne, sehe ich nichts als die trostlosen Wände dieser Zelle. Es ist ein grausamer Widerspruch: Sie ist so präsent, und doch so weit weg, dass ich sie nicht erreichen kann.

Neben mir höre ich, wie Shawn sich bewegt. Seine Schritte sind schwer, die Luft in der Zelle scheint mit jeder seiner Bewegungen dichter zu werden. Schließlich tritt er an mein Bett und rüttelt mich an der Schulter.

„Grayson", flüstert er, seine Stimme ist leise, fast sanft. „Wach auf."

Ich gebe ein schwaches „Mhh" von mir, in der Hoffnung, er lässt mich einfach in Ruhe.

Doch Shawn lacht leise, ein trockenes, bitteres Lachen. „Hör auf zu lügen", sagt er. „Ich weiß, dass du wach bist. Und ich weiß, dass du seit Monaten keinen Schlaf gefunden hast."

Ich öffne die Augen, blicke aber nicht zu ihm. Stattdessen fixiere ich den Boden, der unter dem schummrigen Licht der Zelle wie eine endlose Leere aussieht.

„Willst du wirklich so weitermachen?" fragt er, diesmal schärfer. „Heute ist unser Gerichtstermin, Grayson. Der Tag, an dem alles entschieden wird."

Gerichtstermin. Das Wort trifft mich wie ein Schlag. Mein Herz beginnt schneller zu schlagen, ein dumpfer Schmerz breitet sich in meiner Brust aus. Seit drei Monaten habe ich versucht, diesen Moment zu verdrängen, und doch wusste ich, dass er kommen würde.

„Hör mir zu", sagt Shawn plötzlich. Seine Stimme hat sich verändert, ist jetzt ernster, eindringlicher. „Du wirst die ganze Schuld auf mich schieben."

Seine Worte lassen mich erstarren. Ich blicke langsam zu ihm auf, mein Herz rast. „Was hast du gerade gesagt?"

„Du hast mich gehört", sagt er ruhig, seine Augen bohren sich in meine. „Du wirst vor Gericht sagen, dass ich dich gezwungen habe. Dass du keine Wahl hattest, weil sonst deine Familie in Gefahr gewesen wäre."

Ich schüttle den Kopf, mein Magen zieht sich zusammen. „Shawn, ich kann das nicht tun."

„Doch, das kannst du. Und du wirst es tun." Seine Stimme ist fest, unnachgiebig, aber in seinen Augen sehe ich etwas anderes. Etwas Weiches. Schmerz, vielleicht?

„Verstehst du nicht?" fährt er fort. „Ich werde hier nicht lebend rauskommen. Aber du? Du hast noch eine Chance. Da draußen wartet jemand auf dich. Leyla wartet auf dich."

Ihr Name durchschneidet die Luft wie ein Messer. Leyla. Meine Leyla. Die Frau, die ich liebe, mehr als mein eigenes Leben. Die Frau, die mir versprochen hat zu warten, egal was passiert.

Doch was, wenn sie nicht mehr wartet? Was, wenn sie mich längst aufgegeben hat? Der Gedanke ist so schmerzhaft, dass ich ihn sofort verdränge. Nein. Sie würde mich nicht aufgeben. Sie hat es mir versprochen.

„Grayson." Shawns Stimme holt mich zurück in die Realität. „Mach das hier nicht sinnlos. Ich habe das alles angefangen, und ich muss es zu Ende bringen. Aber du? Du hast noch ein Leben da draußen. Eine Zukunft. Lass sie nicht warten."

Ich schlucke schwer, der Kloß in meinem Hals scheint immer größer zu werden. „Und was ist mit dir?" flüstere ich.

Er lacht trocken. „Ich? Mein Leben war vorbei, bevor das hier überhaupt angefangen hat."

Ich spüre, wie mir die Tränen in die Augen steigen, doch ich kämpfe dagegen an. „Shawn, ich..."

„Kein Aber, Grayson", unterbricht er mich. „Tu es für sie. Für deinen Bruder. Für deine Familie."

Ich schließe die Augen, atme tief ein, doch die Luft scheint nicht bis in meine Lungen zu gelangen. Schließlich nicke ich. Nicht, weil ich es will, sondern weil ich weiß, dass er recht hat.

Ohne Vorwarnung zieht er mich in eine Umarmung, eine, die mehr sagt, als Worte es je könnten. „Danke, Bro", murmelt er.

„Nein", flüstere ich. „Danke dir."

Das Geräusch von Schlüsseln reißt uns aus dem Moment. Ein Wächter nähert sich, seine Augen kalt und verächtlich. „Na, ihr zwei. Bereit, für immer hier zu verrotten?"

Ich starre ihn an, sage nichts. Wie könnte ich? Er hat keine Ahnung, was wir durchgemacht haben. Keine Ahnung, was wir verloren haben.

„Los, macht euch frisch", befiehlt er. „Wir fahren in einer Stunde."

Die Fahrt zum Gerichtsgebäude ist bedrückend still. Die Handschellen um meine Handgelenke sind eng, schmerzhaft, doch ich nehme den Schmerz kaum wahr. Meine Gedanken sind woanders – bei ihr.

Was macht sie gerade? Denkt sie an mich? Oder hat sie mich längst vergessen?

Das Gerichtsgebäude ragt vor uns auf wie ein Monstrum, bedrohlich und grau. Jeder Schritt, den ich mache, fühlt sich schwerer an als der letzte.

„Grayson!"

Die Stimme ist vertraut, durchbricht den Nebel in meinem Kopf. Ich drehe mich um und sehe ihn – Ethan. Mein kleiner Bruder.

Mein Herz springt, ein Hauch von Hoffnung flammt in mir auf. Ehe ich es realisiere, stürze ich auf ihn zu und ziehe ihn in eine Umarmung.

„Was machst du hier?" frage ich, meine Stimme rau.

„Ich bin hier, um meinen Bruder zu unterstützen", sagt er mit einer Entschlossenheit, die mich trifft wie ein Schlag.

„Danke, Bro", murmle ich. Doch dann kommt die Frage, die ich nicht zurückhalten kann: „Hast du von ihr gehört?"

Er zögert. „Ja."

Mein Herz setzt einen Schlag aus. „Wie geht es ihr? Was macht sie?"

Ethan öffnet den Mund, doch bevor er antworten kann, tritt unser Anwalt an uns heran. „Mr. Dolan, wir müssen jetzt rein."

Ich werfe Ethan einen letzten Blick zu, doch er drückt nur meine Schulter. „Wir reden später, Gray."

Der Richter verkündet das Urteil mit dröhnender Stimme: „Grayson Bailey Dolan, das Gericht verurteilt Sie zu fünf Jahren Haft."

Fünf Jahre. Fünf Jahre ohne sie. Mein Herz bricht, doch ich zeige es nicht. Shawn sieht mich an, und in seinem Blick liegt Stolz. Er hat sein Versprechen gehalten.

Als die Polizisten mich abführen, höre ich Ethans Stimme: „Grayson!"

Ich flehe die Polizisten an: „Bitte, nur fünf Minuten."

Ethan eilt zu mir, und ich sehe den Schmerz in seinen Augen. „Gray... ich muss dir was sagen."

„Was?"

„Leyla... sie hat einen Heiratsantrag bekommen."

Die Worte treffen mich wie ein Schlag. „Hat sie ihn angenommen?"

Ethan zögert, dann schaut er weg. „Ich weiß es nicht."

Meine Welt zerbricht.

„Sie würde mich nicht verlassen! Nicht so!"

Doch tief in meinem Inneren flüstert eine leise, grausame Stimme: Bist du sicher?

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