Kapitelname: „Geplatzte Illusionen"

Mehmets POV

Die Nacht liegt schwer auf meinen Schultern. Nur noch ein Tag bis zur großen Hochzeitsfeier meiner Tochter. Es soll der schönste Tag ihres Lebens werden. Alles muss perfekt sein. Und bis eben war ich überzeugt, dass es das auch wird.

Sean und ich arbeiten seit Stunden daran, die letzten Details vorzubereiten. Lichterketten, Blumenarrangements, Kameras – alles wurde mit größter Sorgfalt geplant. Ich war so stolz darauf, Leyla und Grayson morgen vor so vielen Menschen als Mann und Frau zu sehen. Der Gedanke, wie glücklich sie sein werden, hat mich angetrieben.

Aber jetzt... Jetzt scheint alles, was ich über diese Hochzeit, über ihre Liebe, über mein eigenes Verständnis von Wahrheit wusste, wie ein Kartenhaus zusammenzubrechen.

„Mehmet, wo sind die Kameras?" ruft Sean von der anderen Seite des Festsaals.

„Ich glaube, sie sind in meinem Auto. Ich hole sie kurz," antworte ich und mache mich auf den Weg.

Die kühle Nachtluft begrüßt mich, als ich den Parkplatz erreiche. Ich öffne den Kofferraum und finde die beiden Kameras, die wir vor Monaten beim Theaterstück der Schule benutzt haben. Die Erinnerungen an diesen Abend zaubern mir ein Lächeln ins Gesicht. Damals hatten wir voller Stolz die Hochzeit von Leyla und Grayson angekündigt. Ihre glücklichen Gesichter, die Freude unserer Familien – es schien alles wie ein Traum.

Ich nehme die Kameras in die Hand, doch bevor ich zurückgehe, lasse ich mich an den Rand des Kofferraums sinken. Eine der Kameras hat noch Akku. Neugierig schalte ich sie ein, um die alten Aufnahmen anzusehen. Vielleicht finde ich ein paar schöne Erinnerungen, die wir morgen in die Hochzeitspräsentation einbauen können.

Doch was ich sehe, bringt meinen Atem ins Stocken.

Die Kamera zeigt Leyla in der Garderobe des Theatersaals. Grayson filmt sie, und ihre Stimme klingt ungewohnt ernst. Ich spule ein Stück vor, denke zuerst, es sei nur ein harmloses Gespräch. Doch dann höre ich die Worte, die alles in mir einfrieren lassen.

„Gray, bitte leg die Kamera weg," sagt Leyla nervös.

„Du siehst aber wunderschön aus," antwortet Grayson spielerisch, doch ihre Ernsthaftigkeit lässt ihn kurz innehalten.

„Gray, bitte, es ist ernst," beharrt sie.

Die Kamera wird auf die Seite gelegt, doch das Mikrofon nimmt jedes Wort auf. Ich kann sehen, wie die beiden sich gegenüberstehen, ihre Körpersprache angespannt.

„Gray, wir können nicht heiraten. Wir lieben uns nicht," sagt Leyla schließlich, ihre Stimme bricht.

Grayson schweigt für einen Moment, bevor er ein trockenes „Hmmmmm..." von sich gibt.

„Du liebst Suzy, und ich liebe Nash," fährt Leyla fort. „Wir müssen das unseren Eltern sagen."

Grayson schüttelt langsam den Kopf. „Sweety, wir können es ihnen nicht sagen. Nicht mit Worten. Es geht einfach nicht."

„Was sollen wir dann machen?" fragt Leyla verzweifelt.

„Wir lassen unsere Taten sprechen," antwortet Grayson ruhig.

„Wie?" fragt Leyla zögernd.

„Erkläre ich dir später," sagt Grayson, bevor das Gespräch verstummt.

Meine Hände zittern, als ich die Kamera ausschalte. Ich kann nicht glauben, was ich gerade gehört habe. Leyla und Grayson... sie lieben sich nicht? Alles, was ich über ihre Beziehung geglaubt habe, war eine Lüge?

Ich springe auf, schließe den Kofferraum mit einem lauten Knall und renne zurück in den Saal. „Sean! SEAN! WO BIST DU?" schreie ich durch die leere Halle.

Er kommt aus dem Bereich mit den Lichtern, seine Stirn in Falten gelegt. „Was ist los? Warum schreist du so?" fragt er, sichtlich irritiert.

Ich reiche ihm die Kamera mit zitternden Händen. „Schau dir das an. Drück auf Play."

Sean nimmt die Kamera und spielt das Video ab. Ich beobachte ihn, wie seine Gesichtszüge sich verändern – von Verwunderung zu Unglauben und schließlich zu blankem Entsetzen.

„Was zur Hölle?" flüstert er, als das Video endet.

„Sie lieben sich nicht, Sean," sage ich, meine Stimme bricht fast. „Das Ganze... die Hochzeit... sie haben es nur wegen uns getan."

Sean starrt mich an, seine Augen weiten sich vor Schock. „Das kann nicht wahr sein," sagt er, doch seine Stimme klingt hohl. „Die beiden haben uns alles nur vorgespielt?"

Ich nicke langsam. „Wegen uns. Wir haben sie dazu gedrängt."

Sean wirft die Kamera auf den Tisch und läuft aufgebracht durch den Raum. „Das kann doch nicht wahr sein!" ruft er und schlägt mit der Faust auf den Tisch. „Was haben wir getan?"

Ich setze mich schwer auf einen der Stühle und vergrabe mein Gesicht in den Händen. „Wir haben einen Fehler gemacht," flüstere ich. „Einen großen Fehler."

Plötzlich höre ich Schritte hinter uns. Eine fremde Stimme sagt leise: „Entschuldigung?"

Sean und ich drehen uns gleichzeitig um und sehen einen jungen Mann, vielleicht in Graysons Alter. Er ist groß, hat blaue Augen und wirkt irgendwie vertraut.

„Ja?" frage ich vorsichtig.

Der Junge tritt näher. „Hi," sagt er und hält kurz inne.

„Kennen wir uns?" frage ich, denn sein Gesicht kommt mir bekannt vor.

Er nickt langsam. „Ja, Sir. Ich war schon mal vor Ihrer Haustür."

Ich erinnere mich. „Du bist ein Freund von Ethan und Grayson, oder? Wie heißt du?"

Er schüttelt den Kopf. „Ich heiße Nash. Und nein, ich war nie ein Freund von Ethan oder Grayson."

Sean und ich tauschen einen verwirrten Blick. „Was willst du hier?" fragt Sean misstrauisch.

Nash atmet tief durch. „Ich muss Ihnen etwas erzählen," beginnt er und seine Stimme ist ernst. „Aber ich sage Ihnen gleich, dass Ihnen das, was ich zu sagen habe, nicht gefallen wird."

Ich spüre, wie sich ein Knoten in meinem Magen bildet. „Was meinst du?" frage ich, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob ich die Antwort hören will.

Nash beginnt zu sprechen, und jedes Wort, das aus seinem Mund kommt, lässt die Welt, die ich um Leyla und Grayson gebaut habe, weiter in sich zusammenbrechen.

Seans POV

Ich spüre, wie mein Körper von einer Wut erfüllt wird, die ich kaum kontrollieren kann. Alles, was wir für die Hochzeit geplant haben, alles, was wir uns für unsere Kinder gewünscht haben – es war eine Farce. Eine gut gespielte Lüge.

„Ruf die beiden sofort an," sage ich schließlich, meine Stimme ist tief und fest. „Sie sollen auf der Stelle herkommen."