S e v e n t y - n i n e
Kapitel: Das Band, das uns verbindet
Leylas POV
Es fühlt sich an wie ein Traum. Nach all den Jahren, nach all den Tränen, sind wir wieder zusammen. Ich sitze auf der Couch und beobachte Grayson, wie er mit John spielt. Ihr Lachen erfüllt den Raum, und mein Herz wird von einer Wärme durchflutet, die ich so lange vermisst habe. Wir sind jetzt eine Familie – das, wovon ich in den dunkelsten Nächten nur träumen konnte. Doch trotz dieses Glücks bleibt ein Teil von mir vorsichtig. Es sind fünf Jahre vergangen. Können wir wirklich dort weitermachen, wo wir aufgehört haben?
Grayson hebt John hoch, dreht ihn in der Luft, und beide lachen laut. John kichert so herzhaft, dass es ansteckend ist. Mein Sohn. Unser Sohn. Er hat endlich seinen Papa zurück. Aber die Realität dieser fünf Jahre schwebt immer noch über uns wie eine dunkle Wolke. Wir sind hier, zusammen, aber die Narben der Vergangenheit sind nicht verschwunden.
Gestern hat Grayson Opa besucht. Opa hat geweint, als er ihn sah – eine der wenigen Male, in denen ich ihn je so emotional erlebt habe. Er hielt Graysons Hand und sagte: „Du bist ein Teil dieser Familie, und das wirst du immer sein." Ich hätte nie gedacht, dass Opa so viel Verständnis zeigen würde. Grayson hat gezögert, bevor er Opa sehen wollte. Er hatte Angst vor Vorwürfen, Angst vor Ablehnung. Aber Opa hat ihn mit offenen Armen empfangen.
Nicht alles ist jedoch so einfach. Seit unserem Streit über die Briefe habe ich Büsra nicht mehr gesehen. Es ist eine Woche her, aber die Wut und Enttäuschung in mir sind noch frisch. Sie wollte mich schützen, das weiß ich, aber sie hat mich von Grayson ferngehalten. Sie hat mich der Hoffnung beraubt, als ich sie am dringendsten gebraucht hätte. Trotzdem ist sie meine Cousine, fast wie eine Schwester. Kann ich sie wirklich für immer aus meinem Leben ausschließen?
Das Treffen mit Ethan
Die Fahrt zu Ethans Haus fühlt sich länger an, als sie tatsächlich ist. Der Himmel ist in ein sanftes Grau getaucht, und die Stille im Auto wiegt schwer. Grayson hält das Lenkrad so fest, dass seine Knöchel weiß hervortreten. Seine Atmung ist flach, fast stoßweise, und ich sehe, wie er immer wieder einen Blick in den Rückspiegel wirft, als ob er etwas sucht – oder sich vor etwas fürchtet.
„Bist du nervös?" frage ich leise, obwohl ich die Antwort bereits kenne.
Er nickt kaum merklich. „Ich habe Ethan seit Jahren nicht mehr gesehen. Und..." Er zögert, sucht nach den richtigen Worten. „Es fühlt sich an, als hätte ich ihn im Stich gelassen. Er war immer da für mich, und als ich ihn gebraucht hätte, habe ich ihn einfach ausgeblendet."
Ich lege meine Hand auf seine. Sie ist kalt und zittert leicht. „Du hast ihn nicht ausgeblendet, Grayson. Du hast versucht, mit allem klarzukommen. Er wird das verstehen."
Grayson atmet tief durch, aber er antwortet nicht. Ich weiß, dass er sich auf das konzentriert, was vor ihm liegt. John, der auf dem Rücksitz sitzt, summt leise eine Melodie, völlig ahnungslos, welche Bedeutung dieses Treffen für uns hat.
Als wir ankommen, bleibt Grayson kurz sitzen, die Hände immer noch am Lenkrad. Ich sehe, wie er einmal tief einatmet, die Luft anhält und sie dann langsam ausstößt. „Okay," murmelt er mehr zu sich selbst als zu mir.
„Du schaffst das," sage ich und streiche sanft über seinen Arm.
Er nickt und steigt aus. Als er zur Haustür geht, bleibt er für einen Moment stehen, als würde er die Kraft sammeln, um weiterzugehen. Ich nehme John auf den Arm und bleibe einen Moment zurück, um ihm Raum zu geben.
Die Tür öffnet sich, und Ethan steht da. Für einen Moment scheint die Welt stillzustehen. Ethan sieht Grayson an, als könne er nicht glauben, dass er wirklich vor ihm steht. Dann brechen die beiden gleichzeitig in Bewegung aus, und Ethan zieht Grayson in eine feste Umarmung.
„Du bist zurück," murmelt Ethan, seine Stimme bebt. „Du bist wirklich zurück."
Grayson nickt, und ich sehe, wie seine Schultern sich ein wenig entspannen. „Es tut mir leid, Ethan. Ich hätte... ich hätte mich melden sollen. Aber ich..."
„Hey, ist schon gut," unterbricht ihn Ethan und zieht sich ein Stück zurück, um ihn anzusehen. „Du bist hier. Das ist alles, was zählt."
Das Wiedersehen
„Wo ist Leyla?" fragt Ethan nach einer langen Pause. Seine Stimme ist voller Neugierde, aber auch einer gewissen Vorsicht, als ob er sich nicht sicher ist, was ihn erwartet.
Grayson lächelt schwach. „Sie bringt noch jemanden mit." Er wirft mir einen Blick zu, und ich trete langsam hervor, John immer noch auf dem Arm. Ethans Augen weiten sich, als er uns sieht.
Für einen Moment sagt keiner von uns etwas. Ethans Blick wandert zwischen mir und John hin und her, und ich sehe, wie sich Verwirrung und Erkenntnis in seinem Gesicht abwechseln. Seine Lippen bewegen sich, aber es kommt kein Ton heraus.
„Nein," flüstert er schließlich. „Das kann nicht sein."
Grayson grinst leicht, aber seine Stimme ist ernst. „Doch."
„Oh mein Gott," murmelt Ethan, seine Augen füllen sich mit Tränen. „Leyla... das ist...?"
„Unser Sohn," antworte ich leise, und meine Stimme zittert. „Das ist John."
Ethan braucht einen Moment, um die Worte zu verarbeiten. Dann geht er langsam auf uns zu, seine Hände zittern leicht. „Oh mein Gott," sagt er erneut, bevor er John vorsichtig in die Arme nimmt. „Hey, kleiner Mann," sagt er sanft, während er ihn ansieht. „Ich bin dein Onkel Ethan."
John schaut ihn mit großen Augen an und neigt den Kopf leicht zur Seite. „Du bist mein Onkel?" fragt er, seine Stimme voller Neugier.
Ethan lacht, ein ehrliches, freudiges Lachen, das den Raum füllt. „Ja, das bin ich. Und ich wette, ich bin der beste Onkel, den du je haben wirst."
Als wir das Wohnzimmer betreten, erstarrt Grayson. Ich folge seinem Blick und sehe, was ihn so abrupt hat stoppen lassen: Lisa und Sean sitzen auf der Couch. Cameron ist auch da, und alle drei starren uns an, als wären wir Geister.
Die Spannung ist fast greifbar, und für einen Moment herrscht völlige Stille. Dann fällt Lisas Blick auf John, und ich sehe, wie sich ihre Augen mit Tränen füllen. „Oh mein Gott," murmelt sie, ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern. „Er... er sieht aus wie Grayson."
Sean bleibt sitzen, seine Hände fest auf die Lehnen der Couch gelegt, als ob er sich zurückhalten müsste, um nicht aufzustehen. Sein Blick ist auf John fixiert, und ich sehe, wie seine Kiefermuskeln sich anspannen.
Lisa macht den ersten Schritt. Sie steht langsam auf und geht auf uns zu. Ihre Hände zittern, als sie John ansieht, und ich sehe die Tränen über ihre Wangen laufen. „Das ist... das ist mein Enkel," sagt sie schließlich und berührt Johns Wange mit einer Sanftheit, die mein Herz bricht.
Sean steht schließlich ebenfalls auf, und ohne ein Wort nimmt er John von Lisa und hält ihn fest. „Mein Enkel," murmelt er, seine Stimme tief und voller Emotionen. „Er sieht aus wie du," sagt er zu Grayson, sein Blick wandert zwischen ihnen hin und her. „Er ist wie du."
Grayson steht immer noch wie versteinert da, seine Schultern hochgezogen, als ob er sich vor einem Schlag schützen würde. Sean gibt John vorsichtig an Lisa zurück und geht dann auf Grayson zu. Ich sehe, wie sich Graysons Atem beschleunigt, und ich stelle mich zwischen die beiden.
„Sean, bitte," beginne ich, meine Stimme fest, aber flehend. „Bitte, hör mir zuerst zu."
Sean bleibt stehen, sein Blick wandert zu mir, dann zurück zu Grayson. Er sagt nichts, wartet.
„Ihr hattet von Anfang an recht," sage ich, und meine Stimme zittert. „Grayson und ich haben uns geliebt. Wir haben uns immer geliebt. Aber wir wollten euch nichts sagen, weil wir Angst hatten, dass es alles noch schlimmer machen würde. Und als ihr uns getrennt habt... wir hatten keine Chance, euch zu erklären, was wirklich passiert ist."
Ich atme tief durch, kämpfe gegen die Tränen an, die in meinen Augen brennen. „Grayson hat mich nie schlecht behandelt, Sean. Nie. Er hat mich geliebt. Und ich habe ihn geliebt. Und ich liebe ihn immer noch."
Sean schaut mich lange an, und ich sehe, wie seine Fassade langsam bröckelt. Schließlich geht er zu Grayson, legt ihm eine Hand auf die Schulter und zieht ihn in eine Umarmung.
„Ich habe Fehler gemacht," murmelt Sean. „Es tut mir leid, Grayson."
Grayson steht zuerst regungslos da, dann schließt er die Augen und erwidert die Umarmung. „Es tut mir leid, Dad," murmelt er. „Es tut mir so leid."
Später, als wir alle am Esstisch sitzen, fühlt es sich an, als wären die letzten fünf Jahre nur ein böser Traum gewesen. John sitzt auf Graysons Schoß und erzählt eine alberne Geschichte, die Ethan ihm beigebracht hat. Lisa lacht, Sean lächelt, und Cameron spricht ununterbrochen darüber, wie sehr sie es vermisst hat, eine Tante zu sein.
Ich sitze neben Grayson, meine Hand ruht in seiner, und mein Herz fühlt sich leicht an. Es ist nicht perfekt, noch nicht, aber es ist ein Anfang. Und für jetzt ist das genug.
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