F o r t y

Kapitel: Gebrochene Herzen und verborgene Schatten

Graysons POV

Heute ist der zweite Tag der Tour, und obwohl ich aufgeregt bin, meine Fans wiederzusehen, habe ich nur eine Sache im Kopf: Leyla. Es ist, als wäre sie ein Rätsel, das ich lösen muss – ihre Nervosität, ihre Unsicherheit, wie sie mich ansieht und gleichzeitig wegschaut. Alles deutet darauf hin, dass sie immer tiefer in meinen Bann gerät, und das freut mich mehr, als ich zugeben möchte. Ich weiß, dass ich sie dazu bringen kann, ihre Gefühle zu erkennen. Nach dieser Tour wird sie mir gehören, das ist sicher.

Ich gehe zu ihrem Zimmer und klopfe an die Tür. Einmal. Zweimal. Nichts.

„Leyla?" rufe ich leise, bevor ich noch einmal klopfe. Wieder keine Reaktion.

Unruhe macht sich in mir breit. Warum ist sie nicht hier? Schließlich öffne ich die Tür vorsichtig und betrete das Zimmer.

„Sweety?" flüstere ich und sehe mich um.

Das Bett ist ordentlich, und ihre Tasche steht in der Ecke. Ihr Handy liegt auf dem Nachttisch. Sie ist ohne es gegangen? Das passt gar nicht zu ihr.

Plötzlich vibriert ihr Handy und reißt mich aus meinen Gedanken. Der Bildschirm leuchtet auf: Mama ruft an. Soll ich drangehen? Es fühlt sich falsch an, aber... ich muss wissen, ob sie weiß, wo Leyla ist.

Ich nehme das Handy und gehe ran. „Hallo, Gül?"

„Grayson? Wo ist Leyla? Warum geht sie nicht ans Telefon? Ich habe sie mindestens fünfmal versucht zu erreichen!"

Ich überlege kurz, was ich sagen soll. Ich kann ihr schlecht erklären, dass ich selbst keine Ahnung habe, wo Leyla ist. Das würde nur unnötige Sorgen auslösen, und die letzte Person, die ich wütend machen möchte, ist Leylas Mutter.

„Ähm, sie hat ihr Handy hier vergessen", sage ich schließlich und hoffe, dass meine Stimme ruhig klingt. „Wir haben heute Morgen zusammen gefrühstückt, und jetzt ist sie bei Mira. Sie kommt bestimmt bald zurück."

„Ah, okay." Ihre Stimme klingt erleichtert. „Grayson, bitte pass auf sie auf."

„Natürlich", sage ich schnell, obwohl mich ein Knoten im Magen packt. Wie soll ich auf sie aufpassen, wenn ich sie nicht finde?

„Oh Gott, ist das Grayson?" höre ich plötzlich eine zweite Stimme.

„Ja, Büsra", sagt Gül genervt, aber es ist zu spät.

„HALLO GRAYSON!" Büsras schrille Stimme dröhnt durch den Hörer.

Ich lache leise. „Hey, Büsra."

„Wie läuft die Tour? Wie geht es Leyla? Seid ihr aufgeregt wegen der Hochzeit? Ich muss schnell zu Opa, der wird sich freuen!"

„Büsra, chill!" Meine Worte scheinen nichts zu bewirken. Ich höre sie durch das Haus rennen.

„OPA, GRAYSON IST AM TELEFON!" schreit sie, und ich höre im Hintergrund ein empörtes „Schrei nicht so, du Dummkopf!"

Ich lache laut. Es ist schön zu hören, dass Leylas Großvater wieder gesund ist.

„Grayson, mein Kind", höre ich schließlich seine Stimme. „Wie geht es dir?"

„Mir geht es gut, Opa. Wie geht es dir?"

„Viel besser", sagt er, bevor er nach Leyla fragt.

„Sie ist bei Freunden", sage ich schnell.

„Dann geh zu ihr", befiehlt er mit einer Stimme, die keine Widerrede duldet.

Ich seufze. „Ja, Opa."

Ich lege auf und stecke das Handy in meine Tasche. Ich muss sie finden. Aber wo soll ich anfangen?

Ich renne durch das Hotel, meine Gedanken rasen. Wo ist sie? Und warum habe ich dieses beklemmende Gefühl, dass sie bei Nash ist? Mein Kiefer verkrampft sich. Bitte lass es nicht so sein.

Als sich die Türen des Aufzugs öffnen, sehe ich sie. Sie steigt gerade ein, ihre Haare zerzaust, ihr Gesicht schläfrig. Ein Schwall von Erleichterung und Zorn überkommt mich.

„Wo warst du?" Meine Stimme ist schärfer, als ich beabsichtigt hatte.

„Erstmal Hallo", sagt sie ruhig und sieht mich an, als wäre ich verrückt.

„Sag mir, wo du warst!" Meine Stimme bricht fast, und ich sehe, wie sie auf das Handy in meiner Hand blickt.

„Warum hast du mein Handy?"

„Opa ist am Telefon", sage ich und versuche, ruhig zu bleiben. „Er will mit dir sprechen, aber vorher wirst du mir sagen, wo du warst!"

Ihre Augen weiten sich. „Oh mein Gott, Opa! Gib mir sofort das Telefon!"

Ich halte es hinter meinem Rücken. „Sag mal, rede ich gegen eine Wand?"

„Grayson, was?" Sie schaut mich verwirrt an.

„Wo warst du die ganze Nacht?" Meine Stimme zittert vor Wut.

„Bei Nash." Ihre Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern, aber die Worte treffen mich wie ein Schlag.

„WAS?" Meine Hände ballen sich zu Fäusten. Sie nimmt mir das Handy aus der Hand und spricht mit Opa, aber ich höre nichts. Alles in mir ist leer, gefüllt mit einem einzigen Gedanken: Sie hat bei ihm übernachtet.

Leylas POV

Graysons Blick brennt in meinem Rücken, als ich mit Opa telefoniere. Ich höre seine Worte kaum. Alles, was ich spüre, ist Graysons Wut, die wie ein Gewitter um uns herum tobt.

„Grayson, was ist los?" frage ich, als ich aufgelegt habe.

Er dreht sich zu mir um, und bevor ich reagieren kann, packt er mich an den Oberarmen und drückt mich gegen die Wand. Sein Gesicht ist eine Maske aus Zorn und Schmerz.

„WAS MIT MIR LOS IST?" Seine Stimme hallt durch den Flur.

„W-warum schreist du?" Ich spüre, wie meine Augen sich mit Tränen füllen.

„DU HAST BEI IHM ÜBERNACHTET! DESHALB SCHREIE ICH!" Seine Augen bohren sich in meine, als suche er nach einer Antwort, die ihn beruhigen könnte.

Mein Herz rast. „Grayson, oh mein Gott, bitte, du denkst doch jetzt nicht, dass ich–" Ich kann den Satz nicht beenden. Die Tränen fließen unaufhaltsam.

„An was soll ich bitte sonst denken?" Seine Stimme bricht, und ich sehe den Schmerz in seinen Augen.

Ich sinke zu Boden, meine Knie geben nach. „Ich würde so etwas niemals machen", schluchze ich. „Er war die ganze Nacht nicht mal da!"

Er kniet sich vor mich, seine Hände zittern, als sie meine Oberschenkel berühren. „Leyla, ich... ich hatte solche Angst."

„Du hättest mir niemals so etwas unterstellen dürfen", flüstere ich und sehe ihn mit tränenverschleierten Augen an. „Niemals."

Ich rannte in mein Zimmer, ohne mich umzusehen, und schloss die Tür hinter mir mit einem lauten Knall. Meine Beine zitterten, als ich mich aufs Bett warf. Es war, als hätte jemand all die Kraft aus mir herausgesogen. Tränen stürzten wie ein nie endender Wasserfall aus meinen Augen, durchnässten das Kissen, in das ich mein Gesicht vergrub. Mein Körper bebte bei jedem Schluchzer.

Wie konnte er nur? Wie konnte Grayson so etwas denken? Der Gedanke allein, dass er mir so wenig vertraute, war wie ein Dolchstoß in mein Herz. Er glaubte, ich hätte meinen Stolz, mein Selbst, einfach so hergegeben. Und das vor der Hochzeit. Eine Vorstellung, die mir völlig fremd war, die ich niemals in Betracht gezogen hätte.

Ich würde niemals meinen Stolz verschenken. Niemals.

Doch er hatte es gesagt. Er hatte es wirklich gedacht. Und dieser Gedanke... dieser Zweifel... hatte alles zerstört.

Ich fühlte mich zerbrochen, als hätte man meine Seele in Stücke gerissen. Wie konnte ich das wieder kitten? Konnte ich das überhaupt?

Ein Klopfen an der Tür riss mich aus meinen Gedanken. Mein Atem stockte. Wenn das jetzt Grayson war, würde ich ihm nicht in die Augen sehen können, ohne vor Wut zu explodieren.

„W-wer ist da?" Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.

„Ich bin's, Ethan."

Ethan. Ich spürte eine seltsame Erleichterung, aber auch Scham. Sollte ich ihn so sehen lassen? Schwach, zerrüttet und gebrochen?

„Komm rein." Meine Worte zitterten, wie ich selbst.

Die Tür öffnete sich, und Ethan trat ein. Sein Blick fiel sofort auf mich, wie ich zusammengerollt auf dem Bett lag, und sein Gesicht verdüsterte sich. Er setzte sich neben mich, und ohne ein Wort nahm er mich in seine Arme. Diese simple Geste ließ meinen Schmerz nur noch heftiger auflodern.

„Was ist passiert?" Seine Stimme war sanft, aber durchzogen von Sorge.

Ich schluchzte, versuchte zu sprechen, aber meine Worte blieben in meiner Kehle stecken. Schließlich brachte ich es doch heraus, stückweise, unterbrochen von Schluchzern. Ich erzählte ihm alles. Graysons Worte, sein Zweifel, sein Vorwurf.

Ethan zog sich ein Stück zurück und sah mich an, ungläubig, wütend. „Er hat WAS?!"

„Ethan, ich fühle mich so dreckig." Meine Stimme brach, und ich senkte meinen Blick.

„Leyla!" Er packte mich bei den Schultern, zwang mich, ihn anzusehen. Seine Augen brannten vor Zorn. „Das bist du nicht! Hör sofort auf, so etwas zu sagen!"

„Aber warum... warum denkt Grayson dann so etwas? Habe ich ihm jemals einen Grund gegeben, an mir zu zweifeln?"

Ethan seufzte tief, sein Griff wurde sanfter. „Keine Ahnung, was bei dem los ist, aber ich schwöre dir, Leyla, er hat den Verstand verloren. Ich werde mit ihm reden. So geht das nicht."

„Mach das... Ich werde es nämlich nicht tun." Mein Blick glitt wieder zu Boden. Der Schmerz und die Enttäuschung waren zu groß, um Grayson überhaupt noch in die Augen sehen zu können.

Ethan stand auf und strich mir sanft übers Haar. „Mach dich fertig. Wir müssen gleich runter in den Saal."

Ich nickte nur stumm. Ethan verließ das Zimmer, und ich blieb allein zurück.

Eine Weile später

Ich zog mich langsam an, versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Aber egal, wie sehr ich mich bemühte, alles in mir schrie nach Ruhe, nach einer Pause von diesem Chaos. Ich konnte einfach nicht mehr.

Als ich schließlich den Saal betrat, trafen meine Augen sofort auf Grayson. Er saß mit den anderen zusammen, doch sein Blick wanderte immer wieder zu mir. Ich ignorierte ihn und setzte mich in eine Ecke, weit weg von ihm.

Ich sah Nash am anderen Ende des Saals. Als sich unsere Blicke trafen, lächelte er. Für einen Moment verspürte ich Trost. Doch auch das wurde von den Erinnerungen an den Morgen überschattet. Wie konnte ich ihm jetzt nahe sein, ohne dass Graysons Worte wie ein Echo in meinem Kopf widerhallten?

Nash kam zu mir und setzte sich. „Hey, Leyla. Ich habe heute frei. Warum machen wir nicht etwas Schönes? Ich könnte dir die Stadt zeigen. Und... meine Oma kennenlernen."

Seine Worte klangen so unschuldig, so voller Hoffnung, dass ich mich gezwungen fühlte zu lächeln. „Das klingt schön."

Grayson beobachtete uns, seine Kiefer angespannt, seine Augen voller Schmerz. Doch ich ignorierte ihn weiterhin. Ich war ihm nichts schuldig. Nicht nach dem, was er gesagt hatte.

Graysons POV

Ich hatte alles falsch gemacht. Absolut alles. Leyla hatte mich nicht einmal angesehen, geschweige denn ein Wort mit mir gewechselt.

Ich sah sie mit Nash lachen, und es fühlte sich an, als würde man mir das Herz herausreißen. Das war nicht sie. Sie war mein Sweety, nicht seine. Aber wie sollte ich das wieder in Ordnung bringen?

Mein Handy klingelte. Shawn. Natürlich.

„Ich bin unterwegs", murmelte ich ins Telefon, bevor ich auflegte und machte mich direkt auf den Weg.

Kurze Zeit darauf

Ich saß allein im Parkhaus, umgeben von der Dunkelheit, die die neonbeleuchteten Betonwände noch klaustrophobischer wirken ließ. Mein Herz schlug wild, doch nicht vor Angst – vor einer Mischung aus Wut, Verzweiflung und Schuldgefühlen. Leylas Tränen brannten sich in meine Erinnerung wie ein unauslöschliches Feuer. Ich hatte sie enttäuscht, verletzt, sie zum Weinen gebracht. Und jetzt saß ich hier und wartete auf Shawn, diesen Geier, der nur auftauchte, wenn er wusste, dass er mich in der Hand hatte.

Mein Handy klingelte. Der Name „Shawn" leuchtete auf dem Display. Der Klang seiner Stimme jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken, noch bevor ich den Anruf entgegennahm.

„Grayson," begann er, seine Stimme triefte vor falscher Freundlichkeit. „Pünktlich wie immer."

„Was willst du, Shawn?" Ich sprach ruhig, doch in meinem Inneren brodelte es.

„So ungeduldig." Er lachte leise. „Ich mag das an dir, weißt du? Du bist immer bereit, für die zu springen, die dir wichtig sind."

„Wo bist du, ich warte auf dich." In diesem Moment blinken die Scheinwerfer eines Autos das etwas weiter weg steht. „Ich bin genau hier." sagt er leicht ironisch.

„Hör auf, um den heißen Brei zu reden", fuhr ich ihn an. „Was ist dein Plan?"

„Mein Plan?" Shawn zögerte, als würde er genießen, wie meine Geduld zerrann. „Oh, das ist ganz einfach. Du erinnerst dich doch an die Abmachung, oder? Die kleine Sache, die wir zu Ende bringen müssen."

Ich schloss die Augen und holte tief Luft. „Ich bin da raus, Shawn. Das weißt du."

„Raus?" Sein Lachen wurde schärfer, fast höhnisch. „Du bist nie raus, Grayson. Du bist drin, solange ich es sage. Es sei denn, du willst, dass..." Er hielt inne, um den Moment wirken zu lassen. „Ethan und Leyla Teil meines nächsten Plans werden."

Meine Fäuste ballten sich so fest, dass meine Fingernägel sich in die Haut bohrten. „Wag es nicht, Shawn. Lass sie aus dem Spiel."

„Ich lasse sie aus dem Spiel – wenn du deinen Teil erfüllst." Seine Stimme wurde plötzlich eisig. „Wir werden drei Banken ausrauben. Geiseln nehmen. Und du wirst dabei sein."

Mein Atem stockte. Ich wusste, dass Shawn zu allem fähig war. „Das ist Wahnsinn."

„Nein, das ist Geschäft." Er klang amüsiert, als ob das alles nur ein Spiel für ihn wäre. „Und du bist mein bester Spieler. Überleg's dir, Grayson. Du hast keine Wahl."

Die Leitung wurde unterbrochen, und ich starrte auf das leere Display meines Handys. Meine Hände zitterten leicht, und es fühlte sich an, als hätte Shawn nicht nur meinen Verstand, sondern auch meine Brust in einen Schraubstock gelegt. Drei Banken. Geiseln. Leyla. Ethan. Die Worte hallten in meinem Kopf wider, wie ein endloses Echo in einem leeren Raum. Shawn hatte mich fest in der Hand, und ich wusste nicht, wie ich mich aus seinem Griff befreien konnte.

Ein leises Quietschen der Reifen drang an mein Ohr, als Shawn Gas gab und aus dem Parkhaus raste. Ich stand wie festgewurzelt da, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Meine Brust hob und senkte sich schwer, während sich ein dunkler Schleier der Angst über mich legte. Was sollte ich tun? Wie konnte ich diese Katastrophe abwenden?

Noch bevor ich das Parkhaus verlassen konnte, hörte ich schnelle Schritte hinter mir. Ethan. Seine Silhouette tauchte aus dem Halbdunkel auf, und sein Gesicht war eine Maske aus Zorn und Entschlossenheit.

„Grayson!" Seine Stimme hallte durch das Parkhaus, scharf und unnachgiebig.

Ich drehte mich nur halb um, meinen Blick abgewandt. „Nicht jetzt, Ethan."

„Doch, jetzt!" Er war plötzlich direkt vor mir, seine Hand griff nach meinem Arm und hielt mich mit einem Griff fest, der ebenso fordernd wie verzweifelt war. „Was zum Teufel ist los mit dir? Was hast du dir dabei gedacht, Leyla so etwas zu unterstellen?"

Ich wollte wegsehen, wollte ihm ausweichen, aber sein Griff hielt mich in der Realität fest. „Ich weiß... Ich weiß, dass ich es vermasselt habe, Ethan."

„Vermasselt?" Er lachte bitter, das Geräusch schneidend wie ein Messer. „Das ist nicht mal ansatzweise das richtige Wort. Du hast sie gedemütigt, Grayson. Sie glaubt, dass du ihr nicht vertraust. Sie glaubt, dass sie für dich nichts wert ist. Hast du überhaupt eine Ahnung, wie sehr du sie verletzt hast?"

Ich konnte nicht antworten, konnte den Druck seiner Worte nicht abschütteln. Stattdessen ließ ich meinen Blick zu Boden sinken. „Ich arbeite daran, okay? Aber ich hab gerade andere Probleme."

Ethan verschränkte die Arme vor der Brust, sein Blick bohrte sich in mich wie ein scharfer Speer. „Andere Probleme? Was könnte wichtiger sein, als das mit Leyla in Ordnung zu bringen?"

Ich zögerte. Wie sollte ich ihm von Shawn erzählen? Wie konnte ich ihn da hineinziehen, wo ich nicht einmal wusste, ob ich selbst heil wieder herauskommen würde? „Es ist nichts, worüber du dir Sorgen machen musst, Ethan."

„Grayson", begann er, seine Stimme etwas ruhiger, aber nicht weniger intensiv. „Ich bin nicht blind. Ich habe dich beobachtet. Ich weiß, dass Shawn dich wieder reingezogen hat. Und ich weiß, dass es gefährlich ist. Wenn du mich nicht einweihst, werde ich es selbst herausfinden."

Seine Worte trafen mich hart, wie ein Schlag in die Magengrube. Ethan war klüger, als ich ihm manchmal zutraute, und ich konnte die Entschlossenheit in seinen Augen sehen. Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, um ihn zu warnen, aber meine Kehle schnürte sich zu.

„Halt dich da raus, Ethan. Bitte." Meine Stimme klang gebrochen, fast flehend.

Doch Ethan ließ sich nicht abschütteln. „Weißt du, was ich sehe?" fragte er leise. „Ich sehe meinen Bruder, der versucht, die Welt alleine zu retten, und der dabei alles aufs Spiel setzt. Dich selbst, Leyla, uns. Aber ich lasse das nicht zu, Grayson. Ich lasse dich nicht allein da reinlaufen, um dich zu opfern."

Ich schüttelte den Kopf, unfähig, eine Antwort zu finden. Die Worte, die ich ihm sagen wollte, blieben in meinem Inneren gefangen. Er trat einen Schritt zurück, sah mich an, und in seinen Augen lag ein Ausdruck, der mich mehr traf als jede Anschuldigung.

„Ich lasse das nicht auf sich beruhen, Grayson. Wenn du nicht mit mir redest, werde ich es herausfinden. Und ich werde Leyla nicht noch einmal leiden sehen, weil du nicht in der Lage bist, deine Probleme zu lösen."

Er ließ mich stehen, ging entschlossen davon, und ich konnte nur das Echo seiner Schritte hören, das sich in meinem Kopf wiederholte. Leyla, Ethan, Shawn – alles drohte auseinanderzubrechen. Und ich stand mitten darin, unfähig, etwas zu tun.

Leylas POV

Nash und ich schlenderten schon eine Weile durch die Straßen von Los Angeles. Die Stadt pulsierte um uns herum, doch meine Gedanken waren still und träge. Wir setzten uns schließlich in ein kleines Café mit einer charmanten Außenterrasse. Die Sonne schien warm, aber nicht überwältigend, und die Luft war erfüllt von einer Mischung aus Kaffeearomen und dem leisen Summen der Gespräche um uns herum.

„Nash, kannst du vielleicht ein Bild von mir machen?" fragte ich, mehr um die Stille zu durchbrechen als aus echtem Wunsch.

Er lächelte und stand sofort auf. „Natürlich."

Er nahm mein Handy, ging ein paar Schritte zurück und hielt die Kamera hoch. „Lächle."

Ich zwang mich zu einem Lächeln, auch wenn mein Inneres alles andere als fröhlich war. Nash drückte auf den Auslöser, schaute kurz auf das Bild und ging dann zu mir zurück.

„Es ist wunderschön geworden", sagte er und reichte mir das Handy.

„Danke", murmelte ich, während ich das Bild ansah. Es sah tatsächlich gut aus, aber es fühlte sich seltsam an. Wie ein Bild von jemand anderem. Nicht von mir.

„Nicht dafür." Er setzte sich wieder und wir begannen, uns über Belanglosigkeiten zu unterhalten. Es war angenehm, aber oberflächlich. Ein Gespräch ohne Tiefgang, ohne echte Verbindung. Doch dann unterbrach ein lautes Klingeln die Ruhe.

Nash zog sein Handy aus der Tasche und warf einen kurzen Blick darauf. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich schlagartig, wurde steif.

„Wer ist es?" fragte ich, bemüht, meine Neugier zurückzuhalten.

„Hm?" Er schien abwesend. „Ehm... Hayes."

„Dann geh doch ran", sagte ich betont gelassen und zwang mich, die aufkommende Irritation hinunterzuschlucken.

„Ok." Er stand auf und entfernte sich einige Schritte von unserem Tisch.

Ich beobachtete ihn aus der Ferne. Seine Körpersprache wirkte angespannt, fast nervös. Warum musste immer etwas dazwischenkommen, wenn wir Zeit miteinander verbringen wollten? Es war jedes Mal dasselbe. Mein Blick blieb an ihm hängen, an seinen Bewegungen, an der Art, wie er sprach – und plötzlich sah ich nicht mehr Nash.

Ich sah Grayson.

Graysons charmantes Lächeln, seine intensiven Augen, die Art, wie er sich bewegte – es war, als hätte mein Verstand Nash durch Grayson ersetzt. Ein unkontrollierbarer Gedanke, der mich überfiel, ohne Vorwarnung. Doch genauso schnell, wie es gekommen war, verschwand es wieder. Nash drehte sich um, und ich sah ihn wieder klar.

Ich schüttelte innerlich den Kopf. Was war nur los mit mir? Warum sah ich Grayson in allem?

Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als sich jemand plötzlich zu mir an den Tisch setzte. Ein junges Mädchen, etwa in meinem Alter, mit schulterlangem, perfekt gestyltem Haar und einem tief ausgeschnittenen Oberteil, das ihre Absichten nur allzu deutlich machte.

„Entschuldigung?" sagte ich, leicht verwirrt. „Kann ich Ihnen helfen?"

Sie verschränkte die Arme vor der Brust und funkelte mich an. „Ja, entschuldige dich."

„Hä? Kennen wir uns?" fragte ich, während ich mich unbehaglich in meinem Stuhl bewegte.

„Wir nicht", sagte sie mit einem schnippischen Unterton und deutete dann in die Richtung, aus der Nash kam. „Aber du scheinst meinen Freund sehr gut zu kennen."

Ihr Finger zeigte direkt auf Nash. Mein Magen zog sich zusammen, als würde ein unsichtbarer Faden daran zerren.

„Warte... was?" stammelte ich, bevor ich mich zu Nash umdrehte. Er rannte zu unserem Tisch, sein Gesicht vor Wut und Panik verzerrt.

„Jennifer, was willst du hier?" rief er, seine Stimme scharf wie eine Klinge.

Jennifer. Der Name hallte in meinem Kopf wider. Wo hatte ich ihn schon mal gehört? Und dann erinnerte ich mich. Nash hatte mich einmal aus Versehen so genannt. Jennifer.

Ich starrte ihn an, völlig sprachlos. Was war hier los?

„Du weißt genau, was ich will, Nash!" fauchte sie und verschränkte die Arme vor ihrer Brust.

„Ich habe dir gesagt, du sollst mich in Ruhe lassen!" Seine Stimme war laut, seine Haltung angespannt. Er packte sie am Arm, aber sie riss sich sofort los.

„Lass mich los!" schrie sie.

„Nash, lass sie!" mischte ich mich ein. Mein Ton war scharf, aber mein Inneres bebte.

Er ließ sie los, und sie trat einen Schritt zurück. Ihre Augen wanderten zu mir, und ein bösartiges Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. „Fine, ich werde dich in Ruhe lassen. Aber nicht, bevor ich deiner süßen kleinen Freundin hier alles erzählt habe."

„Es reicht!" Nash packte sie erneut, diesmal fester, und zog sie weg vom Tisch. Ihre Worte hallten in meinem Kopf wider. Alles erzählen? Was meinte sie damit?

Sie verschwanden, und ich blieb allein zurück. Mein Kopf fühlte sich an, als würde er gleich explodieren. Was war das gerade? Wer war diese Jennifer wirklich, und warum schien sie so viel Macht über Nash zu haben?

Nash kehrte einige Minuten später zurück. Sein Gesicht war bleich, und er wirkte angespannt.

„Leyla, wohin willst du?" fragte er, als ich aufstand.

„Zurück ins Hotel", antwortete ich knapp. Ich wollte keine Erklärungen, keine Entschuldigungen. Nicht jetzt.

„Warum? Ich wollte dich doch noch meiner Oma vorstellen", sagte er leise, fast flehend.

Ich blieb stehen und wandte mich langsam zu ihm um. „Nash, was war das gerade eben? Was hat diese Jennifer gemeint, als sie gesagt hat, sie will mir alles erzählen?"

Er zögerte, aber schließlich seufzte er tief. „Ich sag's dir", sagte er leise und sah mich an. Sein Blick war ernst, beinahe flehend. Ich spürte, wie mein Herz schneller schlug.

„Sie ist meine Ex", begann er schließlich. „Ich war mit ihr zusammen."

Ich zog die Augenbrauen hoch und verschränkte die Arme vor der Brust. „Und warum habt ihr euch getrennt?" Meine Stimme war kühl, aber ich konnte das Flackern der Verwirrung und des Misstrauens in mir nicht verbergen.

Nash seufzte und sah kurz zu Boden, bevor er mich wieder ansah. „Weil sie nicht ganz klar im Kopf ist. Das hast du ja selbst gemerkt."

Seine Antwort ließ mich für einen Moment schweigen. Die Jennifer, die ich gerade getroffen hatte, schien tatsächlich alles andere als stabil zu sein. Aber das änderte nichts an dem seltsamen Gefühl, das sich in mir ausbreitete.

Ich suchte in seinem Gesicht nach einer Lüge, nach einem Zeichen, dass er mir nicht die ganze Wahrheit sagte. Doch seine Augen waren klar, aufrichtig. Oder war das einfach nur, was ich sehen wollte?

„Leyla, glaub mir bitte", sagte er und machte einen Schritt auf mich zu.

Ich nickte langsam. „Okay."

Er atmete erleichtert aus. „Gut. Lass uns jetzt los. Meine Oma wartet schon."

Nash nahm meine Hand und führte mich zu seinem Auto. Die Fahrt verlief still. Ich starrte aus dem Fenster, doch meine Gedanken wanderten immer wieder zu Grayson. Sein Bild verfolgte mich, ob ich wollte oder nicht. Warum? Warum tauchte er überall auf?

Wir hielten vor einem großen, gepflegten Haus. Nash stieg aus und kam zu meiner Seite, um mir die Tür zu öffnen. Er lächelte, aber ich konnte die Anspannung in seinem Gesicht erkennen.

„Bereit?" fragte er leise.

Ich nickte, auch wenn ich mich alles andere als bereit fühlte.

Er führte mich zur Haustür, und als sie sich öffnete, wurde er von einer älteren Dame mit einem breiten Lächeln begrüßt.

„Nash, mein Junge! Schön, dich zu sehen. Du bist so groß geworden!" Ihre Stimme war warm und herzlich – zumindest für die ersten Sekunden.

„Hallo, Oma. Ich möchte dir jemanden vorstellen", sagte Nash und trat zur Seite, sodass ich in ihr Blickfeld rückte.

Ihr Lächeln verschwand augenblicklich. Ihre Augen verengten sich, und sie musterte mich von oben bis unten.

„Wer ist das?" fragte sie mit einer scharfen Stimme.

„Das ist Leyla", begann Nash, bevor sie ihn unterbrach.

„Deine Freundin?" Sie spuckte das Wort fast aus, als sei es giftig.

„Ja", sagte Nash mit fester Stimme.

„Deine was?" Sie schüttelte den Kopf und machte einen Schritt zurück. „Nein, Nash! Sie – niemals! Sie soll sofort mit diesem Kopftuch verschwinden! Sofort! Wie kannst du nur so jemanden deine Freundin nennen? Was ist mit Jennifer oder Suzy? Das waren tolle Mädchen. Aber SIE? Niemals!"

Ihre Worte trafen mich wie ein Schlag ins Gesicht. Mein Mund öffnete sich, doch kein Wort kam heraus. Ich spürte, wie meine Augen sich mit Tränen füllten, und ohne auch nur einen weiteren Moment zu zögern, drehte ich mich um und rannte.

Ich lief durch die Straßen, ohne ein Ziel, ohne einen Gedanken. Tränen liefen über mein Gesicht, während ich die Worte von Nashs Oma immer wieder in meinem Kopf hörte. Ich wollte stark sein, wollte mich nicht davon brechen lassen, aber es fühlte sich an, als würde die Welt gegen mich arbeiten.

Ein Teil von mir schrie nach Grayson, wollte bei ihm sein, obwohl ich wusste, dass auch er mich verletzt hatte. Aber in diesem Moment wusste ich nur eines: Ich konnte nicht mehr alleine kämpfen.

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