F i f t y - t h r e e
Kapitel: Der längste Weg
Graysons POV
Ich sitze hinter dem Steuer, die Hände fest um das Lenkrad geklammert, während sie neben mir sitzt, still und zerbrochen. Sie hat sich abgewandt, ihr Blick ist aus dem Fenster gerichtet, als könnte sie in der Dunkelheit draußen die Antworten auf all ihre Fragen finden. Ihr Gesicht ist starr, aber ihre Augen sind rot und geschwollen vom Weinen. Jede Träne, die sie zu verbergen versucht, schneidet tiefer in mein Herz.
Sie ist in sich zusammengesunken, ihre Schultern hängen schlaff, als würde sie das Gewicht der Welt tragen. Es fühlt sich an, als würde ich die Luft um uns herum ersticken – so schwer ist die Stille. Ich will etwas sagen, irgendetwas, um diese Distanz zu überwinden, aber die Worte bleiben mir im Hals stecken. Alles, was ich sagen könnte, würde sie nur noch mehr verletzen.
Die Worte „Es tut mir leid" sind nicht groß genug für das, was ich angerichtet habe.
1 Stunde später
Die Autobahn liegt vor uns wie ein endloses Band, nur unterbrochen von den gelegentlichen Lichtern vorbeiziehender Autos. Sie hat immer noch kein einziges Wort gesagt. Ich habe das Radio eingeschaltet, um die Stille zu füllen, aber die Musik ist nur ein dumpfes Hintergrundrauschen. Sie reagiert nicht, nicht einmal ein Zucken ihrer Finger.
Ich lege vorsichtig eine Hand auf ihre. Ihr Körper spannt sich an, und langsam zieht sie ihre Hand weg, als würde meine Berührung sie verbrennen.
„Bitte... tu das nicht," flüstere ich. Meine Stimme bricht, und ich muss tief Luft holen, um nicht völlig die Kontrolle zu verlieren.
Doch sie ignoriert mich, zieht ihre Beine an und lehnt ihren Kopf gegen das Fenster.
„Es tut mir leid," flüstere ich wieder, diesmal mehr zu mir selbst als zu ihr.
Ich habe sie enttäuscht, auf die schlimmste Art.
3 Stunden später
Die Dunkelheit draußen ist allumfassend, nur die Scheinwerfer meines Autos erhellen die Straße vor uns. Ihre Atmung ist ruhig geworden, und als ich einen kurzen Blick zu ihr werfe, sehe ich, dass sie eingeschlafen ist. Ihre Augen sind geschlossen, aber ihre Stirn ist leicht gerunzelt, als ob sie selbst im Schlaf von Albträumen verfolgt wird.
Meine Augen wandern zu ihrem Hals, wo sich die roten Abdrücke seiner Hände abzeichnen. Die Narben an ihren Handgelenken sind tiefe, dunkle Linien, die mir nicht aus dem Kopf gehen. Ich sehe sie immer wieder, auch wenn ich versuche wegzusehen.
Das Bild von Stefan, wie er sie berührt hat, brennt in meinem Kopf. Mein Griff um das Lenkrad wird fester, und ich spüre, wie meine Knöchel weiß werden. Es war nicht genug, was ich mit ihm gemacht habe. Nicht genug.
Ich hole meine Jacke von der Rückbank und lege sie vorsichtig über ihre Schultern. Sie rührt sich nicht, aber ihr Gesicht entspannt sich ein wenig.
„Ich liebe dich, Sweety," flüstere ich, obwohl ich weiß, dass sie mich nicht hören kann.
6 Stunden später
Die Sonne beginnt langsam, den Horizont zu färben, doch die Müdigkeit hat mich noch nicht eingeholt. Mein Körper funktioniert nur noch auf Adrenalin und dem Bedürfnis, sie sicher nach Hause zu bringen.
Sie murmelt etwas im Schlaf, und ich schaue kurz zu ihr. Ihre Hände greifen unbewusst nach etwas, als würde sie gegen die Schatten ihrer Albträume kämpfen.
„Ich bin hier," sage ich leise, auch wenn ich weiß, dass sie es nicht hören kann. „Ich lass dich nie wieder allein."
10 Stunden später
Der Tag ist angebrochen, aber die Stille zwischen uns bleibt. Sie ist wach, doch sie sagt nichts. Ihre Augen sind auf die vorbeiziehende Landschaft gerichtet, aber ich weiß, dass sie sie nicht wirklich sieht. Sie wischt sich hin und wieder eine Träne aus dem Gesicht, schnell, fast so, als wolle sie vermeiden, dass ich es bemerke.
Ich halte an einer Tankstelle. Wir haben seit Stunden nichts gegessen, und mein Magen knurrt leise.
„Ich hole uns was zu essen," sage ich und warte einen Moment, ob sie etwas sagt. Doch sie bleibt stumm, ihr Blick auf die Tankstellenbeleuchtung gerichtet.
Drinnen kaufe ich zwei belegte Brötchen und zwei Flaschen Wasser. Als ich zurückkomme, sitzt sie auf dem Kofferraum, ihre Beine im Schneidersitz.
„Leyla," sage ich sanft, halte ihr das Essen hin. „Bitte, iss etwas."
Sie sieht mich an, ihre Augen rot und geschwollen. Tränen laufen über ihre Wangen, und mein Herz zieht sich zusammen.
„Was, Grayson?" Ihre Stimme ist voller Schmerz und Wut. „Erwartest du, dass ich das alles einfach vergesse? Dass ich wieder lache? Dass ich so tue, als wäre nichts passiert?"
„Ich will nur—"
„Lass mich einfach in Ruhe!" schreit sie, springt vom Kofferraum und steigt wieder ins Auto.
Ich bleibe einen Moment stehen, starre auf den Boden und frage mich, wie ich sie je wieder glücklich machen kann. Wie ich jemals ihre Tränen trocknen kann.
15 Stunden später
Die Sonne steht hoch am Himmel, als wir endlich die vertrauten Straßen ihrer Heimatstadt erreichen. Ich habe nichts gesagt, sie auch nicht. Die Stille ist schwer, unerträglich.
Ich halte vor ihrem Haus an, aber sie macht keine Anstalten, auszusteigen. Minuten verstreichen, bevor sie tief Luft holt und die Tür öffnet.
Ich folge ihr, hole ihre Sachen aus dem Kofferraum. Sie zieht sich eine Weste über, um ihre Wunden zu verbergen, und wäscht sich mit einer Flasche Wasser das Gesicht.
Als sie an die Haustür klopft, wird sie sofort geöffnet. Ihre Mutter sieht sie, und die Überraschung und Freude in ihrem Gesicht verwandelt sich schnell in Sorge. Sie zieht Leyla in eine feste Umarmung, stellt keine Fragen, trägt einfach ihre Sachen ins Haus.
Leyla bleibt in der Tür stehen und sieht mich an. Ihre Augen sind voller unausgesprochener Worte, voller Schmerz. Dann schlägt sie die Tür zu.
Ich bleibe auf der Veranda stehen, unfähig, mich zu bewegen. Meine Hände sind zu Fäusten geballt, meine Atmung schwer.
Ich habe sie nach Hause gebracht, aber ich habe sie verloren.
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