F i f t y - s i x

Kapitel: Ein letzter Wunsch

Leylas POV

Am nächsten Tag

Ich weiß nicht, wie ich mit dieser ganzen Situation klarkommen soll. Es ist, als würde ein dunkler Schatten über mir schweben, der mich niemals verlässt. Jede Sekunde meines Lebens fühlt sich an, als wäre ich gefangen in einer Endlosschleife von Schmerz, Angst und Trauer. Selbst in meinen Träumen finde ich keine Zuflucht – diese Albträume verfolgen mich und reißen mich immer wieder in diese grausame Realität zurück.

Ich bin so müde. So erschöpft. Mein Herz fühlt sich schwer an, meine Gedanken wirbeln chaotisch durcheinander. Ich schaffe das nicht mehr. Nicht alleine.

Ja... ich brauche ihn. Sehr sogar. Seine Nähe, seine Wärme – all das, was mir das Gefühl gibt, nicht alleine zu sein. Aber wie kann ich ihm das zeigen? Ich bin doch so wütend auf ihn!

Die Wut kocht jedes Mal hoch, wenn ich an alles denke, was er getan hat. Die Lügen, die Geheimnisse, die Entscheidungen, die mich in diese Situation gebracht haben. Wie kann ich das jemals vergessen? Wie kann ich ihm jemals wieder vertrauen?

Ich stehe in seinem Zimmer. Der Raum riecht nach ihm – ein vertrauter Duft, der mich an frühere Zeiten erinnert. Zeiten, in denen alles einfacher war. Wo wir gelacht haben, wo er mein Vertrauter war.

Doch diese Zeiten fühlen sich jetzt an wie ein ferner Traum.

Er ist nicht hier. Wahrscheinlich ist er noch mit Ethan unterwegs. Meine Eltern und seine sitzen unten, und Lisa hat mich gebeten, in sein Zimmer zu gehen. Eigentlich wollte ich das nicht. Aber hier bin ich.

Ich lasse meinen Blick durch den Raum schweifen. Alles hier schreit nach seiner Persönlichkeit – ordentlich, strukturiert, aber mit einem Hauch von Chaos, das typisch für ihn ist. Meine Augen bleiben an seinem Bücherregal hängen.

Neugierig gehe ich näher heran, lasse meine Finger über die Bücher gleiten, bis mein Blick auf ein ganz bestimmtes Buch fällt. Es ist dick, und viele Zettel ragen heraus.

Ich zögere kurz. Doch meine Neugier siegt.

Langsam ziehe ich das Buch aus dem Regal, halte es in meinen Händen. Ich öffne es, und sofort fallen die Zettel wie Herbstblätter zu Boden.

Erschrocken knie ich mich hin und beginne, die Zettel aufzuheben. Doch als ich die Worte lese, die auf den Zetteln stehen, bleibt mein Atem stehen.

„Leyla, du bist mein Leben!"

Meine Hände zittern. Ich hebe einen weiteren Zettel auf.

„Ich kann nicht ohne dich leben, Leyla!"

Einen weiteren.

„Leyla, mein Ein und Alles!"

Auf jedem Zettel steht etwas anderes, aber alle sind an mich gerichtet. Worte voller Liebe, voller Verzweiflung, voller Hingabe.

„Leyla, du bist das Wertvollste auf dieser Welt für mich!"

Ich kann nicht anders. Die Tränen schießen mir in die Augen und laufen heiß über meine Wangen.

„Ich bin so froh, dich zu kennen, Leyla."

Ein Schluchzen entweicht meinen Lippen.

„Was soll ich bloß ohne dich tun, Sweety?"

Grayson...

Ich hebe den letzten Zettel auf.

„Versprich mir, dass du nur für mich lebst. Dass du nur mir gehörst."

Meine Finger umklammern den Zettel fester. Mein Herz rast, meine Gedanken überschlagen sich.

Ich bin wütend auf ihn. So sehr. Wie konnte er mich anlügen? Wie konnte er mir nicht die Wahrheit sagen? Wie konnte er die gleichen Fehler immer und immer wieder machen?

Alles nur wegen dieses Shawn!

Ich höre ein Auto in die Einfahrt fahren. Schnell wische ich mir die Tränen aus dem Gesicht, stecke die Zettel zurück in das Buch und schiebe es in meine Tasche.

Ich gehe ans Fenster und schaue hinaus. Es sind Ethan, Grayson und... Shawn.

Die Wut kocht in mir hoch. Ohne nachzudenken, verlasse ich sein Zimmer und gehe die Treppe hinunter. Mein Herz schlägt schneller, als ich ihre Stimmen höre.

Grayson sieht mich zuerst.

„Leyla?" Seine Stimme klingt überrascht, aber auch vorsichtig.

Ich werfe ihm einen wütenden Blick zu, ohne etwas zu sagen.

Seine Augen suchen meinen Blick, aber ich weiche ihm aus. Stattdessen sehe ich, dass unsere Eltern und Ethan ebenfalls verwundert zu mir schauen. Shawn steht etwas abseits, mustert mich kurz, bevor er seinen Blick senkt.

Mein Vater tritt näher zu mir. „Schatz, alles okay mit dir?"

Ich zwinge mich zu einem neutralen Gesichtsausdruck und nicke. „Ja, Dad. Was soll schon sein?"

Er mustert mich einen Moment länger. „Keine Ahnung, du bist kopfschüttelnd runtergelaufen und hast dabei etwas vor dich hin gemurmelt."

Mein Herz klopft schneller. Hatte ich meine Wut laut ausgesprochen?

„Ach so... nein, nein, es ist alles okay." Ich lächle schwach, hoffe, dass es überzeugend genug ist.

Mein Vater scheint beruhigt. „Dann ist ja gut."

Lisa meldet sich zu Wort. „Wir und deine Eltern wollten zusammen essen gehen. Einfach mal raus, ein bisschen abschalten."

Ethan schaut neugierig zu seiner Mutter. „Wann werdet ihr wieder da sein, Mom?"

Lisa zuckt mit den Schultern. „Keine Ahnung, Schatz. Aber es wird wahrscheinlich spät." Sie lächelt und sieht Grayson und mich an. „Habt Spaß, bis wir wieder da sind."

Mein Vater kommt auf mich zu, hält mir die Hausschlüssel hin. „Hier, Schatz. Geh nach Hause und entspann dich."

Ich nehme die Schlüssel, nicke dankbar. Vielleicht ist es besser, einfach wegzugehen. Abstand zu gewinnen.

Unsere Eltern verabschieden sich, steigen in ihre Autos und fahren los. Ich mache mich auf den Weg zu meinem Haus, das direkt nebenan liegt. Doch bevor ich die wenigen Schritte zurücklegen kann, spüre ich, wie jemand meine Hand greift.

Ich bleibe abrupt stehen und drehe mich um. Es ist Grayson. Seine Finger lösen sich schnell von meiner Hand, als hätte er Angst, mich zu verschrecken.

„Bitte warte", sagt er leise, fast flehend.

Meine Augen verengen sich, und ich ziehe meine Hand zurück. „Auf was warten, Grayson? Ich will nach Hause."

Er sieht mich an, seine Stirn liegt in Falten. „Ich möchte, dass du verstehst, warum ich ihm geholfen habe." Er zeigt mit einer kurzen Bewegung auf Shawn.

Meine Wut flammt wieder auf. „Sonst noch Extra-Wünsche?" Meine Stimme ist scharf, fast spöttisch, aber ich kann nicht anders.

Ein winziges Lächeln huscht über sein Gesicht. „Nein, Sweety." Das Lächeln verschwindet, und seine Stimme wird ernst. „Ich weiß, dass viel passiert ist. Ich weiß, dass es nichts Kleines war. Ich wollte nie, nie, niemals, dass so etwas passiert."

„Ja, mag sein", sage ich kalt. „Aber es ist passiert."

„Und du weißt nicht, wie sehr es mir leid tut." Seine Stimme bricht leicht, als er weiterspricht. „Ich quäle mich jeden Tag damit. Ich denke immer an dich und weiß nicht, wie ich mich bei dir entschuldigen soll. Ich möchte wieder Zeit mit dir verbringen. Ich möchte wieder mit dir lachen. Mit dir albern. Einfach... alles wieder gut machen."

Ich sehe weg, starre auf den Boden, um den Schmerz in seinen Augen nicht zu sehen. „Grayson, bitte hör auf", flüstere ich.

Ich drehe mich um und will gehen, doch er greift vorsichtig nach meinem Arm, hält mich sanft fest.

„Leyla, bitte! Nur fünf Minuten!" Seine Stimme ist leise, aber eindringlich.

Ich bleibe stehen, lasse meinen Arm locker. Schließlich nicke ich widerwillig. „Fünf Minuten. Nicht mehr."

Ich sehe, wie Erleichterung durch seine Augen flackert. Er wirft Shawn einen Blick zu, der ihn versteht und langsam auf mich zukommt.

Doch ich mache einen Schritt zurück, meine Augen auf Shawn fixiert.

„Das ist nah genug", sage ich streng. „Jetzt sagt schon, was ihr zu sagen habt. Ich will endlich nach Hause."

Shawn nickt und bleibt an Ort und Stelle. Er sieht mich an, sein Blick ernst und schwer.

„Leyla... ich erzähle dir jetzt, warum ich das alles getan habe und warum ich Graysons Hilfe brauchte. Es fing alles vor zwei Jahren an..."

Seine Stimme ist ruhig, aber voller Emotionen. Er erzählt mir seine Geschichte. Eine Geschichte voller Schmerz, Verlust und Verzweiflung. Eine Geschichte, die ihn zu dem Mann gemacht hat, der er jetzt ist.

Während er spricht, spüre ich, wie meine Fassade zu bröckeln beginnt. Seine Worte treffen mich, seine Verletzlichkeit schleicht sich in mein Herz. Tränen steigen in meine Augen, und ich wische sie schnell weg.

Er beendet seine Geschichte mit einem tiefen Atemzug. „Jetzt weißt du, warum Grayson mir geholfen hat. Ich habe seine Hilfe gebraucht. Leyla, Grayson wollte dich niemals in Gefahr bringen. Im Gegenteil. Er wollte dich beschützen. Aber niemand von uns hätte ahnen können, dass sie uns beobachten."

Seine Stimme wird weicher. „Ich möchte mich bei dir entschuldigen. Für alles, was passiert ist. Es tut mir so leid. Ich hoffe, dass du Grayson verzeihen kannst."

Ich stehe still, die Worte schwirren in meinem Kopf. Shawn legt vorsichtig eine Hand auf meine Schulter.

„Glaub mir, ab jetzt wird Grayson nie wieder etwas für jemanden tun – außer für dich."

Seine Worte treffen mich tief. Ich blicke auf, sehe ihn an und nicke leicht.

„Shawn... das, was dir passiert ist, tut mir vom ganzen Herzen leid", sage ich schließlich.

Ein kleines Lächeln zieht über sein Gesicht. „Danke, Leyla."

Ich lege kurz meine Hand auf seine Schulter, ein Zeichen von Mitgefühl. Doch dann wandern meine Augen zu Grayson.

Ich gehe auf ihn zu, bleibe vor ihm stehen. Unsere Blicke treffen sich.

Für einen Moment herrscht Stille.

Dann gehe ich wortlos an ihm vorbei, lasse ihn und Shawn hinter mir.

Ich laufe schnell ins Haus und schließe die Tür hinter mir. Mein Herz rast, meine Gedanken überschlagen sich. Ich will nichts mehr hören, nichts mehr fühlen – einfach nur Ruhe.

Ich lehne mich gegen die Tür und atme schwer. Die Worte, die Shawn gesagt hat, hallen immer noch in meinem Kopf wider. Seine Geschichte war... unglaublich. Schmerzhaft. Er hat mir so viel erzählt, dass ich es nicht verarbeiten kann. Jede Einzelheit hat mich erschüttert, und obwohl ich ihn jetzt besser verstehe, weiß ich nicht, wie ich mit all dem umgehen soll.

Ich gehe ins Wohnzimmer und lasse mich auf die Couch fallen. Meine Finger spielen nervös mit den Ecken eines Kissens, während ich starre. Meine Gefühle sind ein einziges Chaos – Wut, Trauer, Verwirrung, vielleicht sogar Verständnis.

Und Grayson... Er stand dort, so ruhig und geduldig. Seine Augen haben so viel gesagt, mehr als seine Worte. Er hat mich mit diesem Blick angesehen, der mich einerseits weich macht und andererseits noch wütender. Wie kann er so sehr bereuen und trotzdem immer wieder in dieselben Probleme geraten? Warum bringt er mich immer wieder in diese Situationen?

Ich vergrabe mein Gesicht in meinen Händen und stöhne leise. Ich liebe ihn, das weiß ich jetzt sicher. Aber es tut weh, ihn zu lieben. Zu wissen, dass er es gut meint, aber trotzdem Fehler macht. Zu wissen, dass er alles für mich tun würde, aber manchmal nicht versteht, wie sehr er mich verletzt.

„Leyla, du musst dich zusammenreißen", murmele ich zu mir selbst. Doch es hilft nicht.

Plötzlich höre ich ein leises Klopfen an der Tür. Mein Kopf fährt hoch, und ich starre in die Richtung des Geräuschs. Mein Herz schlägt schneller.

„Leyla?" Es ist Graysons Stimme. Ruhig, leise – fast flehend.

Ich stehe auf, laufe zur Tür und bleibe davor stehen. Meine Hand liegt auf der Klinke, aber ich zögere. Soll ich ihn reinlassen? Soll ich ihn einfach ignorieren?

„Bitte", sagt er. „Nur eine Minute, Leyla."

Ich schließe die Augen und nehme einen tiefen Atemzug. Dann öffne ich die Tür. Dort steht er, mit hängenden Schultern und traurigen Augen. Er sieht erschöpft aus, als hätte er seit Tagen nicht geschlafen.

„Was willst du, Grayson?" frage ich und verschränke die Arme vor der Brust.

Er schaut mich an, sein Blick voller Reue. „Ich wollte nur sicherstellen, dass es dir gut geht."

„Mir geht es gut", sage ich scharf. Aber es ist eine Lüge, und ich glaube, er weiß das.

„Leyla..." Er macht einen Schritt auf mich zu, doch ich weiche zurück. „Bitte hör mir zu."

„Ich habe genug gehört, Grayson." Meine Stimme zittert. „Du bist immer noch mit Shawn unterwegs. Du bringst dich in Gefahr, und du ziehst mich da mit rein. Ich kann das nicht mehr."

„Ich werde nichts mehr tun, was dich verletzt. Ich verspreche es", sagt er schnell. „Ich weiß, dass ich Fehler gemacht habe, aber ich werde alles tun, um das wiedergutzumachen."

Seine Worte klingen ehrlich, und für einen Moment will ich ihm glauben. Doch der Schmerz und die Angst sitzen zu tief.

„Das hast du schon einmal gesagt." Meine Stimme bricht, und ich senke den Blick.

Er streckt die Hand nach mir aus, doch ich schüttle den Kopf und gehe einen Schritt zurück. „Lass mich einfach in Ruhe, Grayson."

Ich drehe mich um und gehe wieder ins Haus. Bevor ich die Tür schließe, höre ich ihn noch einmal flüstern: „Ich liebe dich, Leyla."

Die Tür fällt ins Schloss, und ich lehne mich wieder dagegen. Meine Beine zittern, und ich rutsche langsam zu Boden. Die Tränen kommen, und ich lasse sie einfach fließen.

Nächster Morgen

Ich wache im Wohnzimmer auf, immer noch in derselben Kleidung wie gestern. Mein Kopf schmerzt von all dem Weinen. Müde reibe ich mir die Augen und gehe in die Küche, wo ich meine Mutter hektisch telefonieren sehe.

„Mama?" frage ich, meine Stirn runzelnd. Doch sie reagiert nicht. Sie redet mit meinem Onkel, und ihr Ton ist voller Panik.

„Was ist los?" flüstere ich, doch sie schüttelt nur den Kopf und dreht sich weg.

„Abi, wie geht es ihm jetzt? Wo ist er? Kannst du mir sagen, was passiert ist?" Ihre Stimme zittert.

Mein Herz schlägt schneller. „Mama, was ist los?" frage ich erneut, diesmal lauter.

Sie ignoriert mich weiterhin. „Oh mein Gott... okay, wir kommen sofort."

Als sie auflegt, sehe ich die Tränen in ihren Augen. Sie wendet sich zu mir, ihre Hände zittern.

„Es geht um Opa", sagt sie schließlich.

Mein Magen zieht sich zusammen. „Was ist mit Opa?"

„Er hatte schon wieder einen Schlaganfall. Er ist im Krankenhaus. Wir müssen sofort zu ihm."

Ihre Worte lassen mein Herz stillstehen. Nicht Opa. Nicht er.

„Pack deine Sachen. Dein Onkel hat gesagt, dass Opa dich und Grayson sehen wollte, bevor das passiert ist."

Ich nicke mechanisch, meine Beine fühlen sich schwer an. „Und die Schule?"

„Vergiss die Schule. Ich rufe an und sage, dass du krank bist. Wir fahren jetzt. Beeil dich."

Ich renne in mein Zimmer, Tränen brennen in meinen Augen. Während ich meine Sachen packe, schießt mir ein Gedanke durch den Kopf: Was, wenn ich ihn nie wiedersehe?

Ich werfe wahllos Kleidung in meine Tasche – Hosen, T-Shirts, ein Pullover. Alles fühlt sich wie in Trance an. Meine Gedanken kreisen nur um Opa. Er war immer so stark, so voller Leben. Die Vorstellung, dass er jetzt so schwach ist, zerreißt mich.

Während ich meine Tasche schließe, fällt mein Blick auf Graysons Buch. Es liegt immer noch dort, wo ich es gestern gelesen habe. Meine Finger zittern, als ich es anhebe. Die Zettel, die Grayson geschrieben hat, stecken immer noch darin. Worte, die voller Liebe und Schmerz sind, Worte, die mir zeigen, wie sehr er mich liebt. Und trotzdem... trotzdem weiß ich nicht, ob ich ihm jemals verzeihen kann.

Ich stecke das Buch in meine Tasche. Vielleicht brauche ich es – oder vielleicht will ich es einfach nur bei mir haben.

Graysons POV

„Grayson, wir müssen los!" ruft meine Mutter von unten.

Ich wühle immer noch in meinem Zimmer, suche mein Buch. Es ist einfach verschwunden. Ethan schwört, dass er es nicht angerührt hat, aber ich weiß, dass es nicht von allein verschwinden kann.

„Ethan!" schreie ich, und Sekunden später steht er in der Tür.

„Was ist?" fragt er genervt.

„Wo ist mein Buch?" Meine Stimme ist drängend.

„Ich hab's nicht! Ich hab dir doch gesagt, vielleicht hast du es woanders hingelegt."

„Ethan, ich schwöre, wenn du es genommen hast..." Ich atme schwer. Das Buch ist zu wichtig, um es zu verlieren.

„Ich habe es nicht, Grayson", sagt er und hebt die Hände, bevor er sich umdreht und geht.

Ich werfe noch einen letzten Blick unter das Bett, in den Schrank – aber es ist nicht da. Widerwillig gebe ich auf, nehme meine Tasche und gehe nach unten.

Meine Eltern stehen bereits an der Tür, und draußen sehe ich Leyla und ihre Familie. Sie sieht mich nicht an, meidet jeden Blickkontakt. Mein Herz zieht sich zusammen, aber ich lasse es auf sich beruhen. Ich habe keinen Kopf für einen weiteren Streit.

Wir steigen alle ins Auto – Leyla und ich sitzen ganz hinten. Es herrscht eine unangenehme Stille, die nur von gelegentlichem Husten oder Räuspern unterbrochen wird. Mein Vater fährt, und die Nachrichten laufen leise im Radio.

Leylas POV

Die Fahrt zieht sich. Der Himmel draußen ist grau, und der Regen hat begonnen, leicht auf das Autodach zu prasseln. Ich starre aus dem Fenster, sehe den Tropfen zu, wie sie die Scheibe herunterlaufen.

„Leyla, alles okay?" fragt meine Mutter plötzlich, und ich zucke leicht zusammen.

Ich nicke nur und wende meinen Blick wieder nach draußen. Die Worte von gestern schwirren mir immer noch im Kopf herum. Shawn. Grayson. Und jetzt Opa.

Plötzlich höre ich die Nachrichtenlauter werden, und mein Kopf dreht sich automatisch zum Radio.

„Die Ermittlungen zu den Morden und dem Bankraub in Washington D.C. und Miami schreiten voran. Die Polizei hat eine neue Spur gefunden, die sie zu einem der Verdächtigen führen könnte. Offizielle Details werden jedoch zurückgehalten, um die Ermittlungen nicht zu gefährden."

Mein Atem stockt, und ich sehe aus dem Augenwinkel, wie Grayson nervös wird. Seine Finger trommeln leise auf seinem Oberschenkel, und er schaut starr geradeaus.

Ich sehe ihn an, aber er bemerkt es nicht. Mein Herz zieht sich zusammen, und ich frage mich, was er denkt. Ob er Angst hat? Ob er bereut, was er getan hat?

Unsere Blicke treffen sich für einen Moment, und ich sehe die Sorge in seinen Augen. Er nickt leicht, als wolle er mir sagen, dass alles gut wird. Aber ich weiß, dass nichts gut ist.

Nach Stunden, die sich wie Tage anfühlten, erreichen wir den Bauernhof. Von der Einfahrt aus sehe ich Büsra, die uns mit schnellen Schritten entgegenkommt. Ihr Gesichtsausdruck ist ernst, und ich weiß sofort, dass die Situation nicht besser geworden ist.

Wir steigen aus dem Auto, und Büsra umarmt mich und Grayson fest.

„Wie geht es ihm?" frage ich leise.

„Er ist im Krankenhaus", antwortet sie, ihre Stimme zittert. „Es geht ihm nicht gut. Die Ärzte sagen, dass es sehr ernst ist."

Die Worte treffen mich wie ein Schlag. Ich nicke nur stumm, während wir alle ins Haus gehen. Die Stimmung ist bedrückend, und niemand weiß, was er sagen soll.

Im Wohnzimmer treffen wir Büsras Vater, der uns ebenfalls mit einem traurigen Lächeln begrüßt. „Es geht ihm schlecht", sagt er und setzt sich schwerfällig in einen Sessel. „Die Ärzte geben ihm nicht mehr viel Zeit."

Ich schlucke hart, und meine Augen füllen sich mit Tränen. Grayson legt eine Hand auf meine Schulter, doch ich zucke zusammen und gehe ein Stück von ihm weg.

„Können wir zu ihm?" fragt meine Mutter.

„Ja, aber es wäre gut, wenn nur ein paar von euch gehen. Er ist sehr schwach", sagt Büsras Vater.

„Ich will zu ihm", sage ich sofort. Mein Herz klopft so laut, dass ich glaube, es muss jeder hören können.

„Ich auch", sagt Grayson leise.

Das Krankenhauszimmer ist kalt und steril. Der Geruch von Desinfektionsmittel brennt in meiner Nase, und mein Herz bricht, als ich Opa sehe. Er liegt im Bett, blass und zerbrechlich. Die Maschinen neben ihm piepen leise, und ich habe das Gefühl, als würde jeder Ton lauter in meinem Kopf hallen.

„Opa", flüstere ich, als ich mich neben ihn setze.

Seine Augen öffnen sich langsam, und ein schwaches Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus. „Mein Engel", sagt er, seine Stimme ist heiser und schwach.

Grayson steht am Fußende des Bettes, seine Hände in den Taschen, sein Blick auf den Boden gerichtet. Opa sieht ihn an und hebt eine zitternde Hand.

„Grayson, komm her", sagt er.

Grayson tritt näher, und Opa legt eine Hand auf seine Schulter. „Du bist ein guter Junge", sagt er leise. „Pass auf sie auf."

Ich sehe, wie Grayson schluckt, seine Kiefer mahlen vor Anspannung. Ich spüre die Bedeutung dieser Worte, und mein Herz schmerzt.

„Leyla", sagt Opa und sieht mich an. Seine Augen sind glasig, doch darin liegt eine Wärme, die mich tröstet. „Ich weiß, dass ihr euch liebt. Ich habe es immer gewusst."

Ich öffne den Mund, um etwas zu sagen, doch er hebt die Hand, um mich zu stoppen. „Ich habe einen Wunsch", sagt er leise.

„Opa, bitte sprich nicht so", flehe ich.

Doch er ignoriert mich. „Mein letzter Wunsch ist, euch beide vereint zu sehen. Heiratet. Hier und jetzt."

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