F i f t y - f i v e

Kapitel: Die Schuld, die wir tragen

Graysons POV

„Wir müssen uns unauffällig verhalten," sagt Shawn mit ernster Stimme, während er mit verschränkten Armen vor uns steht. Sein Blick wandert zwischen Ethan und mir hin und her. „Ethan und du werdet weiter zur Schule gehen, so als wäre nichts passiert. Meine Männer und ich werden für eine Zeit untertauchen. Die Polizei wird nach einer Weile locker lassen."

Ethan atmet schwer, seine Schultern sind gesenkt, als trüge er die ganze Welt auf ihnen. „Und... was, wenn sie nicht locker lässt?" fragt er leise.

Ich schlucke. Die Wahrheit liegt schwer auf meiner Zunge. Doch ich muss es aussprechen – für ihn, für mich, für alle. „Tja," sage ich schließlich, meine Stimme ist rau, „dann gehe ich in den Knast, Ethan."

Die Worte hallen in der Stille nach. Shawn kneift die Augen zusammen und massiert sich die Schläfen. Er war schon wütend, als wir ihm von der verlorenen Maske erzählt haben, aber jetzt wirkt er erschöpft.

Ethan bricht schließlich das Schweigen, seine Stimme brüchig. „Gray... es tut mir so leid. Ich schwöre, wenn die Polizei herausfindet, dass du es warst, werde ich mich sofort stellen. Ich werde sagen, dass es meine Schuld war."

Seine Worte treffen mich härter als jede Faust. Ich drehe mich zu ihm um, packe ihn fest an den Schultern und sehe ihm tief in die Augen. „Ganz sicher nicht, mein Lieber. Diese Idee schlägst du dir sofort aus dem Kopf. Hast du mich verstanden?"

Ethan schaut weg, seine Augen glitzern vor Tränen. Ich weiß, was er denkt. Er will sich opfern, um mich zu retten. Aber das werde ich nicht zulassen.

„Falls sie mich finden und festnehmen," sage ich langsam, betone jedes Wort, „dann bleibt das so. Sie sollen es tun. Aber du, Ethan, wirst dich da raushalten. Du wirst nichts sagen, nichts tun. Du wirst dich um unsere Eltern kümmern. Um Cameron. Und... um Leyla."

Bei ihrem Namen spüre ich, wie mein Herz sich zusammenzieht. Der Gedanke, sie noch mehr zu enttäuschen, lässt mich fast zusammenbrechen.

„Hast du mich verstanden?" frage ich erneut, diesmal schärfer.

„Aber..." beginnt Ethan, doch ich hebe eine Hand, um ihn zu unterbrechen.

„Nein! Es gibt kein ‚Aber', Ethan. Du wirst nichts tun. Du wirst so tun, als wüsstest du von gar nichts. Wenn ich weg bin, dann bist du derjenige, der auf alle aufpasst. Vor allem auf Leyla. Sie braucht jemanden, der für sie da ist. Hast du das verstanden?"

Ethan starrt auf den Boden, seine Hände ballen sich zu Fäusten. Dann nickt er langsam, seine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern. „Okay..."

Ich sehe, wie er sich mit einer Hand über den Hinterkopf fährt, während er mit der anderen eine Träne wegwischt. Es zerreißt mich, ihn so zu sehen. Er macht sich selbst für alles verantwortlich.

Ich gehe zu ihm und lege meine Arme um ihn. Er erstarrt für einen Moment, bevor er die Umarmung erwidert. Sein Körper zittert leicht, und ich spüre, wie seine Schuldgefühle ihn überwältigen.

„Es tut mir so leid, Bro," flüstert er, seine Stimme bricht. „Das ist alles meine Schuld."

Ich schüttle den Kopf, halte ihn fest. „Nein, Ethan. Es ist nicht deine Schuld. Es ist nicht deine Schuld..."

Aber die Wahrheit ist: Die Schuld betrifft niemanden. Sie gehört allein mir.

Ich löse mich von ihm und sehe zu Shawn, der uns die ganze Zeit schweigend beobachtet hat. Sein Blick ist ruhig, fast durchdringend, als könnte er meine Gedanken lesen. Natürlich hat er jedes Wort gehört.

Shawn seufzt und lehnt sich gegen den Tisch. „Hört zu," sagt er schließlich, seine Stimme ist leiser, aber immer noch fest. „Ich werde alles tun, um die Polizei von euch fernzuhalten. Aber ihr müsst mir versprechen, dass ihr euch zurückhaltet. Keine Dummheiten. Keine weiteren Risiken."

Ich nicke langsam, während Ethan nur stumm auf den Boden starrt.

Shawn macht einen Schritt auf mich zu und legt eine Hand auf meine Schulter. „Grayson," sagt er ernst, „es tut mir leid, dass es so weit gekommen ist. Aber wir müssen stark bleiben. Für die anderen."

Ich nicke wieder, doch mein Inneres fühlt sich hohl an.

Später, als Ethan und ich das Gebäude verlassen, spüre ich, wie die kalte Luft mich trifft. Es fühlt sich an, als könnte ich endlich wieder atmen, doch die Last auf meinen Schultern bleibt.

Ethan läuft neben mir, schweigend. Ich weiß, dass er kämpfen will – kämpfen, um mich zu schützen, um die Schuld auf sich zu nehmen. Aber ich werde es nicht zulassen.

„Gray?" sagt er plötzlich, seine Stimme ist leise, zögernd.

„Ja?"

„Was, wenn sie Leyla befragen?"

Mein Herz setzt einen Schlag aus. Der Gedanke, dass sie Leyla in diese ganze Sache hineinziehen könnten, ist unerträglich.

„Das werden sie nicht," sage ich schnell, mehr zu mir selbst als zu ihm. „Und wenn doch... dann werde ich alles auf mich nehmen. Sie wird damit nichts zu tun haben."

Ethan nickt, doch ich sehe die Angst in seinen Augen.

Ich wünschte, ich könnte ihm die Sicherheit geben, die er braucht. Doch die Wahrheit ist, dass ich selbst nicht weiß, was als Nächstes passiert.

Die Schuld liegt bei mir. Und ich werde den Preis zahlen.

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