4. "Klappe, Kleiner."

       

„W-Warum küsst du mich dann nicht endlich?" Meine Stimme ist immer noch brüchig. Finns Daumen hört auf, sich zu bewegen und er kommt noch näher. Wieder spüre ich seinen schweren Atem auf meinen Lippen, seine Stirn auf meiner. Doch anders als gestern brechen wir nicht ab. Unsere Tränen tropfen weiter von unseren Kinnen. Dann berühren sich unsere Lippen. Die Ränder seiner Brille drücken sich in meine Wangen. Immer stärker drücken Finns warme Lippen sich auf meine. Seine rechte Hand wandert ebenfalls zu meiner Wange, während ich meine Hände ich meine Hände hinter seinem Rücken verschränke. Nach kurzer Zeit lösen wir uns.

So weit sind wir noch nie gekommen. „I-Ich..." Meine Stimme ist immer noch brüchig und meine Tränen versiegen. „Schon gut. Ich muss jetzt gehen." Finn nimmt seine Hände von meinen Wangen, die nun feuerrot aufleuchten. Dann geht er langsam zur Tür, öffnet sie und winkt kurz, bevor die Tür wieder ins Schloss fällt. Ein letztes Mal schwenkt die Kamera auf mein Gesicht. Ich wische mir die restlichen Tränen aus dem Gesicht und lächele schwach. „Cut!", ruft der Regisseur. „Gut, gut, sehr gut! Wir brauchen keine weiteren Takes! Zehn Minuten Pause!" Er steht auf und geht raus. Finn kommt wieder ins Set. Er hat seine Brille abgenommen. Er kommt auf mich zu und umarmt mich kurz. „Das war sehr gut!" Er gibt mir ein High Five. Ich lache. „Danke, Senor!" Wir lachen und machen uns auf den Weg zum Pausenraum, wo der Rest der Crew auf uns wartet. „Hey, da ist ja das glückliche Paar!", ruft Wyatt. Wir alle müssen lachen, dennoch zeige ich ihm liebevoll meinen Mittelfinger. Ich setze mich an den langen Tisch und greife einen Donut von dem Teller, der in der Mitte steht. Genüsslich beiße ich ab. „Und? Wie war's?", fragt Jack neugierig. Ich rolle mit den Augen. „Jack, es war einfach ein Kuss, Mensch! Hast du doch auch schon hinter dir!" „Aber nicht vor zwanzig Menschen und vor laufender Kamera!" Jack hebt eine Schulter. „Also?" „Ja, war schon komisch, dass einem so viele Leute genauestens zugucken. Aber ja, es war halt einfach nur ein Kuss, nichts Besonderes." Am anderen Ende des Tisches lacht Jaeden laut auf. „Ja genau." „Was meinst du?" Er zuckt mit den Schultern. „Man sieht, dass ihr beide geheult habt." Ich beiße noch einmal von meinem Donut ab. „Das nennt man schauspielern, kennst du das, Jaeden?" Er zeigt mir seinen Mittelfinger. „Hab dich auch lieb!", rufe ich. Alle lachen. Dann müssen Jeremy, Finn und Jaeden zur nächsten Szene.

Ich halte den Wagen an und steige aus. Wie immer warte ich kurz, bis die Beifahrertür aufgeht. Tut sie aber nicht. Da fällt mir auf, dass Finn heute nach Drehschluss nach Hause gefahren ist, um Sachen zu packen. Er zieht für den nächsten Monat zu mir, da es näher am Set ist, wie er sagt. Ich schließe mein Auto ab und gehe die Treppen nach oben zu meiner Wohnung. Stumm schließe ich auf, werfe den Schlüssel auf die Kommode und streife meine Schuhe ab. Die Wohnung wirkt irgendwie leer. Ich werfe mich auf die Couch und entsperre mein Handy. Da bekomme ich eine Nachricht.

„Hey hab jetzt alles gepackt mein dad fährt mich gleich zu dir."

„Alright. Bring mal essen mit"

„Was denn?"

„Mcdonalds oder so lass dir was einfallen- heute keine lust zu kochen"

„Hast du nie *lachemoji*"

„*lachemoji* auch wieder wahr, kleiner"

„ich bringe dich um! Bis gleich, bin jetzt im auto. Sind in ner halben stunde da"

„ok"

Finn geht offline. Ich gehe ins Schlafzimmer, zum großen Kleiderschrank. Dort hole ich aus dem untersten Fach meine Ersatz-Bettdecke. Er kann ja nicht immer nur unter der Wolldecke pennen, denke ich, während ich die Decke beziehe. Dann lege ich sie zu meiner auf mein Bett und gehe zurück ins Wohnzimmer. Ich stelle  mich ans Fenster und schaue hinaus. Am Himmel sind ein paar dunkle Wolken, doch die Sonne scheint durch sie hindurch und erhellt Vancouvers Straßen. Unten fahren Autos entlang, auf dem Bürgersteig gehen Menschen, viele mit Handys in der Hand. Sie sehen aus wie Ameisen, denke ich, und schaue zum Horizont, der von der Skyline der Stadt verdeckt wird. Die Wolken färben sich dort schon orange-rot, die tiefstehende Sonne ist bald hinter den Hochhäusern verschwunden. Eine weitere Nacht im Frühling 2019 würde anbrechen. Eine weitere Nacht weg von Zuhause. Da klingelt es an der Tür. Ich drücke den Türöffner und wenig später steht ein vollbepackter Finn in meinem Flur. Zwischen seinen Zähnen klemmt eine McDonaldstüte, die ich ihm erfreut abnehme. Er lässt seine Tasche auf den Boden fallen und folgt mir in die Küche. Er nimmt zwei Teller heraus und stellt sie nebeneinander auf die Anrichte. „Meinst du, das Essen sieht appetitlicher aus, wenn wir es von Tellern essen?", schmunzle ich und Finn zuckt mit den Schultern. „Vielleicht fühlen wir uns dann nicht ganz so schlecht." „Ja, kann sein."

Wir sitzen auf dem Sofa und essen also Burger und Pommes von Mäckis von Tellern. Außer unseren Essgeräuschen ist nichts in der Wohnung zu hören. Ich breche das Schweigen. „Finn?" Mein bester Freund dreht den Kopf  zu mir. „Hm?" Er hat den Mund voll. Ich muss lächeln. „Finn, ähm... Ich wollte nur was fragen." „Wasch denn?", fragt er und beißt nochmal ab. „Wieso hast du bei der Szene geweint?" Er schluckt runter und wendet sich mir zu. „Ich... musste an deine Geschichte von gestern Abend denken. Das hat mich, um ehrlich zu sein, echt fertig gemacht. Dich so zu sehen. Und dieses Bild hatte ich vor Augen." Er schiebt den letzten Rest seines Burgers in seinen Mund und stellt seinen Teller auf den Sofatisch. Ich esse die letzten paar Pommes von meinem Teller und stelle dieses auf Finns. „Wirklich?" Finn nickt. „Ja. Du bist meine beste Freundin, Mira. Ich hasse es, dich weinen zu sehen. Vor allem wegen so einem Arschloch." Er nippt an seiner Cola.

„Oh." Mehr bringe ich nicht heraus. „Sprachlos, Stanford? Dachtest wohl nicht, dass ich zu solchen Gefühlen fähig wäre, hm?" Er lacht auf. „Quatsch, du Hornochse! Das hättest du wohl gerne!" „Was?" „Dass ich sprachlos bin!" „Ja, wäre zur Abwechslung mal nicht schlecht!", sagt er. Ich schlage gegen seinen Arm. „Ich hasse dich, Finn Wolfhard!" „Tust du nicht. Sonst hättest du mich ja nicht geküsst!", zwinkert er mir zu. „Haha." Ich zeige ihm meinen Mittelfinger. „Schon gut.", sagt er leise und legt einen Arm um mich. „Ach Mira." „Was?" „Ich weiß nicht." Er zuckt mit den Schultern. Dann steht er auf und geht ins Bad. „Bin gleich wieder da!", ruft er. „Ich dachte jetzt, du springst aus dem Badezimmerfenster im siebten Stock, um vor mir zu fliehen!" „Hab auch schon drüber nachgedacht, glaub mir!" „Wenn ich du wäre, hätte ich mich auch schon längst umgebracht!" „Haha, sehr witzig, Stanford!" Die Spülung geht los und kurz darauf der Wasserhahn. Dann öffnet sich die Tür. „Na, hab ich dich doch noch erzogen?", grinse ich. „Ja doch, Mama..." Finn rollt mit den Augen. „Schätzchen, hast du die Seife auch zwischen den Fingern benutzt?", frage ich mit verstellter Stimme. „Hast du die Seife in deinem Gehirn benutzt?", fragt Finn genervt. „Hey, nicht so frech, Rotzlöffel!" „Hör auf, so zu reden, Mira." „Schon gut.", sage ich wieder normal. „Aber du wohnst jetzt nun mal hier, das heißt, ich muss auf dich aufpassen!" Wieder rollt er mit den Augen. „Ich bin alt genug, auf mich selbst aufzupassen..." Er lässt sich auf die Couch fallen.

„Ja okay, schon gut. Tut mir leid." „Passt.", sagt er und nimmt sein Handy aus der Hosentasche. Da klingelt mein Handy, wie auf Kommando. Mein Vater ruft mich per FaceTime an! „Uhh!",rufe ich und nehme an. „Hey, Papa!" „Na, meine Kleine, wie geht's?" „Gut, danke. Und dir?"  „Auch. Wir vermissen dich!" „Ich euch auch, glaub mir." Ich schwenke  auf Finn, der dann unsicher meinem Handy zuwinkt. „Hey, Mr. Stanford!" „Hey, Finn, du auch da?" Mein Vater lächelt. Er mag Finn, sie verstehen sich eigentlich sehr gut. „Er wohnt jetzt bei mir!", grinse ich. „Wirklich?" Finn steckt seinen Kopf wieder ins Bild. „Ja Mr. Stanford, es ist näher am Set und außerdem wohne ich lieber mit ihr zusammen als mit meinen Eltern. Wobei sie sich ab und zu schon wie meine Mum benimmt!", lacht er. „Ich muss halt auf dich aufpassen, Kleiner.", sage ich unschuldig und Finn zeigt mir, so, dass mein Vater es nicht sieht, den Mittelfinger. Ich ziehe die Augenbrauen hoch. „Wie spät ist es bei euch?", fragt mein Vater. Halb Acht Abends.", sage ich. „Mensch, dann hattet ihr erst Feierabend?" „Na ja, vor anderthalb Stunden. Wir hatten McDonalds zum Abendbrot.", lache ich. „Ich sehe schon, du nimmst deinen neuen Job als Babysitter sehr ernst!" „Ein bisschen zu sehr, Mr.!", ruft Finn. „Klappe, Kleiner." „Du sollst mich nicht so nennen!" „Junger Mann, schreist du mich bitte nicht an!", sage ich vorwurfsvoll. Mein Vater kann sich ein Lachen nicht verkneifen. „Ich will eure Beziehungskrise nicht weiter stören... Ich muss zur Arbeit. Hab dich lieb, Süße!" „Ich dich auch!" Ich lege auf. „Beziehungskrise!" Finn hält sich den Bauch vor Lachen. „Dein Dad ist echt super!" „Er hört nicht zu, du musst nicht so schleimen!"

„Oh, ja, genau, weil ich michbei deinem Vater einschleime, damit er mich, deinen zukünftigen Freund mag!"Ich boxe ihn. „Finn!" „Was denn?" „Bevor ich mit dir zusammenkommen würde,bekommt Spongebob seinen Führerschein!" Jetzt muss auch ich lachen. „Der wargut, Mira!", lacht Finn. Dann steht er auf und bringt die leeren Teller in dieKüche. „Danke!", sage ich.

        ,,Wollen wir weiter Fluch der Karibik schauen?" „Gern!"

Finn kommt wieder zu mir und legt sich aufs Sofa, sodass sein Kopf auf meinem Schoß liegt. „Was wird das?" „Du bist ein super Kopfkissen!", grinst Finn und schließt die Augen. Mit der einen Hand schalte ich Netflix an, mit den anderen fahre ich ziellos in Finns Haaren herum. „Weicher als sonst. Hast du deiner Mum den Weichspüler geklaut?" Ich starte den Film. „Nein, du Idiot. Sie sind bloß frisch gewaschen." „Willst du mir sagen, du hast nach den 100 Jahren mal wieder geduscht?", grinse ich. „Haha." Meine Hand zieht seine Locken gerade und lässt sie wieder fallen. „Macht's Spaß?", fragte Finn grinsend. „Um ehrlich zu sein: ja!", lache ich auf und wuschle ihm einmal wild durch die Haare. „Hey!" Seine Hand schnellt hoch und schlägt meine Hand weg. „Lass das!" „Ist deine schöne, nicht existente Frisur jetzt kaputt? Armes Baby!" Ich schlage meine Hände auf meine Wangen. „Das gibt es doch nicht! Die arme Frisur, wie konnte ich das nur tun?" „Ja wirklich, wie?", fragt Finn und dreht seinen Kopf Richtung Fernseher. Ich starre auf den Bildschirm und spiele weiter mit seinen Haaren, diesmal mit beiden Händen. „Wenn schon, dann Kopfmassage!", kommt es von Finn. Ich seufze auf, fange aber dennoch an, seine Kopfhaut zu massieren. Finn sagt nichts mehr, scheint ihm also zu gefallen. Irgendwann höre ich auf. „Ey!", kommt es von Finn. „Was soll das?" „Ich bin dran!" Finn stöhnt auf und setzte sich auf. „Okay...", sagt er gedehnt. Dann klopft er auf seine Beine. Ich öffne meinen Zopf und lege mich, genau wie er gerade, hin und lege meinen Kopf auf seine Beine. Dann fängt Finn an, mit meinen Haaren zu spielen und meine Kopfhaut zu massieren. Ich verstehe jetzt, warum er nicht wollte, dass ich aufhöre. Irgendwann schlafe ich ein.

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