Kapitel 4:
Als ich meine Augen öffne, realisiere ich, was gestern Abend passiert ist. Der Schmerz klafft nicht mehr an mir. Meine Augen führen durch mein Zimmer. Ich starre kurz zur Schublade, in der dieser Stein liegt. Als ich aufstehe und ins Badezimmer tapse, muss ich mein Spiegelbild wahrnehmen: schwarze, zerzauste lange Haare, hellgrüne Augen mit kleinen Tränensacken, ein reines Gesicht und ein falsches Lächeln, das ich mir eigentlich jeden Tag vornehme. Wieso auch? Ich lüge, damit es meiner Mutter bessergeht. Ich entschuldige mich oft bei ihr, weil ich wegmuss. Die Beziehung zu meiner Mutter verschlechtert sich immer mehr und ich weiß nicht, wie ich es ändern soll. Nachdem ich geduscht und meine Zähne gewaschen habe, gehe ich zurück in mein Zimmer und habe mal wieder dieses typische Mädchen Problem, was ich morgens anziehen soll. Ich habe so ein Problem schon lange nicht mehr gehabt und ich habe nie gewusst, dass ich mal wieder in ein normales Leben eintauchen kann, aber ich weiß, das hält nicht lange. Ich weiß mal nicht, wie viel Uhr es ist. Als ich nach langer Zeit auch mal wieder mein Handy benutze, zeigt es mir an, dass es gerade 12:13 Uhr ist. Ich habe überhaupt keinen Hunger. Seltsam. Ich habe als letztes was in Asgard gegessen und das ist nun mehr als achtzehn Stunden her. Als ich die Treppen heruntergehe, ging ich trotzdem ich die Küche und schenke mir wenigstens Wasser ein. Als ich in den Garten schaue, wird mir klar, dass das Wetter einigermaßen beruhigt hat. Zwar ist es immer noch völlig bewölkt und einige graue Wolken sind am Horizont zu sehen, aber die Sonne kann dennoch herunter scheinen. Ich schnappe mir meine dünne Jacke, die ich seit Monaten nicht mehr anhatte, nehme den Hausschlüssel und schreite nach draußen. Ich habe keinen blassen Schimmer, wohin ich gehen will. Ich lasse einfach meinen Gedanken freien Lauf und gehe diesmal eine andere Richtung, als diesen – ich nenne ihn gefährlichen – Weg. Nachdem ich an der Straße entlang die bekannten Häuser gehe, komme ich nach etwas länger Zeit in ein anderes Dorf an, ebenfalls dennoch in Cooperstown, nur andere Straße, andere Häuser und andere Gesichter. Ich frage mich, ob ich gerade einen Spaziergang machen oder ob ich nur Auszeit von mir selbst brauche und etwas Anderes sehen möchte. Als ich an eine Kreuzung komme, wo ich die neue Wahl hatte, nach links abzubiegen, wo eh nur eine Sackgasse ist, gehe ich erstmal normal voran, bleibe aber mitten auf der Straße stehen und drehe meinen Kopf langsam nach rechts um. Ich erkenne Container, die übereinandergestapelt sind. Meine Füße tragen mich dorthin, wobei ich auf eine riesen große Baufläche komme, wo eine sehr alte Fabrik steht, die seit mehr als sieben Jahren geschlossen ist. Plötzlich erblicke ich etwas sehr Seltsames. Ein Lastwagen liegt auf der Seite und nicht, wie wir Menschen es erdacht haben, auf den Reifen. Die Gegend hier hat sich sehr verändert als eine einsame Fabrik, wobei ich nicht mehr weiß, was hier früher nochmal hergestellt worden ist. Mein Gefühl sagt mir, dass hier irgendetwas ist, aber meine Beine und meine Neugier tragen mich immer weiter hinein, bis ich die alte Halle betrete. Als ich langsam vorangehe, zucke ich zusammen, als Vögel von der Seite in einer Schar oben ins Loch des Daches hinausfliegen. Ich erblicke plötzlich Schatten hinter einer blauen Fassade, von mehreren Personen welche wie eine Statue schließlich stehen bleiben. Ich bleibe stehen und halte mein Gesicht zur Fassade gerichtet. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Wer auch immer das ist, es hat mich gesehen. Ich lasse mich nicht im Namen meiner Dummheit abstechen oder vergewaltigen, also gehe ich behutsam vor. Ich halte die Hände hoch, als würde ich gerade verhaftet werden.
„S-schon gut. Ich tue euch nichts."
Es dauert nicht lange, als plötzlich kleine Gestalten sich vor mir hergeben. Einer hinter einer großen Mulltonne, zwei hinter der Fassade. Kinder. Ich atme erleichtert auf. Der Junge hinter der großen Mülltonne hat dunkele Haut. Er trägt eine dünne Jacke. Das Mädchen mit dem anderen Jungen hinter der Fassade stehen wenige Meter vor mir. Von ihrem Aussehen her kann ich feststellen, dass sie indischer Abstammung sind und wahrscheinlich Geschwister sind.
„Bist du eine Polizistin?", fragt sie mich.
„Nein, nein. Ich wohne nur hier in der Gegend."
„Wir haben's grad erst gefunden.", murmelt der Junge hinter dem Mädchen.
„Was gefunden?"
„Etwas Spezielles."
„Könnt ihr es mir zeigen?", frage ich.
Das Mädchen wirft dem Jungen einen Blick nach hinten und ich weiß nicht, was er zu bedeuten hat. Etwas Spezielles hier zu finden ist schon sehr unwahrscheinlich, aber es sind bloß junge Teenager. Gott weiß, was die befunden haben. Sie rennen los und ich stolpere ihnen hinterher. Durch eine andere große Tür kommen wir in eine Halle, wo ein Tanklaster steht. Der dunkelhäutige Junge geht dem Laster näher. Ich weiß nicht, was sie meinen. Doch, als er den Reifen des Lasters packt und ihn hochzieht, fliegt dieser langsam nach oben, als gäbe es keine Schwerkraft mehr. Ich verstehe die Welt plötzlich nicht mehr. Wie kann das nur passieren? Der Laster dreht sich mehrere Male um sich herum und ich war immer noch fasziniert von das, was ich mit meinen Augen sehe.
„Das ist aber nicht normal...", sage ich schließlich.
„Es gibt noch etwas.", sage das Mädchen und zieht mich am Arm mit.
Wir laufen in die Ecke des Raumes in ein Treppenhaus, wobei es über vier Stöcke hochgeht. Der dunkelhäutige Junge geht eine Etage höher und hält eine leere Flasche in der Hand. Das Mädchen und deren Bruder starren zu ihm hoch und geben ihm ein Zeichen. Als der Junge die Flasche im Treppenhaus über uns loslässt, fliegt diese in der Mitte vor mir durch. Ich sehe das Ereignis und starre nach unten. Normalerweise – wie es Mutter Natur errichtet hat – muss die Flasche zu Boden prallen, aber das tut sie nicht. Sie verschwindet einfach mitten in der Luft. Ich schüttele verwirrt den Kopf.
„Wo ist sie hin?"
Das Mädchen zeigt mit den Fingern nach oben. Als ich schnell nach oben sehe, kommt die Flasche mehrere Meter mitten in der Luft, wie aus dem Nichts wieder zum Vorscheinen und fliegt wieder nach unten, wobei sie wieder von oben kommt und wieder nach unten fliegt. Doch dann fängt der Junge sie oben wieder auf.
„Das... Das ist unglaublich.", sage ich und ich weite meine Augen aus.
Ich sehe mich um. Ich will auch etwas runter werfen. Als ich eine alte, benutzte, halb zerdrückte Dose finde, werfe ich diese mal als Test auch nach unten. Erwartet starre ich nach oben. Nichts.
„Was issn' jetzt kaputt?"
„Manchmal kommen die Sachen zurück und manchmal auch nicht.", antwortet das junge Mädchen mir.
Plötzlich hören wir etwas. Ein Grollen, was immer lauter wird. Aus Angst laufen die Kinder die Treppen herunter.
„He, wo läuft ihr hin?", rufe ich ihnen hinterher, doch ich bekomme keine Antwort mehr.
Ich sehe mich um. Das Grollen kommt von dieser Etage irgendwo aus diesem Flur. Ich gehe langsam durch den dunklen Flur. Ein schlauer Mensch würde das lassen, aber nein, Freya muss ja die Welt erkundigen und sich immer in Gefahr bringen. Mein Blick führt mich in einen anderen Flur, da der andere Zuende geht und kein anderer Raum zu sehen ist. Als ich nach rechts umbiege und verzweifelt nach dem Geräusch schaue, bekomme ich Angst. Am Ende des Flures ist es ziemlich dunkel und wenn da jetzt irgendjemand stehen würde, könnte ich ihn nicht entdecken. Plötzlich rascheln die alten Blätter, die von den kaputten Fenstern hier reingeflogen sind. Der Wind kommt von hinten. Ich sehe nach hinten und der Wind weht mir ins Gesicht, aber ich kann das nicht verstehen. Der Raum hinter mir ist total zu, also frage ich mich, woher diese starke Luft kommt, die auch von Sekunde zu Sekunde immer stärker wird. Als ich wieder nach vorne sehe, zieht mich plötzlich ein hoher Luftdruck nach vorne. Sie ist so stark, dass ich mich nicht dagegen wehren kann. Ich kann mal nicht schreien, so verzweifelt bin ich auf meine Fragen, die bestimmt niemand erklären kann. Wie man die Naturgesetze nur so auf den Kopf stellen? Ich schramme mit meinen Füßen auf den Boden, doch ich bekomme sie nicht zum Stehen. Dann geschieht etwas, wie bei meiner Dose, die ich vor wenigen Minuten noch im Treppenhaus geworfen habe: Ich verschwinde, doch ich komme nicht mehr zurück.
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