Kapitel 3:
Je mehr ich durch Asgard gehe, desto mehr vermisse ich jeden Meter, den ich bereits hinter mich habe. Und die Brise und das schöne Wetter und die prachtvollen Gebäude und die Einwohner und einfach alles; ich könnte Millionen von Jahren nicht mehr hier gewesen sein und doch würde es sich wie Heimat anfühlen.
Ich komme dem Palast näher, betrete ihn aber nicht, sondern bewundere ihn von außen und gehe an ihm vorbei weiter nach Asgard hinein, wo sich viele Menschen hinbewegen und mich seltsam anschauen, weil ich immer noch in meiner Kleidung rumlaufe.
Ich werde mich wohl nie daran gewöhnen, dass ich mich nie konform hier in Asgard verhalten habe. Und um ehrlich zu sein vermisse ich es auch nicht meine Kleidung zu tragen, die ich einst bekommen habe, als ich zum ersten Mal nach Asgard kam. Sie ist im Gegensatz zu einer Jeanshose einfach nicht komfortable.
Und dann springt mir eine Statue ins Auge, die noch nicht dort gestanden hat, als ich das letzte Mal hier war. Es kommt mir äußerst seltsam vor, dass gerade diese Statue hier in der Mitte eines prächtigen Gartens steht und der der Mittelpunkt von allem ist. Sie übertrifft einfach alles; es ist eine große Statue aus Bronze von Loki, welche vor einem runden Gebäude steht, zu dessen Treppen hochführen, wo immer mehr Menschen angezogen werden. Die Statue von Loki hat beide Arme ausgestreckt und er trägt seinen Helm mit Hörnern. Die Menschen gehen daran vorbei, als stünde sie schon seit Jahren dort.
„Was zur Hölle ist das?", frage ich leise zu mir selbst.
„Ich habe keinen blassen Schimmer.", antwortet eine Stimme direkt neben mir.
Erschrocken drehe ich mich um und entdecke einen alten Freund wieder.
„Thor!" Ich umarme ihn fest. „Es ist so schön dich zu sehen!"
„Die Freude ist ganz meinerseits, Freya."
Er lächelt mich breit an und streicht mit seiner Hand über meiner Wange. „Du siehst anders aus. Gefällt mir." Dann legt er seine Stirn in Falten. „Wie bist du hierher gekommen?"
„Durch den Bifröst natürlich. Ich dachte ich statte Odin und dir mal einen Besuch ab."
„Das gleiche wollte ich auch tun. Weißt du, ich war seit dem Angriff dieses Roboters auf der Erde nicht mehr hier."
Ich weite meine Augen aus und muss fast husten. „W-was? Seit Ultron? W-wieso?"
„Ich musste Ordnung in den Neun Welten schaffen und habe nebenbei nach den Infinity-Steinen gesucht."
„Und? Irgendwelche gefunden?"
„Nein, aber ich habe den Schädel von Surtur." Er zeigt mir den Schädel heldenhaft, der wie der Teufel persönlich aussieht. Die Menschen aus Asgard schauen ihn verblüfft an.
„Ein deutlicher Sieg, findest du nicht?"
„Ah, ja.", lächele ich, obwohl ich keine Ahnung habe, wer Surtur ist oder besser gesagt, wer er war.
Wir beide schauen im gleichen Zeitpunkt wieder hoch zur Lokis Statue, die immer seltsamer scheint, je länger man hinschaut. Und immer noch versteht niemand von uns, wieso diese Statue dort steht. Es scheint bereits normal für jeden Bewohner hier in Asgard zu sein.
„Wir verpassen noch das Theaterstück!", sagt eine junge Frau und zieht einen Mann mit sich her.
„Theaterstück?", fragt Thor rätselhaft.
Interessiert folgen wir dem Paar und weitere Mengen von Bewohnern die Treppen hoch in den runden Palast, die zu einer Art Dachterrasse führen, wo ich von weitem am anderen Ende eine kleine Bühne entdecke und vor dessen ein großer Platz ist, der leer bleibt, weil man auf einer bestimmten Ebene ein kleines offenes Zelt aufgestellt hat, auf dem ich Odin entdecken kann, der gemütlich auf einer Chaiselongue liegt und Weintrauben isst.
Thor und ich drängeln uns weiter vor und sehen das Theaterstück, das bereits begonnen hat.
„Oh, Freya! Es geht zu Ende! Der Abschied naht!"
Auf der Bühne erblicken wir die Schauspieler; der eine verkörpert deutlich Loki, der sterbend auf dem dunkelgrauen Sandboden liegt, während eine Schauspielerin, die offensichtlich mich spielt, ihn in den Armen hält. Hinter ihnen steht jemand, der Thor verkörpert, aber noch lange nicht so muskulös ist, wie er. Sie haben auch noch Rollen verteilt an Sif, Fandral, Hogun und Volstagg. Und sogar auch an Jane. Das Ganze sieht einfach ziemlich schlecht dargestellt aus.
„Du Narr, du wolltest ja nicht hören!", schreit die Freya theatralisch.
Thor und ich werfen uns gegenseitig verwirrende Blicke zu und drängeln uns weiter vor, bis wir ganz vorne in der ersten Reihe stehen und auf Odin blicken, der vergnügt von hübschen Frauen umgeben ist und Spaß an dem Stück hat.
„Es tut mir so leid!"
Die Schauspieler übertreiben bei der ganzen Sache und ich kann nichts Weiteres tun, als die Augen zu verdrehen und zuzuschauen, wie die restlichen Zuschauern es wirklich gefällt.
Der gespielte Loki legt seine Hand auf die von der gespielten Freya. „Vergib' mir all meine Taten..."
„Alles gut! Alles gut! Halte durch!"
„Es tut mir leid, dass ich versucht habe, über die Erde zu herrschen."
Die Schauspielerin legt nun ebenfalls eine Hand an den gespielten Loki. „Sie hätten sich glücklich schätzen sollen dich zu haben."
Erneut werfen Thor und ich uns Blicke zu. Sehr realgetreu ist das Stück auch nicht – es wird ja immer besser.
„Es tut mir leid wegen der Sache mit dem Tesserakt. Ich konnte einfach nicht anders!"
„Ich weiß..."
„Ich bin ein Täuscher!"
Die Schauspielerin, die mich verkörpert, beginnt zu weinen. Wirklich zu weinen und das viel zu aufgebracht und laut, wenn man mich fragt. Ich habe zwar Tränen an diesem Moment vergossen, das gebe ich zu, aber definitiv nicht so. Am liebsten würde ich jetzt auf der Stelle dazwischen gehen und das ganze beenden.
„Es tut mir leid, dass ich versucht habe, dich umzubringen! Das wollte ich nie!"
Ich weite meine Augen aus. Das hat der Schauspieler von Loki jetzt nicht gerade wirklich gesagt? Und um ehrlich zu sein bin ich neugierig, was als Nächstes passiert oder besser gesagt, was er als Nächstes sagt. Denn trotz, dass dies nicht der echte Loki ist, sagt er vielleicht all die Dinge, die ungesagt blieben.
„Ich wollte dich auch niemals töten, Loki!" Sie hält ihn näher an sich. „Denn ich liebe dich!"
Die Frau neben mir bekommt kaum Luft bei diesem Theaterstück und legt herzergreifend ihre Hand gegen ihre Brust. Andere Zuschauer bekommen Tränen bei diesem „tragischen" Stück und wischen sie sich aus den Augen.
„Erzähle meine Geschichte, Freya! Erzähle ihnen alles!"
„Das werde ich!"
„Und bitte frag' Odin, ob er ein Denkmal für mich aufbaut in Asgard!"
„Wir brauen ein überragendes Denkmal für dich!"
„Mit meinem Helm auf den Kopf! Der mit den gebogenen Hörnern."
Es herrscht eine kurze Stille und die Schauspielerin schluchzt einige Male auf. Es scheint fast so, als hätte sie für einen kurzen Moment ihren Text vergessen.
„Ich werde Odin erzählen, was du heute hier getan hast."
Ich halte den Atem an, denn in einer Vision kann ich den echten Loki vor mir sehen; wie er sterbend vor mir liegt. Und ich kann meine Stimme hören, die genau das zu ihm gesagt hat. Das habe ich wirklich gesagt und das ist im Theaterstück drin. Und ich frage mich erst jetzt, wie das alles möglich sein kann? Nur Thor, Loki und ich waren an diesem Moment anwesend und da Thor seit Sokovia nicht mehr hier war, frage ich mich, wie dieses ganze Szenario nun als Theaterstück vor allen und jedem vorgestellt wird. Irgendetwas ist hier faul.
„Ich tat es nicht für ihn.", flüstere ich leise zu mir selbst.
„Ich tat es nicht für ihn.", sagt der Schauspieler von Loki und das ist sozusagen das Einzige, was noch realgetreu an diesem Theaterstück ist.
Er lässt seinen Kopf hängen und spielt tot, während die Schauspielerin ihn immer noch in seinen Armen hält und theatralisch aufschreit. Die restlichen Schauspieler stehen hinter ihnen und sehen aus, als müssten sie dringend auf die Toilette oder haben derartigen Hunger.
„Und so erlag Loki seinen Wunden und gab sein Leben für das Unserige.", sagt ein Schauspieler, der Odin verkörpert und von der Seite in den Mittelpunkt der Szene kommt. „Er schlug diese wiederwertigen Elfen zurück. Er brachte unserer Welt den Frieden."
Ein kleiner Junge, der über den ganzen Körper blau bemalt ist, kommt von der anderen Seite zum Vorschein und klettert über einen kleinen Felsen hoch.
„Loki, mein Junge, es ist viele Monde her, da fand ich dich auf diesem bitterkalten Schlachtfeld. An jenem Tag sah ich in dir nicht Asgards Retter. Nein. Du warst bloß ein kleiner blauer Baby-Eiszapfen und der schmolz das Herz dieses alten Narren."
Die Menge beginnt zu jubeln und alle klatschen bei dem Theaterstück. Die Schauspieler stellen sich in einer Reihe und beugen sich lächelnd hervor. Odin springt von seiner Chaiselongue auf und klatscht erfreut. Als das Jubeln nachlässt, treten Thor und ich weiter hervor und gehen auf Odin zu.
„Vater.", begrüßt Thor ihn schmunzelnd.
Odin verschluckt sich an seinem Getränk im Kelch und drückt es einer Dienerin in die Hand.
„Ähm, mein Sohn Thor ist zurückgekehrt! Sei gegrüßt, mein Junge!" Er schaut zu mir und ich könnte schwören, dass er erschrocken sein noch gutes Auge ausweitet. „Freya! Wie schön auch dich wieder zu sehen! Wir haben dich hier in Asgard vermisst!"
Ich schaue zurück zu Bühne, dann wieder zu Odin. „Ein interessantes Stück. Wie heißt es?"
Odin mustert mich kurz. „Äh...Die Tragödie des Loki von Asgard. Das Volk wollte es, um damit um ihn trauern."
„In der Tat, das sollten sie.", sagt Thor. „Ich mag die Statue. Sieht besser aus, als er zu seinen Lebzeiten. Irgendwie weniger schleimig, weniger verschlagen." Thor schaut zu mir. „Findest du nicht, Freya?"
Und dann schaue ich Thor an und in seinem Blick erkenne ich etwas. Er scheint mir etwas sagen zu wollen, und sofort erkenne ich, was er meint. Ich schaue wieder zurück zu Odin und kann es kaum fassen. Ich kann es einfach nicht fassen. Daher auch das verdammte Theaterstück. Nun wissen wir, wieso es zustande gekommen ist. Unfassbar. Einfach unfassbar.
„Weißt du, was das hier ist?" Thor hebt den Schädel hoch.
„Oh, der Schädel der Surtur. Eine überaus mächtige Waffe."
„Tue mir einen Gefallen. Schließ den in der Waffenkammer ein, damit daraus kein Riesenmonster wird, das den ganzen Planeten vernichtet." Thor händigt einem Wachen den Schädel aus, welcher damit sofort verschwindet.
Odin kommt uns beiden etwas näher. „Dann heißt es für euch beide zurück nach Midgard?"
„Nöp.", meint Thor und wirft seinen Hammer hoch und runter. „Weißt du, ich hab' da diesen Traum, der sich ständig wiederholt. Ähnlich wie bei Freyas Visionen."
Odin schaut eine kurze Zeit zu mir und mustert mich, bis er seinen Blick wieder zu Thor richtet. Er scheint nervös zu werden.
„Nacht für Nacht sehe ich Asgard zu Asche zerfallen.", redet Thor munter weiter.
„Das ist nur ein dummer Traum.", sagt Odin. „Anzeichen einer hyperaktiven Vorstellungskraft."
„Gut möglich. Aber dann entschied ich mich der Sache auf den Grund zu gehen. Und was finde ich vor? Die Neun Welten in totalem Chaos." Thor kommt ihm näher. „Die Feinde Asgards verbünden sich und planen unsere Vernichtung und das, während du, Odin, der Beschützer dieser Neun Welten, hier in deinem Bademantel sitzt und dich an Weintrauben vergreifst."
„Es empfehlt sich die Freiheit unsere Nachbarn zu respektieren."
„Ja, natürlich.", knurrt Thor lachend. „Die Freiheit einfach abgeschlachtet zu werden." Thor wirft den Hammer einmal genau in die Menge, doch noch bevor er jemanden trifft, kommt er wieder zurück in seine Hände.
„Ja, außerdem war ich ziemlich beschäftigt mit-..."
„Theaterstücken.", beende ich Odins Satz.
Odin schaut verwundert zu mir, schaut jedoch wieder zurück zu Thor. Und je mehr er redet, desto mehr kommt er mir nicht mehr wie Odin vor.
„Nun Vorstandssitzungen und Sicherheitsrat-Versammlungen, und, äh-..."
„Du legst es echt drauf an, dass ich es tue?", grinst Thor.
„Was tue?"
Ich könnte schwören in Odins Stimme könnte man den Hauch von Ängstlichkeit hören.
Thor wirft seinen Hammer weit hinaus über die Stadt hinweg bis hin zu den Bergen, wo die Stadt aufhört. Der Hammer wird immer kleiner, bis er verschwindet. So schnell und so stark ist Thor, welcher sich dann hinter Odin stellt.
„Wie du weißt, hält nichts Mjölnir auf. Er kehrt immer in meine Hand zurück. Nichts, auch nicht dein Gesicht."
„Du bist wohl von Sinnen!", stottert Odin, als Thor ihn am Nacken festhält. „Du wirst dafür hingerichtet!"
„Dann sehe ich dich auf der anderen Seite, Bruder."
„SCHÖN, DU HAST GEWONNEN!"
In dem Moment zeigt sich die wahre Gestalt von Odin, der in Wahrheit Loki die ganze Zeit über gewesen ist.
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