Einundzwanzig

(Für mehr Feels, könnt ihr den verlinkten Soundtrack anhören)

Hyunjin erzählte mir, was damals passiert ist, bevor er gestorben war. Seine Geschichten nahm mich mit. Kein Wunder, wieso er nicht erlöst werden konnte. Hyunjin wollte sich von seiner Mutter verabschieden hier in ihrem Garten, wo sie begraben wurde. Die Koordinaten führten nicht zu einem Friedhof, sondern zu einem einzigen Grab. Hyunjin rappelte sich auf und drehte sich zu mir. Schwarze Tränen rannen ihn über die Augen. Er sah nicht länger gruselig aus, er sah einfach nur tiefst traumatisiert und traurig aus. Die wahnsinnigen Schmerzen, die er gespürt haben muss, als ihm das Augenlicht auf so einer brutalen Weiße gestohlen wurde, kam noch der Verlust von seiner Mutter, die ihn vom ganzen Herzen liebte und immer an ihn geglaubt hatte. Er konnte sich glücklich schätzen für Jahrzehnte diesen immensen Schmerz nicht spüren zu müssen.

„Changbin? Würdest du für mich ein paar Blumen pflücken? Ich kann sie nicht sehen", fragte er mich gebrochen. „Sicher." Es gab hier viele verschiedene Blumen. Für Hyunjins Mutter suchte die allerschönsten, die strahlensten aus, die ich zu einem Strauß zusammenfügte. Ehrfürchtig legte ich den Strauß vor dem Grab. „Sie liegen beim Grab. Jetzt kannst du dich verabschieden." Hyunjin rückte näher an das Grab seiner Mutter. „Danke, Changbin."

Die nächsten Minuten waren gefüllt mit trauergefüllten Worten, die mich selber zum Weinen brachte. Schniefend wischte ich sie mir aus den Augen. Ich hoffte so sehr, dass Hyunjin jetzt seine Ruhe fand und mit seiner Mutter zusammen sein konnte. Ich stellte mir vor, wie sie beide zwei wunderschöne Sterne am Nachthimmel waren. Funkelnd und für immer vereint. Hyunjin beendete seine Grabesrede und stand auf. Er trat zu mir und nahm meine Hände in seine. „Danke Binnie."

Im nächsten Moment waren wir nicht länger in Hyunjins Garten, sondern auf einer Straße. Hyunjin konnte sich also auch teleportieren. Der Himmel färbte sich orange, es war dabei Nacht zu werden. Noch immer hielt ich Hyunjins Hände in seine, noch immer trug er das weiße, im Winde wehende Gewand, der seinen zarten Körper umschloss. Hyunjin trug sein schwarzes Haar immer noch lang, welches bis zu seinem Kinn ging. Nur sein Gesicht war anders. Hyunjins schwarze Augenhöhlen waren verschwunden und zwei warme, braune Augen schauten mich liebevoll an. „Du kannst wieder sehen." Hyunjin schenkte mir ein Lächeln, so strahlend wie die Sonne selber, die neben uns unterging und uns in orangenen Licht einhüllte. „Ja, weil du mich erlöst hast, Changbin. Dafür danke ich dir vom ganzen Herzen. Du hast mich mit meiner Mutter vereint. Jetzt kann ich für immer bei ihr sein." Er brachte mich nochmal zum Weinen. Seine Worte gingen mir so nah, dass ich seinen Schmerz fühlen konnte. Jetzt musste er nicht mehr traurig sein. "Weißt du wo wir hier sind, Changbin?", fragte er mich. Ich schaute mich um. Mir kam das hier alles sehr bekannt vor. „Wir sind auf der Jayurostraße, oder?" Hyunjin nickte.

„Weißt du, wie sie noch genannt wird?"

Ich verneinte.

„Freedom road. Was für ein ironischer Name, was? Ich habe hier keinen Freiheit spüren können, war für Jahrzehnte in dieser Form gefangen, auf der Suche nach meiner Freiheit. Jetzt aber erfüllt sie ihren Namen. Sie hat mir Freiheit geschenkt. Sie hat mich zu dir gebracht, Changbin. Ich danke dir. Ich danke dir, dass ich durch dich frei sein kann." Hyunjin beugte sich zu mir und küsste mich sanft. Seine Lippen nicht eiskalt wie ich seinen Körper in Erinnerung hatte. Sie waren warm wie ein herrlicher Sommertag, der niemals enden sollte. Vor meinen Augen löste sich Hyunjin in gleißend helles Licht auf. Das letzte was ich von ihm sah, war sein Lächeln und tiefe Dankbarkeit in seinen hübschen, braunen Augen.

Im nächsten Moment war ich wieder in Hyunjins Garten. Allein. Ich habe Hyunjin erlösen können. Wieso fühlte ich mich dann so leer und gebrochen? Ich fühlte mich wie der einsamste Mensch auf der Erde. Tränen rollten mir über die Wange. Auch hier wurde es langsam dunkel. Ich musste langsam los zum Arbeiten. Lange kämpfte ich mich aus meiner Lethargie raus, weil ich diesen Ort, nicht verlassen wollte. Hier war ich Hyunjin nahe, aber ich musste ihn gehen lassen. Ich durfte mein Herz nicht jemanden geben, den es gar nicht mehr gibt. Die Erkenntnis traf mich tief. Ich schlurfte eher wie ein Zombie zu meinem Auto und fuhr wie auf Autopilot los.

Für den Rest meines Lebens mied ich Hyunjins Haus, weil ich wusste, sollte ich wieder auf die Auffahrt mit den Kieselsteinen kommen, würde mich eine Trauer packen, von der ich mich nur schwer erholen konnte. Nur einmal nahm ich meinen Mut zusammen und fuhr diese eine Straße, die sich in meinen Kopf eingebrannt hatte, weil ich sie mit Schmerz in Verbindung brachte. Vor dem Grab seiner Mutter konnte ich meinen Tränen nicht zurück halten und weinte, als ich ein Blatt Papier auf den trockenen Gras legte. Eine Weile blieb ich hier und erinnerte mich an Hyunjin, bevor ich die Grabstätte für das allerletzte Mal verließ.

Hwang Hyunjin

Geliebter Sohn und Freund 

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