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In dem Moment, in dem ich den letzten Schuh in den  Koffer quetsche, klingelt mein Handy und ich nehme den Anruf widerwillig an. Es war ein langer Tag heute.

Kaeye und Jaron sind gemeinsam mit einigen anderen in die gepackten Autos gestiegen. Die Übrigen haben sich verabschiedet und sind ihre eigenen Wege gegangen. Schnell blieben nur Ivy, Alice und ich, gemeinsam mit Cam und ihre Schwester Louanne übrig. Letztere hat uns auch nur kurze Zeit mit ihrer Anwesenheit beglückt, weil sie noch einen Termin hatte und der Nachmittag schon weit vorangeschritten war. So blieben nur wir vier übrig.

Und schließlich saßen wir mit einem kühlen Eistee für Ivy, Cam und mich, einem Bier für Alice am großen hölzernen Küchentisch, der das Herzstück der gemütlichen WG bildet.

Die Zeit verstrich rasend schnell und viel zu früh musste ich mich aus der netten Runde verabschieden. Wenigstens heute wollte ich nicht erst früh am nächsten Morgen ins Bett fallen. Obwohl die Idee verlockend war.

Nach kurzen Unsicherheiten war es sogar zwischen Camille und mir vertraut und man könnte denken, wir würden uns seit Jahren kennen.

Schnell waren die Dämme gebrochen. Als das Thema auf den ursprünglichen Grund des Zusammenbleibens kam, schien es so, als wäre es beinahe unnötig zu besprechen, ob ich denn einziehen solle. Und somit war es beschlossen.

Ich würde Teil der WG werden.

Als ich im Hotel ankam, konnte ich dem Drang nicht widerstehen, meine sieben Sachen aus dem gesamten Zimmer, in welchem ich mich mit der Zeit häuslich eingerichtet habe, einzusammeln und schon einmal das Gröbste zusammenzupacken.

Da war ich gerade dabei, als plötzlich die ersten Töne einer vertrauten Melodie durch das Chaos tönen. Zwar bin ich gerade dabei den Koffer zuschließen, allerdings liegen weiterhin viele Dinge kreuz und quer auf dem Boden verteilt. Die werde ich aber erst, wenn es wirklich Zeit wird, in meinen Rucksack packen und solange wohl auch noch mit der Unordnung leben. 18 Jahre lang hat sie mich nicht gestört, da werden sieben Tage kein Beinbruch sein.

Schnell, bevor es meine Nachbarn aufweckt, hebe ich zwar zwangsweise ab, doch als die helle Stimme meiner großen Schwester durch das kleine Gerät in mein Ohr gelangt, muss ich mir den Mund zu halten, um nicht vor Freude laut zu juchzen.

Wie ich sie doch vermisse.

Eine einzelne Träne bahnt sich den Weg meine Wange hinab und ich bemühe mich nicht zu schluchzen.

„Hey, Alyah", flötet sie und mein Herz springt vor lauter Vertrautheit.

„Raja-", hauche ich und wische mir verstohlen über die Augen. Ein Glück, dass sie mich jetzt gerade nicht sieht.

„Wie geht's dir, Schwesterherz?", erkundigt sie sich neugierig. Ihre ebenmäßige Stimme zittert etwas und es beruhigt mich, dass nicht nur ich unter der Entfernung leide. Für eine gewisse Zeit konnte ich die Emotionen unterdrücken, doch nun bersten sie die Mauern.

Stille.

Vermutlich ringt auch sie gerade nach Worten und weiß nicht, wie sie ihren Gefühle Ausdruck verleihen soll.

Mir geht es nicht anders.

„Ich vermiss dich, hörst du?", bricht sie das harmonische Schweigen melancholisch.

„Mhh, ich dich auch", nuschle ich wehmütig.

„Wie konnten wir nur auf die Idee kommen, dass erstens ich einfach so wegziehen kann und zweitens du ans andere Ende der Welt fliegst. Und das, ohne mir ein Sterbens Wörtchen davon zu sagen."

Mit dem Wissen, was als Nächstes kommt, setzt ich zu meiner Verteidigung an, aber ich bin zu langsam und die erwartete angestaute Schimpf-Tirade prasselt auf mich nieder.

„New York. Wie kommst du darauf? Wetten du hast das von Anfang an geplant gehabt", wirft sie mir vor und ich kann ihren enttäuschten Gesichtsausdruck vor mir sehen. 

„Mensch Alyah, ich wollte dir diese Stadt zeigen, wollte die Stadt mit dir erleben und entdecken und jetzt sitze ich in einem Anwesen in Schottland und du marschierst durch die Weltgeschichte. Du bist gerade erst 18 geworden, da muss man sich eigentlich nicht zwingend wochenlang die Nächte um die Ohren schlagen, nur im einen Job zu erledigen. Was denkst du?"

Nun im Schlafanzug tappe ich, ohne eine Antwort zu geben, ins kleine Badezimmer. Die Lampe flackert leicht und ich bin froh, all das bald hinter mir zulassen.

Seufzend lasse ich mich auf der geschlossene Toilette nieder und ziehe meine Beine an.

„Ja, seufz mal schön."

Sie weiß ganz genau, dass ich keine Lust auf diese Diskussion habe. Einfach weil ich sie meiner Meinung nach schon oft genug durchgestanden habe. Seit mir die Idee dieser Reise durch den Kopf spuckt, zeigt Raja mir ein ums andere Mal die entstehenden Schwierigkeiten, vielen Gefahren und möglichen Komplikationen.

Trotzdem bin ich hier.

„Du hast ja keine Ahnung, was ich mir alles schon anhören musste. Können wir bitte einmal für alle Anwesenden festhalten, dass ich es nicht okay finde, dass du dich nicht einmal — nicht ein einziges Mal bei Mama und Papa per Telefon gemeldet hast?

Mam' stört das wirklich. Das ist nicht ideal. Alles andere als das. Kritisch ist die Situation.

Vor allem für mich, wenn sie jedes Mal, das sie anruft, — was viel, viel, viel zu oft passiert! Ich bin extra ausgezogen und sogar in ein anderes Land geflüchtet, aber nein — sich zuerst nach dir erkundigt, mir alle Infos, die ich habe, — von Lio wohlgemerkt —  aus der Nase zieht und dann bei allem anderen desinteressiert und nicht bei der Sache ist. Glaub mir, das ist kein Spaß!

Ruf sie bitte, bitte, bitte an", fleht sie.

Erst jetzt realisiere ich langsam, wie schlimm die Situation Zuhause sein muss, wenn es soweit kommt.

„Papa merkt man langsam auch die Enttäuschung an. Am Anfang hat er sie immer wieder gebremst und dich in Schutz genommen, aber das wird immer weniger und gestern hat er fast das Selbe wie Mama gemacht. Also meld dich."

Ein heiseres, verzweifeltes Lachen tönt durch die Leitung.

„Am Wochenende wollen sie uns besuchen kommen, bekommst du es bis dahin hin? Bitte."

Prustend beuge ich mich übers Waschbecken und wasche meine Zahnbürste aus.

Das ganze Becken ist von weißen Sprinklern übersäht und auch mein Handy blieb nicht verschont.

Bei der Vorstellung wie unsere Eltern in einer solchen Verfassung meine Schwester und ihren frischen Ehemann auf deren Anwesen besuchen, konnte ich mir ein Lachen nicht verkneifen. Kurz scanne ich das Dilemma und entscheide mich dafür, es nicht zu beseitigen.

Morgen ist schließlich auch noch ein Tag.

„Ja, ja."

„Oki, dann ist ja gut. Übrigens hab ich auch den Eindruck, dass Lio den Job der Vermittlerin auch nicht mehr lange macht und vielleicht sollten deine Eltern nicht alles wissen, was du ihr so erzählst, oder?"

Schock jagt durch meinen Körper.

Das hat Lioba nicht wirklich gemacht. Hat sie nicht. Bitte.

„Sie hat was?", stöhne ich und sinke mit dem Handtuch in der Hand zurück.

Keine Antwort und mein Herzschlag beschleunigt sich ohne triftigen Grund, bis die junge Frau ihr lachen offensichtlich nicht mehr zurückhalten kann.

„Haha, nein. Aber ich fänd's lustig. Ist doch 'ne Idee. Schlag ich ihr beim nächsten Mal ganz sicher vor."

„Wag es ja nicht. Lio zieht das wirklich durch..."

„Ich weiß. Deshalb ja."

Aus ihrer Stimme kann ich das Grinsen heraushören, das sich ganz sicher bei Gedanken an mögliche Aktionen vertieft.

Dieses Biest.

„Raja, wenn du es wagst-"

„Was denn? Ich doch nicht. Ich bin unschuldig wie ein Lamm."

„Ha, dass ich nicht lache."

Meine Stimme trieft von Sarkasmus und ironischer Weise muss ich mir ein Lachen verkneifen.

„So wie damals?", will ich wissen.

„So wie immer."

Das lasse ich einfach unbeantwortet im Raum stehen und schnappe mir mein Handy.

„Was, keine Antwort?"

Stattdessen verdrehe ich die Augen, knipse die hässliche Lampe aus und trete aus dem dunklen, viel zu engen Raum heraus und auf mein Bett zu.

Es hätte sowieso keinen Sinn mit dieser Schlange übers Handy zu streiten.

„Wie kommt's jetzt eigentlich wirklich, dass du in New York gelandet bist?"

„Hat Lio dazu nichts durchsickern lassen?"

„Nop. Nichts durchschaubares. Also nichts, das ich ihr abkaufe."

Die dicke Decke legt sich schwer auf meinen müden Körper, der heute ausnahmsweise mal einen greifbaren Grund dazu hat.

Am Telefon herrscht Stille und ich realisiere, dass mein Schwesterherz auf eine Antwort wartet, während ich es mir gemütlich gemacht habe.

„Ich bin nicht unsere Mutter, Al. Jetzt sprich schon", platzt die Ungeduld aus ihr heraus.

Hastig fügt sie noch hinzu: „Und lass dir nicht alles aus der Nase ziehen".

Ich setzte mich auf und das Bett knirscht gefährlich.

„Ich war am Flughafen und habe geschaut, welcher Flug als nächstes geht und wo ich am meisten Lust drauf hatte. Da standen Köln und Berlin - langweilig, wenn du mich fragst. Istanbul - war ich erst letztes Jahr mit Ma, Pa und Lio im Urlaub. Sevilla - hab ich mich nicht getraut, weil ich nicht glaube, dass ich dafür genug Spanisch kann. Außerdem ist New York von all dem am verlockendsten gewesen, besonders durch deine Schwärmerein, und weil du und Lewis euch da kennen gelernt habt."

„Und?"

Die Leitung rauscht und ich höre, wie sie unnatürlich gefasst einatmet.

„Nichts und. Das war's", murmle ich ausgelaugt von der vollen Woche.

Sanft falle ich zurück auf die etwas zu harte Matratze und Blinzle mühsam gegen das blendende Licht der Nachtlampe an.

Fahrig taste ich nach dem Schalter und nach einem kurzen Flackern liegt das Hotelzimmer im Dunklen.

Langsam streckt das Reich der Träume seine Hände nach mir aus und die nächsten Worte bekomme ich schon gar nicht mehr mit, als die wohlige Wärme, die meinen Körper trägt, auch auf meinen Geist übergeht und meine Lieder langsam zufallen.

Als ich am nächsten Morgen aufwache liegt das Handy lautlos neben mir auf der Matratze. Wie lange es wohl gebraucht hat, bis Raja gemerkt hat, dass ich eingeschlafen war? Zu gerne hätte ich ihre Reaktion mitbekommen.

Ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass ich offensichtlich einigen Schlaf nachzuholenden hatten. Sie springt von 13:06 auf 13:07 und ich lasse mich zurück ins weiche Kissen sinken.

Ich scrolle durch meine Nachrichten und stoppe den Bildschirm bei einer kurzen Nachricht von Raja.

Meine Mundwinkel zucken und wandern selbstständig um einiges höher.

Ich kenn meine Schwester zu gut.
Der Punkt soll der ganzen Nachricht etwas mehr Ernsthaftigkeit verleihen, aber er ist ebenso ein Ausdruck ihrer Emotionen. Auch wenn sie dies nie zugebe würde. Ich weiß, dass es so ist.

Plötzlich muss ich an ihre eindringlichen Worte denken und so tu ich das unvermeidbare.

Das eintönige Tuten erklingt. Ungeduldig tipple ich mit den Fingern der einen Hand auf mein Oberschenkel und knete mit der anderen nervös meine Unterlippe.

᚛                ᚘ                ᚜

Ich hab's auch mal wiederbeschafft und bin gespannt, wie euch das Kapitel gefällt.
Was denkt ihr?

Ich bin überzeugt, wir sollten den Tag öfter mit einem Lächeln beginnen, denn das geht so oft unter in all dem Stress und unseren - zumindest in meinem - vollgepackten Leben.

Und seid ihr auch so zuversichtlich wie Alyah selbst, was ihren Umzug angeht?

Feedback, Rückmeldung und Kritik sind immer herzlich gerne gesehen und ein wahrer Segen 😉
Scheut euch nicht,
Ich beiße nicht.

:)

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