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Wie der Wind hetze ich vom einen Tisch zum nächsten, komme garnicht hinterher den anspruchsvollen Wünschen der Gäste nach zukommen und stehe nun zum zweiunddreißigsten Mal an diesem angebrochenen Abend bei Jaron an der Bar um einmal zu Atem zu kommen. Die anderen fliegen von Gast zu Gast, servieren, nehmen auf und schenken nach.
Jaron hatte Recht. Dieser Job ist anspruchsvoll. Sehr anspruchsvoll. Seufzend lasse ich mich hinter der Theke auf einen Hocker sinken und betrachte ausgelaugt, aber fasziniert das Schauspiel, dass sich mir bietet.
„Na, brauchst'e schon wieder 'ne Pause? Wir müssen echt an deiner Kondition arbeiten, Alyah. So wird das ja nie was", amüsiert sich Jaron über mich, während er ein Glas nach dem anderen füllt und auf mein Tablet abstellt. Seufzend ziehe ich es zu mir und erhebe mich ächzend von dem nur allzu gemütlichen Hocker.
„Weißt du was, Jaron? Du bist ein Sklaventreiber. Ein mieser noch dazu!"
„Aber ein gut aussehender, das musst du zugeben."
„Träum weiter!"
Lachende weiche ich seinem Handtuch aus, greife mir das Tablet und mache mich auf den Weg durch den Garten aus edlen Tische, noblem Essen und den noch schickeren Gästen, um die schweineteuren Getränke zu servieren.
Der Abend schleicht dahin und vergeht gleichzeitig wie im Flug. Immer wieder lande ich bei Jaron, immer wieder kommentiert er dies und immer wieder lass mich von ihm wieder losschicken.
Ich trage exklusive Speisen zu den Tischen, schenke sündhaft teuren Wein nach, bringe feines Silberbesteck mit kostbaren Porzellan in die Küche und komme mit Armen voller duftender Speisen wieder heraus.
Im ganzen Restaurant herrscht eine unbeschreibliche Atmosphäre. Sie schwankt irgendwo zwischen familiär, freudig erfüllt, angespannt und aufgewühlt. Die Gäste führen angeregte Gespräche mit ihren Familien oder Geschäftspartnern.
Im Laufe des Abends wird die Stimmung an fast allen Tischen entspannter, ausgelassener. Wo am Anfang selten ein Lachen erklang, kichern die Frauen, die Kinder lachen über die Witze ihrer Väter, wo man sich vorher mit misstrauischen Blicken bedacht hat, stößt man an und niemand scheint sich mehr Sorge um seine Geschäfte, sein Ansehen zu machen.
Je später der Abend wird, desto ausgelassener unterhalten sich die Anwesenden und wir kommen kaum hinterher ihnen ihre Wünsche zu erfüllen. Ein weiterer Wein dort, ein neuer Champagner hier und an Tisch 20 sogar einen Wodka. Je später der Abend, desto echter und breiter wird mein Lachen. Langsam finde ich Spaß an der Sache und flitze von einem zum nächsten Tisch.
Immer wieder trifft mein Blick Ivys und ich kann die gleiche Freude und Begeisterung in ihrem Gesicht sehen.
Wie ich vor wenigen Stunden noch an dem Job gezweifelt habe, kann ich schon nicht mehr nachvollziehen. Zwar bin ich immer noch nach drei Gängen völlig außer Atem, aber ich kann es kaum erwarten, wie die anderen fleißig wie Bienen in ihrem Bienenstock herum zu surren und Bestellungen und Wünsch auszuführen.
Der Minutenzeiger der Uhr wandert immer öfter an der Zwölf vorbei und der Stundenzeiger fliegt auf Mitternacht zu unter weit darüber hinaus. Langsam beenden die ersten Gäste ihre Dinner und machen sich auf die Wege in ihre Villen am Stadtrand und Suiten in den nobelsten Hotels New York's.
Als endlich der letzte, gut beleibte Mann im Anzug samt Familie im Schlepptau das Restaurant verlassen und hinter ihnen die Tür ins Schloss fällt, sammelt sich nach und nach die ganze Mannschaft bei Jaron an der Theke, der fleißig weiter Gläser spült, als hätte er nie etwas anderes getan.
Fia, Tea und Ova, die ich den ganze Abend über kaum ein Wort habe wechseln sehen, unterhalten sich schon wieder lautstark und öffnen dabei ihre kunstvollen Frisuren. Laut seufzend lässt Ivy sich neben mich auf einen der gepolsterten Stühle fallen und rauft sich müde durch die kurzen Haare.
„Heute war es echt voll im Schuppen, Mädels und Jungs", unterbricht Jaron all die kleinen Gruppen von Angestellten, die sich überall im Saal gesammelt haben.
„Ihr wart super! Jetzt machen wir den Saustall noch grob sauber, eine von euch Feen fliegt hier noch mit dem Besen, die anderen mit Tablett und Wischtuch bewaffnet durch, und dann gehen wir alle schön nach Hause in unsere Betten und holen uns 'ne gehörige Mütze voll Schlaf. Den Rest machen wir morgen! Einverstanden?"
Meine Kollegen nicken einstimmig und zustimmendes Murmeln mischt sich mit Stühlerücken und deutlich langsameren Schritten. Ivy neben mir streckt sich und gähnt einmal laut, bevor sie sich ebenfalls erhebt und lustlos im Lokal umschaut.
„Wir sollten den anderen helfen."
„Vermutlich", seufze ich, während ich mir eine der viel zu vielen kleinen schwarzen Klammern aus den Haaren ziehe, die mir schon seit Stunden Kopfscherzen bescheren.
„Jaron lässt uns vermutlich erst gehen, wenn alles soweit auf Vordermann gebracht wurde, dass wir morgen her kommen können, ohne mitten in einem Schlachtfeld zu stehen, richtig?"
Sie nickt, schnappt sich einen Wischeimer mit Lappen von der Theke und bringt mir ein Tablett und einen großen Sack mit, den sie mir wortlos, ohne irgendeine Art von Erklärung vor die Füße fallen lässt. Verwirrt nehme ich ihr das Tablett ab, bevor sie es ebenfalls auf den Boden werfen kann.
„Wofür den Sack?", frage ich verwundert nach, weil ich mir nicht erklären kann, was ich damit tun soll.
„Soll ich da etwa all die übergebliebenen-"
„Ihh, nein! Sprich es nicht aus! Das ist ein Waschbeutel. Aus Stoff. Da tust du ganz sicher keine Essensreste rein! Ihh, diese Vorstellung ist einfach... bah! Also echt! das will ich mir gar nicht erst vorstellen! Wie kommst du auf sowas? Da kommen die Servierten und alle Tischdecken rein. Steht sogar außen drauf!"
Immer noch schüttelnd hebt Ivy den naturfarbenen Stoffsack auf, und zeigt mir das Logo der Wäscherei J&J clean.
„Die machen auch alles andere sauber, deshalb müssen wir nur einmal durchfegen", schaltet sich Kaeye ein und fuchtelt mit dem Handtuch vor unseren Gesichtern herum.
„Jetzt setzt euch mal in Bewegung Ladys. Ich will endlich nach Hause und in mein Bett. Hat eine von euch 'ne Ahnung, wie spät es ist?"
Ivy und ich schütteln einstimmig den Kopf. „Nach Mitternacht auf jeden Fall" „-und vor vier Uhr morgens", ergänzt die kleine Schwarzhaarige, „da schmeißen wir spätestens meist den letzten Gast raus. Zumindest am Wochenende. In der Woche schon um halb drei."
Mir muss mein Erstaunen ins Gesicht geschrieben stehen, denn grinsend scheucht der blonde junge Mann uns ohne eine Antwort durch die Tische.
Einige schnelle Handgriffe der anderen und etliche Minuten später stehen wir endlich vor dem vollbrachten Werk.
Der Saal, wenn man ihn denn so nennen möchte, ist kaum noch wieder zu erkennen. Sowohl im Vergleich mit seinem Zustand vor dem Schnellputzkommando, als leider auch zu seinem Zustand vor dem Abend.
Als wir uns alle in den Personalräumen sammeln, und die Kleider wieder auf ihre Bügel hängen, die Schürzen, die mehr Deko- als Gebrauchsstücke sind, auf Flecken durchsucht haben und alle Nadeln, Gummis und sonstige Schmuckstücke entfernen, herrscht eine unbestimmte Stille zwischen uns, und alles, jede Bewegung scheint in Trance und nur durch Routine zu funktionieren.
Immer wieder ertappe ich mich dabei, wie mir langsam die Augen zufallen, und den anderen scheint es nicht anders zu gehen. Selbst von der anderen Seite der Spinde, wo sich die Männer fertig machen, erklinge keine Gespräche und sogar Jaron ist ruhig.
„Okay, ich bin weg, Leute!", lässt Tina nicht nur mich zusammen schrecken und gähnt laut.
„Ich werde zu alt für diesen Job. Wenn wir so weiter machen, dann schlaf ich schon ganz, ganz bald mitten in der Küche ein. Beim Rühren, Würzen oder Schnippeln. Hast du gehört, Jaron?"
Während ihrer Ansprache ist sie immer lauter geworden und hält nun wartend ihren Kopf etwas schief und lauscht auf seine Antwort.
Nichts.
Augenverdrehend nickt sie uns einmal zu, und verlässt ohne ein weiteres Wort den Raum. Sirko, der Küchen-vizechef, schließt sich als nächster der Küchenfee an, und weitere folgen ihnen. Grace, Linoma, Hanna, Pino, Gali und Emil verabschieden sich der Reihe nach und machen sich auf den Weg in ihre Betten.
Bei dem Gedanken an ein eigenes Bett huscht ganz kurz ein wehmütiges Lächeln über mein Gesicht, doch Ivy, die immer noch weitere Klammern und Nadeln aus meinen Haaren zieht, hat es trotzdem bemerkt.
„Ein Hotelbett ist einfach nicht das gleiche wie das eigene", seufze ich. Verständnisvoll nickt sie und zieht die Nase kraus.
„Hotel?", unterbricht Jaron, der mit Kaeye und Bene im Türrahmen steht und uns mit einem schiefen Grinsen bedenkt, mich, bevor ich Ivy fragen kann, was in ihrem Kopf vorgeht.
„Du wohnst in einem Hotel?"
Ich nicke und zucke augenblicklich zusammen.
„Au! Was war das Ivy? Das tat voll weh!", verlange ich zu wissen und reibe mir über den schmerzenden Punkt im Nacken.
„Oh! Sorry, sorry! Wollt ich nicht. War 'ne Haarklammer. Ich kann mich nicht mehr konzentrieren. Ich bin so müde."
Ihr Worte werden von einem lautstarken Gähnen untermalt und ich kann nicht anders, als mit gähnen.
Sanft, aber bestimmt schiebt sich eine der drei Schwestern, -Ob es Fia, Ova oder Tea ist, weiß ich nicht sicher. Ich tippe auf Tea. - zwischen uns und macht sich deutlich flinker an meinem Haar zu schaffen.
„Also Hotel?", zieht Jaron all meine Aufmerksamkeit auf sich.
„Ja, Hotel. Können wir alles andere morgen besprechen? Ich will nur noch ins Bett", seufze ich und wünsche mir einfach nur ein Kissen unterm Kopf, eine Decke über mir und allumfassende Dunkelheit die sich mit der Ruge über meinen Körper legt.
„Warum seid ihr alle so müde? Es ist erst fünf - Oh, fuck. Das wusste ich nicht. Vergesst den letzten Satz und macht mal Tempo. Ich muss abschließen. Wir sind schon heute morgen hier", grinsend stößt er Kaeye, der mit geschlossenen Augen und verschränkten Armen den Kopf an den Rahmen gelegt hat, in die Seite, „Noch früher soll es nicht werden."
Ich meine Kaeye „Sehr, sehr lustig", seufzen zu hören, doch sicher bin ich mir nicht sicher.
„So, wir sind fertig mit dir, mein Vögelchen. Ich glaube, dass waren alle", säuselt Tea -?-, legt die Klammern, Nadeln und Gummis in die Kommode und zeiht den Stuhl ein Stückchen zurück.
„Alle anderen auch? Dann marschieren wir alle mal in unsere Betten!"
Während seinen Worten schaltet er das Licht aus, und alleine das Licht von Benes Handy erhellt unsere Gesichter.
„Kommt Leute! Macht hinne! Ich will ein bisschen schlafen, bevor ich wieder raus muss."
Ich taste mich mehr schlecht als recht zu Ivy durch den dunklen Raum, die mir meine Jacke und mein Handy in die Hand drückt, und mich dann bestimmt an der Hand aus dem Raum hinter Kaeye und Bene her und an Jaron vorbei zieht.
Im Saal brennt keine Kerze mehr und alle reich verzierten Kronleuchter sind erloschen. Wir folgen einzig und allein dem Schein von Benes Handy, das er als Taschenlampe vor sich gerichtet hält. Die Tische formen sich zu Silhouetten, sind nur noch in ihren Umrissen vor dem schwachen, kaum wahrnehmbaren Licht, das durch die getönten Scheiben fast gänzlich verschluckt von der Straße aus herein fällt.
Das Restaurant liegt in einer etwas nobleren Gegen NewYorks, wenn es das überhaupt gibt, und trotzdem rührt der kalte Schauer, der über meinen Körper huscht, als unser Tross aus dem Gebäude auf die spärlich beleuchtete Strafe treten, nicht nur von der nächtlichen Kälte. Wenn meine Mutter wüsste, dass ich um diese Uhrzeit auf den Straßen einer solchen Großstadt unterwegs bin, würde sie sofort etwas daran ändern wollen. Notiz an mich selbst: Beim nächsten Gespräch nicht allzu konkret auf die Uhrzeiten eingehen.
᚛ ᚘ ᚜
Lesenacht // 24. Mai 2020 // - Teil eins
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