⟢ 𝐕𝐈 ⟣

„Tschüss", murmle ich Cora und ihrer Tochter zu. Sie blickt kurz auf, lächelt, nickt und wendet sich dann wieder ihrer aufgeregten Tochter zu, die wie ein Flummi auf und ab hüpft. Ich trete weg von ihnen, und mache mich auf den Weg, mir eine Bleibe für die Nacht zu suchen, doch da ertönt noch ein: „Bis bald!", gesprochen von Cora.

Irritiert drehe ich mich um, und sehe sie mit ihrer Tochter auf dem Arm, winken. Wie sie auf die Idee kommen, wir sehen uns nochmal wieder, weiß ich nicht. New York ist riesengroß, und vielleicht wohnen sie auch nicht in New York selbst, sondern etwas außerhalb. Ich werde bald weiter reisen. Wie groß sind da die Chancen, dass wir uns in der kurzen Zeit irgendwann mal treffen? Sehr, sehr, sehr gering!

Glücklich winke ich zurück! Wenn das schon so anfängt, dann sollte nichts mehr schief gehen, rede ich mir ein.

Egal, wie entschlossen und sicher ich vor allen Menschen von diesem Projekt geredet habe, die Angst, dass es ein riesengroßer Reinfall oder sogar eine reine Katastrophe wird, besteht immer noch und hat mich die letzen Nächte kaum schlafen lassen.

Man sagt schließlich auch, dass das, was man in der ersten Nacht nach einem Umzug träumt, einem Stücke aus der Zukunft zeigen kann. Und in Japan glauben die Menschen auch, dass der Traum, in der Nacht von Silvester auf Neujahr, als Vorhersage fürs neue Jahr gedeutet werden kann. Eigentlich glauben ich nicht an sowas, aber jetzt gerade versuche ich mir verzweifelt einzureden, dass man das ebenso auf eine Reise beziehen kann, denn dann darf theoretisch jetzt nichts mehr schief gehen.

„Vielleicht sieht man sich ja wirklich nochmal!", rufe ich ihnen durch das entstandene Chaos zu. Mika nickt eifrig, und ruft so laut sie kann, eine Antwort.

Das Menschen laut sein können, wusste ich schon, aber nicht so laut. Ihre Worte werden von dem Lärm übertönt und kommen nicht bei mir an.

Trotzdem nicke ich, winke noch einmal und erblicke für einen kurzen Moment Tilo zwischen den vielen drängenden Leuten. Er kämpft sich mit dem Gepäck der Familie durch die Masse und ich meine sowohl zu erkennen, dass er den Mund bewegt, und mit seinem Blick die Personen um sich herum hektisch „abscannt".

Irgendwo schreit ein Baby, Kinder drängen ihre Eltern mit nervtötenden Stimmen zum Aufbruch, ein Paar streitet sich laut und einige Gaffer schauen ihnen dabei zu. Eine Frau zickt die Leute um sie herum an, und ein Mann auf der anderen Seite flucht laut auf den Service.

Das Grinsen, das sich auf meine Gesicht schleicht, als ich das Getümmel endlich hinter mir lassen kann, kann ich mir nicht verkneifen.

Ich habe es geschafft! Der erste Schritt ist erledigt - die ersten Schritte sind getan!

Ein dicker, grüner Hacken erscheint auf meiner imaginären Liste. Sich wirklich auf dem Weg machen, Check, erstes Ziel spontan aussuchen & möglichst schnell weg, Check, Reise überstanden & bereit für mein Abenteuer, Check. Somit steht als nächstes auf der Liste, ein bezahlbares Hotel zu finden und endlich zu schlafen!

Den Weg aus dem Flughafen zu den Bahnen zu finden, erweist sich schwerer als gedacht, doch irgendwann habe auch ich die Schienen erreicht und trete zu den Infotafeln.

Die Auswahl, die sich mir bietet ist so groß, dass ich garnicht weiß, nach welchem Ziel ich zuerst schauen soll. Fast für jede Minute ist ein Zug eingetragen. Die größte Spanne ohne Zugverkehr scheint gerade mit drei Minuten Pause zwischen der letzen Abfahrt und der Nächsten. Die Auswahl und Möglichkeiten überfordern mich restlos und so gleiten meine Augen über die Informationen auf der großen, gelben Tafel, doch sie werden auch nach wiederholtem Lesen nicht aufgenommen.

Erst das laute Quietschen von Bremsen holt mich aus meiner Starre. Ohne groß zu realisieren, in welche Richtung sie unterwegs ist, steige ich in die gerade eingefahrene Bahn ein. Schnell schließen sich die Türen hinter mir und den wenigen anderen Passagieren. Schon setzen wir uns in Bewegung und machen uns auf ins Herz von New York.

Wenige Minuten später hält die Bahn zum wiederholten Mal, doch diesmal kämpfe ich mich durch die hinzugestiegenen Menschen und stehe nur Sekunden später alleine mit meinem Gepäck auf dem verlassenen U-Bahngleis. Der abfahrende Zug hat mit dem Wind, den er verursacht, meine Haare ganz durcheinander gebracht und ordentlich durchgeweht. Immer noch damit beschäftigt meine Haare in einen etwas absehbareren Zustand zu bringen, mache ich mich auf den Weg an die Oberfläche.

Laut schnaufend bleibe ich oben am Treppenaufgang stehen, stellen meinen Koffer wieder auf den Boden und mache mich auf die Suche nach einem Hotel oder ähnlichem, doch viel weiter als zwei, kleine Schritte komme ich nicht, denn der Anblick, der sich mir bietet, ist atemberaubend.

Hochhäuser überall um mich herum. Egal, wohin ich schaue. Reger Verkehr auf den überfüllten Straßen und Fußgängermassen strömen über die schmalen Wege.
In all dem Treiben und der Bewegung stehe ich.

Fassungslos versuche ich alles gleichzeitig aufzunehmen. Ich fühle mich wie ein gejagtes Tier, so schnell huscht mein Blick über all die Bewegungen und eindrucksvollen Bilder.

Hinter mir entsteht Gedränge und erst da merke ich, dass ich mitten im Eingang der U- Bahnstation stehe, meinen Koffer einfach achtlos hab stehen lassen und somit einen kleinen Stau hinter mir verursacht habe.

Es muss schon wieder eine Bahn gehalten haben, denn eben waren die Gleise bis auf ein Bettler und eine kleine Gruppe von jungen Studenten leer.
Jetzt sammeln sich immer mehr Menschen hinter mir. Sie bringen mich dazu hektisch nach meinem Koffer zu greifen und die U-Bahnstation schleunigst hinter mir zu lassen.

Der Lärm, den die Stadt macht, ist selbst jetzt am Abend noch ohrenbetäubend, und ich kann bestens nachvollziehen, warum gesagt wird, die Großstadt würde nie schlafen.

Alle Eindrücke und Bilder strömen auf mich ein und werden dennoch kaum wahrgenommen. Ohne ein Ziel streife ich durch die Straßen, lasse mich von der Masse treiben.

Ich weiß nicht, wie lange das so geht, doch irgendwann meldet sich die verdrängte Müdigkeit wieder, also bleibe ich stehen, krame aus meinem Rucksack mein Handy und entsperre es.

Ein Fenster öffnet sich und eine Warnung erschient, doch bevor ich sie lesen kann wird der Bildschirm schwarz.

„Fuck! Was soll das denn jetzt?", fluche ich vor mich hin. Mir schwant Böses. Ohne Handy kann ich direkt auf der Straße schlafen. Fehlt nur noch, dass mein Geld weg ist oder am besten mein ganzes Gepäck.

Ohne das kleine Gerät habe ich kaum Chancen ein anständiges und zugleich bezahlbares Hotel zu finden. Dazu kommt, dass ich mich dringend bei meiner Familie melden muss, sonst denken die noch, ich wäre jetzt schon auf dem Heimweg.

Verzweifelt versuche ich zum wiederholten Mal das Smartphone zu starten, jedoch ohne Erfolg. Klar, dass sowas immer mir passieren muss, denke ich mir bitter. Immer bin ich diejenige in so einer Situation und nie jemand anderes. Immer.

„Gut, was soll's? Dann eben ohne Navi. Früher hätte es jeder gekonnt. Das ich nicht lache, als ob ich das nicht auch kann!", motiviere ich mich selbst laut sprechend, und ernte dafür einige kritische Seitenblicke von vorbeigehenden Passanten.

Pech, sollen sie doch so glotzen. Als ob die schon einmal freiwillig und bewusst aus ihrer Komfortzone gekommen sind? Bestimmt nicht!

Mit diesen Worten im Kopf schultere ich meinen Rucksack wieder, greife nach meinem Koffer und ziehe mit dem Handy in der Hand weitere durch die unendlich scheinende Großstadt. Diesmal mit besonderem Augenmerk auf Übernachtungsmöglichkeiten.

Je länger ich durch die Menschenmasse streife, desto schneller kreisen meine Gedanken. Immer wieder taucht ein grünes Augenpaar zwischen all meinen wirren Gedanken auf. Wie ein Tor in eine verschlossene Welt, was sich wohl hinter diesen Augen versteckt? Immer wieder dränge ich sie mühsam weg, immer wieder kommen sie wieder, immer wieder sehe ich Tilo zwischen all der Sorge und hoffnungsloser Suche endlich schlafen zu können.

Lange, viel zu lange laufe ich so umher. Mittlerweile hat sich der Himmel beinahe gänzlich verdunkelt und die Stadt leuchtet von alleine.

Die Hotels bei denen ich mich getraut habe mal rein zu schauen, weil sie nicht zu nobel und überteuert aussahen, hatten entweder keine Einzelzimmer, oder waren immer noch zu teuer, als dass ich nur eine Nacht dort hätte verbringen können.

Irgendwann sehe ich ein, dass es nichts bringt, und ich wohl oder übel eine Nacht das Geld nicht sparen kann. Also betrete ich die nächst beste Übernachtungsmöglichkeit und stehe schon wenige Minuten später in einem erstaunlich schlicht eingerichtetem Einzelzimmer.

Das Hotel ist ein echter Glücksgriff, und ich frage mich, warum ich nicht direkt hier hin gekommen bin. Es liegt am ehesten von allen in meinem Budget, das Frühstück ist inklusive und im Notfall, worauf es hinaufläuft kann ich sogar eine Woche hier wohnen, ohne am Ende der Woche pleite zu sein.

Erst in zwei Wochen wollten meine Eltern, Patentante und Großeltern wieder Geld überweisen und der Betrag wird auch nicht hoch sein. Der Plan war immer, dass ich zwar von ihnen unterstützt werde, aber eher als Taschengeld, und selber das meiste verdiene.

Der Gedanke an meine Familie erinnert mich daran, dass ich mich dringend bei ihnen melden sollte.

Auf der Suche nach einer Steckdose, fällt mein Blick auf das Fenster und lässt mich wie angewurzelt stehen bleiben. Mein Zimmer liegt nur im sechsten Stock und trotzdem sehen die Autos wie kleine Käfer aus, die sich durch die vollen Straßen schieben.

Kurz betrachte ich gedankenverloren das rege Treiben viele Meter unter mir, dann setze ich meine Suche nach Strom für mein Smartphone fort.

Hinterm Nachttisch werde ich endlich fündig, schließe mein Handy an, und lasse mich in voller Montur ins Bett fallen.
Ich bin hundemüde.
Meine Augenlider schließen sich und für wenige Sekunden bin ich weg.

Doch das Geräusch meines Telefons auf dem Nachtisch reißt mich zurück in die Gegenwart.

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