5. Sorgen
George wollte gerade den Laden schließen, sobald der letzte Kunde ging, als sich ein Stiefel zwischen die Tür und den Türrahmen schob. Es waren schwarze Schnürstiefel, die George von irgendwoher kannte. George blickte nach oben und sah eine dunkle Jeanshose, einen dicken Pullover und eine Lederjacke, dann wunderschöne braune Augen und Rastazöpfe.
»Hi, du lässt mich doch bestimmt rein, oder?«
»Angelina?« George konnte es nicht fassen. Angelina Johnson stand in seiner Ladentür. »Was machst du hier?«
Ungeduldig schob sich das Mädchen an ihm vorbei in den Laden. »Ich wollte dich mal besuchen und schauen, wie es dir geht.«
»Ich lebe.« George schnaubte.
»Ja, das weiß ich.« Angelina suchte nach einer Sitzmöglichkeit und da sie im ersten Moment keine fand, schwang sie sich einfach auf den Tresen und setzte sich im Schneidersitz hin.
»Ich war bei deiner Familie. Und ich weiß, dass du das bestimmt nicht hören willst, aber -«
»Lass mich raten, sie machen sich große Sorgen um mich?«
»Ja.«
»Und sie haben dich geschickt, um nach mir zu sehen?«
»Ja«, gab Angelina zu. »Aber ich wollte sowieso nach dir sehen. Wie geht es dir?«
Irgendetwas an Angelinas vertrauenswürdigem Gesicht brachte George dazu, die Wahrheit auszusprechen. »Mir geht es schlecht.«
»Mir auch.«
George lehnte sich neben sie an die Theke.
»Ich weiß nicht, was ich machen soll außer leben.«
»Lachen. Deine Witze machen. Glücklich sein. Das hätte Fred vermutlich geraten.«
»Oh, er hätte gesagt, dass ich mich endlich zusammenreißen soll und wieder glücklich sein soll.« George lächelte.
»Was hättest du ihm denn gesagt, wenn es andersrum gewesen wäre?«
»Ich hätte Fred gebeten, mich zu vergessen und seinen Traum jeden Tag zu leben.«
»Dann mach genau das.« Angelina drückte seinen Arm.
George stellte fest, dass Angelinas Anwesenheit ihm guttat. Sie besuchte ihn nicht nur an diesem einen Tag, sie kam jeden Tag aufs Neue, um bei ihm vorbeizuschauen und jedes Mal brachte sie ein aufrichtiges Lächeln zustande. Sie sprachen nicht jeden Tag, denn manchmal schwirrte George wie in einer leeren Hülle umher. Aber dennoch bedeutete George es viel, dass sie bei ihm war. Sie schaute ihm gerne bei der Arbeit zu. Ihr Blick ruhte auf ihm, bis er zu ihr blickte und sie ihm ein sanftes Lächeln schenkte.
»Hattest du nicht ein paar Wunden?«, fragte Angelina nach ein paar Momenten der Stille.
»Ja«, gab George zu.
»Kann ich mir die mal ansehen?«
»Ja.«
George streifte sich sein Oberteil über den Kopf und entblößte seinen Oberkörper vor Angelina. Durch die Arbeit als Treiber hatte er muskulöse Arme bekommen, die sofort ins Auge stachen, wenn man den Blick über seinen Körper wandern ließ.
Er deutete auf eine Wunde an der Seite und eine auf dem Rücken. Angelina, die immer noch auf der Theke saß, beugte sich vor und streifte mit ihren Fingern die Wunde an seinem Rücken. Als er sich umdrehte, ließ sie auch ihre Finger über seine zweite Wunde gleiten. Eine Gänsehaut breitete sich auf Georges Körper aus.
»Du kümmerst dich selbst sehr gut um die Wunden, oder?«, fragte Angelina. George nickte. »Die verheilen gut. Mach einfach weiter damit, was du bisher gemacht hast.«
»Danke Angelina.«
»Kein Problem.«
Percy hatte seinen Zwillingsbrüdern nie sonderlich nah gestanden. Er hatte sie immer albern gefunden und ihre Liebe zu Scherzartikeln belächelt. Doch irgendwann hatte er kapiert, dass sie ihrem Herzen folgten und dass sie wirklich ganz witzig sein konnten. Und er war Fred unheimlich dankbar, was er getan hatte.
Er hatte ihn angegrinst und einen Witz gerissen, bevor die Bombe eingeschlagen war. Er hatte einen seiner letzten Momente mit ihm geteilt. Fred hatte ihm gezeigt, dass er in der Weasley-Familie willkommen war und dafür gesorgt, dass die anderen ihn wieder bei sich aufnahmen.
Und aus diesem Grund fand er den Tod von Fred umso schlimmer. Er zitterte am ganzen Leib, wenn er nur daran dachte. Dabei hatte er seinem Bruder gar nicht mal so nah gestanden. Wie ging es dann wohl den anderen? Niemand hatte viel darüber gesprochen. Alle versuchten, sich abzulenken und wenn das Thema doch einmal aufkam, dann versuchte jeder, bloß nichts Falsches zu sagen. Meistens endete es damit, dass alle peinlich berührt den Raum verließen und sich eine Ecke zum Heulen suchten.
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