Zum Liefern von Pizza braucht's einen Flitzer
Paps verkauft also das Haus. Ich sollte das als Motivationsschub nehmen. Und ich muss mir keine Gedanken mehr machen, dass er einmal unter dem Dach begraben wird. Aber in erster Linie stimmt es mich traurig. Das Haus war der Traum meiner Eltern und beherbergt alle Erinnerung an meine Kindheit. Es wird mir fehlen.
Jetzt kann ich erst recht nicht mehr zurück. Ich krabbele durch den Zaun und klopfe an der Gartenhaustür. Ich verzichte darauf, dass sie erneut über mich herfällt.
„Adam?"
„Ja."
„Es ist offen."
Ich schiebe die Tür auf. Das Mädchen sitzt im Schneidersitz am Boden, ihr Notebook auf dem Schoß und tippt in die Tastatur.
„Was treibst du da?"
„Geld verdienen", gibt sie knapp zurück.
„Wo ist der Fuchs?"
„Sie ist pinkeln gegangen oder jagen – was auch immer."
Ich sehe auf ihren Bildschirm. Sie schreibt mit irgendjemandem auf Facebook. Eilig klappt sie den Bildschirm zu. „Hast du schon einmal was von Privatsphäre gehört?!"
„Tut mir leid."
Sie stellt den Computer beiseite und greift in einen Haufen Socken, der neben ihr liegt. Sie sind so klein, dass höchstens ein Baby hineinpasst. Sie nimmt scheinbar wahllos einen davon heraus und knipst ein Foto, ehe sie das Prozedere mit dem nächsten wiederholt. „Hast du die Gutscheine angebracht?"
„Drei davon. Einer hat mich übers Ohr gehauen."
Sie hält die Hand auf und ich lege ihr die Scheine hinein, ehe sie mir einen Edding in die reicht. „Schreib eine Zwanzig neben den Türrahmen."
Ich tue wie geheißen. „Wozu?"
„Deine Schulden. Oder hast du das erste Gehalt bereits?"
„Ich bekomme den Job nicht."
„Wie überraschend. Viel Spaß bei dem Fußweg."
„Wie meinst du das?"
„Du willst doch nicht schwarzfahren, also wirst du zu Fuß nach Hause müssen."
Wow, die macht Nägel mit Köpfen. „Ich habe kein Zuhause mehr."
„Jetzt werde nicht melodramatisch."
„Mein Vater verkauft unser Haus. Er kann die Raten nicht mehr bezahlen."
Sie hält in ihrem Tun inne und kratzt sich am Hinterkopf. „Oh nein, sag nicht, du erwartest jetzt meine Mildtätigkeit?"
Ich schüttele den Kopf. „Ich komm schon durch. Wollte dir nur das Geld geben. Danke für alles."
Als ich die Tür aufziehen will, ruft sie mir nach: „Adam, warte!"
„Schon in Ordnung, ich liege dir nicht auf der Tasche."
Sie stülpt sich einen Hoodie über und zieht die Kapuze tief ins Gesicht. „Komm mit", sagt sie und zerrt mich hinter sich her.
„Wo gehen wir hin?"
„Du weckst in mir Muttergefühle."
„Ich bin älter als du."
„Körperlich vielleicht."
Wir gehen über Nebenstraßen zur Hauptstraße hinunter. Sie hält sich immer zwischen mir und den Hauswänden, als bliebe sie in Deckung.
„Sag mal, wirst du verfolgt?"
„Ja, vom Unglück in deiner Person."
Wir bleiben vor einem heruntergekommenen Lokal stehen. Über der Tür hängt das Schild einer ehemaligen Konditorei. Die Fenster sind voller Ruß, über eines verläuft ein diagonaler Riss.
„Ist das dein Zweitwohnsitz?"
„Sehr witzig. Nein, hier bestelle ich manchmal mein Mittagessen."
Die Tür ist tatsächlich offen. Eine Klingel ringt, als wir über die Schwelle treten. Auf dem Boden kugeln sich Staubmäuse und alle möglichen Formen von Dreck kleben auf den Fliesen. Hinter einer Theke, deren eingelassene Vitrine leersteht, findet sich ein Backofen.
„Salih?!", ruft das Mädchen.
Ein dickbäuchiger Typ mit unappetitlichen langem und ungepflegten Bart kommt aus dem Nebenraum. „Du holst ab?"
„Ich bring dir sogar was." Sie deutet auf mich. „Ich hab dir doch von diesem hoffnungsvollen Fall erzählt, der unbedingt Arbeit braucht."
Salih mustert mich überrascht. Ich fühle mich nach dieser Vorstellung, als schrumpfe ich zusammen. „Hat er einen Führerschein?"
Ich will verneinen, aber sie kommt mir zuvor. „Er fährt besser als du." Sie wirft mir einen warnenden Blick zu und ich presse die Lippen zu einem Strich.
Während er eine Pizza einpackt, sieht er nachdenklich drein. „Ich kann ihn nicht anmelden."
„Er ist damit einverstanden."
„Ist das nicht illegal?", wende ich ein.
Salih sieht alarmiert zu dem Mädchen rüber, die auflacht. „Er ist ein Komiker." Sie schlägt mir den Ellbogen in die Seite, als Salih sich umdreht und nach den Plastiktüten greift, die an der Wand hängen.
„Nachbarschaftshilfe", sagt Salih mit einem Zwinkern.
„Um was für eine Arbeit geht es überhaupt?"
„Du lieferst Pizza aus. Ich gebe dir fünf Euro am Tag."
„Verarsch ihn nicht, Salih. Er drückt mir jeden Tag so viel an Miete ab."
„Also gut, zehn, aber mehr ist nicht drin."
Ich sehe unschlüssig zu ihr rüber und sie nickt mir energisch zu. Ich hebe die Hand und schüttele die mehlige des Pizzabäckers. „Du beginnst morgen, 16 Uhr."
Ich lächele schwach, er nickt zufrieden darauf. Daraufhin gibt er ihr die Pizza und sie ihm einen Fünf-Euro-Schein.
Wir verabschieden uns und gehen den Weg zurück. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll." Ich bin völlig baff. Eben noch kämpfte ich verzweifelt um Arbeit und dann beschafft sie mir ohne Umschweife eine. Nur werde ich das Gefühl nicht los, dass das kein gewöhnlicher Job ist.
„Ich kann überhaupt nicht Auto fahren."
„Ich bring's dir bei."
„Und du kannst das?"
„Gehört doch zur Allgemeinbildung."
„Wie alt bist du?"
„Alt genug."
Ich bleibe stehen und forme die Hände zu Krallen. „Könntest du mir einmal eine ordentliche Antwort geben?"
„Auf dumme Fragen? Ne." Damit geht sie weiter und ich eile ihr nach.
„Wie heißt du?"
„Nenn mich Foxy."
„Das ist doch kein richtiger Name."
„Echt? Kann sein."
Dieses Mädchen macht mich kirre. Ich kann sie überhaupt nicht einschätzen. Als wir durch den Zaun krabbeln, kommt uns ihr Fuchs entgegen.
„Na Stella? Hast du die Pizza gerochen?"
Die Füchsin wedelt mit dem Schwanz wie ein Hund.
„Stella?", frage ich.
„Was dagegen?"
„Wie bist du an sie gekommen?"
Foxy klaubt ein Stück Pizza aus der Schachtel und wirft es der Füchsin zu, die es in der Luft fängt und gierig verspeist. „Ist mir zugelaufen."
„Und du glaubst, Pizza ist für Füchse geeignet?"
„Sie frisst es doch, oder?"
Wir gehen nach drinnen.
„Klapp den mal aus", sagt sie mit einem Deut auf einen Campingtisch.
Ich stelle ihn neben den Holzstößen auf, damit wir diese als Sitzplatz nutzen können und wische ihn mit dem Ärmel grob sauber. Sie stellt die Pizza darauf ab. „Isst du mit?"
„Gerne."
Sie schnappt sich den Edding und notiert 2,50 Euro neben der Tür. „Hälfte, Hälfte", meint sie auf meinen fragenden Blick hin. Die Frau ist eiskalt.
Die Pizza schmeckt besser, als ich es von diesem Schuppen erwarten würde. Es ist eine Ewigkeit her, dass ich Fast Food zwischen die Zähne bekam. Wir teilen halbwegs gerecht auf. Zwischendurch teilt sie immer mal wieder einen Happen mit Stella.
„Geht es in Ordnung, wenn ich eine Weile hier wohne?"
„Du kannst dir ja jetzt die Miete leisten."
„Magst du mir erzählen, wie du hierhergekommen bist?"
„Nein."
„Findest du nicht, ich sollte etwas mehr über meine Mitbewohnerin wissen?"
„Ich finde dich sexuell nicht anziehend, also mach dir keine Hoffnungen." Sie sagt das so ausdruckslos, dass es mir glatt die Sprache verschlägt. Ich finde sie hübsch und bin fast beruhigt. So komme ich nicht in Versuchung, Linda mit ihr zu betrügen.
„Keine Sorge, ich habe eine Freundin."
„Warum ziehst du nicht zu ihr?"
„Sie lebt auf den Malediven."
Sie stößt einen Pfiff aus. „Ist sie vor dir abgehauen?"
„Ihre Eltern sind dorthin gezogen."
Sie nickt langgezogen. „Lass mich raten. Du sparst Geld und folgst ihr?"
„So offensichtlich?"
„So peinlich. Als ob die noch einen Gedanken an dich verschwenden würde."
„Wir schreiben uns Briefe."
Sie verdreht die Augen. „Kein Wunder, dass du in einer Traumwelt lebst."
„Ich habe wenigstens Träume. Was ist dein Plan?"
„Geht dich nichts an. Reicht, dass du ein offenes Buch bist." Sie holt einen Zettel aus ihrer Hosentasche. „Präg dir das ein." Sie verputzt ihr letztes Stück Pizza und setzt sich an ihr Notebook. Dabei dreht sie sich demonstrativ so, dass ich keinen Einblick auf den Bildschirm bekomme. Ich überfliege den Schrieb. Sie hat eine saubere Handschrift, als hätte sie Kalligrafie oder sowas gelernt.
§1 Du verrätst niemanden, dass wir hier leben.
§2 Du lässt die Finger von meinen Sachen.
§3 Du kommst nicht ohne zu fragen rein.
§4 Du urinierst, defäkierst und masturbierst draußen.
§5 Du hältst dich an jede Regel, sonst lynche ich dich.
Ich sehe von dem Zettel auf und sie hebt beide Brauen.
„Einverstanden?"
„Was heißt defäkieren?"
„Das ist ein hübsches Wort für Scheißen", erwidert sie mit einem süffisanten Lächeln.
„Abgemacht."
„Unterschreib es." Sie wirft mir einen Kugelschreiber zu und ich krakele meinen Namen drunter. „Und notier bei der Gelegenheit gleich die heutige Miete neben die Tür."
Ich tue wie geheißen. Zwei Tage und ich stehe mit 27,50 Euro in der Kreide. Das sind über zwei Tageslöhne. Das kann ja heiter werden.
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