Pizza kalt, niemand zahlt
Ich rase mit achtzig Sachen den Berg rauf. Der Motor klingt wie bei einem Rennauto. Ich überlege, den vierten Gang auszuprobieren, aber lasse es lieber. Keine Zeit für Spielereien. Irgendwann muss ich Foxy mal fragen, was es mit dieser rechten Anzeige zu tun hat. Bei dieser Geschwindigkeit wandert die Nadel immer wieder in den roten Bereich.
Foxy wartet bereits mit Stella im Arm am Gehweg. Sie hat sie in ein Tuch eingewickelt. So bewegungslos habe ich die Füchsin noch nie gesehen. Keine Ahnung, was so einem Tier fehlen kann. Bei ihrer Ernährung fällt mir aber einiges dazu ein.
„Anschnallen bitte", sage ich.
Sie sieht mich an, als wolle sie mir gleich eine klatschen. „Fahr los, du Idiot!"
Ich tue wie geheißen, wende das Auto und rase den Berg hinunter.
„Rechts", ruft sie knapp vor der Kreuzung.
Ich reiße das Lenkrad herum und schlittere über den Gegenverkehrsstreifen. Die Reifen klingen wie in einem Actionfilm bei einer Verfolgungsjagd.
„Fährst du immer so?"
„Ich dachte, du hast es eilig?"
„Das heißt nicht, dass ich draufgehen will. Du musst runterbremsen, bevor du in die Kurve fährst."
„Gute Idee." Warum bin ich da nie selber drauf gekommen?
Foxy klatscht sich an die Stirn. „Den Berg hoch und bei der Götzwiesenstraße rechts rein. Dann immer geradeaus." Sie streichelt der Füchsin über den Kopf. Ihr schnappendes Atmen beunruhigt mich. Vor der Arztpraxis fahre ich auf den Gehsteig und bremse ruckartig. Foxy verzichtet auf einen Kommentar, springt aus dem Auto und sieht mich auffordernd an.
„Ich muss diese Pizzen noch ausliefern", sage ich Richtung Kofferraum deutend.
„Lass mich damit nicht alleine!" Ihre Stimme klingt schrill und verzweifelt. So habe ich sie noch nie erlebt. Weint sie etwa?
„Wenn ich die nicht liefere, verliere ich den Job, Foxy." Ich fühle mich wie ein übler Verräter. Aber ich kann nicht alles stehen und liegen lassen. Ich bin gerade dabei, mir etwas anzusparen, meinen Traum zu erfüllen. Ich liebe die kleine Füchsin doch auch, aber ...
„Fahr schon." Sie wirft die Tür zu und läuft zum Eingang.
Ich kurbele das Fenster herunter. „Ich komme gleich nach, versprochen!"
Mit Vollgas brettere ich zurück. In der Kurve ramme ich fast ein anderes Auto, was mein hämmerndes Herz beinahe zum Aussetzen bringt. Ich biege scharf links ein. Zum Glück bremse ich dieses Mal ab, sonst wäre ich wahrscheinlich in ein Straßenschild ausgeschert. Die Straße ist der Horror. Nach einem dieser seltenen Schilder auf dem eine Dreißig steht, wird sie richtig eng und steil dazu. Einmal musste ich auf so einer anhalten, weil mir jemand hupend entgegenkam. Ich schaffte es nicht, bei dem Gefälle anzufahren, und rollte zurück, bis ich in eine Nebenstraße kam.
Nur hier gibt es sowas nicht. Rechts und links nicht einmal Gehsteige, nur Zäune und Mauern. Die Straße ist frei und ich fahre zügig, damit ich am Ziel bin, ehe mir jemand entgegenkommt.
Ein Auto springt förmlich aus einer Einfahrt von rechts. Ich schaffe es nicht mehr, zu bremsen und weiche links aus. Mit einem Geräusch, als würde man über eine Schiefertafel kratzen, schleift mein Auto über die Front des anderen. Ich schaffe es gerade noch, wieder zurückzulenken, ehe ich in eine Gartenmauer gefahren wäre. Scheiße, das hat mir noch gefehlt. Ich stelle den Motor ab, ziehe die Handbremse an und steige aus. Ein tobender Mann begrüßt mich sogleich mit allerlei Schimpfwörtern.
Der Schaden scheint sich auf den Lack zu begrenzen. Der wurde von seinem Auto abradiert und haftet jetzt auf meinem. Seine Karre sieht nach dem Modell superteurer Sportwagen aus. Ich beiße mir auf die Unterlippe.
„Sag mal, hast du deinen Führerschein auf der Baumschule gemacht, du Vollidiot?!"
„Es tut mir leid, ich war in Eile."
„Das hier ist eine beschissene Dreißigerzone und keine Rennstrecke. Hier spielen Kinder auf der Straße, du Arschloch!"
Ich hebe beruhigend die Hände. „Das wusste ich nicht, bitte verzeihen Sie."
„Ist das Verkehrsschild unten nicht groß genug?! Du Vollarsch, das bezahlst du mir!"
Ich fürchte schon, er wird handgreiflich, aber er holt einen Zettel raus und beginnt etwas zu notieren, wobei er immer wieder auf mein Nummernschild linst. „Also du bist zu schnell gefahren, damit trägst du die Schuld hieran. Und komm mir ja nicht damit, dass ich aus dem ruhenden Verkehr komme. Ich bin aus der Einfahrt geschlichen und du bist wie eine Rakete geschossen gekommen."
Ich nicke nur dazu. Keine Ahnung, was der Typ redet.
„Unterschreib das." Er reicht mir einen Zettel, auf dem ein Auto abgebildet ist. Unfallbericht oder so. „Und dann gib mir deine Telefonnummer. Und den Führerschein will ich auch sehen."
„Den hab ich nicht dabei."
„Ist das dein Ernst? Okay, vielleicht rufe ich besser die Polizei."
Er greift nach seinem Telefon und ich will ihn schon aufhalten. Was soll ich denen erzählen, wo mein Führerschein ist? Verdammt, ich sitze in der Patsche. Ich lege die Hände hinter den Kopf wie ein Gefangener. War es das mit meinem Traum? „Okay, tun sie es", erwidere ich resignierend.
Er sieht überrascht zu mir auf. „Ich mache das wirklich, wenn du mir nicht sofort deinen Lappen zeigst."
In meinem Kopf rattert es. Er wirkt verunsichert. Ich muss an Foxy denken. Sie wird sich fragen, wo ich bleibe. Ich kann sie nicht mit der Sache alleine lassen. Sie wirkte so verzweifelt. „Rufen Sie die Polizei. Dann können wir das mit dem ruhenden Verkehr klären", sage ich aus einer Intuition heraus.
Er leckt sich über die Lippen. „Okay, lassen wir das, gib mir einfach deine Nummer."
Ich notiere ihm die meines Diensthandys und er ruft mich probeweise an, ehe er mit dem Zeigefinger auf mich deutet. „Wir hören voneinander." Fluchend begutachtet er den Autoschaden und ich sehe zu, dass ich schleunigst weiterkomme.
Ich parke vor einem stattlichen Haus. Aus dem Garten höre ich Kindergebrüll. Eine Frau eilt mir entgegen. „Das wurde aber auch Zeit!"
„Entschuldigung, ich wurde aufgehalten." Als ich den Kofferraum öffne, würde ich am liebsten losheulen. Die Pizzakartons liegen wild durcheinander. Flüssiges Fett und Tomatensauce sprenkeln den Wagen.
Sie sieht argwöhnisch über meine Schulter. „Das ist aber nicht Ihr Ernst? Sind die überhaupt noch warm?"
Ich taste auf einen Karton. Höchstens lauwarm. Ich hebe die Schultern und sie seufzt energisch.
„Die Kinder haben Hunger. Geben Sie schon her."
Ich schlichte die Kartons raus, sie geht sie einzeln durch und schüttelt nur den Kopf. „Dafür zahle ich höchstens die Hälfte."
„Aber ich kann nicht ..."
Sie drückt mir einen Fünfziger in die Hand. „Seien Sie dankbar, dass ich Sie damit nicht postwendend zurückschicke. Ich werde mit Ihrem Chef darüber sprechen."
Ich lasse die Schultern hängen und nehme das Geld. Salih wird mir den Kopf abreißen. Der einzige Lichtfunke ist, dass ich zu Foxy fahren kann. Ich ignoriere Salihs Anruf und fahre zurück. Das Auto lasse ich neben der Straße stehen und hetze in die Praxis. Foxy ist die einzige Anwesende. Sie sitzt heulend im Wartezimmer. Ich weiß erst nicht, wie ich damit umgehen soll. Sie hat sich nie eine Blöße vor mir gegeben. Ich kenne das auch von zuhause nicht. Egal wie schlimm die Zeiten waren, meine Eltern haben immer gute Miene gespielt. Ich lege ihr behutsam die Hand auf die Schulter. Sie packt mein Shirt und schnieft hinein.
„Hey, alles gut, wie geht es Stella?"
„Es ist wieder dasselbe wie beim ersten Mal. Irgendwas mit dem Darm."
„Wir sollten ihr echt was anderes als Pizza zu essen geben."
Sie boxt mich auf die Brust und sieht mich aus zornigen, feuchten Augen an. „Das hat damit nichts zu tun. Sie ist krank. Schon immer. Was glaubst du, wieso sie bei mir ist?!"
Ich beiße mir auf die Unterlippe. „Kommt sie durch?"
„Sie haben mir schon dreihundert Euro für einen Ultraschall und ein Röntgen abgeknüpft."
Ich ächze auf und sie nickt, derweil sie sich die Tränen mit dem Ärmel abwischt. „Sie ist ein Wildtier. Da verlangt die Ärztin Vorkasse. Tja, blöd gelaufen. Wahrscheinlich müssen sie operieren, aber das kann ich mir nicht mehr leisten."
„Das wird schon."
„Danke, dass du gekommen bist."
Ich streichele ihr über den Kopf. Ihr Haar fühlt sich seidig glatt an. Keine Ahnung, wie sie das hinbekommt. Für einen Moment fühle ich mich richtig zu ihr hingezogen. Es fühlt sich an, wie in diesen schnulzigen Filmen. Ich habe mir oft mit Linda so einen Augenblick vorgestellt. Ich streiche ihr Haar hinters Ohr, so wie ich es gerade bei Foxy tue, sie sieht mich aus großen Augen an und ich küsse sie.
„Aurelia?", sagt die Assistentin, worauf Foxy sofort aufspringt und zur Theke hastet. „Kommen Sie bitte mit rein?"
„Darf er mitkommen?"
Die Frau sieht mich an. „Natürlich."
Aurelia? Ist das ihr richtiger Name? Klingt irgendwie abgehoben für sie. Ich folge ihr in den Behandlungsraum. Stella liegt fiepend auf dem Behandlungstisch. Ihr Fell ist gesträubt, der Atem keuchend als drohe sie zu ersticken. Ich streichele ihr über das Fell und mir kommen fast selbst die Tränen.
„Wir können sie behandeln", sagt die Tierärztin. „Aber es wird nicht billig."
Foxy sieht zu Boden und scharrt mit dem Fuß darüber.
Die Assistentin sieht die Doktorin an, die darauf langgezogen seufzt. „Sehen Sie, ich muss zumindest die Materialkosten reinbringen. Ich kann ihnen für zweihundert Euro helfen."
Foxys Gesicht erstarrt zu einer Maske, als hätte man ihr gerade gesagt, dass sie nur noch ein paar Tage zum Leben hat. „Ich muss jemanden anrufen."
Sie will hinausgehen, doch ich packe sie am Handgelenk. Aus meiner Hosentasche befördere ich meinen Hunderter und die fünfzig Euro der letzten Bestellung. „Wir haben das Geld."
Foxy sieht mich verwirrt an. „Das ist deines."
Ich schüttele den Kopf und schenke ihr ein Lächeln. „Unseres wenn schon."
Sie knabbert auf ihrer Unterlippe und schüttelt den Kopf, derweil sie mich mit einer Mischung aus Bestürzung und Bewunderung mustert. Sie zieht ihr letztes Geld aus ihrer Geldbörse und legt es zu meinem. „Kümmern sie sich um Stella."
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top