Durch's Feuer wird's teuer

Als ich dem Mädchen erklärt habe, dass ich nicht einmal weiß, was Amazon ist, hat sie mich angesehen, als klettere ich gerade aus meinem Ufo. Ich habe es schließlich als Scherz abgetan, um nicht vor Scham im Boden versinken zu müssen. Sie hat mir grob ihre Vorgehensweise erklärt, die für mich nach einem Kapitalverbrechen klingt. Als sie meinen Unmut bemerkte, hat sie eingelenkt und gemeint, ich soll es eben auf die ehrliche Tour versuchen. Sie klang nicht unbedingt zuversichtlich. Dabei ist die Sache doch einfach. Offenbar kann man diese Codes gegen Geld eintauschen. Jeder ist zwanzig Euro wert und ich soll sie in zehn bis fünfzehn Euro Bares verwandeln. Wer würde darauf nicht einsteigen?
Ich brauche wieder eine halbe Stunde bis zum Supermarkt. Heute sind nur vereinzelte Autos auf dem Parkplatz. Das macht die Sache übersichtlicher. Zunächst ist es mir fürchterlich peinlich, wildfremden Leuten etwas anzudrehen. Aber nachdem ich ihnen damit Gutes tue, sehe ich kein Problem.
Eine ältere Frau spaziert aus dem Geschäft und fährt mit dem Einkaufswagen zu ihrem Auto.
„Entschuldigen Sie?"
Sie nimmt mich überhaupt nicht wahr.
„Ich möchte Ihnen gerne einen Amazon-Gutschein anbieten."
Die Frau hebt misstrauisch eine Braue. „Ich will deine Zeitung nicht, Junge."
Ich blinzle sie verwirrt an. „Nein nein, es geht nicht um eine Zeitung."
Sie eilt weiter zu ihrem Auto und räumt die Einkäufe ein. Das Mädchen meinte, jeder kennt Amazon. Ich müsste schon einen ziemlich Idioten antreffen, der nicht wüsste, wovon ich rede. Dabei hat sie mich intensiv gemustert, als wäre ich so einer.
„Ich habe hier Codes für jeweils zwanzig Euro und ich würde sie ihnen billiger verkaufen."
Sie seufzt genervt und reicht mir ihren Einkaufswagen. „Da ist ein Euro drin. Kannst du behalten." Mit grummelig gemurmelten Worten steigt sie in ihr Auto und fährt los. Ich rede mir ein, dass die Frau ohnehin keine Lust hatte, ihren Einkaufswagen zurückzubringen. Kurz vor der Schlange an Wägen steht ein junger Mann, der mir eine Zeitung in die Hand drücken will. „Oh, danke, nein", verneine ich und nehme den Euro aus dem Wagen.
„Eine Spende vielleicht?"
Ich mustere ihn perplex. Er ist kaum älter als ich. Wahrscheinlich steht er hier den ganzen Tag und bringt kein einziges seiner Exemplare an. Ich reiche ihm den Euro und er lächelt mich unter mehrfachem Nicken an.
Mein nächster Kunde kommt bereits angefahren. Ein junger Mann in einem schicken Auto. Ich eile zu ihm herüber und biete ihm einen Gutschein an.
„Lass mal sehen", sagt er und nimmt mir den Zettel ab. Er tippt etwas in sein Handy und lächelt zufrieden. „Die Codes funktionieren ja wirklich." Er will ein Foto davon machen, aber ich ziehe ihm den Zettel flink aus der Hand. „Das macht fünfzehn Euro."
Er zeigt mir den Vogel und geht ins Geschäft. Ich überlege, ihm hinterherzulaufen, aber mir hier vor meiner Wunscharbeitsstelle Ärger einzufangen, halte ich für unproduktiv. Ich werde dem Mädchen das verlorene Geld zurückzahlen müssen.
Bei einer jungen Frau mit Kindern habe ich Glück. Sie mustert mich erst mitfühlend und will mir etwas zustecken, ehe sie ganz begeistert ist, da alle Codes funktionieren. Ich bekomme 45 Euro für 60 Euro an Gutscheinen und habe damit auf einen Schlag alles abgearbeitet.
Nachdenklich betrachte ich die Geldscheine. Ich bin vielleicht mies in Integralrechnung, aber wie kann das funktionieren? Sie macht ein Verlustgeschäft damit. Ich werde das Gefühl nicht los, dass bei der Sache etwas faul ist, und stecke die Scheine unbehaglich in die Hosentasche. Ich will ins Geschäft gehen, da kommt mir die Filialleitung mit zackigen Schritten entgegen. „Du schon wieder!"
„Ich wollte gerade zu Ihnen kommen. Haben Sie meine Bewerbung bekommen?"
„Du meinst diesen Schmierzettel, den meine Mitarbeiterin mir gestern Abend gegeben hat?"
„Ich habe sie händisch verfasst, um die Ernsthaftigkeit zu unterstreichen."
„Und um dein Engagement zu beweisen, vertreibst du hier ominöse Gutscheine auf dem Parkplatz?"
Ich lecke mir nervös über die Lippen. „Das war nur ein Gefallen für eine Freundin."
Sie lächelt raubtierhaft. „Dann lass mich dir auch einen Gefallen tun. Du verschwindest jetzt sofort von hier und ich verzichte darauf, die Polizei zu rufen."
„Es tut mir leid, wenn ich etwas falsch gemacht habe."
„Hau ab!", brüllt sie mir entgegen und zeigt in Richtung der Ausfahrt.
Ich atme tief ein und aus und nicke. Ihr Zeigefinger ruckt erneut voran und ich folge ihrem Deut.
„Und lass dich hier nie wieder blicken!", ruft sie mir hinterher.
Verdammt, was jetzt? Ohne eine Arbeit komme ich nicht vom Fleck. Ich schlage den Kopf mehrfach gegen ein Verkehrsschild. So ein Dreck! Aber es bringt nichts, Trübsal zu blasen. Die Zeit läuft mir davon. Ich erweitere meinen Suchradius, gehe jedes Geschäft durch – auch solche, in denen ich gestern war. Ich könnte ein Fotoalbum mit mitleidigen Blicken füllen. Manche geben mir gutgemeinte Ratschläge, wollen sich melden, wenn sich etwas ergibt. Andere beschweren sich über meine Dreistheit.
Muss ich mich am Ende echt beim Bahnhof aufstellen und die Hand aufhalten? Wenn Paps mich dort erwischt, bin ich erledigt. Ich hab ihm gesimst, dass ich einen Job gefunden habe und bis ich eine eigene Bleibe habe, bei einer Freundin lebe. Nur besteht meine Arbeit darin, Fremden ominöse Gutscheine anzudrehen. Und ich kenne nicht einmal den Namen dieser Person.
Ich setze mich auf eine Bank vorm Gemeindeamt und starre ins Leere. Sie hatten alle Recht. Die Kinder im Kindergarten, meine Mathelehrerin und dieses ominöse Mädchen. Ich bin dumm. Ein naiver Trottel. Wenn das Leben so einfach wäre, würden nicht so viele Menschen darüber jammern. Würde jeder von heute auf morgen einen Job und eine Wohnung finden, säße niemand auf der Straße. Sieht so aus, als geselle ich mich bald zu den Obdachlosen.
Ich vergrabe das Gesicht in den Händen. Vielleicht kann ich das Mädchen anbetteln, mir etwas Zeit zu geben. Aber damit liege ich nur jemandem auf der Tasche, dem es noch dreckiger als Paps geht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihr die Gartenhütte gehört. Wahrscheinlich lebt sie wie eine Nomadin. Immer so lange an einem Fleck, bis die wahren Besitzer dahinterkommen.
Mein Handy läutet. Es ist Paps. Ich überlege, nicht abzuheben, aber ich will ihm keine unnötigen Sorgen bereiten. „Hey", versuche ich möglichst euphorisch zu klingen.
„Hallo Junge, kannst du reden oder bist du in der Arbeit?"
Ich sehe zum Himmel. „Bin eben fertiggeworden."
„Ich hätte nicht gedacht, dass du das wirklich durchziehst. Dachte, du gehst eine Runde spazieren."
Ich lache leise auf. „Tja, einen überraschenden Abgang zu machen, liegt wohl in der Familie."
Er zögert mit einer Antwort. Ich spüre seine Anspannung förmlich durch das Telefon. „Es tut mir leid, wenn ich dich da reingedrängt habe, weil ich unbedingt wollte, dass du deinen Abschluss machst."
„Schon okay, ich weiß ja, dass du es gut meintest."
„Ich bin froh, dass du den Sprung geschafft hast. Auch wenn ich ziemlich platt bin, dass du mir nichts dir nichts eine Stelle gefunden hast."
Ich schmunzele und würde am liebsten weinen. „Ich bin da irgendwie reingestolpert. Mehr Glück als Verstand."
„Wie lange kommst du bei dieser Freundin unter?"
„Bis ich was Eigenes gefunden habe."
Er seufzt erleichtert auf. „Junge, es gibt da was, über das wir reden müssen."
„Ich weiß, die Kinderbeihilfe fällt weg und ich lag dir auf der Tasche."
Ein weiteres Zögern. „Ich verkaufe das Haus. Ich kann mir die Raten seit Monaten nicht mehr leisten. Deine Mutter hat uns eine Weile unterstützt, aber es geht ihr selbst nicht allzu gut. Ihr neuer Freund hat sie sitzenlassen und sie schaut, wie sie über die Runden kommt."
„Du verkaufst unser Zuhause?"
„Es fällt mir selbst schwer, aber ich sehe keinen anderen Weg."
„Und wo lebst du dann?"
„Es gibt in Wien eine Hilfsstelle für Fälle wie mich."
Kälte breitet sich in meiner Brust aus. Als presse jemand mein Herz mit eisiger Hand zusammen. „Muss ich mir Sorgen machen?"
„Alles gut, Adam. Ich komm schon durch. Ich melde mich bei Gelegenheit. Du weißt ja, mein Guthaben. Wenn du was brauchst, schreib mir."
Ich presse die Lippen zusammen. „Mach dir keine Gedanken, mir geht's gut."
„Ich liebe dich Adam."
Ich wische mir die Tränen von den Wangen. „Ich dich auch Paps."


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