Kapitel 40: Rose
Die Schulwochen vergehen zum einen viel zu schnell, zum anderen ziehen sie sich aber auch endlos in die Länge. Vor allem in den Lektionen, die ich gemeinsam mit Ryan habe.
Dafür ist meine Beziehung zu Carlos auf einem ganz neuen Level, obwohl ich ihn immer noch als guten Freund sehe.
Wenigstens habe ich nicht viel Zeit, um an Ryan oder den Abschied zu denken, da wir ununterbrochen den Tanz für das Sommerfest proben.
Fanny ist eine ziemlich lockere Person, wenn wir etwas in unserer Freizeit unternehmen. Doch bei den Proben für den Tanz kennt sie keine Gnade. Alles muss perfekt sein. Auch wenn sie uns ziemlich herumkommandiert, natürlich ist alles nur zu unserem Besten und auch gut gemeint, beschwert sie keine von uns.
Wir schätzen Fannys Ehrlichkeit und Zielstrebigkeit. Denn ohne sie wären wir noch lange nicht so gut vorbereitet.
Fanny erzählt zwar nicht sehr viel von ihrer Familie, doch da beim Sommerfest auch Eltern und Freunde kommen dürfen und ich weiss, dass ihre Mutter kommen wird, habe ich das Gefühl, dass sie ihretwegen noch strenger mit uns geworden ist.
Ich glaube sie möchte ihrer Mutter damit etwas beweisen. Ich weiss nicht was es ist und wenn ich ehrlich bin, möchte ich da auch nicht nachhaken. Wenn sie mir etwas erzählen möchte, dann wird sie dies auch tun. Obwohl Fanny mit privaten Sachen eher verschlossen ist.
Sie erzählt auch nicht viel über Ayden und was gerade zwischen ihnen läuft. Ayden strahlt aber immer übers ganze Gesicht, wenn er sie sieht, so dass man eigentlich nur positives daraus schliessen kann.
Da heute Mittwoch ist und ich ausnahmsweise mal keine Spezialprobe habe, verlasse ich mit Fanny um zehn nach vier die Schule und sie fährt mich nach Hause.
Ich freue mich jetzt schon darauf mal wieder ein Buch zu lesen und nichts zu tun.
Als sie mich in unserer Quartierstrasse aussteigen lässt und ich mich verabschiede, ruft sie mir noch hinterher.
«Morgen ist übrigens Spezialtraining. Vergiss nicht die Aufführungsklamotten mitzunehmen.»
Ich verdrehe die Augen. «Schon gut. Mach dir keine Sorgen. Ich werde alles dabeihaben.»
Dann winke ich ihr noch kurz zu und laufe in unsere Einfahrt. An der Haustür angekommen, muss ich zuerst einmal meine Schlüssel aus der Tasche kramen, um aufzuschliessen.
Harper müsste noch in der Schule sein und Susanna, sowie auch Toby sind mittwochs meistens im Restaurant.
Doch als ich in die Eingangshalle trete, vernehme ich Stimmen aus dem Wohnzimmer.
«Ich bin wieder da», rufe ich und schlüpfe aus meinen Schuhen.
«Rose, hier sind wir. Komm mal ins Wohnzimmer», ruft Susanna und ich gehe durch die Küche in Richtung Wohnzimmer.
Als ich einen Blick auf das Sofa werfe und entdecke wer neben ihr sitzt, beginnt mein Herz zu hüpfen.
«Mamá», kreische ich wie ein kleines Kind und als meine Mutter aufsteht, um mich zu begrüssen, falle ich ihr stürmisch um den Hals.
«Dios mio, qué hermosa eres», sagt meine Mutter und streicht mir über die Wange.
«Mamá ich sehe doch immer noch genau gleich aus», sage ich lächelnd und drücke sie nochmals an mich.
«Also ich habe das Gefühl du bist noch hübscher geworden. Und dein Kleidungsstil. Sind das neue Jeans? Richtig Amerikanisch.»
Wir müssen lachen und Susanna grinst ebenfalls. «Ich mache mir einen Kaffee, möchtet ihr auch einen?»
Ich schüttle den Kopf.
«Pamela?», fragt sie an meine Mutter gewandt.
«Ja, ich nehme gerne einen. Mit ein wenig Zucker, wenns geht.»
«Aber klar doch», meint Susanna und verschwindet in der Küche.
Wir setzen uns aufs Sofa. Sofort verfalle ich in einen Redeschwall und erzähle Mamá vom Sommerfest und unserer Aufführung. Und natürlich wieder einmal von meinen Freundinnen. Das mit Ryan Schluss ist, vermeide ich zu erwähnen, obwohl sie das bestimmt schon von Susanna erfahren hat.
Nachdem Susanna den Kaffee gebracht und anschliessend gemeint hat noch etwas im Büro erledigen zu müssen, halte ich plötzlich in meiner Erzählung inne und sehe meine Mutter fragend an.
«Mamá, wieso bist du überhaupt hier? Sicher nicht, um mir kurz einen Besuch abzustatten.»
«Hey, warum denn nicht? Denkst du meine Tochter ist mir nicht genug wichtig, um sie auf einem anderen Kontinent besuchen zu kommen», fragt sie gespielt empört und ich schüttle den Kopf.
«Nein, das war nicht so gemeint.»
«Ich weiss, cariño. Und du hast ja recht. Ich bin wirklich aus einem wichtigen Grund hier.»
Abwartend sehe ich sie an.
«Also, kannst du dich noch an Tante Emma erinnern?» Ich überlege einen Moment.
«Ist das nicht die ältere Schwester von Grandma.» Damit meine ich meine Grossmutter mütterlicherseits.
«Ja, genau die. Nun, es gibt eine schlechte und eine andere Nachricht.» Verwirrt sehe ich meine Mutter an.
«Du weisst schon, dass mich das jetzt gerade wenig motiviert, Mamá. Die meisten Menschen sagen eine gute und eine schlechte Nachricht. Aber egal. Was ist die schlechte?», frage ich ein wenig nervös.
«Also, Tante Emma ist letzte Woche altershalber verstorben.»
«Oh.» Damit habe ich nicht gerechnet.
Es macht mich irgendwie traurig, auch wenn ich sie nicht so gut gekannt habe und wir uns erst zweimal begegnet sind. Immerhin hat sie meiner Mutter in deren Kindheit sehr nahegestanden, dass weiss ich.
«Bist du deshalb hier? Wegen der Beerdigung?», frage ich, doch sie schüttelt den Kopf.
«Emma war nicht sehr religiös. Sie wurde am Wochenende von den verbliebenen Neffen und Nichten verabschiedet. Du weisst ja, dass sie keine Kinder hatte.»
Ich nicke.
«Und das führt mich zu der anderen Nachricht. Da Emma keine Kinder hatte und sie im Verlaufe der Jahre durch ihren vorverstorbenen Ehemann und dessen Firma ein grosses Vermögen besass, hinterlässt sie Grossmutter also ziemlich viel Erbe.
Unter anderem auch ihr Anwesen in Lynwood. Ich war früher viel bei ihr, da wir nicht weit voneinander entfernt wohnten. Das Haus ist ein bisschen in die Jahre gekommen, doch ich denke, wenn wir es ein wenig aufpeppen und renovieren, dann wird es sicherlich gemütlich sein.»
«Wir?», frage ich verwundert und glaube mich verhört zu haben.
Mamá grinst mich mit diesem «und jetzt kommt die Überraschung» Lächeln an.
Meine Atmung beschleunigt sich und ich sehe sie gespannt an.
«Ja, cariño. Für Grandma und Grandpa ist das Haus viel zu gross und du weisst ja, wie gerne sie wieder in Amerika leben würden. Also haben wir beschlossen das Haus nicht zu verkaufen. Vorerst werden nur sie in das Haus ziehen, doch wir haben ebenfalls vor nächstes Jahr auszuwandern.
Du weisst wie teuer unsere kleine Wohnung ist und da Papás Kunden meistens aus Amerika sind, würde es von Vorteil sein.»
Ich träume, oder? Wir ziehen nach Amerika?
Mein Herz macht einen Sprung und ich höre einen Augenblick auf zu atmen. Ich bin überwältigt. Das kann doch nicht wahr sein. Ich schlage mir die Hände vors Gesicht und beginne zu weinen.
Meine Mutter sieht mich besorgt an.
«Rose, es tut mir leid, dass wir das selbst entschieden haben und ich dich nun so damit überrumpeln. Aber wir dachten, da es dir hier sowieso schon so gefällt, hättest du sicher nichts dagegen. Aber natürlich können wir das Haus auch nur für die Ferien nutzen. Noch ist nichts entschieden.»
Ich schüttle den Kopf und beginne zu lachen, was ziemlich dämlich aussieht, wenn man bedenkt, dass ich ein verheultes Gesicht habe und ausserdem keine wasserfeste Wimperntusche.
«Mamá, das ist einfacheinfach grossartig. Und ich freue mich so, dass ich einfach nicht weiss was ich sagen soll. Ich meine ich liebe es hier. Nichts gegen Madrid, aber ich habe einfach das Gefühl hierherzugehören.»
Sie schliesst mich in die Arme und flüstert: «Ach du meine Güte. Einen Moment dachte ich schon einen Fehler gemacht zu haben.»
Eine Viertelstunde später, habe ich mich so einigermassen wieder erholt, obwohl ich immer noch das Gefühl habe mich in einem endlosen Traum zu befinden.
Meine Hände zittern zwar immer noch vor Aufregung und ich könnte Luftsprünge machen, doch es gibt noch so vieles, was ich meine Mutter fragen muss.
«Also wie lange bleibst du hier?», gespannt sehe ich von ihr zu Susanna, die nun wieder neben uns Platz genommen hat.
«Bis zu den Sommerferien. Ich übernachte vorerst bei einer weiteren Schwester von Grandma. Papá wird nächste Woche auch noch kommen und wir werden schon mit den Renovierungsarbeiten starten. Damit kann der grösste Teil über die Ferien erledigt werden.»
«Was ist mit Ainara?»
Meine Schwester geht auf eine Privatuniversität, welche etwa eineinhalb Stunden von Madrid entfernt ist und wohnt somit in einer WG.
«Sie wird ihren Abschluss in Madrid machen und vorerst nur die Ferien hier verbringen. Alles andere wäre zu umständlich.»
Ich nicke verständnisvoll, auch wenn ich meine Schwester gerne näher bei mir gehabt hätte.
«Und was ist mit mir? Kann ich hier meinen Highschoolabschluss machen?», frage ich und auf einmal bin ich wieder nervös.
«Wenn du das wirklich willst, dann können wir darüber nachdenken. Du musst dann einfach eine Zeit lang mit Grandma und Grandpa wohnen, da wir mindestens noch fünf Monate in Madrid bleiben müssen, bis wir alles geklärt haben.
Ausserdem müssten wir die Schulen über einen Wechsel informieren und den ganzen Papierkram erledigen. Aber ich kann dir nicht versprechen, dass es so kurzfristig funktioniert. Und was diese Schule hier in Santa Monica betrifft, dass liegt ganz in deinen Händen.
Lynwood ist ungefähr dreissig Minuten von hier entfernt. Natürlich mit dem Auto. Wenn du also bald mal deine Prüfung machst, dann sollte dieser Sache nichts im Wege stehen.»
Ich könnte erneut weinen, so glücklich bin ich.
Strahlend sehe ich meine Mutter an. Hätte mir heute Morgen jemand gesagt, dass wir ein Anwesen geerbt haben und auswandern werden, hätte ich gelacht.
«Weiss Ryan schon davon?», frage ich an Susanna gewandt, doch sie schüttelt den Kopf.
«Dann muss ich es ihm gleich erzählen.»
«Hat er nicht Training?», fragt Mamá und gleichzeitig frage ich mich wieso sie das weiss.
«Ja, aber ich muss jetzt dahin», sage ich entschieden.
Dann umarme ich meine Mutter und flüstere: «Danke, das ist wirklich das Beste, was mir passieren konnte.»
Anschliessend gehe ich aus dem Wohnzimmer, aber nicht ohne mich nochmals umzudrehen und zu sagen: «Ich werde pünktlich zum Abendessen wieder hier sein.» Susanna grinst nur und nickt.
Dann steige ich hastig in meine Schuhe, schnappe mir meine Jacke und renne aus dem Haus.
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