Kapitel 9
Im nächsten Moment sah ich schon wieder hinfort, denn ich wusste, dass dies nicht der Richtige Moment war. Ich verspürte irgendwie Zuneigung gegenüber Jason, auch wenn es unfassbar schwer war dies zu glauben.
Taumelnd stand ich von dem Gehweg auf. "Komm mit, das war noch nicht alles", befahl ich ihm und zog ihn an seiner Hand hoch.
Lächelnd fing ich an zu rennen und genoß die sanfte Brise des Windes, welche auf meiner Haut prickelte. Eigentlich sollte ich traurig sein, aber es tat gut diese Geschichte mit einem zu teilen. Mit meinen Eltern konnte ich nie über Seline reden, sie verdrängten die ganzen Geschehnisse. Bereits am nächsten Tag waren sie wieder in ihren Alltag zurück gekommen und zogen weitere ahnungslose Kunden über den Tisch. Aber dies war nur ein kleiner Grund warum ich sie so verabscheute. Schon seit meiner Kindheit interessierten sich meine Eltern nicht für mich und Seline, es war einfach nichts Neues.
Der Grund warum ich sie so hasste war, dass sie nicht auf die Beerdigung von Seline gingen. Sie waren nicht da, denn sie hielten es für wichtiger auf einer Geschäftsreise zu sein. Nie hatten sie sich von ihrer Tochter verabschiedet und so etwas hatte sie nicht verdient. Nicht sie.
"Wohin gehen wir?", fragte mich Jason und ich musste lachen, als ich hörte wie sehr er aufgrund des Tempos keuchte.
"Wirst du schon sehen", brüllte ich zurück und fing an noch schneller zu rennen.
"Ernsthaft Cel? Wir sind nicht im 21. Jahrhundert und nehmen an den olympischen Spielen teil. Du kannst ruhig langsamer laufen", rief er.
"Halt die Klappe, sonst bekommst du noch Seitenstechen", antwortete ich und bog schnell in die nächste Straße.
Kichernd rannte ich weiter bis ich aufeinmal gegen etwas Hartes prallte.
"Na, wen haben wir denn da?", brummte ein stämmiger Mann vor mir. Obwohl ich mittlerweile einige Schritte von ihm entfernt war roch ich den starken Geruch des Alkohols, den er ausstieß.
"Geht dich rein gar nichts an", konterte ich und drehte mich schnell um. Plötzlich wurde ich an meinem Arm zurück gezogen und ich bekam es mit der Angst zu tun.
"Hey, lass sie in Ruhe", brüllte Jason, der gerade um die Ecke stolperte. Blitzschnell rannte er auf mich zu und befreite mich aus den Armen. Erleichtert ließ ich mich an der Mauer nieder.
Im nächsten Moment erschrak ich, denn Jason schlug dem Unbekannten direkt in sein dreckiges Gesicht. Geschockt taumelte der Betrunke zurück. Jason stand bedrohend vor ihm.
Hatte er nicht die Konsequenzen in den Hintergedanken? Wenn ihn irgendjemanden erwischte, wäre er tot. Mit einem Kopfschütteln ging ich auf die beiden zu und zog Jason zurück.
"Hör auf", flüsterte ich. Abrupt hörte er auf den Mann zu verprügeln.
"Wenn du irgendjemanden sagst was heute passiert ist, dann töte ich dich", drohte er dem Mann und ich erschrak kurz. Meinte er das etwa ernst? Schnell musterte ich Jasons Gesicht, es sah anders aus. Seine Augen waren dunkel und auf seinen Lippen lag ein fieses Grinsen. Diesen Blick hatte ich bei ihm noch nie gesehen. Wer hatte auch erwartet, dass der neugierige, nervige Jason eine solch brutale Seite an sich hatte.
"Wir müssen verschwinden, bevor uns jemand sieht", erinnerte ich Jason, der dem Fremden immer noch böse anfunkelte. Schnell nickte er und fing an zu rennen.
Dem Mann schenkte ich noch einen abwertenden Blick, bevor ich Jason hinterher rannte.
Nach einiger Zeit stoppte er und ließ sich auf einer Bank nieder.
"Das hätte ich auch alleine geschafft", behauptete ich während ich mir die unbequemen Schuhe von den Füßen schliff.
"Bist du dir da sicher?", entgegnete er. Eine seiner buschigen Brauen zog er leicht in die Höhe.
"Es sah nämlich so aus als wärst du nicht so schön davon gekommen, wenn ich dir nicht geholfen hätte. Ein Dankeschön wäre hier mehr angebracht als dein ständiges Rumgezicke. Eigentlich bin ich immer nett zu jedem, aber dir kann man es verdammt nochmal nicht Recht machen. Ich habe dir gerade vielleicht dein verdammtes Leben gerettet. Wer weiß was dieser Typ mit dir gemacht hätte, Celia. Sei verdammt nochmal einmal dankbar und behandle nicht jeden Menschen wie ein Stück Dreck, nur weil du dich im Inneren so fühlst. Wenn du dir nicht helfen lässt, dann kann man dir eben nicht helfen. Du bist kaputt Celia, kaputt von deinem Leben und ich will dir helfen. Aber du scheinst es nicht zu verstehen, denn mit jedem Schritt den du tätigst entfernst du dich einen von mir", brüllte er beinahe verzweifelt. Schnell schüttelte ich meinen Kopf. Er hatte nicht Recht...
Er hatte Recht. Und wie Recht er hatte, er war die erste Person die erkannte wie es mir wirklich ging.
"Es- es war nicht so gemeint, okay?", stotterte er.
"Ich will einfach nur ein guter Freund oder zumindest irgendetwas in der Art für dich sein. Ich kann jetzt verstehen wie es dir im Inneren geht, wegen deiner Schwester. Aber du kannst nicht für immer in deinem Zimmer sitzen bleiben und die komplette Außenwelt verdrängen. Ich bin mir so sicher, dass tief in dir drinnen ein komplett anderer Mensch steckt, als du es zugeben möchtest. Seh doch was aus dir geworden ist. Du hast sogar deine laut dir größte Leidenschaft aufgegeben, das Zeichnen. Du frisst alles in dich hinein ohne es an irgendwen weiterzugeben, an Freunde. Celia, jeder Mensch braucht Freunde, ohne Freunde ist die Welt doch nur halb so schön. Nein, du musst aus deiner Mitleidsphase herauskommen. Denn so schlimm wie es auch klingen mag, selbst wenn du zehn weitere Jahre der unfreundlichste und einsamste Mensch in ganz Aquaria bist wird Seline nicht mehr zurück kommen. Sie ist gestorben Celia, sie wird nie wieder kommen und ich bin mir sicher, dass sie mehr als traurig wäre wenn sie wüsste das ihre sechzehnjährige Schwester noch Jungfrau ist", fuhr er fort und beim letzten Satz entlockte er mir sogar ein Lächeln. Seine Worte brachten mich zum Nachdenken. Irgendwie lag er richtig, ich konnte nicht mein ganzes Leben lang trauern.
Seufzend ließ ich mich neben ihm nieder und starrte in den bezaubernden Sternenhimmel.
"Bin ich echt so schlimm?", hakte ich nach.
"Nein", antwortete er und zog das Wort extra in die Länge. Den Sarkasmus konnte ich förmlich riechen.
"Idiot", lachte ich.
"Außerdem bin ich keine Jungfrau mehr", flunkerte ich und verschränkte gespielt beleidigt meine Arme vor der Brust.
"Ach wirklich? Wer hat denn mit dir geschlafen? Der Staub an deinem Bettgestell?", scherzte er. Nach Luft schnappend schlug ich ihm leicht gegen die Schultern.
"Es war", schnell versuchte ich an einen Namen zu denken. "Christopher."
"Christopher?", fragte er.
"Christopher", wiederholte ich zustimmend.
"Und weiter? Christoper Lüge oder Christopher Legende", entgegnete er lachend.
"Christopher Stevens. Groß, muskulös, blonde Haare, blaue Augen", begann ich zu schwärmen.
"Und total erfunden", unterbrach er mich.
"Okay, erwischt", sagte ich lachend. "Wenn man dich nur äußerlich kennt, würde man gar nicht denken, dass du eine Jungfrau bist", sagte er. "Du bist ziemlich heiß."
"Und du bist ziemlich aufdringlich", konterte ich.
"Ach, und danke Jason. Danke das du mir vorher geholfen hast, ich hätte es nicht ohne dich geschafft", bedankte ich mich.
"Einsicht ist der erste Weg zur Besserung. Kein Problem Cel, du bist doch meine Freundin", sagte er.
Lachend sprang ich auf.
"Ach ja? So weit sind wir noch lange nicht, Prentis. Und jetzt beweg deinen faulen Hintern, wir sind noch nicht an meinem Punkt angelangt."
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