{||} Kapitel 34
Nur leise hörte ich die kleinen Schluchzer, die abwechselnd aus der Richtung von Team 632 kamen. Sie waren zu meinem Glück durch eine Wand von uns getrennt, denn ich konnte sie gerade einfach nicht sehen, nicht nachdem was passiert war. Mio war tot, sie hatten ihn verloren und das ganz alleine wegen mir. Ich hätte besser aufpassen sollen, ich hätte ihn mehr beruhigende Dinge einreden hätte sollen, ich hätte seine Hand fester halten sollen. All dies hatte ich nicht getan und wegen all diesen Fehlern hatte ich ein Kind auf dem Gewissen. Immer und immer wieder sah ich ihm, wie er Meter für Meter wie eine Feder in den Absturz fiel. Er war nur ein Kind, er war nur ein Kind und wenn ich mich mehr angestrengt hätte, dann hätte er jetzt vielleicht ein besseres Leben anfangen können. So viele Menschen werden heute und morgen sterben und wegen mir war es noch ein weiteres Menschenleben. Er hatte geschrien als er gefallen war. Er hatte so geschrien, wie es Kinder normalerweise nur tun sollten, wenn sie auf dem Spielplatz schaukeln und Spaß hatten. Er hatte sich nicht vergnügt, er war gestorben. Ich ließ meinen Kopf nach hinten an die Fensterscheibe knallen und ließ den Tränen, die nun schon seit einer ganzen Weile fließen freien Lauf. Ich hatte einen Job, nur eine einzige Aufgabe und ich hatte versagt. Diesen Fehler konnte ich nie wieder rückgängig machen.
Plötzlich spürte ich wie sich eine Hand auf meine legte. Schniefend neigte ich meinen Kopf ein Wenig, nur um Spencer zu sehen, der mich schüchtern anlächelte. Er strich mir eine Strähne, die mir schon die ganze Zeit über im Gesicht hing aus dem Gesicht, "wir haben zwei Menschenleben verloren, aber dafür die doppelte Menge gerettet. I-ich meine, wenn du nicht gewesen wärst, dann wären alle Menschen, die dort drüben sitzen nicht mehr am Leben. Du bist eine Heldin, okay?" Ich zog meine Augenbrauen zusammen und schüttelte mit meinem Kopf. "Er war noch ein Kind", wisperte ich und erinnerte mich damit noch einmal selbst daran was ich angestellt hatte. Erneut bildete sich ein Kloß in meinem Hals, wütend ballte ich meine Hände zu einer Faust und verfluchte mich. Ich hätte es schaffen können, wenn ich mich nur ein kleines wenig mehr angestrengt hätte. "Hey, Celia schau mich an", ich sah in seine Richtung. "Wir sind auch Kinder, okay? Du kannst nicht immer perfekt sein, niemand von uns ist perfekt und du kannst dir auch nicht die Schuld für etwas geben, für das du nichts kannst". Voller Gedanken spielte ich mit meinen Fingern herum und versuchte mir einzureden, dass das was Spencer sagte stimmte. Er drückte meine Hand noch ein wenig fester, weswegen ich mich ein wenig beruhigte. Vielleicht hatte er Recht, vielleicht konnte ich nichts dafür, vielleicht konnte ich nicht perfekt sein, aber ich war mir sicher, dass ich es sein wollte.
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Gelangweilt stocherte ich in meinem Essen herum und mittlerweile hatte ich schon vergessen was ich mir überhaupt bestellt hatte. Noch immer schossen mir teilweise die Bilder von Mio in meinen Kopf, doch ich wusste, dass ich nichts mehr daran ändern konnte. Ich hatte mir die Worte von Spencer zu Herzen genommen und hielt mir immer vor Augen, dass ich immerhin vier Menschen retten konnte, aber noch immer war mir das schlicht und einfach nicht genug.
"Hey Celia", erschrocken von dem plötzlichen Geräusch ließ ich meine Gabel fallen, die kurz darauf klirrend auf dem Boden landete. Verwirrt sah ich hoch und erkannte die blaue Mähne von Savannah, die mit einem breiten Grinsen vor mir stand. Kiwi stand direkt neben ihr und hebte zur Begrüßung die Hand in die Höhe.
"Warum sitzt du denn so ganz alleine?", sie zog ihre Lippen zu einem Schmollmund und deutete auf die leeren Plätze die sich neben mir befanden.
"Ich schätze niemand hatte Lust auf mich", schmunzelnd zuckte ich mit den Schultern und griff nach der Gabel, die mir runtergefallen war. "Wow, das ist schade, aber wir haben gute Nachrichten", sie legte ihren Arm um Kiwis Schultern und erst jetzt bemerkte ich, dass sie mindestens einige Zentimeter größer als er war. Es sah ein wenig schräg aus, aber ich schätzte die beiden hatten sich nicht nur in ihre Größe verliebt.
"Ich und mein Schatz", sie drehte sich in seine Richtung und drückte ihnen einen ewig langen Kuss auf die Wange, "konnten Team 743 erfolgreich aus dem Krieg retten, bis auf die letzte Person, wir haben es geschafft." Ich zwang mir ein kleines Lächeln ab und nuschelte ein viel zu leises 'Super' vor mich hin, aber ich konnte nicht anders als an mein Versagen vom Morgen zu denken. Mio war tot. Savannah und Kiwi setzten sich auf die beiden Plätze neben mir, bestellten sich ihr Essen. Sie bestellten sich jeweils zwei Portionen und Savannah meinte, dass Helden ruhig mal zuschlagen durften und nicht immer nur auf ihre Figur achten mussten. Natürlich stimmte ich immer nickend zu und wusste anschließend direkt wieso mir heute der Appetit vergangen war. Versager hatten dann wohl gar keinen Hunger mehr. Ich sah zu wie die Beiden sich gegenseitig mit Erdbeeren, Trauben und anschließend noch Bananen fütterten und musste die ganze Zeit über grinsen. Ob ich und Harry auch so sein werden, wenn er hierher kommt? Ich hoffte es nicht, denn ich konnte nicht anders, als die abwertenden Blicke von den Nachbarstischen auf uns zu bemerken. Als ich weiter darüber nachdachte fiel es mir plötzlich ein. Eigentlich müsste Harry heute angekommen sein, eigentlich müsste er hier im Gebäude sein. "Tut mir leid, aber ich muss ganz dringend gehen", ohne aufzuessen oder den Beiden nocheinmal einen Blick zu würdigen stand ich auf und rannte in Richtung Ausgang. Ich sah nach links und rechts und sah mich gleichzeitig nach einem braunen Lockenschopf und Tess um. Wenn er angekommen wäre, dann müsste sie Bescheid wissen.
Ohne auf die vielen anderen Menschen zu achten, die an mir vorbeigingen, rannte ich in die Richtung von Tess Büro. Die ganzen negativen Gedanken in mir waren wie erloschen. Es war mir in diesem Moment egal, dass Tyrone mit Seline befreundet war, dass Seline mich die ganze Zeit über gelogen hatte, dass Luke nicht mehr mit mir sprach und ich ein weiteres Menschenleben auf dem Gewissen hatte. Es war mir egal, weil ich wusste, dass ich sofort wieder glücklich sein werde, wenn ich Harry in meinen Armen halte. Unsere Liebe hatte schon so viel überstanden: einen miserablen Start durch meinen Egoismus, einen verdammten Krieg und die fürchterliche Lüge, die Harry mir verschwiegen hatte. All das und viel mehr hatten wir gemeinsam überstanden und ich war mir sicher, dass ich mit ihm an meiner Seite auch all die anderen schrecklichen Dinge, die auf uns beide zukamen überstehen werde.
Mehr als außer Atem kam ich an Tess's Büro an und öffnete die Türe ohne anzuklopfen. Sie stand mit dem Rücken zu mir da und hatte ein Telefon am Ohr. "Ja, ja ich verstehe, ich werde ihr die Nachricht überbringen", ungeduldig tippte ich mit meinem Fuß auf den hölzernen Fußboden und wartete darauf, dass sie das Gespräch endlich beendete. Das Gespräch konnte nicht sehr wichtig sein, oder zumindest nicht wichtiger als Harry, ich meine was konnte auf dieser Welt denn wichtiger als er sein? Nichts war mir wichtiger als meine große Liebe. Wenige Sekunden später legte Tess auf und ich wollte vor Freude fast aufschreien. Sie drehte sich um und als sie mich entdeckte erschrak sie ein wenig.
"Oh, Celia, mein Schätzchen, du hast mich aber erschrocken", sie lächelte ein wenig, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Normalerweise lächelten ihre Augen ebenfalls, wenn sie grinste, aber hier war es anders, lediglich ihre Mundwinkel waren ein wenig in die Höhe gezuckt. "Du kommst gerade zur richtigen Zeit, ich hatte dich sowieso gesucht. Bitte setz dich doch", sie deutete auf einen rosanen Sessel und nun fiel mir auf, dass ihr Büro allgemein im rosafarbenen Stil gehalten war. Seline hatte ihre Lieblingsfarbe wohl von ihrer wahren Mutter geerbt.
Ein wenig nervös setzte ich mich hin und fragte mich was sie mir sagen wollte. Beinahe in Zeitlupe nahm sie ihren Schreibtischstuhl und setzte sich damit direkt vor mich. "Kann das was du mir sagen wolltest vielleicht noch ein wenig warten? Harry sollte heute kommen, ist er schon da?", hakte ich schließlich nach und konnte mir ein kleines Lächeln nicht verkneifen, als ich an meinen Liebsten dachte. Ob er sich hier auch einen geheimen Platz suchte, an den wir uns abends hinschleichen und romantische Dates hatten? Ich traute es ihm aufjedenfall zu. "Nein, Schätzchen, es kann leider nicht warten", sagte sie und lächelte erneut. Wieder einmal war es nicht ihr echtes Lächeln und zum wiederholten Male dachte ich mir, dass hier irgendetwas nicht stimmen konnte. Was verschwieg sie mir? "Okay", wisperte ich nervös und verschränkte meine Beine übereinander.
Tess rutschte ein wenig näher zu mir und legte ihre zierliche Hand auf meinen Oberschenkel. "Es ist etwas passiert, etwas sehr- sehr schlimmes und etwas, dass dich sehr traurig machen wird. Celia ich möchte das du weißt, dass ich immer für dich da bin, du bist bereits wie eine zweite Tochter für mich geworden", verwirrt zog ich meine Augenbrauen zusammen. Was meinte sie? "Na los, spucks schon aus", ich schmunzelte ein wenig, denn ich wusste nicht was mir an diesem wunderschönen Tag, dem Tag an den Harry zu mir kommt noch die Laune verderben konnte.
"Heute waren die ersten Angriffe in Vulkanien, Terranien und Tempestasa, es war schlimmer als wir gedacht haben und es sind bereits über 2000 Opfer gefallen", wie durch einen Reflex schlug ich mir die Hand vor meine vollen Lippen und ich bekam es mit der puren Angst zu tun. Diese... Dinger waren gefährlich, anscheinend viel mehr gefährlich, als es je einer erwartet hatte. Zum Glück waren wir hier einigermaßen in Sicherheit. Ich, Harry und der Rest meiner Freunde würden vielleicht alle überleben. "O-okay. Das ist schrecklich und ich werde jetzt auch schrecklich klingen, weil ich direkt das Thema wechsle. Aber was ist mit Harry, wo ist er?", entgegnete ich und sofort schlich sich wieder ein schmales Lächeln in mein Gesicht.
"Harrys Lager liegt an der Grenze von Vulkanien, dort wurden heute morgen die Roboter ausgesetzt. S- sein Lager wurde angegriffen und es gab nur wenige Überlebende", sie bahnte sich den Weg zu meinen Händen und drückte sie fest zu. Mein Herz begann schneller zu schlagen, aber wenn ich ehrlich war hatte ich nicht sehr viel Mitleid mit den Opfern, denn sie waren es die Tyrone und Luke gefoltert hatten.
"Oh, das- das ist echt nicht gut. Aber weiß es Harry schon?", hakte ich neugierig nach. Ich wollte nicht wissen wie er sich gerade fühlen musste und am Liebsten würde ich ihn jetzt gerade einfach in die Arme nehmen und ihm tröstende Worte zuflüstern.
"Celia", sie sah mich an und ich meinte zu erkennen, dass ihre Augen glasig wurden. Kannte sie etwa jemanden, der gestorben war? "Ich hatte nicht wirklich etwas mit den Leuten dort zutun, du musst dir keine Sorgen machen", beruhigte ich sie und wollte gerade erneut nach meinem Freund fragen.
"Sie wurden heute Morgen um acht Uhr angegriffen und sein Auto hätte ihn um neun Uhr abgeholt. Es war zu spät für ihn, er konnte nicht mehr rechtzeitig abgeholt werden. Es tut mir so leid, es tut mir so- so leid dir das sagen müssen, aber Harry ist eines der Opfer."
Ich sagte nichts. Ich war wie taub, wie gelähmt und ich war stumm. Ungläubig starrte ich auf Tess, die mit zitternden Händen vor mir stand und ihre Arme weit ausbreitete. Ich wollte keine Umarmung. Ich wollte ihn.
Ohne weitere Worte stand ich auf und ging aus dem Raum. Er konnte nicht gestorben sein, das war bestimmt nur ein Albtraum. Genau, es war ein Albtraum, es war nur ein Albtraum diese verdammten Albträume waren wieder da. Sehr lustig Gehirn, aber ich kann jetzt auch wieder aufwachen, der Schrecken war groß genug. Mit wackeligen Beinen bahnte ich mir den Weg zu den Aufzügen und fuhr hoch in die Etage meines Zimmers. Doch spätestens als ich mir meinen Fuß an der Aufzugstüre angestoßen hatte wusste ich, dass es kein Traum sein konnte. Nicht nur der Schmerz, an meinem Fußzeh war real, sondern auch der Schmerz in meinem Herzen.
Ich beachtete die Leute, die an mir vorbeiliefen und mich grüßten nicht. Was wenn Tess und Harry mich nur reingelegt hatten? Bestimmt war es das, höchstwahrscheinlich stand er gerade quicklebendig in meinem Zimmer und wartete auf mich. Ich kicherte leicht und beschleunigte mein Tempo, genau, bestimmt war es das und ich weinte hier gerade umsonst. Ich blieb vor meinem Zimmer stehen und öffnete sie.
"Ich weiß das du hier bist", ich schrie beinahe und trat in den Raum ein. Der Raum war leer. Der Raum war leer. Er war leer. Leer. Und erst jetzt sickerte mir die Wahrheit langsam war. Das hier war kein Albtraum und auch kein kranker Scherz. Er war nicht hier. Er war nirgends mehr auf dieser Welt. Er war....to- er war von uns gegangen.
Ich ließ mich auf mein Bett fallen und zog meine Beine an mich. Mein Herz schmerzte und ein komisches Gefühl breitete sich in meinem gesamten Magen aus. Er war nicht mehr hier. Ich werde ihn nie wieder sehen. Ich werde ihn nie wieder in seine grünen Augen blicken können, ich werde nie wieder sauer auf ihn sein können, wenn er mir wieder einen Spitznamen gab. Er konnte nie wieder mit mir über klassische Musik diskutieren. Wir konnten nie wieder gemeinsam, aneinander gekuschelt im Bett liegen unserem Atem lauschen und die wunderbare Stille genießen. Ich konnte ihn nie wieder küssen, ihm nie wieder in die Arme nehmen und nicht mehr seine Hand halten. Ich werde ihm nie wieder meine Liebe schenken können. Ich hatte ihm bei unserem letzten Telefonat nicht einmal mehr sagen können, dass ich ihn liebe, er wird.. er hatte bestimmt gedacht, dass ich ihn nicht liebe. Wieso hatte ich ihm nicht gesagt, dass ich ihn liebe, verdamt wieso habe ich es ihm nicht gesagt?
Ich begann zu schreien lauter und immer lauter und ich begann zu weinen, weil ich mir vor Wut und Trauer einzelne Haarsträhnen ausriss. "Ich liebe dich Harry, verdammt ich liebe dich", brüllte ich, doch ich wusste, dass es dafür zu spät war, ich hatte es ihm nicht gesagt, er hatte gedacht, dass ich ihn nicht geliebt hatte. Oh, wenn er gewusst hätte, dass er der einzige Mensch auf der Welt war den ich liebe, er ist mein Ein und Alles. Noch immer schluchzte ich wie auf eine Verrückte und ich merkte gar nicht wie sich meine Tür geöffnet hatte. Das Bett ging neben mir ein wenig in die Höhe und ich spürte einen Arm um meine Schultern. "Psst, Celia", es war Luke der mit mir sprach und sofort schloss ich meine zittrigen Arme um meinen besten Freund. Er war hier für mich, wie immer wenn ich ihn brauchte.
"Oh Gott Luke, er ist gestorben."
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