{||} Kapitel 32
"Das ist doch schwachsinnig", meinte Tyrone. In meinen Gedanken schwebte aber leider die Befürchtung, dass es vielleicht doch die Wahrheit sein könnte. Von Anfang an war mir bewusst, dass Aquaria nicht viel mit Kindersoldaten ausrichten konnte, Mason musste also noch einen anderen Plan haben. Tess legte ihr rechtes Bein auf ihr linkes und schüttelt beinahe in Zeitlupe den Kopf. "Leider nicht, leider nicht", flüsterte sie leise vor sich hin und ich bemerkte, dass sie mit den Gedanken gerade ganz woanders war. Sie kritzelte sich irgendetwas auf ihren Block.
"Wir müssen die Kinder dort rausholen, so schnell wie möglich. Wenn Mason diesen Plan, diesen grausamen, grausamen Plan wirklich in die Tat umsetzt, dann werden die Bestien auch nicht Halt vor ihnen nehmen. Hier bei uns ist es einigermaßen sicher, dafür haben wir gesorgt, aber wenn wir sie dort draußen lassen, dann ist es der sichere Tod für sie", erklärte sie uns, während sie blitzschnell aufstand. "Freiwillige, wir brauchen mehr Freiwillige", sie fuhr sich nervös durch ihre Haare und ließ sich wieder auf den Stuhl plumpsen. Sie sah uns mit einem mitleidigen Blick an. "Unsere Kameras im Königreich können leider keine Tonaufnahmen senden, aber...aber wir haben einen Vertrag gesehen und ein Datum. Ein Datum, dass uns in 6 Tagen erreicht. Wenn sie in 6 Tagen eingreifen, dann haben wir nur noch 3 Tage Zeit um Leute auszubilden und sie auf Rettungsaktionen zu schicken." Ich ließ die neuen Informationen, die ich bekam erstmal sacken. In 6 Tagen. In 6 Tagen war es soweit. Ich dachte ich hätte den Krieg miterlebt, ich dachte ich musste damals die schrecklichsten Waffen die existieren in der Hand halten, doch wenn ich jetzt darüber nachdachte dann war es nicht so. Wir waren nur die Leute die manipuliert worden sind, um die Drecksarbeit zu leisten, um schon einmal ein paar Opfer zu fordern, damit die wirklichen Waffen nicht mehr all zu viel Arbeit haben. Es gab nicht einmal einen wahren Grund dafür, dass wir in den Krieg ziehen mussten, wir waren nicht einmal nötig. Leila ist für Nichts gestorben. So viele Kinder sind für Nichts gestorben. Es werden in 6 Tagen so viele Kinder sterben, wenn sich nicht genug Freiwillige melden. Dort draußen warten, nein, dort draußen hoffen 18 Teams darauf, dass sie endlich gerettet werden. Sollte ich mich als Freiwillige melden?
"Ich werde mich ausbilden lassen", bevor ich weiter über meine Aktion nachdenken konnte, sagte Tyrone diesen Satz. Luke sprang plötzlich auf und lief in Richtung der Tür, er legte seine Hand auf die Türklinke, doch im letzten Moment drehte er sich noch einmal um. "Verdammt, Tyrone, bist du wahnsinnig? Du willst wirklich nochmal da rausgehen? Nach all dem was passiert ist, willst du wirklich nochmal in den scheiß Krieg ziehen? Willst du unbedingt, dass du nochmal halb am Verrecken bist? Wohin willst du die nächste Kugel? In die Brust, in den Kopf oder vielleicht direkt ins Gehirn, damit dir mal ein wenig Verstand einrieselt. Wir haben schon genug durchgemacht und ich verstehe nicht wie du so eine Entscheidung treffen kannst", brüllte er mit voller Kraft. Ich verstand Luke nicht, denn Ty wollte doch nur das Richtige tun. Ty erhob sich von seinem Platz und lief in die Richtung von Luke, der noch immer hektisch atmete. Ty klopfte ihm auf die Schulter. "Ich weiß, dass es keine sonderlich gute Idee ist, Luke, aber ich muss es tun, ich kann es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, okay? Ich will mich nicht in Sicherheit wiegen, wenn andere, die das Gleiche wie ich erlebt habe immer noch erleben müssen. Ich muss helfen, ich muss es einfach", sagte er.
Jetzt wo Ty diese Worte ausgesprochen hatte, war ich mir sicher, dass ich mich auch freiwillig melden würde, jedoch war ich mir auch sicher, dass ich meine Entscheidung jetzt lieber nicht laut ausspreche. "Verdammt nochmal ich habe es satt, immer wieder mit anzusehen, wie meine Freunde sterben, okay?", mit diesen Worten verschwand Luke aus dem Zimmer und ließ uns anderen alleine. Verzweifelt sah ich Tess an, doch sie zuckte nur mit den Schultern und lief anschließend ebenfalls aus dem Raum. Ich und Ty blieben alleine zurück. "Hör zu, ich weiß nicht was zwischen dir und Seline ist, aber du bist meine Freundin und du kannst immer auf mich zählen und wenn ich dich irgendwie verletzt habe, dann musst du es mir sagen", er lächelte leicht. "Vergeben und vergessen", sagte ich nur, denn jetzt gerade hatte ich keinen Kopf für unnötige Streitereien.
"Diese Welt ist so... kaputt", seufzend ließ sich Tyrone wieder auf den Sessel neben mir fallen. "Wir sind alle kaputt, wir können nicht mit unseren Fingern auf die Welt deuten, wenn wir es nicht besser können", entgegnete ich. Und wie ich kaputt war, kaputt von diesem Leben. Eine Tragödie folgt auf die nächste und wenn man sich einmal entspannen möchte, dann wird dir sofort ein Messer ins Herz gerammt. Immer und immer wieder. "Celia, ich wusste gar nicht, dass du eine Poetin bist", Ty zwinkerte mich an und ich verdrehte genervt meine Augen. "Realistin", verbesserte ich ihn. "Ich werde mich auch freiwillig melden", teilte ich ihm mit und wartete auf eine Reaktion, doch er sagte nichts. "Hast du Angst?", ich suchte seinen Blick und beobachtete wie er verwirrt seine Brauen zusammenzog, "ich meine.. ich meine Angst zu sterben."
Für eine lange Zeit starrte er mich einfach nur mit seinen grünen Augen an, er dachte wohl nach, bis er schließlich leicht seine Lippen öffnete, "ich komme von der Straße, ich war schon tausendmal kurz vor dem Tod. Ich bin fast erfroren, verhungert und musste mal dreckiges Wasser aus einer Pfütze schlürfen, das war ekelhaft, glaub mir, aber ich hatte nie Angst oder so etwas in der Art. Ich weiß es nicht, wenn ich ehrlich bin, das Schicksal war immer auf meiner Seite." Mein Blick sank wieder auf den Boden und ich stellte mir vor, wie Tyrone beinahe sein gesamtes Leben über, um sein Überleben kämpfen musste. Nicht nur im Krieg, sondern auch in seinem Alltag zuvor, er war ein wahrer Held. "Aber verdammt, Celia, wir sind viel zu intelligent, jung und schön um zu sterben, ich meine das wäre absolutes Verschwenden unseres Potenziales", er patschte mir aufmunternd auf meinen Oberschenkel und ich kicherte leist. Ich glaube durch Ty könnte ich mich wirklich noch in einen kleinen Optimisten verwandeln. Damals war ich ein Pessimist, doch durch Harry wurde ich ein Realist. Harry. Oh Gott. Harry. Ich musste ihm von Masons Plan erzählen und ich musste ihm von meinen Plan erzählen, er wollte doch hierher kommen.
Sofort sprang ich auf und stürmte ohne eine Erklärung aus dem Raum. Alle Dinge, die ich in den letzten Stunden erfahren hatte waren nebensächlich, denn ich musste ihn warnen. Vor dem schrecklichen Plan, den Mason hatte und von meiner freiwilligen Tat, die Menschenleben retten sollte. Meine Füße trugen mich automatisch in die Richtung des Speisesaals, denn das war der Ort, an dem ich Seline das Letzte mal gesehen habe. Ich wusste, dass ich erst nächste Woche wieder einen Anruf hatte, aber ich wusste auch, dass sie theoretisch noch einen Anruf freihaben musste, denn wen sollte sie denn anrufen? Ihre Familie? Stopp, ich hatte fast vergessen, dass sie es ja nicht für nötig gehalten hatte ihrer Familie zu zeigen, dass sie noch am Leben war. Kurze Zeit später war ich schon angekommen und stürmte in den Saal. Tatsächlich waren Marcia und Seline noch anwesend und schoben sich gerade mit verliebt aussehenden Augen gegenseitig Erdbeeren in den Mund. Sah ich mit Jason auch so... lächerlich aus? "Seline", sagte ich mit lauter Stimme und ignorierte die vielen Blicke, die dadurch auf mich fielen. Als sie mich entdeckte rückte sie sofort ihren Stuhl nach hinten und lief mir entgegen. "Was gibt es Schwesterherz?", fragte sie mit einem breiten Lächeln auf den Lippen. "Ich will deinen Videoanruf ich muss Harry anrufen", sagte ich ihr ohne lange um den heißen Brei herumzureden. "Tut mir leid, aber ich habe meinen diese Woche schon verwendet", ich sah sie enttäuscht an. "Aber du kannst mein Handy benutzen."
Wenige Momente später lag ich in meinem neuen Zimmer, auf meinem neuen Bett, dass im Gegensatz zu meinem alten Bett purer Luxus war. Der Raum hatte gelbe Wände und war somit das erste Zimmer, welches nicht ganz weiß gehalten war. Während ich in der Leitung auf eine Antwort von Harry wartete, sah ich mich noch einmal im Raum um. Rechts neben mir befand sich eine Kommode, sie stand offen, weswegen ich sah, dass dort drin ein Haufen an Klamotten lag, die wahrscheinlich ein Geschenk waren. Links neben mir befand sich ein Schreibtisch, auf dem sich einige Magazine, Stifte und leeres Papier befand. Bis auf einen Spiegel und dem riesigen Himmelbett, auf dem ich es mir gerade gemütlich machte, war nicht mehr sehr viel im Raum zu sehen, aber ich fand ihn toll.
"Hallo?", als ich seine Stimme hörte, machte mein Herz einen kleinen Aussetzer und ich fing automatisch an zu lächeln. "Hey", hauchte ich in die Leitung. "Celia, du hast es nicht einmal zwei Tage ohne mich ausgehalten", genervt verdrehte ich meine Augen und im nächsten Moment stellte ich mir vor, wie seine Mundwinkel gerade in die Höhe zuckten. "Ich muss dir etwas sagen", murmelte ich und erinnerte mich jetzt an die schlimmen Dinge, die ich ihm gleich offenbaren musste, die schlimmen Dinge, welche der Grund waren, wieso ich ihn überhaupt angerufen hatte. "Dann sag es mir."
"Es ist Mason.. es wird vermutet, dass er einen noch viel schrecklicheren Plan hat, er möchte Bestien zum Leben erwecken und ich will- ich will, dass du dich beeilst und hierher kommst, okay? Ich denke hier ist es für uns beide am sichersten", begann ich. "Wow, okay, damit hatte ich nicht gerechnet, aber ich denke, dass ich in ungefähr sechs Tagen losgehen kann", schnell schüttelte ich mit dem Kopf, dann war es schon zu spät. "In vier Tagen, du musst in vier Tagen losgehen, sonst ist es zu spät", sagte ich und bemerkte, dass meine Stimme ungefähr vier Töne höher wurde. In sechs Tagen war der Angriff, wenn er also in fünf Tagen nicht hier war, dann würde ich ihn vielleicht nicht mehr sehen, ihn nie wieder in meine Arme schließen dürfen, ihn nie wieder küssen können. "In vier Tagen werde ich da sein, okay, in vier Tagen sehen wir uns wieder, Cel", auf meine Lippen schlich sich erneut ein kleines Lippen und ich wollte ihm gerade zustimmen, als mir in den Sinn kam, dass wir uns in vier Tagen nicht sehen werden. Ich war nicht da, denn ich hatte beschlossen anderen Jugendlichen zu helfen und sie aus dem Krieg zu holen.
"Ich, ich", stammelte ich und versuchte die richtigen Worte zu finden. Sollte ich es ihm überhaupt sagen oder sollte er selbst herausfinden? Er konnte zwei Tage auf mich warten, da war ich mir sicher. "Du- du?", äffte er mich nach und erneut rollte ich meine Augen. "Egal", meinte ich knapp und entschloss mich dazu, dass ich es ihm nicht sagen würde, denn ich hatte keine Lust auf einen Konflikt oder, dass er sich Sorgen machte. In der Leitung herrschte Stille, aber es war mir egal, denn ich genoss jeden Moment mit ihm, auch wenn ich mir durch die Umstände nur in meinem Kopf ausmalen konnte, wie er gerade aussah und was er gerade fühlte. "Ich liebe dich Cel, das weißt du oder?", für einen kurzen Moment brachten mich die Worte aus der Fassung, nicht weil ich sie zum ersten Mal hörte, sondern, weil sie mich gerade in diesem Moment glücklich machten. Vielleicht war die Welt der Menschheit nicht immer perfekt, aber meine, unsere Welt konnte gerade nicht schöner sein. Wenn alles gut läuft, dann werde ich Harry in wenigen Tagen und Stunden wieder sehen, wir werden gemeinsam kämpfen und gemeinsam unser verdientes Happy End erleben. "Ich liebe dich auch, Harry", entgegnete ich mit tausenden Schmetterlingen im Bauch.
"Die maximale Anrufsdauer von fünf Minuten ist überschritten", erklang auf einmal und ich seufzte laut auf. Ich hätte noch Stunden hier liegen können, ich hätte noch Stunden seiner wunderschönen Stimme und seinem beruhigenden Atem lauschen können. Die einzige Sache, die mich jetzt noch beruhigte war, dass ich das bald alles im realen Leben machen konnte. Bald, ganz bald wird er hier neben mir liegen und all diese Worte in mein Ohr flüstern, während ich das glücklichste Mädchen auf der ganzen Welt sein konnte.
Und dieses Mädchen, wird davor andere Menschen glücklich machen, indem sie sie aus dem Krieg rettet. Entschlossen stand ich auf und begann nach Tess zu suchen, damit ich mich ebenfalls freiwillig melden konnte.
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