{||} Kapitel 20

Die ganze Nacht über lag ich schon wach in meinem Bett und lauschte seinem ruhigen Atem. Lauschte, wie er sich einige Male auf die Seite drehte und komische Geräusche von sich gab. Manchmal, manchmal versuchte ich ganz leise zu sein, damit ich seinen Herzschlag hören konnte, aber leider funktionierte es nicht. Das wäre ja auch ein Wunder gewesen.

Wenn ich ihn nicht beobachtete und seine unfassbare Schönheit bestaunte, dann dachte ich nach. Über diese unglaubliche Entscheidung, die ich bald fällen musste, sie lag wie eine unfassbar schwere Last auf mir. 

Es gab viele Pro und Kontra Seiten. Die meisten Dinge über die ich nachdachte waren dafür, dass ich morgen in dieses Auto einsteige. Die erste Sache war, dass meine Neugierde belohnt werden würde, denn wenn ich in dieses Auto steige, dann heißt es, dass ich herausfinden werde, welche mysteriöse Person aus meiner Familie mich suchte.

Ein weiterer Vorteil wäre, dass ich Tyrone und Luke ermöglichen würde ein neues Leben anzufangen. Vielleicht würde die unbekannte Person aus meiner Familie den beiden helfen, vielleicht fanden sie einen Job dort. Das Wichtigste allerdings war, dass sie vergessen konnten. Vor allem Luke. Ich wusste nicht was mit ihm passiert war, ich wusste nicht warum er nicht mehr sprach, aber ich ich wusste, dass es ihm schlecht ging. Es wäre eine reine Folter für mich, ihm nicht die Chance zu geben von diesem fürchterlichen Ort zu fliehen.

Außerdem war das Ganze auch ein Neustart für mich. Ich war an einem sicheren Ort in Vulkanien, dort werde ich vielleicht nichts mehr von dem ganzem Tumult mitbekommen. Kein Krieg, keine Verluste, keine Trauer und nur noch positive Dinge , oder?

Ich könnte noch tausende an anderen Dingen aufzählen, tausende von Dingen, die mich dazu bringen sollten in dieses verdammte Auto einzusteigen, aber da war diese eine Sache, die mich immer wieder daran zweifeln ließ, ob ich es wirklich machen sollte.

Diese eine Sache lag  neben mir und faselte gerade irgendetwas vor sich hin. Alleine er war die Sache, die mich an allem Zweifeln ließ. Er war der einzige Grund, warum ich nicht schon lange voller Freude wie eine Verrückte herum schrie. Wenn ich morgen in dieses Auto einsteige, dann weiß ich nicht, wann ich ihn wieder sehen werde oder ob ich ihn überhaupt jemals wieder sehen werde. Diese Liebe die er mir in den letzten Wochen spürte, war ein Gefühl, dass ich davor noch gar nicht kannte. Ich hatte davor noch nicht einmal ansatzweise gewusst, dass man von einer fremden Person so abhängig werden konnte. Wo wäre ich heute ohne Harry? Wahrscheinlich tot. 

Ich war so verliebt in diese eine Sache, dass ich gar nicht mehr erkannte, dass ich die ganze Zeit versuchte das Richtige falsch zu reden. Es war richtig zu gehen. Es war wichtig zu gehen. Auch wenn ich verliebt in Harry war, konnte ich nicht leugnen, dass er mich die ganze Zeit über angelogen hatte. Er hatte mir erzählt wie es zu dem Ganzen kam, aber noch immer hatte ich das Gefühl, dass ich ihn nicht wirklich kannte. Ich wusste nicht, ob er ein kaltblütiger Mann war, der schon tausende an Menschen gefoltert hatte, ich wusste rein gar nichts über dieses Gebäude indem ich mich befand und diesen Menschen, der neben mir lag. Die einzige Sache die ich wusste, ist das ich diesen Menschen liebte und ich glaube auch, dass er mich ebenfalls liebte. 

In anderen Dingen hingegen war ich mir mehr als sicher, meine Freunde, die in den Zimmern neben mir lagen brauchten mich, sie brauchten diese wichtige Entscheidung die ich gerade traf. Wenn ich falsch entschied, dann würde ich damit nicht nur mein Leben ruinieren, sondern auch ihres.

Mittlerweile bemerkte ich, dass die ersten Sonnenstrahlen durch das Fenster hinein schienen. Ich sah auf die Uhr, die an der Wand hing. Es war 6:30. Noch 90 Minuten.

"Celia", wie aus dem Nichts ertönte Harrys Stimme. Mit einem Kloß im Hals drehte ich mich in seine Richtung und lächelte. Seine braunen Locken waren nicht mehr so perfekt sitzend, wie sie es immer war und unter seinen Augen waren kleine Fältchen zu sehen. Müde rieb er sich an seinen Augen und sah dann ebenfalls auf die Uhr. Als er wieder zu mir sah, waren seine Lippen streng aufeinander gepresst. "Hast du dich schon entschieden?", fragte er schließlich und ich nickte langsam.

"Sag es mir nicht", er lächelte leicht, "zuerst möchte ich ein letztes Mal mit dir zwei Honigbrote essen", ich kicherte leicht, er konnte sich immer noch daran erinnern, dass ich meinen Morgen früher nie ohne ein Brot mit Honig gestartet hatte. Er klickte auf einen Knopf, der sich neben dem Himmelbett befand und sagte dann mit lauter Stimme, dass er gerne zwei Honigbrote und zwei heiße Schokoladen haben möchte.

Wenige Augenblicke später öffnete sich eine Luke neben meinem Bett und ich starrte Harry verwirrt an. Was war denn das gerade? In dem Loch, welches sich jetzt in der Wand befand, stand ein Tablett mit den bestellten Sachen. "Neueste Technologie, wir sind gerade dabei es auszutesten, weißt du?", erklärte er mir und ich nickte beeindruckt. Ob es sowas in Aquaria bereits gab?

"Jetzt ist es fast wieder wie im Trainingslager, wir sind Testkaninchen für die neuste Technologie", bemerkte ich. Als ich mich daran zurück erinnerte, tauchte wieder ein mulmiges Gefühl in meiner Magengrube auf. Wie hatten es Menschen geschafft, etwas zu entwickeln, dass bestimmte Erinnerungen auslöscht. Zu gern würde ich mich wieder an meinen Test erinnern, aber wie immer wenn ich daran dachte, spürte ich nur noch diese schreckliche Angst, die ich damals empfand.

Harry reichte mir meine Mahlzeit, "das kann man nicht miteinander vergleichen. Das was wir hier testen ist zu Gunsten der Menschheit, irgendwelche Erinnerungen auszulöschen ist einfach nur krank." "Ich weiß", nickend stimmte ich ihm zu und biss dann zum Ersten Mal von dem Brot ab. Normalerweise würde ich jetzt durch diesen himmlischen Geschmack aufstöhnen, aber heute war es anders, heute fühlte ich gar nichts mehr.

"Hast du- hast du jemals einen Menschen gefoltert?", ich wusste nicht woher diese plötzliche Neugier kam, aber ich wollte es unbedingt wissen, ich wollte wissen ob Harry ein Monster war. Er senkte seinen Blick ein wenig. Das war kein gutes Zeichen. Wollte ich seine Antwort überhaupt hören? "Nein, nicht persönlich. Ich habe immer nur die Befehle dazu gegeben", antwortete er schließlich. Langsam nickte ich, denn ich war ein kleines wenig erleichtert. Wenigstens hatte er nicht selbst dazu beigetragen einen Menschen leiden zu lassen. 

"Wirst du heute gehen?", diese Frage kam für mich genauso unerwartet, wie es meine Frage für ihn war. Ich wusste das meine Antwort sein Leben verändern würde. Ich wusste es. Doch was war meine Antwort?





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