{||}Kapitel 17

"Setzt euch doch", sagte Jason in die Runde. Ohne zu Zögern stürzte sich Tyrone in die Richtung des Tisches und begann zu essen. Luke rollte auch zum Essen, sodass ich und Harry alleine waren.

"Hör zu, ich brauche heute Antworten", teilte ich ihm direkt mit. Harry nickte. "Du bekommst heute alles was du möchtest, wir haben später auch Zeit für uns alleine. Ich habe schon Zimmer für uns alle besorgt, Zimmer in denen nicht nur ein Möbelstück steht", sein letzter Satz sollte wohl witzig werden, aber jetzt war auch keine Zeit für Witze. Nicht heute, nicht morgen und auch ebenfalls nicht in einer Woche.

Ohne zu antworten begab ich mich jetzt auch zum Tisch. Ich musste zugeben, dass ich mich jetzt schon davor fürchtete mit ihm alleine zu reden, ganz alleine in einem Zimmer, denn ich fürchtete mich noch immer vor der Wahrheit, vor der ganzen Wahrheit.

 Mit einem lauten Knarren schob ich meinen Stuhl ein wenig nach hinten, damit ich mich setzen konnte. "Die Honigbrote sind für dich Celia, dein Lieblingsessen, nicht wahr?", lächelnd sah mich Harry an. Mir war nicht danach ihm zurück zulächeln, mir war auch nicht nach Honig, denn das erinnerte mich an früher. Früher, als meine Welt noch halbwegs in Ordnung war. Harry setzte sich neben mich.

Grob beäugte ich das Essen, es war eine Menge da, mehr als wir wahrscheinlich essen konnten. Als ich jedoch zu Tyrone sah, nahm ich meine Aussage wieder zurück, denn vor ihm standen drei vollgestapelte Teller. Gerade stopfte er sich irgendetwas grünes in den Mund, ich konnte nicht mehr erkennen, was es war, denn in der nächsten Sekunde war es schon wieder verschwunden.

Mein Blick blieb beim Obst hängen und ich griff nach einem grünen Apfel. Ich biss hinein, er war sauer und ich verzog mein Gesicht ein wenig. Die Stimmung war unangenehm still, denn niemand sagte ein Wort. Ein einziges Mal in meinem Leben, war ich nicht alleine mit meiner Sprachlosigkeit, in Momenten in denen Redebedarf herrschte.

"Ihr habt sicherlich viele Fragen und ich bin heute hier um sie euch alle zu beantworten, wirklich alle", mit diesen Worten brach Jason die Stille. Doch auf die alte Stille folgte nur eine neue Stille, bis Tyrone laut anfing zu lachen. "Für mich ist die ganze Situation eigentlich ziemlich klar", bevor er weiter redete führte er eine weitere Gabel voller Essen in seinen Mund, er sprach mit vollem Mund. "Du bist ein Arschloch, dass es mag seine früheren Freunde zu foltern, zu belügen und einzusperren, meine einzige Frage ist diese: wie komme ich hier raus?".

"Tyrone, ich wusste nicht, dass dir und Luke so etwas passiert war, ich wusste davon nichts. Mir wurde gesagt, dass ihr alle noch unter Betäubung steht, denn das Serum das auf euch geschossen wurde, kann manchmal ziemlich stark sein. Wenn ich es gewusst hätte, dann wäre es niemals so weit gekommen, glaub mir das. Es tut mir unfassbar leid, das ihr so etwas miterleben musstet, normalerweise passiert so etwas nur bei wahren Verbrechern", er antwortete nicht auf die ganze Frage.

"Keine Sorge, wir haben es verdient, wir sind alle Mörder, niemand von uns ist unschuldig, aber du- du spielst noch einmal auf einer ganz anderen Liga. Ich will nur eine Antwort auf meine Frage."

"Tyrone, ihr seid hier sicher, wenn ich euch gehen lasse, kann ich nicht mehr für eure Sicherheit riskieren. In Aquaria herrscht Krieg, hier sind Soldaten aus Aquaria einmarschiert." Für einen kurzen Moment hörte ich auf zuzuhören, denn ich dachte meine Mutter. Ob sie wohl noch lebte? Ich hoffte es, denn sie hat mir in unseren letzten gemeinsamen Momenten bewiesen, dass auch sie ein Herz hatte.

"Wenn ich euch gehen lasse, ohne Papiere, ohne Schutz, ohne Unterkunft und ohne Nahrung dann seid ihr spätestens in drei Tagen alle tot und das möchte ich nicht. Ich habe euch schon drei Zimmer bereitgestellt, in denen ihr vorrübergehend wohnen könnt und wenn du in drei Tagen immer noch gehen möchtest, dann werde ich eine Möglichkeit für dich finden, das bin ich dir schuldig Tyrone."

Ty sagte nichts mehr, anscheinend war er mit der Antwort zufrieden. "Werden die Menschen, die Luke das angetan haben bestraft?", fragte ich schließlich. Entschlossen nickte er. "Natürlich, bereits morgen wird über ihre Strafe entschieden, wir haben hier spezielle Menschen die über gerechte Urteile entscheiden. "Okay", wisperte ich.

Gerechtigkeit. Das war eine Sache die ich mir schon lange gewünscht hatte. Damals, als Seline umgebracht wurde, damals als alle Jugendlichen in die Trainingslager geliefert wurden und damals als Leila gestorben war. Nicht nur damals, auch in anderen Momenten. Ich wünschte sie mir schon das ganze Leben, doch heute, heute nach 18 Jahren habe ich es endlich realisiert. Gerechtigkeit existiert nicht. Das Wort an sich existiert, das Wort hat auch eine tolle Bedeutung, aber das Wort wird nie in die Tat umgesetzt, sonst wäre alles nicht passiert. Gerechtigkeit war eine Lüge, eine noch größere Lüge, als die die mir mein Herz brach. Die Lüge Jason Prentis.

Vor zehn Minuten war ich mir sicher, dass ich Harry mit Fragen bombardieren würde, aber jetzt fiel mir keine einzige ein. Auch Tyrone und Luke waren still und aßen einfach nur. Wir aßen in diesem viel zu leeren Raum mit einem viel zu leeren Herzen. Wir aßen in einem farblosen Raum, mit farblosen Gedanken. Schwarz, weiß. Trauer, Wut.

Ich aß noch ein wenig, viel weniger als ich eigentlich brauchte, denn mein Magen verlangte nach einer Mahlzeit, aber ich konnte einfach nicht essen. Ich konnte es nicht und ich wusste nicht warum. Tyrone war nach seinem sechsten Teller fertig und Luke hatte nicht eine einzige Speise angerührt. Ich machte mir Sorgen über ihn, ernsthafte Sorgen und ich hatte Angst, dass er sich etwas antat. Luke war mein Held und in diesem Moment wünschte ich mir, dass auch ich einmal an der Reihe war ihn zu retten. Ich nahm zu viel und gab zu wenig.

Nach dem Essen wurden wir durch einen Aufzug in ein anderes Stockwerk gebracht, in diesem Stockwerk befanden sich so weit ich sehen konnte nur drei Räume. Auf jedem stand ein Name. Luke, Tyrone und schließlich auch meiner. Ich öffnete die Tür. Jason hatte Recht behalten, das war kein schlichter Raum.

In der Mitte des Zimmers befand sich ein rosanes Himmelbett. Ich hasste rosa. Seline liebte es damals. Vor dem Bett lag ein weißer Teppich, ich strich darüber und erkannte, dass es Echtfell war. Welches Tier wohl dafür leiden musste? Rechts von mir befand sich ein weißer, alt aussehender Schrank. Wurde dieses Zimmer für meine Großeltern eingerichtete? Links von mir stand ein Spiegel und ich wagte es. Neugierig ging ich in die Richtung und stellte mich davor.

Augenringe. Dicke, riesige Augenringe. Das war die erste Sache die mir auffiel. Ich war wohl tatsächlich müde von der Welt. Trotz meiner braunen Haut, sah ich so blass aus. Wie konnte ich blass aussehen, ich war doch dunkelhäutig. Aus meinem Pferdeschwanz schossen unzählige an Strähnen hinaus. Ich hatte ein weißes Shirt an und erkannte, dass ich abgemagert war. Ich war nicht mehr nur dünn, es war mehr als das. Meine vollen Lippen waren spröde und schon wieder vermisste ich mein Strahlen in den Augen. Das Strahlen, das ich hatte, als alles noch gut war. Harry liebte mich nicht, er konnte mich nicht lieben, kein Mensch verliebte sich in so etwas.

Deprimiert ließ ich mich auf das Bett fallen und seufzte. Oh Harry. Was hätte Seline gemacht, wenn sie in meiner Haut stecken würde? Würde sie ihm verzeihen, obwohl er sie so lange angelogen hatte? Würde sie darüber hinwegsehen, dass aufgrund seiner Angestellten zwei meiner Freunde leiden musste? Ich wusste es nicht, wahrscheinlich würde auch sie keine Antwort finden.

Im nächsten Moment ging die Tür auf und er stand im Türrahmen. "Ich werde dir jetzt die Geschichte meines Lebens erzählen."






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