2.
Hütte 11 war wie ausgestorben. Normalerweise tummelten sich hier ganze Scharen an Campbewohnern, aber es saß nur Linos, das Oberhaupt der Hermes Hütte, alleine auf seinem Bett. Wahrscheinlich hatte ich gehofft auf Stelle zu treffen, aber diese war offensichtlich ausgeflogen. Linos schien ganz vertieft in ein Buch zu sein, was mich wunderte, da er sich sonst dagegen weigerte auch nur ein Buch anzufassen.
Als er mich erblickte, schlug er, ein wenig zu schnell, sein Buch zu und lächelte mich nervös an.
"Oh...ähh...hi Zarah. Was machst du hier?" Es hörte sich mehr danach an, als wolle er wissen, wann ich endlich wieder verschwinden würde. Ganz offensichtlich war es ihm Unrecht, dass ich ihn mit dem Buch gesehen hatte.
Ich zog irritiert meine Augenbrauen hoch."Ich wohne in diesem Camp. Entschuldige, dass ich hier herum laufe."
"Ähhm...achso...sorry", er fuhr sich nervös durch seine Haare. Linos blickte mich abwartend an, als würde erwarten, dass ich jetzt wieder gehen würde, aber ich blieb einfach stumm in der Tür stehen und blickte ihn immer noch fragend an.
"Was hast du da für ein Buch?"
"Nicht so wichtig", antwortete einen Hauch zu schnell.
"Was ist los?"
In diesem Moment kam Phyllis in die Hütte rein gerannt und schenkte einen Korb mit Schriftrollen. "Hey, ich hab was gefunden... ", rief sie euphorisch, aber stoppte dann aber mitten im Satz, als sie mich sah. "Zarah...was machst du denn hier?" Phyllis blasse Haut lief ganz rot an und sie fing an auf der Stelle zu treten, was ich sonst nicht von ihr kannte.
"Irgendwie hab ich das Gefühl, dass ich hier total fehl am Platz bin", brachte ich schließlich heraus und mein Blick ging zwischen Linos und Phyllis hin und her. "Was gibt es, von dem niemand anderes wissen darf?"
Phyllis verzog ihr schönes Gesicht so, dass sich Falten auf ihrer klaren Haut bildeten. Sie blickte nervös zu Linos, bevor sie anfing zu sprechen. "Ich will wirklich nicht unhöflich sein, aber das können wir dir nicht sagen."
Ich starrte die beiden weiterhin stur und mit versteinerte Miene an. Es gefiel mir nicht, dass sie Geheimnisse hatten und vor allem gefiel es mir nicht, dass es ausgerechnet die beiden waren. Sie waren unglaublich gute Freunde von mir, aber noch nie hatte ich erlebt, wie die beiden sich auch nur angeschaut hatten. Das sie jetzt anscheinend sogar etwas zusammen ausheckten, machte mich auf seltsame Weise nervös. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass mehr dahinter steckte.
Als sie sich nicht weiter rührten und nur auf meine Reaktion warteten, ging ich langsam rückwärts aus der Hütte raus, ohne sie aus den Augen zu lassen.
Kurz schoss es mir durch den Kopf, diese coole "I'm watching you" Geste mit den Finger zu machen, aber ließ es dann lieber bleiben.
Auf dem Hügel sah ich von weitem, wie Stella und Maggie sich duellierten. Für einen Moment schien es so, als würde Stella gewinnen, aber im nächsten Augenblick sah es dann doch wieder nach Maggie aus. Ich musste grinsen. So typisch, dass sie gegeneinander kämpften, um zu trainieren.
Ich ging auf die beiden zu und zog im Gehen meinen kleinen Fächer aus der hinteren Hosentasche. Als sie mich erblickten, hielten sie inne und blicken mich fragend an. Als Antwort ließ ich nur meinen Fächer aufschnappen und die kleinen, absolut tötlichen Dolche, welche an ihm befestigt waren, kamen zum Vorschein.
Maggie grinste und schwang ihr Schwert in der Hand, während Stella's langer Dolch in der Sonne blitzte.
Jeder gegen jeden. Das Training begann.
****
"Ich war vorhin in der Hermes Hütte und da bin ich auf Phyllis und Linos gestoßen", nuschelte ich durch zusmen gebissene Zähne, als wir nach dem Training langsam zu den Hütten zurück liefen.
Maggie runzelte nur die Stirn, während Stella fast aus allen Wolken fiel. "Was heißt, dass du auf sie gestoßen bist?!"
Ich rollte mit den Augen. "Eigentlich nichts, sie waren halt gemeinsam da und haben anscheinend nach etwas in Büchern und Schriftrollen gesucht..."
"Und was?"
"Das weiß ich ja auch nicht. Irritiert es euch nicht, dass ausgerechnet Linos und Phyllis ein Geheimnis haben? Ich meine, bisher dachte ich immer, dass sie sich nicht leiden können."
Maggie schlug dramatisch ihre Augen auf. "Vielleicht sind sie jetzt zusammen, aber sie konnten sich bisher ihre Liebe füreinander nicht eingestehen, weil es nicht richtig wäre, aber tief in ihnen wussten sie es schon immer...so richtig klischeehaft", sie wirbelte wild mit ihren Armen herum, um ihren Worten noch mehr Nachdruck zu geben.
Stella schmunzelte und schlug ihr dann leicht von hinten auf den Kopf. "Du bist so doof", sagte sie und kam ganz nah an ihr Ohr ran. "HALLO? JEMAND ZUHAUSE? WO BIST DU GEHIRN?!"
Maggie schrie kurz vor Schreck auf und schlug Stella in den Bauch. "Aua, du musst nicht gleich so schreien. Du weißt doch, dass ich kein Gehirn habe!"
"Athene Tochter ohne Gehirn", murmelte Stella. "Ich fasse es nicht."
"Leeuteee", seufzte ich. "Ihr nehmt das gar nicht ernst."
"Doch, doch, das tun wir!", beteuerte Maggie, aber grinste dabei breit.
"Da ist sicher alles okay, vielleicht verstehen sie sich jetzt besser", versuchte Stella mich zu beruhigen.
"Und was sollte dann das alles mit den Büchern und den Schriftrollen? Linos hat noch nie ein Buch in die Hand genommen."
"Ich könnte es ihm zutrauen, dass er gar nicht lesen kann. Vielleicht bringt Phyllis es ihm bei."
Ich zog meine Augenbrauen in die Höhe und runzelte die Stirn. "Wer bitte kann nicht lesen?!"
Stella zuckte nur mit den Achseln. "Du vergisst, dass er mein Bruder ist."
"Seeehr gutes Argument!", gab Maggie von sich.
Stella gab ihr darauf einen kleinen Schubs und lachte dabei. "Ach, halt die Klappe. "
"Hey", rief ich aufgebracht. "Könnt ihr nicht einmal im Leben ernst bleiben?"
"Nö."
"Eigentlich nicht."
Ich atmete genervt aus und rollte mit den Augen. Sie nahmen mich einfach nicht ernst.
Stella legte den Arm um meine Schulter. "Mach dir nicht so ein Kopf, da ist sicher nichts."
"Ja...ihr habt ja wahrscheinlich recht", gab ich zu.
"Jetzt gibt es eh erstmal Mittagessen und danach sehen wir weiter. Vielleicht können wir ja was mit ihnen zusammen unternehmen und kommen so darauf, was sie so Geheimes planen."
"Wieso denkt die Nicht-Athene Tochter am logischsten?", warf Maggie ein und Stella warf ihr ein Grinsen zu. "Aber Mittagessen klingt auf jeden Fall gut. Geht ihr schon mal vor? Ich bring noch mein Schwert weg."
Maggie rannte davon und Stella und ich machten uns auf den Weg zum Mittagessen. Es verlief soweit ruhig, aber Phyllis und Linos tauchten nicht auf. Mir war die ganze Sache nicht geheuer und ich bemerkte, dass auch Stella sich so langsam Gedanken darum machte, auch wenn sie es nicht zugeben wollte. Maggie hingegen schwatzte munter mit Xander und schien das Thema schon ganz vergessen zu haben.
Auch nach dem Essen blieben die beiden verschwunden. Stella und ich stellten das ganze Camp auf den Kopf, aber nirgendwo konnten wir sie finden. Trotzdem beteuerte Chiron immer wieder, wenn wir ihn fragten, dass er sie erst vor kurzem gesehen habe. Sie konnten das Camp also nicht verlassen haben.
Ich hatte einerseits Angst, dass ihnen etwas passiert war und andererseits kroch mir ein ungutes Gefühl in meinem Bauch herum, welches ich noch nicht zu deuten wusste. Wir hatten selbstverständlich nachgesehen, ob Linos und Phyllis eventuell die Bücher und Schriftrollen liegen gelassen hatten, aber auch diese waren wie vom Erdboden verschluckt.
Beim Abendessen bekam ich kaum einen Bissen herunter.
Als wir alle spät am Abend uns noch an dem Lagerfeuer versammelten, hielt ich es nicht mehr aus und ging erneut zu Chiron rüber.
"Stella und ich haben das gesamte Camp auf den Kopf gestellt, aber Phyllis und Linos sind verschwunden. Sie können unmöglich noch hier sein."
Er zog nur eine Augenbraue in die Höhe und blickte über meine Schulter. "Ist das so?"
Als ich mich umdrehte, traute ich meinen Augen kaum. Linos und Phyllis kamen den Hügel hinauf geschlendert und waren dabei in eine eifrige Diskussion vertieft. Erleichtert sprang ich auf die beiden zu.
"Wo habt ihr nur gesteckt? Wir haben den ganzen Tag nach euch gesucht."
Phyllis lief rot an und schaute Hilfe suchend zu Linos hinüber. Dieser blickte fast schon gelangweilt zum Lagerfeuer rüber und sagte dann schließlich mit fester Stimme: "Nicht so wichtig."
Bevor ich etwas hätte erwähnen können, hatte er Phyllis schon hinter sich her gezogen und sich ans Feuer gesetzt. Ich blieb noch einen Moment perplex stehen, um zu realisieren, was gerade passiert war.
Ich konnte es nicht glauben, wie selbstsicher und kühl Linos gewirkt hatte.
Langsam bewegte ich mich auch wieder zurück zum Feuer und setzte mich zwischen Stella und Maggie. Zwar lauschte ich den anderen, wie sie ein Lied nach dem anderen sangen, aber selbst sang ich nicht mit. Ich war zu sehr damit beschäftigt Linos und Phyllis durch das Feuer hindurch zu beobachten.
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