Lawson x Vips
Für @Leoni_F1
Der nächste Teil ist endlich mal fertig geworden! Zeitlich nicht akkurat, aber künstlerische Freiheit und so :D ich hoffe er gefällt euch, viel Spaß!
28.03.2021, Bahrain
POV Jüri
„Okay, das wars. P13“, ertönte die knackende Stimme meines Renningenieurs.
„Scheiße! Verdammt.“
Frustriert schlug ich mit der Hand gegen das Lenkrad meines Autos, welches mich heute im Gegensatz zu gestern zwar nicht im Stich gelassen hatte und ausgegangen war, dennoch hatte es nicht gereicht, um in die Top 10 zu kommen. Das ganze Wochenende war einfach zum Haare raufen. Nach einem verdammt guten Qualifying am Freitag war ich aufgrund eines technisches Vergehens am Auto aus der Wertung genommen worden und musste somit in allen 3 Rennen von der letzten Startposition starten. Im ersten Rennen war es noch verhältnismäßig gut gelaufen und ich konnte bis in die Top 10 fahren. Im zweiten Rennen allerdings war ich nur vorletzter geworden und nach einer unglücklich verlaufenen Safety Car Phase im heutigen Rennen von meinem zwischenzeitlichen 3. Platz final dann auf dem 13. Platz gelandet.
„Es tut mir Leid Leute.“
„Mach dir keinen Kopf Jüri. Du hast dein Bestes gegeben. Halt den Kopf unten und fahr die Out Lap zu Ende. Willst du das Rennergebnis wissen?“
„Nein, eigentlich nicht. Was hat Liam gemacht?“
„P3. Hinter Zhou und Ticktum.“
Ein leichtes Lächeln schlich sich trotz meiner schlechten Laune auf meine Lippen, als ich von dem guten Rennergebnis meines Freundes hörte. Im Gegensatz zu mir war sein Wochenende ziemlich gut gelaufen. Ein 8. Platz im Qualifying, dann der Sieg im ersten Sprintrennen und jetzt der zweite Podiumsplatz dieses Wochenende im Hauptrennen. Da konnte man auch mal über den Ausfall im gestrigen zweiten Sprintrennen hinwegsehen.
´Wenigstens einer, dessen Wochenende gut war´, dachte ich bitter und spürte, wie die schlechte Laune direkt wieder von mir Besitz ergriff.
Ich steuerte mein Auto in die Boxengasse, stellte es hinter den anderen ab und blieb noch einige Sekunden sitzen, um die Fassade wieder soweit aufzubauen, dass nicht jeder sofort sehen konnte, wie schlecht ich aktuell drauf war. Auch wenn es vermutlich niemanden wundern würde, wir waren alle Racer und jeder wollte das Beste aus sich herausholen.
Seufzend entfernte ich mein Lenkrad um den nötigen Platz zu schaffen und mich aus dem Cockpit zu befreien, kletterte dann etwas steif heraus und streckte mich neben dem Wagen stehend erstmal. Dann zog ich meinen Helm ab und ließ meinen Blick über die Leute schweifen, suchte nach Liam und sah ihn nach kurzer Zeit neben seinem Renningenieur stehend mit blitzenden Augen ebenfalls durch die Gegend schauend. Schnell legte ich das Lenkrad wieder in meinen Boliden und lief dann eilig auf ihn zu, wollte ihm zu seinem gelungenen Rennwochenende gratulieren und vielleicht auch ein wenig eigenwillig ein wenig Trost von meinem Freund abstauben. Ich hatte ihn fast erreicht, als sein Renningenieur einen Arm um seine Schulter schlang und ihn bestimmt in Richtung des Gebäudes schob. Liam drehte sich im Gehen um, warf mir einen entschuldigenden Blick zu und lief dann eilig hinein.
'Dann halt nicht´, dachte ich bitter und drehte dann wieder um, ließ eilig das Wiegen über mich ergehen, bevor ich mit hängenden Schultern in Richtung der Garage schlich.
Hoffentlich würde wenigstens das Debrief schnell gehen, denn jetzt gerade wollte ich nichts anderes mehr, als kurz duschen und mich dann unter den Decken meines Bettes vergraben – am besten mit Liam neben mir – und das Wochenende so schnell wie möglich vergessen.
„Ah, Jüri, da bist du ja. Komm mit, wir warten schon auf dich mit dem Debrief“, wurde ich kurz vor dem Container, welcher dieses Wochenende als Liams und mein Aufenthaltsraum gedacht war, von Jasmine, unserer PR- Managerin, abgefangen.
„Jetzt? Darf ich mich noch kurz umziehen?“
„Das kannst du auch nachher machen. Leg nur kurz Helm und Handschuhe weg und dann komm. Wir wollen es alle hinter uns bringen, nach dem Wochenende.“
„Okay…“, antwortete ich leise, warf schnell die besagten Gegenstände in den Container und lief dann hinter ihr her, die Stufen zum Hintereingang des Motorhomes von Alpha Tauri hinauf, welches wir an diesem Rennwochenende mitbenutzen durften, immerhin waren Liam und ich beide Teil der Red Bull Junior Academy. Brachte auch manche Vorteile mit sich.
„Ah Jasmine, ich sehe du hast ihn gefunden“, wurden wir beide dann auch gleich empfangen, als wir endlich den kleinen Konferenzraum betraten.
„Sorry. Ich dachte irgendwie wir würden wie immer ein Debrief zusammen machen. Warum jetzt auf einmal beide Fahrer getrennt?“
„Jüri…wie drück ich das jetzt am besten aus…weil dieses Wochenende nun einmal zwei komplett andere Leistungen zu bewerten sind.“
Autsch. Ich zuckte leicht unter diesen Worten zusammen und nickte dann wie betäubt.
„Setz dich bitte.“
Ich nahm zwischen den anderen Mitgliedern meines Teams Platz und wenn ichs nicht besser gewusst hätte, dann hätte ich einige Blicke, die mir zugeworfen wurden als vorwurfsvoll bezeichnet. Aber ich wusste es besser. Oder? Im Endeffekt konnte ich für keine der Platzierungen dieses Wochenende selber etwas.
„Also, um es einfach mal so zu sagen, wie es ist“, fing Oliver an „das Wochenende war scheiße.“
Zustimmendes Nicken in allen Reihen. Ich selber nickte auch, denn soweit stimmte ich ihm ja zu.
„Ich bin mir sicher, dass das niemandes Intention war.“
Er warf mir einen bedeutsamen Blick zu.
„Und ich bin mir sicher, dass alle daran arbeiten werden, dass es beim nächsten mal eher so läuft wie bei Liam. Jüri, was glaubst du, woran hat es dieses Wochenende gelegen, dass du keine wirklich brauchbaren Ergebnisse einfahren konntest?“
„Ähm…“
Bitte was war dass denn jetzt? So eine bescheuerte Frage war mir ja noch nie gestellt worden.
„Ich glaube, es waren einfach viele Faktoren, die mit reingespielt haben und in der Summe einfach für ein schlechtes Rennergebnis gesorgt haben.“
„Beispielsweise?“
„Wie bitte?“
„Was lief bei dir anders, als bei Liam? Warum kommt er mit zwei Podien nach Hause und du mit…nichts?“
„Ich…weiß es nicht? Liam und ich hatten komplett unterschiedliche Strategien, seine ist aufgegangen und meine nicht, so ist das nun mal manchmal.“
„Willst du damit gerade die Schuld auf dein Team abwälzen?“
„Nein, natürlich nicht! Es ist niemandes Schuld. Das ist halt Racing. Manchmal klappt es und manchmal eben nicht. Da gibt es keinen Schuldigen.“
„Also ich würde da schon jemandem mehr Schuld zu schreiben.“
Wieder lag sein eiskalter Blick auf mir und ich wurde auf meinem Sitz immer kleiner. Ich verstand schon, was er mir mit dem Blick sagen wollte, aber…
„Willst du damit andeuten, es wäre allein meine Schuld, wie es gelaufen ist?“
„Das hab ich nicht so gesagt.“
„Aber angedeutet. Seht ihr das alle so?“
Fragend blickte ich mich im Raum um, sah in die Gesichter einiger Mechaniker, welche meinen Blick starr erwiderten, andere wichen meinem Blick nahezu zwanghaft aus und wieder andere senkten betreten den Blick, als ich sie ansah. Aber niemand sagte etwas, um meine Befürchtungen zu entkräften. Traurig sank ich wieder auf meinem Stuhl zusammen und heftete den Blick starr auf den Boden, während ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen.
„Ich sag nicht, dass du allein dran schuld bist.“, setzte Oliver jetzt mit deutlich sanfterer Stimme an. „Ich sag nur, wenn du ein wenig mehr wie Liam fahren würdest, dann wäre dieses Wochenende mehr für dich drin gewesen. Vielleicht solltest du dich mal mit ihm zusammensetzen und dir ein paar Tipps holen, hm?“
Steif nickte ich, den Blick immer noch starr zu Boden gerichtet und Oliver seufzte.
„Du darfst dann jetzt gehen. Der Rest bleibt bitte hier, wir müssen noch was besprechen.“
'Vermutlich, wer mein Ersatz wird´ dachte ich bitter und lachte kurz trostlos auf, ehe ich mich erhob und schnell den Raum verließ.
Ich wusste, ich hätte besser aufpassen sollen, aber im Moment wollte ich nur noch schnell in meinen Container, wollte nicht, dass jemand mich hier draußen so aufgelöst sah, wie ich mich im Moment fühlte.
Glücklicherweise war es im Paddock relativ leer und ich beeilte mich und lief schnell die kleine Wendeltreppe außerhalb des Gebäudes hinunter, als ich spürte, wie ich eine der Treppenstufen verpasste, das Gleichgewicht verlor und dann den Kopf voran die letzten Stufen hinunterfiel, mit den Schienbeinen und Händen über die Treppen schrappte und anschließend mit den Knien auf den Boden schlug, wo ich dann leicht zittrig sitzen blieb und tief durchatmete.
'Was zum Fick?´, dachte ich erst und dann 'Aua´. Und zwar verdammt großes Aua. Zischend rollte ich von meinen Knien auf meinen Hintern, streckte die Beine vorsichtig aus und zuckte zusammen, als sich ein pulsierender Schmerz ausbreitete.
Ich musste hier weg. Nicht auszudenken was für Kommentare es gegeben hätte, wenn ich jetzt hier gesehen worden wäre. Erst zu blöd zum Fahren und jetzt zu dumm zum Laufen. Kein Wunder, dass ich kein vernünftiges Ergebnis erzielen konnte, wenn ich selbst grundlegende Sachen nicht auf die Kette bekam. Vermutlich wäre es besser, wenn Hitech sich einen neuen Fahrer suchen würde, dann hätte Liam auch einen Teamkollegen, der ihm tatsächlich helfen konnte besser zu werden, und nicht wie ich nur ein Klotz am Bein war.
Vollkommen steif und mit so wenig Bewegung wie möglich erhob ich mich vom Boden und humpelte dann mit schmerzenden Gliedmaßen zu unserem Container, in welchen ich schnell eintrat und mich dann vollkommen fertig auf die Couch fallen ließ.
Und dann kamen die Tränen.
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POV Liam:
Vollkommen euphorisiert von dem unfassbar gut gelaufenen Wochenende lief ich strahlend mit meiner Trophäe in der Hand hinter Jasmine her, welche mich nach dem Podium abgefangen hatte und mich nun zum Debrief begleitete. Ich war glücklich, das Wochenende war nahezu perfekt gelaufen. Besser hätte es nur werden können, wenn Jüri nicht so viel Pech gehabt hätte und mit mir zusammen um Punkte hätte kämpfen können. Aber nichts davon, wie es gelaufen war, war seine Schuld gewesen und ich wusste, dass er anders denken würde, aber da lag es dann halt an mir, ihn wieder aufzubauen. Umso mehr freute ich mich darauf, jetzt gleich mit ihm zusammen das Debrief zu machen, konnten wir gemeinsam doch immer viele positive Eindrücke aus dem vergangenen Wochenende gewinnen.
Umso verdutzter war ich, als ich den kleinen Konferenzraum betrat und dieser lediglich von meinem Teil der Teams und Oliver belegt war.
„Liam…Champ! Das war ein Wahnsinns Wochenende!“
Oliver war mir nach meinem Eintritt entgegengekommen und klopfte mir jetzt fest auf die Schulter, während er mich angrinste wie ein Honigkuchenpferd. Ebenfalls grinsend erwiderte ich das Kompliment dankbar und blickte mich dann erneut im Raum um.
„Oliver, wo ist Jüri? Und der Rest des Teams?“
„Oh, mach dir keinen Kopf, mit Jüri hatten wir schon ein Debrief, jetzt können wir uns voll auf dich konzentrieren.“
„Aber wieso? Wir haben doch sonst auch immer zusammen die Nachbesprechung gehabt.“
„Ja, aber sonst wart ihr punktetechnisch auch noch nie so weit auseinander wie heute. Wir dachten einfach, es wäre das Beste, euch beide getrennt voneinander zu beurteilen.“
„Aber wir waren doch leistungstechnisch überhaupt nicht so weit auseinander.“
„Liam, ich bitte dich. Du hast 2 Podien geholt und Jüri ist mit Mühe und Not einmal in die Punkte gefahren. Lenk dich jetzt bitte nicht mit ihm ab, wir wollen anfangen.“
„Ja aber…“
„Liam!“
„Aber Jüri konnte doch nichts für die Platzierungen, die er dieses Wochenende eingefahren hat.“
„Das sehen sein Team und ich anders.“
„Aber warum?“
„Das geht dich nichts an. Und jetzt setz dich.“
„Nicht, bevor du mir nicht erklärt hast, warum ihr Jüri die Schuld für das Wochenende gebt.“
„Wie schon gesagt, das geht dich nichts an.“
„Und wie mich das was angeht.“
„Und warum?“
„Weil es meine Aufgabe ist es anzusprechen, wenn mir auffällt, dass jemand unfair ist.“
„Ich bin unfair?“
„Ja, das bist du.“
„Und wo war ich jetzt bitte unfair?“
„Ganz einfach, indem du Jüri vorgeworfen hast, schuld an dem Rennergebnis zu sein. Im Qualifying bekam er eine Strafe für eine bauliche Veränderung am Chassis. Nicht seine Schuld. Dann hat er trotz einem Start von der hintersten Position noch Punkte geholt. Gut das zweite Rennen war Mist, aber das war bei mir nicht anders. Und heute war es halt einfach Pech mit dem Safety Car. Das passiert und ist halt Racing. Aber auch das ist nichts, was Jüri vorgeworfen werden kann. Also Oliver, guck mir in die Augen und sag mir nochmal, dass das Ergebnis des Wochenendes seine Schuld war.“
Ich hatte mich in Rage geredet und vor Oliver aufgebaut, welchen ich jetzt um einige Zentimeter überragte und konnte sehen, wie er kräftig schluckte und augenscheinlich nach Worten zu ringen schien.
„Ähm…er hat es eingesehen.“
„Weil er derselben Meinung war oder weil du ihm keine andere Wahl gelassen hast?“
„Ich denke…“
„Bei allem Respekt, Oliver, es könnte mir gerade nicht egaler sein, was du denkst. Ich werde jetzt gehen und Jüri suchen und spätestens morgen wirst du dich entschuldigen, sagen, dass du die Situation falsch eingeschätzt hast. Verstanden?“
„Und warum sollte ich das tun?“
„Weil du dir sonst einen neuen Fahrer suchen kannst.“
„Das würdest du nicht wagen.“
„Try me.“
Es sah kurz aus, als wollte er antworten, allerdings verließ kein Ton seinen Mund und im nächsten Moment schloss er diesen ergeben wieder.
„Sehr gut. Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest.“
Und damit rauschte ich aus dem Raum, versuchte zu ignorieren, dass ich gerade meinem Teamboss gedroht hatte und von nahezu allen Ingenieuren mit offenem Mund angestarrt wurde. Es war mir allerdings auch egal, denn gerade wollte ich nichts anderes, als Jüri zu finden. Wenn Oliver ihm auch nur im Ansatz das gesagt hatte, was er bei mir gerade angedeutet hatte, dann wollte ich gar nicht wissen, in welchem Zustand sich der Ältere gerade befand.
Draußen vor dem Raum wurde ich von Jasmine aufgehalten, welche hinter mir hergekommen war.
„Liam! Ich bin stolz auf dich, das war unglaublich. Jüri müsste bei euch im Container sein.“
Dankend nickte ich ihr zu und beeilte mich dann, die Wendeltreppe hinunterzulaufen und anschließend mit großen Schritten auf den Container zuzuhalten, welcher Jüri und mir an diesem Wochenende als Aufenthaltsraum zugeteilt worden war. Dort angekommen klopfe ich erst zaghaft an, was nicht wirklich logisch war, da mir dieser Container genauso gehörte wie Jüri, allerdings wollte ich ihn nicht mit meinem plötzlichen unangekündigten Auftreten erschrecken. Als von drinnen keine Reaktion kam, zog ich langsam die Tür auf und schlüpfte dann durch den entstandenen Spalt in die hinter der Tür herrschende Dunkelheit. Warum hatte Jüri denn kein Licht angeschaltet? In dem Dämmerlicht, welches von draußen in den Container schien, versuchte ich mich zu orientieren, wollte nicht über die herumfliegenden Sachen stolpern und entschied mich dann dazu, erstmal rufend auf mich aufmerksam zu machen.
„Jüri?“
Keine Antwort.
„Babe, bist du hier?“
Wieder keine Antwort, doch dann, ganz leise, sodass ich es beinah überhört hätte: ein leises Wimmern aus der linken hinteren Ecke des Containers.
„Jüri, was ist passiert?“
„Geh weg.“
´Ach sieh mal einer an, er kann ja doch noch sprechen', dachte ich mir und lief mit vorsichtigen Schritten auf die kleine Couch zu, die im Raum stand und aus welcher Richtung ich das leise Murmeln meines Freundes meinte gehört zu haben.
Ich kniete mich langsam auf das Sofa, stützte meine Unterarme auf der Lehne ab, warf einen Blick hinter die Lehne und zog erschrocken die Luft ein.
„Babe, was…“
„Dein 'babe´ kannst du dir sparen. Spar dir am besten gerade alles“, wurde ich quasi direkt angegiftet, aber ich entschied mich, das sehr gekonnt zu ignorieren.
„Was ist mit dir passiert? Warum…sag mal ist das Blut?“
Schnell war ich aufgestanden und hatte – als ich die verräterischen Flecken auf seinem weißen, feuerfesten Shirt gesehen hatte – die Couch umrundet, doch in den wenigen Sekunden, bis ich ihn erreicht hatte, war der Este auf die Füße gekommen und schubste mich jetzt, als ich die Arme nach ihm ausstreckte, von sich, bevor er weiter in die Ecke zurückwich und die Arme um seinen Körper schlang.
„Ich hab gesagt spar es dir. Lass es einfach. Geh am besten.“
„Ich lass dich doch jetzt nicht alleine.“
„Ich will dich aber nicht sehen.“
„Was ist passiert?“
„Nichts.“
„Das sieht aber nicht nach 'nichts´ aus.“
„Ich hab kein Bock, mir jetzt auch noch von dir die Schuld für irgendwas in die Schuhe schieben zu lassen.“
Mit erhobenen Händen war ich vor Jüri stehen geblieben, welcher immer noch in die Ecke des kleinen Raumes gedrängt stand und dem jetzt auch noch Tränen in die Augen stiegen. Mein Herz blutete bei diesem Anblick und ich trat einen weitern Schritt auf ihn zu.
„Bitte nicht, Liam. Ich kann das jetzt gerade nicht.“
„Jüri…bitte sag mir was los ist. Ich will dir keine Schuld zuschieben, für nichts. Ich will dir nur helfen.“
„Das hat Oliver auch gesagt. Ich sollte mir Hilfe bei dir holen, damit ich ein wenig mehr so werde wie du. Dann enttäusch ich das Team nächstes Mal vielleicht nicht so…“
Die tonlose Stimme des anderen ließ einen kalten Schauer über meinen Rücken laufen und ich sog erschrocken die Luft ein, als Jüri damit das bestätigte, was ich vermutet hatte.
„Jüri…Schatz, bitte setz dich hin, du kannst ja kaum stehen.“
Sanft griff ich nach dem Arm des Esten, ignorierte die Art, auf welche er zusammenzuckte und führte ihn dann sanft, aber bestimmt zur Sitzfläche der Couch, auf welche er sich dann auch fallen ließ und sichtlich zusammen und damit in die weiche Polsterung sank. Ich ließ mich neben ihn sinken und sah ihn besorgt an.
„Jüri, hör mir bitte zu. Nichts von dem, was in den letzten Tagen passiert ist, ist deine Schuld. Das sind alles Dinge gewesen, die außerhalb deiner Macht lagen.“
„Das sieht das Team anders.“
„Mit denen hab ich auch schon gesprochen. Keiner hat das Recht, so mit dir umzugehen.“
Mit großen Augen sah Jüri mich an und ich bemerkte das Zittern in seiner Unterlippe.
„Das hättest du nicht tun dürfen Liam. Du darfst nicht meinetwegen Stress mit dem Team bekommen. Das bin ich nicht wert.“
„Wag es dich nie wieder, sowas zu sagen. Jüri, du bedeutest mir die Welt auch wenn du es jetzt vielleicht nicht verstehen willst oder auch nicht verstehen kannst. Ich würde jeden einzelnen Menschen auf der Welt zur Rede stellen, wenn ich damit sicherstellen könnte, dass es dir gut geht und dass du dich so sehen kannst, wie ich dich jeden Tag sehe. Und wenn ich dafür mit meiner Kündigung drohen muss, dann soll es so sein. Denn wenn ich mich entscheiden müsste zwischen dir oder…eigentlich allem anderen, dann will ich, dass du weißt, dass ich immer dich wählen würde. Denn du bist es wert. Hast du das verstanden?“
Zaghaft nickte er. Während ich gesprochen hatte, hatte ich sein Gesicht in meine Hände genommen und die immer stärker laufenden Tränen mit meinen Daumen von seinem Gesicht gewischt, bis sie so weit getrocknet waren und keine weiteren nachzulaufen schienen. Tief durchatmend zog Jüri seinen Kopf aus meinen Händen, strich sich selbst nochmal übers Gesicht, wobei er kaum merklich zusammenzuckte, und mich dann mit einem leichten Grinsen auf den Lippen anschaute.
„Hast du Oliver wirklich mit der Kündigung gedroht?“
„OAAH, du Idiot. Ich schütte dir hier mein Herz aus und das ist es, was du gehört hast?!“
Aus dem kleinen Grinsen wurde ein Glucksen und kurz darauf ein herzhaftes Lachen, in welches ich erleichtert einstieg.
„Entschuldige bitte. Ich hätte nur zu gerne sein Gesicht gesehen.“
„Oh, das war herrlich, ungefähr so…“
Ich versuchte, das überraschte Gesicht nachzumachen, welches Oliver aufgrund meiner Aussage gemacht hatte und anscheinend sah es sehr komisch aus, denn Jüri lachte nochmals laut auf, ehe er wieder leiser wurde und seinen Blick gen Boden richtete.
„Es tut mir Leid, dass ich dich so angefahren habe. Ich bin ein Idiot.“
„Mag sein, aber du bist MEIN Idiot.“
Sanft griff ich nach seiner Hand und wollte unsere Finger miteinander verschränken, doch er zuckte wieder zusammen und entzog mir seine Hand. Ach ja, da war ja was gewesen.
„Jüri, was ist passiert?“
„Ich…Ich bin die Treppe runtergefallen?“
„Wie hast du das denn geschafft?“
„Ich war unkonzentriert nach.. du weißt schon. Und dann hab ich wohl die Treppenstufe nicht richtig erwischt und dann…ja…“
„Okay. Wo hast du dich verletzt?“
„Es ist nicht so schlimm Liam. Können wir bitte einfach ins Hotel fahren?“
„Können wir. Gleich nachdem ich mir deine Wunden angeschaut habe. Hier haben wir nen Erste Hilfe Kasten, im Hotel müsste ich mir erst Zeug suchen.“
„Muss das sein?“
„Ich kann dich auch zum Doc schleppen, wenn dir das lieber ist.“
„Oh Gott, bloß nicht.“
„Siehste.“
Ich stand von der Couch auf und holte den kleinen, orangenen Kasten, in dem ich Pflaster vermutete, und ließ mich dann wieder neben Jüri auf die Couch fallen, wobei ich ihn auffordernd ansah.
„Also?“
„Eigentlich nur meine Hände. Ich musste mich abfangen und hab sie mir dabei irgendwie aufgeschürft.“
„Zeig mal her.“
Er streckte mir seine Hände entgegen und ich betrachtete die kleinen Schürfwunden, welche seine Handinnenfläche überzogen, mittlerweile aber allen Anschein nach aufgehört hatten zu bluten. Daher also die Flecken auf dem Shirt. Sanft nahm ich erst seine eine Hand in meine eigene, betrachtete sie eingängig, ob ich Rückstände in den Wunden ausfindig machen konnte und klebte dann ein großes Pflaster über den Bereich, bevor ich einen Kuss auf das Pflaster hauchte und dann nach seiner anderen Hand griff, um das Prozedere zu wiederholen. Während der gesamten Zeit spürte ich den Blick des Esten auf mir liegen und als ich kurzzeitig zu ihm hochschaute entdeckte ich einen zarten roten Schimmer, welcher sich auf sein Gesicht gelegt hatte und musste schmunzeln. Er war einfach zu süß.
„Okay, fertig. Sonst noch irgendwas?“
„Nichts, wo man mehr machen könnte als ein Kühlpack.“
„Na dann, raus aus den Klamotten würd ich behaupten.“
„Wieso? Jetzt? Hier?“
„Naja, du musst dich noch umziehen, es sei denn du willst im Rennoverall zum Hotel fahren. Und ich hab dich schon in ganz anderen Situationen gesehen, wenn ich dich daran erinnern darf.“
„Arsch.“
„Ich liebe dich auch.“
Schnell schälte Jüri sich aus seinem Overall und auch ich zog mich in meine Alltagsklamotten um, bevor ich unsere Sachen zusammenpackte und dann mit dem Rucksack über der Schulter wieder auf ihn zutrat.
„Babe, ich hab die Sachen zusammengepackt. Hast du alles was du brauchst?“
Jüri überbrückte den Abstand zwischen uns, griff nach meiner Hand und grinste mich breit an.
„Jetzt schon.“
„Gott, du bist so schmalzig.“
„Ich hatte ein schlechtes Wochenende, ich darf das.“
„Bei mir darfst du alles.“
„Und ich bin schmalzig?“
„Halt die Klappe, du liebst es.“
„Das stimmt, das tue ich.“
Er zog mich an unseren verschränkten Händen näher und vereinte unsere Lippen zu einem kurzen Kuss, bevor er tief durchatmete und aus dem Container hinaus in das dämmrige Bahrain trat.
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