༻Pʀᴏʟᴏɢ༺
If we could only have this life
For one more day
If we could only turn back time
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Bald wird es Zeit, Harry.
Zeit, die Vergangenheit zurück zu bringen!
Fassungslos raufe ich mir die ungewohnt kurzen Haare.
Laute Stimmen und Gelächter ertönen nah vor der Tür und lassen mich zusammenzucken. Notgedrungen blicke ich von meinem Handy auf, lege es ungeachtet zur Seite, als sie aufschwingt.
Sarah strahlt mich verschwitzt, aber mit einem breitem Lächeln auf dem Gesicht, an.
„Das war Hammer, Harry! Wo nimmst du nur immer die Kraft für sowas her?"
„Ja! Das wer echt eine der besten Auftritte, die wir je gegeben haben, oder? Ich fand's einfach mega!"
„Ich kann den beiden nur zustimmen! Spitze!"
„Erste Sahne!"
„Respekt!"
Die anderen stimmen ihr zu und klatschen sich gegenseitig ab.
„Danke, Leute! Aber ohne euch wäre das nicht ansatzweise so ein toller Abend gewesen! Wirklich! Danke!" Mein Lächeln ist gezwungen, und keinesfalls echt. Viel mehr eine Grimasse, als ein Lachen.
Ich weiß nicht, ob sie es bemerken, aber keiner spricht es an.
Wahrscheinlich haben sie in der gemeinsamen Zeit gelernt, nicht nachzufragen.
Was würde ich ihnen sagen?
Ohne ein weiteres Wort an meine Band zu richten wende ich mich ab, und mache mich auf den Weg zurück ins Hotel.
„Warte mal, Harry!", höre ich Mitchs Stimme weit hinter mir.
Schnell beschleunige ich meine Schritte.
Wenn Mitch mir jetzt in die Augen schaut, wird er sofort merken, dass etwas nicht stimmt.
Für so ein Gespräch fehlt mir gerade die Kraft, und vor allem muss ich möglichst schnell telefonieren. Ungestört. Und das geht, wenn überhaupt, nur im Hotel.
Beim Hintereingang der Halle angekommen, schlägt mir kühle Herbstluft entgegen.
Diskret folgt mir ein Bodyguard zum schwarzen SUV, der nicht weit entfernt vom Ausgang schon auf mich wartet.
Mitchs immer lauter werdende Schritte hallen auf dem Gang wider, bis die schwere Tür aus Metall geräuschvoll ins Schloss fällt.
Gerade als ich den Wagen erreicht habe, und kurz davor bin einzusteigen, stößt mein Verfolger die Tür auf, hält kurz inne, blickt sich um, sieht mich und ruft: „Warte, Harry!" Ich wende mich ab, steige ein und will gerade die Tür schließen, doch da steht Mitch neben ihr und öffnet sie wieder. „Das hast du liegen gelassen!", schnauft er und hält mir meine Jacke zusammen mit meinem Handy entgegen.
„Danke, das muss ich wohl vergessen haben!", antworte ich ihm kurz angebunden.
„Gute Nacht, Mitch. Bis Donnerstag. Grüßt du die anderen?", versuche ich das Gespräch schnellstmöglich zu beenden und ziehe die Tür langsam, aber zielstrebig wieder zu.
„Ja, werde ich machen! Schlaf gut, Harry! Ist alles okay? Du siehst so durcheinander aus. Geht es dir gut?"
Sein Gesicht ist besorgt, und seine Finger zucken unruhig hin und her, wie sie es immer tun, wenn er nervös ist, oder sich Sorgen macht.
Unter diesen Umständen bringe ich es erst recht nicht über mich, ihn unsanft abzuweisen. Also lasse ich ihn die Tür wieder öffnen, und blicke ihm ins Gesicht.
„Nein. Nicht wirklich!", antworte ich ihm also wahrheitsgemäß, anstatt ihm eine billige Ausrede zu nennen, die er sowieso sofort als solche enttarnen würde.
Schon wieder fällt mir eine widerspenstige Haarsträhne ins Gesicht.
„Aber ich muss es erstmal selbst verstehen, bevor ich drüber reden kann. Okay?", unterbreche ich ihn schnell, bevor er fragen kann und streiche mir die dunkel Locke fahrig von der erhitzen Stirn.
„Du weißt, dass du zu mir kommen kannst, egal worum es geht. Kann ich dir wirklich nicht irgendwie helfen?", probiert er mir doch noch etwas mehr Informationen zu entlocken.
„Nein, Mitch. Da muss ich alleine durch", beginne ich, „aber wenn es irgendwas gibt, wo du mir helfen kannst, melde ich mich. Versprochen!" „Geht's um sie? Kennst du sie?", fragt er noch einmal nach und erinnert mich so an das eben erst gegebene Konzert, das schon in Vergessenheit geraten ist. Nur noch ein anderes zwischen den anderen. Weggepackt zu den anderen vagen Erinnerungen an Konzerte, die alle miteinander verschwimmen und zu einer dicken, undurchdringlichen Wand werden.
Und an sie.
Die Erinnerung an sie wird genau so schnell vergessen sein. Ein Schatten in den Erinnerungen, ein Geist ohne Zuflucht.
Ich werde sie nicht vergessen, rede ich mir ein. Ich werde sie wieder sehen. Diesmal werde ich auch ihre Stimme hören und ihr helfen, ihr ein Anker sein, so wie sie mir einer war und sein wird. Nicht nur ihre Augen sehen.
Augen, die viel erlebt, gesehen haben.
Augen, die um Hilfe riefen. Augen, die mich haben fühlen lassen, wie noch nie zuvor. Augen, von Schmerz belagert, und trotzdem so wunderschön. Augen, in denen ich mich zu lange verloren habe. Augen, in deren Anblick ich mich endlich wieder ganz, eins gefühlt habe. Augen, die ich nie vergessen will, und trotzdem nie wieder zu Gesicht bekommen werde.
Trotzdem schüttel ich meinen Kopf, mein schneller Abgang hat nichts mit ihr zu tun. Nur mit der SMS.
Er nickt und wendet sich zum Gehen.
„Aber Mitch", rufe ich ihm noch zu, „genießt die freien Tage! Ihr habt sie euch verdient. Vier Tage sind nicht viel, ich weiß, aber sie können reichen, um mal runterzukommen. Glaub mir, ich weiß, wovon ich spreche!"
In der Dunkelheit kann ich ein kleines Lächeln auf seinem Gesicht ausmachen, und erwidere es.
„Du aber auch! Du hast es mehr verdient als alle anderen, jetzt etwas runterzukommen. Hast du verstanden?!"
„Aj, aj, Sir!", antworte ich ihm mit einem schwachen Lachen in der Stimme, und schließe die schwarze Tür, jedoch nicht ohne ihm vorher noch eine Gute Nacht gewünscht zu haben.
Sobald die Autotür geschlossen ist, rollt der SUV los. Zögernd greife ich nach meinem Handy, und starre es an.
Ein Kloß entsteht in meinem Hals. Ich schlucke mühsam.
Trauer und Freude bilden gleichermaßen einen Schleier, der mein Gehirn benebelt. Ich kann die Gedanken nicht stoppen, die anfangen herum zu geistern und mir jetzt schon bei der bloßen Vorstellung drohen den Verstand zu rauben.
Dann wird es also Zeit.
Wann wird es soweit sein? Wessen Idee war das? Kam sie von einem der anderen? Wie sie wohl reagieren? Ging das ganze vom Management aus?
Die Tour werde ich noch zu Ende bringen, genauso wie die anderen.
Ob sie sich die Zeit genauso wie ich zurück wünschen, und trotzdem Angst vor der Zukunft haben?
Doch die Frage ist, wie viel Zeit wir jetzt noch haben, um uns darauf vorzubereiten.
Wahrscheinlich werden wir möglichst schnell weitermachen.
Ohne die Nachricht wäre ich ins kalte Wasser geworfen worden. Und trotzdem wünsche ich mir, noch nichts davon zu wissen.
Wie soll ich denn jetzt noch die Tour wie geplant zu Ende bringen, wenn doch klar ist, dass danach erstmal Schluss sein wird?
Klar, es geht weiter, aber anders. So wie früher. So wie damals.
Erinnerungen kommen hoch und drohen mich wie ein Strom mitzureißen.
Wie soll ich das denn Sarah, Mitch, Adam, Naomi und Charlotte sagen?
Ich blicke hinunter auf den geöffneten Kontakt, und die immer noch so vertraute Nummer. Ich schlucke schwer.
Wie lange ich sie nicht mehr gewählt habe, weil es zu sehr weh tat.
Wie lange ich nicht mehr mit ihm gesprochen habe, weil alle Erinnerungen zurück gekommen wären.
Wie viele Erinnerungen ich verbannt habe, weil sie zu sehr schmerzten.
Wie viel Zeit vergangen ist, und die Wunden nicht hat heilen können.
Wie sehr ich sie und unsere gemeinsame Zeit doch vermisse. Und gleichzeitig ungeschehen wünsche.
Wir werden wieder zusammen kommen.
Zusammenfinden und die Welt erobern.
Egal ob wir wollen oder nicht.
Jetzt liegt es an uns.
Es liegt an uns, was wir daraus machen.
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