༻Fᴜᴇɴғ༺

You tell me that you're sad and lost your way
You tell me that your tears are here to stay
But I know you're only hiding
And I just wanna see ya
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Vor Müdigkeit fallen mir fast die Augen zu, als Lucy mich mit Hummel vor dem wunderschönen Haus absetzt, das ich jetzt mein Zuhause nennen darf.

„Das war total schön! Müssen wir öfter machen, jetzt wo du endlich hier bist", erklingt die Stimme der Quasselstrippe gedämpft durch ihrem Helm, den sie schwungvoll abzieht und im schwachen Flackern der Straßenlaterne ihre schwarz gelockten Haare ausschüttelt.

„Auf jeden Fall. Wann musst du morgen da sein? Sehen wir uns vorher noch?"

„Weiß ich noch nicht-", lässt sie ihre Antwort vage in der Luft stehen.

„Okay, vergiss es. Vermutlich kommst du gerade mal rechtzeitig zur Vorlesung aufs Gelände, dann ist vorher keine Zeit mehr, richtig?"

„Also eigentlich...", druckst sie herum und bringt mich damit zum Grinsen.

„Dann aber nach deiner Schicht, du musst ja schließlich für heute einiges aufholen, Sturkopf."

„Ich bin nicht stur", empört sie sich entrüstet.
„Glaub das nur. Danke trotzdem! Was würde ich nur ohne dich machen, Lu?"

„Jetzt gerade auf jeden Fall im Bett liegen und schlafen."
Augenverdrehend schüttle ich den Kopf, und als mir auffällt, dass sie das vermutlich alles gar nicht bemerkt, gebe ich ihr einen freundlichen Seitenstoß, der sie sofort zum Giggeln veranlasst.

„Du weißt schon, wie ich das meine. Stell dich nich' doofer an, als du bist-"
„Ey, so unfassbar inkompetent, wie du immer versuchst mich dazustellen, bin ich auf keinen Fall!"

„-aber recht hast du ja schon. Ich will auf keinen Fall auch hier zu spät kommen. Das war schon letztes Mal peinlich genug, das brauch ich nicht nochmal...", deute ich vielsagend an, und muss an meinen letzten ersten Tag an einer neuen Uni denken.

Das war echt ein Schlamassel. Wie ich da herum geirrt bin und konsequent den richtigen Saal nicht gefunden habe. Bestimmt bin ich fünfmal an ihm vorbei gelaufen und ohne Hilfe, wäre ich heute noch drinnen und hätte nicht mal heraus, geschweige denn meine Vorlesung gefunden.

„Ach, du rockst das schon", muntert sie mich auf.
„Hoffentlich. Noch einen Studiengang kann ich nicht abbrechen, weißt du?"

„Wirst du auch nicht. Wie gesagt: Du rockst das Aimée! Und jetzt sollte ich mich auch mal aus dem Staub machen, sonst stehen wir in fünf Stunden noch hier. Und dann ist mein Hinter offiziell tot. Ich muss Hummel echt mal eine neue Polsterung verpassen, sonst bin ich noch länger ‚alone' und darauf hast weder du, noch ich Lust."
Ganz sicher hat sich ihr filigranes Gesicht während ihrer letzten Worte zu einem breiten Grinsen verzogen, und obwohl es ihre Augen wie immer, wenn sie von ihrem nicht existierenden Freund spricht, nicht ganz erreichen kann.

„Jap. Aber genauso sieht es aus, wenn ich jetzt nicht langsam mal etwas Kraft tanken kann. Es wird sowieso noch Stunden dauern, bis ich die Auge schließe."

Ihrer weiche, kleine Hand sucht meine und drückt sie fest, sobald sie meine Finger im düsteren Schimmer der alten Straßenlaterne, einiger Meter von uns entfernt, ertastet hat.

„Wie gehts dir eigentlich jetzt damit, hm?", beginnt sie vorsichtig, darauf bedacht mich nicht zu überfallen und wieder in den Strom der Erinnerungen zu stoßen.

„Kommst du damit klar?"
„Muss ja."

„Aim, das hilft mir nicht. Ich will wissen, wie es dir geht, nicht wie es dir gehen soll. Ich habe komplett verstanden, dass du nicht darüber Reden wolltest eben, aber du kannst das nicht ewig in dich reinfressen. Mag sein, dass du andere mit deiner Fassade täuschen kannst, aber ich kenn dich schon zu lange und zu gut, als dass das bei mir funktioniert. Ich habe deine Tränen im Café gesehen, egal wie sehr du sie verschwinden lassen wolltest. Also: wie geht es dir, meiner Aimée?"
Im Laufe ihrer kleinen Rede würde ihre Stimme immer besorgter und liebevoller.

Sie hat recht, aber ich kann einfach nicht. Ich kann nicht-

„ ,Es geht. Alles okay. Mir geht es gut.', was willst du hören?"
„Die Wahrheit"

„Das willst du nicht", seufze ich resigniert und kaue nervös an meiner Unterlippe, ein kleiner Tick von mir.

„Doch. Kein Widerspruch", beharrt sie unbeeindruckt.
„Bitte, ich will dir nur helfen."
„Aber-"
„Was?"
„Dann lass mich reden. Versuch mich nicht zu unterbrechen, okay? Ich glaube, dann schaff ich das nicht."
„Ich gebe mein bestes", verspricht sie und ich meine zu erkennen, wie sie mit einem unsichtbaren Schlüssel ihren Mund abschließt und den besagten Schlüssel wahllos hinter sich wirft, sie wie man es früher im Kindergarten immer gemacht hat.

„Ich weiß nicht. Einerseits bin ich froh hier zu sein. Bei dir, bei Jules und Gabriel, bei euch, die mir wichtig sind. Da weg gekommen zu sein. NEU anzufangen. Die Vergangenheit hinter mir zu lassen. Da tut der Umzug nochmal doppelt gut, und ich liebe das Haus, meine Wohnung, den Garten einfach.
Aber auf der anderen Seite sind da - sind da die Bilder, die wiederkommen, die Erinnerungen, die ich nie los werden werde und all die Dinge, die ich einfach nur vergessen will, nie wieder sehen, hören, fühlen will.
Aber ich kann nicht. Ich kann das nicht ein das nicht einfach abschütteln. Ich kann nicht einfach von vorne anfangen. Und es gibt genug Situationen, wo ich das merke. Und das...
Das macht mir verdammt viel Angst.
Abends, wenn ich im Bett liege und nach einem vollen Tag die Augen schließe, kommt alles zurück, egal wie sehr ich mich dagegen wehre, egal wie gut der Tag bis dahin war, egal was. Alles.
Ich habe das Gefühl, ich werde paranoid, verrückt, bilde mir Dinge ein.
Vielleicht war der Mann heute hinter mir im Park nur ein gewöhnlicher Jogger und kannte mich noch nicht mal, wusste nicht wer ich bin.
Aber was, wenn es doch nicht so war.
Wenn er genau wusste, wer ich war, wer ich bin, wo ich jetzt gerade bin.
Wenn sie mich jetzt schon gefunden haben.
Wenn ich euch alle damit in Gefahr gebracht habe.
Wenn alles noch schlimmer wird.
Und diese Gedanken sind noch nicht mal das schlimmste. Das schlimmste ist, dass ich jedem, wirklich jedem Misstraue. Und dabei wünsche ich mir doch so dringend Nähe, Halt.
Lu, ich kann das nicht mehr lange.
Die Frage ist, was passiert, wenn ich breche."

„Oh, Aimée..."
Geräuschvoll zieht sie die Nase hoch und mich in eine feste Umarmung.

„Ich würde dir so gerne helfen, aber ich weiß nicht wie. Kann ich irgendetwas tun?"

Ihre Stimme klingt so hilflos und es zerreißt mir das Herz sie so zu hören.
„Außer ablenken nichts. Ich will einfach vergessen. Vergessen, und nie wieder daran denken müssen. Vergessen, und die Bilder verbannen. Vergessen. Und das kann ich nicht."

Meine Stimme wackelt gefährlich und ist kurz davor zu brechen.

„Ablenken also. Ich gebe mein bestes, versprochen! Es ist aber wirklich okay, wenn ich jetzt fahre, und mir noch einmal eine Mütze Schlaf hole, bevor der Unistress wieder anfängt?
Ich kann auch bleiben, wenn dir das hilft. Schlafen kann ich überall, sobald ich einmal liege, du kennst mich", bietet sie an.

Gerührt ziehe ich mich aus der Umarmung zurück und schüttle den Kopf.

„Nein, nein, geh zu dir nach Hause. Das sollte kein allzu großes Problem geben. Und wenn etwas ist, meinten Gabriel und Jules", in der Dunkelheit meine ich ein kleines Zucken in ihren Mundwinkeln zu bemerken, aber natürlich kann ich das nicht ganz sicher sagen, „soll ich sie unbedingt anrufen, egal wie spät es schon ist, Hanna meinte auch, dass ich immer runterkommen kann und herzlich willkommen bin und dann habe ich ja auch noch dich. Das ist also nicht nötig. Danke, für das Angebot. Heute lieber nicht, wegen der Uni morgen und so, aber das müssen wir unbedingt nachholen. Was ist mit Samstag? Wollen wir uns einen gemütlichen Filmabend machen?"

„Ja, klingt gut. Ich komm dann und bring Chips und Schoki mit, du kümmerst dich um das Abendessen und die Getränke?"

„Geht klar, wollen wir Raclette machen?", schlage ich vor, füge jedoch noch schnell, bevor sie Zeit hat sich zu beschweren, hinzu, „Selbstverständlich ohne Käse", und entlocke ihr so ein Lachen, das ich gerade gebraucht habe.

Jeder hat Menschen in seinem Leben, bei denen es einem einfach nur reicht zu wissen, dass sie glücklich sind, um selbst glücklich zu sein.

„Lass uns lieber Pizza essen. Egal ob bestellt, aus der Tiefkühltruhe oder selbst gemacht, das darfst du entscheiden, aber alle mal besser als das Raclette für uns zwei alleine anzuschmeißen."

„Okidoki, bin dabei. Pizza ist immer gut. Aber-"

„Nichts geht über Pasta, ich weiß. Nächstes mal? Im Café kann man übrigens auch Hammer Mittag essen. Und Frühstück. Und Abend. Und Kuchen. Und Brunchen. Eigentlich alles, aber das muss ich dir bestimmt nicht sagen."

Nach einem letzten Händedruck setzte sie sich wieder auf ihre heiß geliebte, grellrot lackierte Vespa, der man die Jährchen durchaus ansieht, doch das störte sie noch nie. ‚Hummel ist so. Da will und werde ich nichts dran ändern.' gab sie mit ohne Zögern als Antwort, als ich mich bei einem meiner ersten Besuche getraut habe zu fragen, den Fehler habe ich danach nie wieder gemacht.

„Am Samstag Pizza und Filmabend und morgen Nachmittag wieder im ‚Muka'?"
„Bin dabei."
Ich reibe müde über die Augen und kann nur mühsam das Gähnen verhindern.

„Aber jetzt sollten wir wirklich Schluss machen. Wie sehen uns ja morgen schon direkt wieder und in drei Tagen, und außerdem wohnen wir jetzt endlich wieder in der selben Stadt.
Ich penn gleich im Stehen ein, aber bevor ich fahre:
Ich denk mir was zur Ablenkung aus.
Keine Widerrede!
Hab da schon ein paar Ideen, lass dich überraschen und halt dir den Samstagmittag /-nachmittag erstmal frei. Lass dich überraschen", sprudeln die Worte noch schneller als sonst aus ihr hervor, während sie ihren Helm anzieht, schließt und den Schlüssel ins Schloss steckt.

„Jetzt hab ich Angst, Lu."
„Brauchst du nicht, wird ober-mega-mäßig-geil!"
Sie klingt durchweg begeistert und ich bin ehrlicher maßen erstaunt, dass ich nicht längst über genaueres Bescheid weiß. Die Wahrscheinlichkeit, das ich unwissend da auf tauchen werde, und die ganze Sache eine Überraschung bleibt, steht 99,99999 zu 0,00001 gegen sie, wenn nicht sogar eine Null mehr.

„Na, wenn du meinst. Ich lass mich überraschen. Langsam kriecht mir allerdings die Kälte in die Knochen. Es ist eben doch erst März, beziehungsweise in", ich werfe einen schnellen Blick auf meine Uhr, „36 Minuten April."

„Geht mir auch so, dann kriech mal in deine Federn und ich mach mich auch auf den Heimweg."
„Danke nochmal. Für das Treffen und die Fahrt."
„Ist doch klar! Hab dich lieb."
„Ich dich auch."
Hummels Motor heult auf und dröhnt ohrenbetäubend laut durch die ruhige Straße.
Kein Geräusch war zu hören, außer dem leichten Rascheln der frischen Blätter von Wind erfasst.
Nun heult des Brummen der alten Maschine durch die Stille Nacht und verwundert warte ich darauf, dass irgendwo in den imposanten Nachbarhäusern, teilweise schon als Villen bezeichenbar, Licht hinter den großen Fenstern die hohen Räume erhält und geisterhafte Schatten auf die Straße und in die Vorgärten wirft.

„Wir schreiben nochmal", übertönt Lucy den Lärm und im Schein der grell blendenden Vorderlampe nicke ich. Schon lange habe ich aufgegeben mit ihr zu reden, während ihr Heiligtum mit Abgasen in die Luft verpestet.

„Gute Nacht", schreit sie nun fast.
Nach einem kleinen Nicken rollt sie los und lässt mich im trüben Straßenlicht der nächsten Laternen stehen.
Mit meinem Blick folge ich ihren Rücklichtern und starre noch einige Sekunden in die Dunkelheit, als sie schon längst abgebogen ist.

Im kleinen Vorgarten gegenüber knackt es und augenblicklich zucke ich zusammen.
Die Abwesenheit von Licht fällt mir sofort deutlich mehr auf.
Die Schwärze der Nacht strömt auf mich ein und jagt mir eine Gänsehaut über Arme und Rücken.

Zitternd suchen ich nach dem Haustürschlüssel, während meine Beine mich wie von selbst durch das alt metallene, liebevoll verzehrte Törchen, den kleinen Vorgarten, die alten Stufen hinauf zur hölzernen Eingangstür tragen.
Ich suche die Umgebung ab.

Mit fahrigen Bewegungen stecke ich den Schlüssel ins Schloss, drehe ihn, stemme mich gegen die kleinen Fenster und stolpere durch die schwere, weiß angestrichene Tür ins Treppenhaus. Nach einem letzten flüchtigen Blick lasse ich sie laut zu fallen und atme hörbar aus. Mir war gar nicht bewusst, dass ich die Luft angehalten habe.

Vermutlich war es nur eine der tausend Katzen aus der Nachbarschaft, schießt es mir in den Kopf und ich würde nur liebend gerne auf der Stelle im Boden versinken.

Wie soll das nur weiter gehen?
Ich kann doch nicht vor jedem Geräusch davon laufen, das hätte ich früher auch nicht gemacht...

Früher hätte ich darüber gelacht und im Gebüsch nachgeschaut.

Zum Glück hat mich jetzt gerade niemand gesehen.
Wann bin ich so schreckhaft geworden?

In Gedanken versunken betrete ich die erste Treppenstufe, trete prompt auf eine laut quietschende Diele und halte mitten in der Bewegung inne.
Da war doch noch ein anderes Geräusch.

Langsam, ganz langsam, um bloß keine weiteren Geräusch zu verursachen, drehe ich mich in Richtung des Ursprungs.

Mein Herz schlägt viel zu schnell, als ich die leicht von Licht umspielte Silhouette im Türrahmen erblicke.
Die Gestalt löst sich aus den Schatten und tritt zu voller Größe aufgerichtet auf mich zu.
Ich kann sie nur anstarren.
Kein Muskel bewegt sich.
Ich wollte laufen, schreien, irgendwas tun.
Doch mein Körper gehorcht mir nicht länger.

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