༻Eɪɴs༺

Living out of cases
And packing up and taking off
Made a lot of changes
But not forgetting who I was
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„Die obere stellst du in die Küche, erste Tür im Flur links, am besten an die rechte Wand oder unter die Schräge. Die mittlere kommt ins Schlafzimmer, im Flur rechts direkt neben der Garderobe", tönt die Stimme von Lucy, meiner besten Freundin das alte Treppenhaus hinauf.
„Und die letzte- was steht da drauf? Deine Hand ist davor. Mach die mal weg"
„Lustig. Sehr lustig!"

Ächzen ertönt, als mein großer Bruder Gabriel versucht den Kistenstapel abzustellen, ohne den Inhalt der Umzugkartons im ganzen Treppenhaus zu verteilen.

„Ähm, lass uns das lieber oben machen, oder stell es einfach in den Flur. Du gehst-"
„Jaja, ich weiß schon wie man in den Flur kommt. Ich gehe die Treppe hoch, durch die einzige Tür im nächsten Stockwerk und dann steh ich schon mitten drin", unterbricht mein großer Bruder die kleine Frau sarkastisch, als er sich wieder aufrichtet.

„Kommt hier oben auch mal was an? Lässt du ihn wohl die Kartons hochtragen, Lucy? Wenn du nicht aufhörst ihn herumzukommandieren, kannst du den ganzen Umzug alleine schmeißen. Wenn du meine Helfer vertreibst-" Weit beuge ich mich übers Geländer, um ihr einen alles sagenden Blick zuwerfen zu können.

Die beiden lachen mir breit von der kleinen Plattform im ersten Stock entgegen.
„Ach, Madam ist auch anwesend", begrüßt mein Bruder mich mit vor Schalk leuchtenden Augen.

„Zieht - mal wieder - in eine komplett andere Stadt, und sagt mir erst Bescheid, wenn sie jemanden zum Tragen braucht." Er bückt sich wieder zu den drei, mühsam auf der Treppe abgestellten, Kartons.
„Dann schau ich mir dein neues Heim mal an! Wenn du wieder so schnell umziehst, dann könnte es ja schon bald meins sein." Bei den Worten zwinkert er mir zu.

„Aber vorher - Fuck! Was hast du alles rein getan, Liv? Sind da Steine drin'? Huu", schnauft er und hievt die Kisten wieder hoch.

„Im Gegensatz zu dir, lieber Gabriel Yanis Nassari, habe ich mir einen eigenen Haushalt angeschafft, lebe alleine und brauche für ein akzeptables Essen mehr als nur eine Mikrowelle. Kochen kann ich nämlich auch selber", ziehe ich ihn weiter auf, „und bin nicht abhängig von anderen, was das Thema angeht, und genau deshalb habe ICH", das Wort betone ich besonders, „die Freiheit dort hinzuziehen, wo ich will, und vor allem womit ich will."

Er verdreht nur die Augen und stapft, bei jedem Schritt lautstark schnaufend, die zwölf Stufen herauf.

„Das-", er atmet tief ein, „-ist-", noch ein Atemzug, „-immer-", langsam mache ich mir echt Sorgen um ihn und vor allem seine Kondition.
Was macht Laura nur mit ihm? Mästet sie ihn?
„-noch keine Erklärung", vollendet er den Satz.
Nach Luft röchelnd fragt er: „Was zur Hölle ist da drin', Liv?"

Das Lachen sollte mir nicht entschlüpfen, aber ich kann es nicht mehr verhindern, und so ertönt es laut schallend im gesamten Haus.
Lucys Gelächter mischt sich mit meinem.
Von draußen erklingen zwei männliche Stimmen und kündigen die nächsten Kartons an.

„Du weißt wohin, oder?", Gabriels Augen, die rastlos über den obersten Karton schweifen, sind gefährlich vor Anstrengung verzogen und am dunkelbraunen Haaransatz erkenne ich kleine Konzentrationsfalte.

„Ja", zischt er durch die zusammengebissenen Zähne und ohne ein weiteres Wort marschiert er an mir vorbei. „Und gleich", tief atmet er ein, „sagst du mir, was da drin' ist!" Bei den Worten verzieht sich sein Gesicht noch mehr.

„Jap!", rufe ich ihm über die Schulter hinweg zu und drehe mich wieder Lucy entgegen, die mit dem Fuß tippelnd auf die Ankunft der beiden jungen Männer wartet.

„- bestimmt. Glaub ich schon. Warum denn nicht?", verbinden sich die Gesprächsfetzen der beiden zu zusammenhängenden Sätzen.

„Keine Ahnung. Fühlt sich nicht richtig an... und... keine Ahnung... es passt einfach nicht... sie ist zwar nett und so, aber einfach nicht mein Typ... glaub ich... ich weiß es doch auch nicht", druckst Jules herum. „Es fühlt sich einfach nicht richtig an, sich so mit ihr zu treffen, und-", redet er unbekümmert weiter, anscheinend haben sie uns noch nicht bemerkt.

Ihre schweren Schritte werden immer lauter und mit ihnen ihre angestrengten Stimmen.

„Und wie sieht sie das?", hört man nun auch Fynn.
„Keine Ahnung. Ich weiß es nicht. Kann alles sein, aber ich hoffe einfach, dass sie das auch versteht. Bestim-". Er stockt mitten im Wort, als er uns entdeckt.
Die beiden erscheinen unten auf der Treppe in meinem Sichtfeld und jetzt erklärt sich auch, warum ihre Schritte nicht ganz rund und ihre Stimmen so angestrengt waren. Zu zweit bugsierten sie mein großes Bett durch die engen Wände des alten Hauses.

„Hey ihr beiden, was starrt ihr denn so?", wechselt er abrupt das Thema.
„Wir? Wir warten hier auf so zwei bekloppte Möbelpacker ohne Job und Gehirn, die-" „Wahrscheinlich hängt beides irgendwie von einander ab", fügt Lucy hinzu und wirft mir einen vielsagenden Blick zu. „Vermutlich. Das würde einiges erklären. Wenn sie einen Job hätten, würden sie irgendwas in ihre Birne kriegen, und falls doch Gehirne vom Himmel fallen sollten, wäre es wiederum bestimmt nicht so schwer, einen Job zu bekommen."

Abwartend schaue ich das eine Stockwerk zu meinem jüngeren Bruder und seinem besten Freund hinunter.

„Habt ihr heute einen Clown gefrühstückt oder was ist bei euch los?", faucht Jules zurück und stapft murrend mit Fynn im Schlepptau die Treppe hoch und an Lucy vorbei, der ihr, mit einem kindischen Grinsen auf dem Gesicht, die Zunge entgegen streckt.

In Lucys Gesicht sehe ich, dass die kleine Gehässigkeit meines jüngeren Bruders sie nicht so kalt ließ, wie sie zu tun versucht, und bemühe mich um einen möglichst unbeteiligten Blick, als sie mich anschaut.

„Ulala", forme ich tonlos mit den Lippen und ernte dafür nur ein Augenverdrehen von ihr.

„Also ich habe ja - Achtung! Wand, Jules. Mach mal langsamer. Ich glaube, hochkant sollte es gehen. Nah... fast. Noch etwas tiefer. Ja, bin rum!- Also ich habe ja schon einen Studiengang abgeschlossen. Und bin keinesfalls ohne Arbeitsstelle, nur aktuell werde ich nicht gebraucht, oder Aimée? Kann das hier sonst irgendwer von sich behaupten?"

Fynn spricht einfach weiter, ohne einmal nach Luft zu ringen oder sich sonst irgendwie anmerken zu lassen, dass er gerade eine Treppe hoch gestiegen ist, und dazu noch ein nicht gerade leichtes Doppelbett heraufträgt.
Man könnte auch auf die Idee kommen, er würde bei einem Kaffee und Kuchen bei mir am Tisch sitzen, wenn man nicht gerade seine etwas geröteten Wangen sehen könnte, die weißen Abdrücke an seinen Fingerknöcheln und das gewaltige Möbelstück, das er gekonnt die Treppe herauf manövriert.

Grinsend blickt er über das metallene Bett hinweg zu mir und Gabriel, der genau in diesem Moment aus der Wohnung tritt.

„Das Bett stellt ihr in den Raum auf dessen Tür Schlafzimmer steht, logisch eigentlich. Das sollte die einzige an der Querwand sein, also die Dritte, die neben der noch leeren Wand. Tür steht offen. Die gegenüber ist die Toilette, falls einer von euch mal muss", weist Lucy ihnen den Weg und wechselt so gekonnt das Thema.
Vermutlich nicht ganz ohne Eigennutzen, denn sie ist diejenige von uns dreien, oder vieren, die in den letzten Jahren am wenigsten erreicht hat.

Einige Stunden des harten Arbeitens später sitzen wir gemeinsam auf dem hölzernen Boden meines zukünftigen Wohnzimmers. Die gläserne Balkontür ist offen und eine laue Frühlingsbrise erfüllt den hellen Raum mit Geruch von frischen Blumen und warmen Waffeln, dem Klang von frühjährlichem Vogelgezwitscher und hellem Kindergelächter.

Meine Freunde und Brüder unterhalten sich locker miteinander und sammeln Kraft für den letzten Schwung Arbeit, der auf sie wartet.

Ein glückliches Seufzen dringt durch meine, zu einem Lächeln verzogene Lippen, als nun auch die Sonne ihren Weg über den Boden und unsere Rücken in mein Gesicht gefunden hat.

Zwar stehen überall noch Umzugkartons, lose Bretter und einzelne Dekoelemente wie Bilderrahmen herum, und das Sofa liegt, in seine Einzelteilen zerlegt, hinter einer mannshohen Wand aus Pappkartons, die mit Büchern, DVDs, CDs, meiner Musikanlage, weiteren Bilderrahmen, Lichterketten, noch mehr Büchern und anderem Kram gefüllt sind, doch es fühlt sich schon nach Zuhause an.

Ich habe die Altbauwohnung seit meinem ersten Besuch geliebt. Die Decken des Hauses sind höher als die anderer Häuser in Köln. Das gesamte Haus ist nicht neu, es strahlt eine heimelige Atmosphäre aus. Die weißen hohen Wände sorgen mit den großen Fenstern selbst im Dachgeschoss für helle, lichtdurchflutete Räume. So werde ich den ganzen Tag über die Sonne in irgendeinem Zimmer haben. Sie wird mich morgens wecken und abends auf dem Balkon von mir verabschieden.

Der Garten, ein Stockwerke unter mir, ist natürlich bewachsen. Es herrschen keine Gesetze außer denen der Kinder und der Natur. Die Wiese ist von dickem Gras bewachsen, bildet eine ebene grüne Fläche, die nur von unzähligen Wildblumen durchbrochen wird. Violette und gelbe Krokusse, weiße Schneeglöckchen und weitere bunte Blumen setzen sich in das grüne Meer. Auf der großen Fläche wuchern nicht weniger bunte Büsche und lassen den Garten wie ein eigenes magisches Reich aussehen.

Auf der steinernen Terrasse, mit einer Treppe aus grob gearbeiteten Steinen, die über das einzige, schmale, reichbewucherte Beet reicht, in den Garten führt, stehen alte metallenen, fein verzierte Gartenmöbel aus dem letzten Jahrhundert.

Am anderen Ende des Gartens versperren hohe, jahrzehnte alte Bäume den Blick in den angrenzenden Nachbargarten und das dazugehörige Haus, wenn überhaupt irgendetwas dahinter ist. Vermutlich war noch nie jemand in den letzten Jahren soweit in das undurchdringliche Dickicht vorgedrungen, um sagen zu können, dass es sich nicht bis zur Unendlichkeit zog. Unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich, wenn man sich den Garten anschaut, der ebenso gut aus einem Märchen entsprungen sein könnte, genauso wie das Haus.

Ich kann es kaum erwarten, mich mit einem guten Buch zur langsam verwesenden Hollywood-Schaukel dicht am Rand der grünen, rotgesprenkelter Rosenbüsche zu gesellen. Dann beim gleichmäßigen Quietschen des verwaisten Möbelstückes, in ein Kuscheldecke eingepackt, die Sonne im Gesicht spürend gänzlich in der Geschichte zu versinken, die Welt im mich herum auszublenden und einfach nur zu genießen. Nur mit Mühe unterdrücke ich den Drang, den vielen fleißigen Hände meiner Helfer einen Gefallen zu tun, und sie jetzt schon nach Hause zu schicken, und genau das zu tun.

Allerdings würde ich dann ganz alleine die Regale aufbauen, die Spülmaschine anschließen, die Lampen anbringen und das Sofa zusammenschrauben. Darauf kann ich gut verzichten, also richte ich mich schwungvoll auf, bringe das dreckige Geschirr in die -noch provisorische eingerichtete und aufgebaute- Küche und die anderen tun es mir gleich.

Ein Blick auf die große Wanduhr, die erstaunlicherweise schon -an der richtigen Stelle!- an der Wand hängt, sagt mir, dass ich die schwatzende Gruppe ruhig noch vier Stunden für mich beanspruchen kann. Bis dahin sollte alles geschafft sein, das ich nicht alleine oder mit der Hilfe von mindestens Lucy, Fynn, Jules und Gabriel nicht stemmen kann.

Den dreckigen Suppenteller stelle ich einfach in die Spüle, und schnell sammeln sich an die sieben andere bei ihm.

Geschäftig machen sich alle an die anstehende Arbeit und fast augenblicklich ertönen an den unterschiedlichsten Stellen der Wohnung wieder Geräusche.

Das Rattern eines Akkuschraubers, motiviertes Pfeifen, Gelächter und angeregte Gespräche, leise vor sich in dudelnde Musik, Wasserrauschen und das Zwitschern der Vögel draußen im Paradies vermischen sich zu einem einzigen wunderschönen Geräusch. Ein breites Lächeln erscheint auf meinem verschwitzen Gesicht.

Jetzt beginnt mein Neuanfang.
Ich bin schon mitten drin.

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