༻Dʀᴇɪ༺
I never would mistreat ya,
Oh I'm not a criminal,
I speak a different language
but I still hear your call
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„WAS!? Und das sagst du mir erst jetzt? Wann war das? Wo bist du gerade? Bist du sicher? Wann kannst du im Café sein? Ich fahre sofort los und-"
„Warte Lu! So schlimm ist das nicht. Wirklich! Ich bin in Sicherheit! Zumindest vorerst", nuschle ich unter den interessierten Blicken der anderen Passanten, und hoffe sie so davon abhalten zu können, frühzeitig Schluss zu machen. Ich weiß nur zugut, was für Folgen das für sie haben wird, schließlich hat sie oft genug davon erzählt.
„Wenn wir uns jetzt treffen, 'nh, dann führ' ich den Typen, wenn er mich wirklich noch immer beobachtet, doch genau zu dir. Dann steh nicht nur ich auf ihrer Abschussliste, sondern auch du. Denkst du wirklich, das hilft mir gerade?"
Rascheln gefolgt von schnellen Schritten ertönet am anderen Ende der Leitung und verkünden mir Lucys Entscheidung, noch bevor sie etwas sagen konnte.
„Bin jetzt unterwegs! Ohne Widerrede! Mensch Aimée, das ist ernst!"
„Ja, ich weiß! Nur zu gut! Herzlichen Dank für die Erinnerung. War gerade dabei das zu vergessen."
Meine Stimme trieft nur so vor Sarkasmus, obwohl mir gerade ganz und gar nicht nach Lachen zumute ist.
„Verdammt nochmal, Lucy! Ich weiß! Was denkst du, warum ich nicht längst bei dir auf der Matte stehe? Niemand weiß besser als ich, dass Sie keine Spielchen machen. Es ist ernst und zwar richtig!", fahre ich sie wutentbrannt an. Vielleicht war es doch nicht eine so gut Idee Lucy anzurufen. Jetzt reite ich sie das auch noch rein. Außerdem wusste ich doch, dass sie eigentlich arbeiten muss, und trotzdem alles stehen und liegen lässt, wenn ich sie brauche.
„In zehn Minuten im Café auf der Ecke bei mir an der Kreuzung. Weißt du, wo das ist?"
„Lu, geh-"
„Nein! Bin schon raus. In neun Minuten bin ich da. Du auch!"
Seufzend bahne ich mir nun schneller einen Weg durch die Menschen. Lucy, die, wenn sie sich einmal was in den Kopf gesetzt hat, erst aufhört, wenn sie es erreicht hat, wohnt nicht weit entfernt von mir, doch zu Fuß werden selbst vom Park aus zehn Minuten kaum zu schaffen sein, also lege ich einen Zahn zu. Ihr würde ich sogar zutrauen, schon bei drei Minuten Verspätung die Polizei auf mich anzusetzen.
„Bi...eich. Pa...ich...auf!"
Das laute Knattern ihres Mopeds, dass sie liebevoll Hummel getauft hat, dröhnt ohrenbetäubenden durch die Leitung zu mir herdurch. Reflexartig strecke ich das Handy von mir weg.
„Mach das Scheißteil erst an, wenn wir fertig sind! Wie oft noch? Irgendwann werde ich noch taub wegen dir und deinem Monster!", schimpfe ich in das kleine weiße, lautdröhnende Gerät hinein.
„Tschüss!", verabschiedet sie sich ohne auf meine Vorwurf eingegangen zu sein, wahrscheinlich hat sie bewusst den Motor in dem Moment etwas lauter aufheulen lassen.
„Bis gleich", erwidere ich, doch da verstummt das Handy schon wieder.
Aufgelegt.
Unfreiwillig lasse ich das Handy wieder in die Tasche gleiten und setze mich in Bewegung Richtung Kreuzung.
Der Weg aus dem Park zieht sich, länger als gedacht und so fische ich in meiner Jeansjacke an der Taschentücherpackung von Miju, meinem Portmonee und den weißen Kopfhörern und anderem Krams vorbei nach meinem Telefon.
Warum müssen diese Taschen auch immer so eng und klein sein?
Ungeduldig bleibe ich schließlich stehen und mache mich notgedrungen mit zwei Händen daran zu schaffen. Endlich halte ich es wieder in der Hand, allerdings alle den anderen Krams aus der Tasche auch und so stopfe ich das alles wieder bis auf die Kopfhörer hinein, die ich stattdessen im Gehen einstöpseln will, schließlich laufe ich voraussichtlich noch gut 15 Minuten bis zum Café.
Den Blick auf den Weg geheftet, um nicht dauernd mit anderen Fußgängern zusammenzustoßen, friemel ich an dem weißem Kabel herum.
Auf Kopfdruck ertönen schließlich allzu bekannte Töne, sie lassen mich die Umwelt abschalten, die Musik zieht mich in ihren Bann und lässt mich wenigstens für einige Sekunden alles vergessen, lässt mich in sich verlieren. Mein weiterhin viel zu schnell pochendes Herz schlägt weniger verkrampft, in ihrem Takt, und endlich verzieht sich die Angst und der Schecken fällt von mir ab. Doch ich weiß, dass es nur eine Täuschung ist. Dass Sicherheit oder Entspannung für mich nicht mehr existieren, nicht mehr seit...
Die Bilder kehren zurück, drohen mich unter ihren Fluten zu begraben.
Noch hab ich die Kraft zu kämpfen, ich bin heute schonmal entkommen, wurde schon einem gerettet. Vor Minuten waren es die Menschen, die mich wieder aus den kalten, erdrückenden Tiefen gezogen haben, jetzt ist es die Musik, die mich davor schütz, sich vor mir aufbaut und die Massen zurück hält, mich verschont. Langsam bricht sie, ist kurz davor mich auszuliefern.
Die vertrauten Klänge der Melodie, die melodische Stimme des Sängers und die durchgehend ehrlichen Inhalte des Textes.
Ich klammere mich an all dem fest, behalte so den Fixpunkt zur Realität, zur Wirklichkeit, zur Gegenwart. Lass die Mauer nicht zerfallen, bau sie Stück für Stück wieder auf.
Immer mehr nehme ich wieder wahr, wie ich den angehaltenen Atem ausstoße, wie ich durch die vielen Körper torkel, wie die Musik wieder in den Hintergrund tritt und die anderen Geräusche, der immer näher kommenden Straße, dominanter werden. Immer fester stehe ich hier, in der Realität in der Wirklichkeit, in der Gegenwart.
Ich bin sicher. Ich bin hier. Hier und sicher. Sicher und hier. Immer wieder wiederhole ich die zwei, so unscheinbaren und doch so wichtigen Worte in Gedanken. Wie ein Mantra bete ich sie vor mich her, um endlich ganz und ohne Zweifel hier anzukommen.
Als das Lied sanft endet und das nächste erklingt, fällt mir wieder ein, warum ich mein Smartphone überhaupt herausgeholt habe: Ich wollte Lu sagen, dass ich später komme, und ein Blick auf die Ziffern bestätigt meine Vermutung. Jetzt würde ich es noch nicht einmal rennend schaffen, und von Sprinten habe ich heute erstmal genug.
Das gleichmäßige Tuten unterbricht die Musik und lässt mich automatisch die Schritte beschleunigen. Vermutlich ist sie noch unterwegs, aber dann lasse ich ihr wenigstens eine Nachricht auf dem AB und eine kurze SMS da, denke ich gerade, als die aufgeregte Stimme meiner Freundin und das elendige laute Knattern von Hummel erklingt.
„Hey, Kleine! Ist alles okay? Ich bin gleich da, bist du - ?" Kurz hält sie inne und ich höre das klacken ihres Helmes. „Nop, ich seh dich nicht. Also wo bist du?", beantwortet sie ihre Frage wie immer schon selbst, bevor ich ihr eine Antwort geben kann, die ihrem Tempo entspricht.
„Immer noch im Park, deshalb rufe ich an. Ich brauche noch gute fünfzehn Minuten. Ich wollte nur anrufen, weil-", schmunzelnd bringe ich den Satz zu Ende, „Weil du du bist. Bei dir weiß man nie, was du als nächstes tust, was du denkst, wie du reagierst."
„Aber ich-", protestiert sie lautstark.
„Ja, du, meine liebe Knalltüte! Man weiß nie, was bei dir raus kommt."
Unter Giggeln versteht man kaum ihre nächsten rumgedruxenten Worte, „Ja, aber das ist doch- ist doch auch manchmal gut, und vor allem- Warum kommst du wieder damit? Du weißt doch, dass-"
„Dass du nunmal so bist? Jap, glaub mir mal, dass niemand meine kleine Verrückte so kennt wie ich! Also, ich bin gerade noch im Park und mache so schnell es geht. Setz dich schon mal hin, bestell dir was und ich komme gleich. Nennst du mir die Adresse?"
„Kenn ich nicht, aaaaber"
Eine kleine helle Klingel erklingt, als sie die Tür aufgeschoben haben muss, die über ihrem Kopf bimmelt.
„Oh, Gott! Das riecht so unglaublich gut!"
Ihr tiefer Atemzug ist deutlich zu hören, und augenblicklich entsteht bei mir der dringende Wunsch, möglichst schnell an den Ort zu kommen, der meine Freundin von Quaseltante die Sprache verschlägt.
„Du erkennst es ganz sicher! Es ist so ein Aimée Ort. Der zieht dich magisch an. Du kannst es gar nicht verfehlen."
„Und es ist bei dir um die Ecke?"
„Ja, direkt an der Kreuzung. Dass du es noch nicht beim ersten Besuch gesehen und dich in es verliebt hast, ist komisch. Direkt bevor du in die Straße einbiegst direkt an der Ecke. Also wirklich direkt bei mir. Und jetzt mach mal ein bisschen Tempo. Ich will hier nicht ewig warten."
Während sie laut auf die Bedienung einschnatternd hinter dieser durch das Café läuft, widme ich meine Aufmerksamkeit ganz den Weg aus dem immer leerer werdenden Park hinaus. Irgendwie wird er von Minute zu Minute größer und immer mehr zu einem Labyrinth.
Am Ende des kleinen, mit Buchsbaumbüschen gerahmten Seitenpfades, den ich vor wenigen Minuten betreten habe, um nicht länger zwischen den anderen Besuchern unterwegs zu sein, trifft er endlich auf einen breiten Kiesweg, der so aussieht wie der, auf dem ich eben noch unterwegs war, doch dieser scheint deutlich weniger begangen zu sein, dem ich noch wenige Meter folgen muss, um den Park hinter mir zu lassen.
„Du? Ich bin gleich aus 'm Park raus. Ich seh schon die Straße. Da vorne ist die Straße. Bis glei-"
Schwungvoll biege ich um die begrünte Ecke auf den grauen, steinernen Weg und stoße prompt mit dem Jogger von vorhin zusammen.
Gerade noch so erwischt er mich mit einer flinken Bewegung am Unterarm und hindert mich so daran, dem staubigen Boden einen Besuch abzustatten.
„Ohhh... ups...Äähh... Danke! Das hätte ganz schön schief gehen können."
Die Worte stolpern stockend aus meinem Mund, als er Anstalten macht die Hände zu seiner, weiterhin tief ins Gesicht fallenden, Kapuze zu heben. Doch statt seine Augen und mehr Gesicht als Mund und Nase aus dem Schatten zu entblößen, entfernt er seinen zweiten Kopfhörer und öffnet den Mund, doch bevor irgendein Wort über seine Lippen kommt, lässt ein dumpfes Poltern uns zusammenfahren.
Ich suche dem Ursprung des Geräusches und mein Gegenüber tut das selbe. Fast Zeitgleich fallen unsere Blicke auf das Stück Kies zwischen uns. Dort unten auf den tausend Steinchen liegen unsere Handys in einem Riesen Kabelsalat.
„Ohh-"
„-Shit!", vollendet der große Mann meinen Satz schon in der Hocke.
Gerade will ich es ihm gleich tun, doch da steht er mir schon wieder gegenüber und streckt mir, immer noch die Kapuze ins Gesicht gezogen, wortkarg das Smartphone entgegen. Ich ziehe an den Kopfhörern und ziehe, doch sie folgen dem Kabel nicht aus den Händen des Fremden in mein.
„Stop!", beginnt er und zeiht in einer schnellen bestimmten Bewegung unsere Telefone näher zusammen und nimmt mir meins nach einem kurzen zögern aus der Hand, die ich ihm willig entgegenstrecke. Ich komme nicht umhin seinen Akzent zu bemerken, den mein Gehirn sich strickt weigert einordnen zu wollen.
Es klang vertraut und trotzdem nicht deutsch. Französisch ist es nicht, das würde ich auf der Stelle erkennen, und dann bleibt eigentlich nur noch-
„Aimée! Eliane! Chleó! Livia! Nassari!"
Die lautstarke, mehr als präsente Stimme schallten aus dem weißen Haufen in den Händen des Kapuzenmannes, wie ich ihn jetzt genannt habe.
„Meld' dich verdammt nochmal! Hallo? Du kannst mich doch nicht einfach hier sitzen lassen. Aimée? Meld dich! Ich ruf die Bullen, wirklich. Meld dich! Aimée."
Hektisch und von der fordernden und durchaus verschreckenden Stimme aus meinem Handy angespornt, fummelt der Kapuzenmann deutlich schneller an den Kabeln herum. Unweigerlich muss ich den Kopf über sie schütteln und greife nach meinem, nicht länger verkabelten, Handy.
Willig lässt er sich mein Gerät aus der Hand nehmen, so wie ich eben.
„Lu?"
Meine beste Freundin weit genug von meinem Ohr entfernt, antworte ich ihr, doch sie scheint mich nicht zu hören, oder mich nicht hören zu wollen. Vielleicht hat sie sich wieder in Rage geredet.
„Lu? Lucy? Hey? Erde an Lucy Silbermann."
Immer energische rufe ich sie, doch sie steigert sich konsequent in irgendwelche Horrorszenarien.
„Aimée, bitte, melde dich. Was war das? Ich-"
Ihre Stimme klingt nicht länger fordernd oder ansatzweise so eindringlich wie vorher, stattdessen stockt sie, sucht nach Worten. Das ist meine Chance!
„Lucy! Verdammt nochmal. Jetzt hör mir endlich zu! Mir geht's gut! Ich bin nur mit jemandem zusammen geknallt, aber mir geht's gut! Okay? Kein Grund die Polizei zu rufen. Ich bin gleich da, sobald ich meine Kopfhörer wieder habe. Und jetzt atme einmal tief ein und aus. Die Leute im Café rufen wegen dir gleich noch die Bullen, wie du sie nennst. Es sind Polizisten. Polizisten."
„Oki, dann eben Polizisten, wenn du meinst", piepst sie etwas höher als sonst in den Hörer.
„Gut. Ich bin gleich da. Bestell schon mal für-"
„Nein, du bestellst schön selber! Mach einfach hinne! Mein Latte wird kalt."
Und mit diesen, durch aus normaler klingenden Worten legt sie einfach auf.
„Bis gleich, du Koffein-Junkie."
Seufzend über meine Freundin nehme ich das Telefon herunter und weltverloren gehe ich noch einige Schritte.
Gedankenversunken starre ich die rosig blühende Kirsche an.
Meine Mutter liebt die Blühten. Oft genug hat sie uns Kindern erzählt, wie Papa ihr unter ihnen einen Heiratsantrag gemacht hat. Natürlich mit einem selbst gebackenen Cupcake. Ein Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen bei dem Gedanken an die Beiden und wie glücklich sie sind, wenn sie beieinander sein können.
Wie gerne ich sie doch wieder sehen würde. Endlich wieder in die Arme schließen. Wenigstens bin ich jetzt wieder im selben Land, in der selben Stadt wie die Jungs.
Ein sanftes Ziehen an meiner Jacke lässt mich aus Gedanken schrecken.
Über die Schulter blickend linse ich gegen die blendende Sonne auf die vertraute Gestalt des Joggers. Mit einer kontrollierten Bewegung greift er in die Bauch Tasche seines Hoodies und drückt mir, weiterhin wortkarg, die einst verknoteten Kopfhörer in die offene Handfläche. Automatisch schließen sich meine Finger herum, doch meine Gedanken sind ganz wo anders.
Wer ist das? Kennt er mich?
Ich werde es wohl nie erfahren und so wende ich mich ohne noch etwas zu erwidern zum Gehen. Lucy wartet, und wenn ich mich nicht beeile, kann weder sie noch ich, wegen ihres, mal wieder viel zu hohen, Koffeingehaltes im Blut, nicht schlafen. Das geht es um jeden Preis zu verhindern.
„I'm Sorry!", ertönt hinter mir eine fremde Stimme. Englisch also, interessant.
Ergibt Sinn.
Doch als ich einen kurzen Blick hinter mich werfe, um mich ebenfalls zu entschuldigen, ist er schon nicht mehr zu sehen, vermutlich um die unfallverheißende Ecke gebogen.
Mit den Gedanken ganz wo anders, lasse ich den Park hinter mir und bahne mir einen Weg zum Café und meiner persönlichen Seelenklempnern.
Einige Minuten und viel zu viele falsche Abbiegungen später verstehe ich endlich ihre Behauptung, es wäre ein Aimée-Ort.
Vor dem wunderschönem Haus stehen stilvolle Stühle an kleinen Tischen auf dem Kopfsteinpflaster, die Stimmen der Gäste vermischen sich mit dem atemraubenden Geruch, der aus der offenen Tür strömt und ziehen mich gemeinsam wie magisch an.
Ohne etwas dagegen tun zu können, wenn ich denn gewollt hätte, überquere ich die schmale Nebenstraße mit schnellen Schritten und lasse meinen Blick über die Menschen wandern.
Ich kann es kaum erwarten, mich unter sie zu mischen und mit einem Kakao in der einen und einem Buch in der anderen Hand in fremden Welten zu versinken und die Realität zu vergessen.
Obwohl diese hier garnicht so schlecht ist.
Hier lässt es sich ganz sicher runterfahren.
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