༻Aᴄʜᴛ༺

Set fire to history
I'm breaking my own rules
I'm crying like a fool

Tall stories on the page
Short glories on the fade
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Mit einem Tee, der halben Lasagne von heute Mittag und dem aktuellen Roman meiner Lieblingsautorin, in eine Decke eingepackt, sitze ich gemütlich auf dem riesengroßen Sofa, das das Herzstück des offenen Wohnzimmers bildet. Leise Musik spielt im Hintergrund und um mich herum stapeln sich leere Papiere und jegliche Skizzen, wovon keine beendet ist, die wenigsten weiter als grobe Umrisse, die alle ähnliche Situationen andeuten.

Abrupt stoppt sie Musik unerwartet und lässt mich aufhorchen. In mitten des Chaos suche ich nach meinem Handy und wie vermutet zeigt es einen Anruf, der die Musik unterbrochen hat.

„Hallo, Aimée Nassari hier."
„Hey, Aimée. Ich bin's Jules", ertönt die Stimme meines jüngeren Bruders via Lautsprecher aus dem kleinen Gerät, das ein hübsches Bild von ihm und Fynn, seinem besten Freund noch aus dem Kindergarten, gemeinsam lachend zeigt.

„Wollte nur mal nach horchen, wie es dir geht."
Er schweigt und nur seine tiefer Atem erklingt.

Einmal seufze ich auf, dann probiere ich meine verzwickten Gefühle in Worte zu fassen, obwohl es mir widerstrebt meinen kleinen, unschuldigen Bruder damit zu belasten, was mich von innen auffrisst, ob ich es gerade bemerke oder es verdrängt habe.

„Durchwachsen. Das beschreibt es am besten."
Jules murmelt zustimmend und ich sehe ihn lebhaft vor mir.

„Willst du wirklich Details wissen? Ist es nicht viel spannender, wenn du was erzählst und nicht ich dich immer mit all meinem Kram belaste?"

„Nein. Ich habe extra nachgefragt. Wenn ich es nicht hören wollen würde, wäre es ja schön blöd bei dir danach zu fragen. Keine Sorge ich kann das wohl schon ab. Bin schließlich keine zehn mehr, okay?"

Von alleine verdrehen sich meine Augen und ich kann mir einen weiteren Seufzer nicht verkneifen. Wenn er zwingend will, dann soll er doch bekommene, was er verlangt.

„Bis eben war ich mit Miju im Park, der jungen Asiatin, die mich letzte Woche nach oder eher in meinem Zusammenbruch aufgegabelt hat, weißt du noch? Zuerst waren wir in einem kleinen Café und dann waren wir lange am Rhein, bis die Sonne untergegangen ist. Das war an sich wirklich schön, hat mich aber immer wieder schlagartig an London erinnert und das tat einfach nur weh."

Ich schlucke schwer und schweige abwartend.

Der Wunsch, Jules möge etwas einwenden und erwidern, brennt in meiner Brust, doch bevor er es tun kann, stolpern die leise geflüstertem Worte unkontrolliert über meine Lippen, die ganz wund von dem ständigen Herumgebeiße sind.

„Ich meine, wieso hab ich es verdient, die Schönheit der Natur jeden Tag aufs Neue bewundern zu dürfen und Tyge nicht?" Es zerreißt mich, als ich die Worte voller Trauer in den Hörer wispere und meine Brust fühlt sich ein weiteres Mal an, als würde sie klirrend in tausend Teile zerspringen.

„Wusstest du, dass sein Name zum einen „der Glückliche" aber auch „der vom Schicksal begünstigte", heißt. Siehst du diese Scheiß Ironie?"

Eine stumme Träne rinnt mir über die Wange und ich mache mir nicht die Mühe sie wegzuwischen.
Ich habe gar nicht bemerkt, wie laut ich geworden bin und es ist mir auch egal.
Egal.

„Du hast keine Schuld an seinem Tod, Aimée. Hörst du? Aimée?!", beginnt er, doch die Worte habe ich schon zu oft gehört.

„Mhh", nuschle ich in der Hoffnung, so meine brüchige Stimme und das Zittern in ihr zu verbergen.

„Er ist nicht wegen dir gestorben", bekräftigt er. „Du hättest nichts ändern daran können. Nichts. Höchstens wäre es dir genauso gegangen. Du musst dir vergeben, auch wenn ich immer noch nicht versteh, warum du dich verantwortlich dafür siehst." Fassungslos sprudeln die Worte aus seinem Mund und vermutlich fährt er sich unruhig durch die weichen Haare.

„Ich- Ich hätte schneller sein können... müssen. Ich hätte... hätte ihn retten können, wenn ich wenige Minuten schneller gewesen wäre. Einfach... schneller... besser", flüstere ich zitternd in den hellerleuchteten Raum.

Leise pocht der Regen auf das alte Haus und ich versinke in dem beruhigenden, eintönigen Rhythmus der Natur.

„Aimée. Hör auf. Hör auf, die verdummte Schuld bei dir zu suchen. Bitte", fleht er und unruhige Schritte am anderen Ende der Leitung verraten, dass er in seinem kleinen WG-Zimmer herumtigert und nicht länger in seinem Bett herumfläzt. „Du gehst daran kaputt". Pure Verzweiflung spricht aus seinem Ton und es schmerzt mich, ihn so zu hören.

„Weiß ich. Denkst du, ich merke es selbst nicht?", hauche ich, „Aber was soll ich machen? Egal, wie ich es versuche, es kommt immer irgendwie wieder".
Nur sein aufgebrachter Atem ist zu hören und ich füge hinzu, um ihn etwas zum beruhigen: „Aber es wird besser."

„Wie?"

„Es gibt immer mehr Momente, da hab ich im Nachhinein das Gefühl, ich hätte es einfach vergessen, es wäre nie geschehen und Tyge könnte mich jeden Augenblick anrufen. Wenn ich das merke, schäme ich mich, ihn, seinen... seinen Tod einfach verdrängt zu haben. Ich will ihn nicht vergessen. Ich will ihn nicht verleugnen. Ich will ihn nicht enttäuschen. Aber ich zerreiße, wenn ich alles drei gleichzeitig will."

Eine weitere Träne rinnt meine Wange hinab, wie die feinen Tropfen an den Fensterscheiben.
Diesmal wische ich sie mir schluchzend vom Kinn, bevor sie sich in den weichen Stoff gräbt.

Es raschelt am anderen Ende der Leitung und Jules altes Lattenrost quietscht, als er sich draufplumpsen lässt und laut seufzt.
„Was war denn gut an dieser Woche?", schließt er entschlossen das Thema ab und lässt mich meine schmerzende Seele zurück in den Hintergrund schieben und die schönen Dinge hervorholen.

„Mit Lucy war ich einige Male nach der Uni im Mukavuus. Kennst du das?"

„Ne, musst du mir mal zeigen, aber wie gehts Lucy denn?"
„Gut, sie hat jetzt schon keine Lust mehr auf das Semester und zählt die Tage bis zu ihrem Abschluss, aber abgesehen davon; fantastisch. Du kennst sie doch."

Er lacht rau auf und ich würde gerade einfach gerne neben ihm sitzen, um sein Lachen auch zu sehen und es nicht nur zu hören.
„Und dir?"

„Gut. Nicht viel los, aber ich hab trotzdem genug zu tun. Morgen hab ich ein wichtiges Gespräch, deshalb sollten wir auch nicht mehr lange machen, aber damit will ich dich nicht abwürgen. Also was war noch schön?"

„Ich habe ein paar Mal mit Hannah gequatscht und mit Anton im Garten gespielt, als ich ihn am Mittwoch vom Kindergarten abgeholt habe, weil Hannah noch einkaufen musste. Das war wirklich schön. Und morgen frühstücken wir zusammen und danach bin ich mit Lucy verabredet. Sie hat eine Überraschung für mich, meinte sie, und danach machen wir uns noch einen gemütlichen Mädelsabend."

Während meiner Worte wandern meine Mundwinkel Stückchen für Stückchen höher. Ein weiteres Mal hat Jules es geschafft, mir mein Lachen zurück zu geben, in Situationen, in denen ich es für unmöglich gehalten habe. Das konnte er schon immer.

„Und du? Was machst du morgen nach dem Termin? Was ist das eigentlich für einer?"

„Ich gehe mit Fynn ins Kino. Neuer Nolan Film ist rausgekommen und du kennst ihn ja. Obwohl kein normaler Mensch etwas versteht, total vernarrt in die Ungewissheit", spottet er, doch ich höre aus seiner Stimme eine freudige Aufgeregtheit heraus, die ganz gewiss nicht nur seinen besten Freund zuzuschreiben ist.

„Und das Gespräch ist mit einem Produzenten und danach noch mit dem Chef der Firma, bei der ich aktuell jobbe."
„Du rockst das! Glaub einfach dran. Das wird schon, und falls nicht, dann sollte es wohl nicht, okay?", versuche ich ihn zu beruhigen.

„Jap." Geräuschvoll atmet er aus und das Knarzen seines Lattenrostes verrät, dass er sich ein weiters Mal umhergewälzt hat.

„Wenn du kommst, musst du zwingend mal mit Anton sprechen. Er möchte nämlich auch unbedingt Musik studieren." Ich schmunzle.
„Der Kleine ist dir schon ganz schön ans Herz gewachsen, kann das sein?"
„Nun ja, vielleicht", druckse ich herum.

Jules lacht, wird jedoch von einem lauten Gähnen unterbrochen.

„Ich denke", er gähnt ein weiters Mal, „wir sollten mal Schluss machen. Sonntag oder spätestens Montag sprechen wir wieder, okay? Aber nicht so spät. Ich bin anders als du keine Nachteule, wie Mama, sondern nach Papa gekommen."

„Dann schlaf gut, Jules. Hab dich lieb und danke!"
„Ich dich auch", quittiert er und übergeht alles andere geflissentlich.
„Viel Erfolg morgen."
„Danke. Erhol dich gut und lass dich nicht unterkriegen."
„Ich versuch's", erwidere ich aufrichtig.
„Grüß Lucy", „Und du Fynn."
„Mach ich. Hab dich lieb, Tschüss."

Das gleichmäßige Tuten verkündet, dass er aufgelegt hat und erschöpft lasse ich mich zurückfallen. Einen tiefen Atemzug nach dem anderen blende ich meine Umgebung aus und wieder ein, wandle zwischen Fantasie, Spinnerei und Realität. Wie in Trance schlüpfe ich aus meinem Nest in die vom Lüften eisige Kälte, schließe die große Balkontür und damit den nassen Frühlingsabend aus meinem Heim aus und bringe schweigend das Geschirr in die Küche. Automatisch muss die Musik wieder angegangen sein und ich bin dankbar dafür nicht nur meine Gedanken hören zu müssen.

Als ich endlich im Bett liege und meine Lider langsam zufallen, tauchen die Bilder wieder auf.
Eine dunkle Ruine. All der Dreck in den Ecken, die alten Ziegelsteine, die verstaubt neben den unverputzten Wänden liegen. Das Licht der aufgehenden Sonne, die von einer Wolkendecke zurückgehalten wird.

Mit aller Kraft zerre ich mich zurück in die Gegenwart, kämpfe gegen die Angst, den Schmerz, die Tränen und das Adrenalin, das droht meinem Körper die Kontrolle zu entziehen.

Die kleinen Lampen meiner Lichterkette werden schärfer und ein weiteres Mal liege ich wach, unfähig die Augen wieder zu schließen, ohne von Erinnerungen übermannt zu werden, in meinem warmen Bett und sehne mich danach endlich Ruhe zu finden.

Ein weiteres Mal greife ich nach meine Handy, lasse mich schon kurz danach ins Kissen sinken und lausche den beruhigenden Klängen und der vertrauten Stimme, dessen Text ich mittlerweile mitsprechen kann.

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