Die Arena
Wusch. Die Faust des Mannes fliegt auf mich zu und das mit voller Wucht. Dennoch lässig weiche ich ihr mit einem leichten Schritt zur Seite aus und sehe geduldig zu, wie der Schwung meinen Angreifer aus dem Gleichgewicht bringt. Das ist meine Chance. Noch während er nach vorne stolpert, bin ich bereits hinter ihm und trete ihm in die Kniekehlen.
Nun völlig aus dem Gleichgewicht, knallt er mit den Knien auf den Boden. Wieder tänzle ich leichtfüßig vor ihn, während er sich aufzurappeln versucht. Da er mir zu langsam ist, reiße ich seinen Oberkörper an den Schultern hoch. Ich sehe in seine braunen Augen, erkenne die Angst darin. Die Angst, die jedem der Gladiatoren hier eigen ist.
Ohne zu zögern ramme ich ihm meinen Fuß in den Solarplexus. Keuchend krümmt er sich zusammen. Aber das ist nicht genug. Nicht hier in der Arena. Nicht hier in der heißen Hölle, wie ich sie insgeheim nenne. Nicht in diesem Königreich. Also trete ich nochmals zu, lasse die kaltblütige Jägerin in mir heraus, die ganz auf ihre Beute fokussiert ist. Und darauf, sie auszuschalten. Man darf keine Schwäche zeigen. Nicht in Form von Gnade, nicht einmal in Form von Mitleid. Denn sonst wird man selbst zur Beute. Und dann hat man bereits viel verloren. Zu viel.
Deshalb hole ich erneut zu einem Tritt aus, als ein plötzlicher Pfiff mich innehalten lässt. Gleich darauf schreit der Arenawächter:
"Das ist genug! Wir brauchen ihn noch für den richtigen Kampf, Jaguar. Denk dran, das hier ist nur Training."
Jaguar. Der Name, der mir als Gladiatorin verpasst wurde. Jedem Gladiatoren wird solch ein Name gegeben, ein Name, der eine ihrer Kampffähigkeiten heraushebt. Wenn sie nur wüssten, wie nah mein Name einer anderen Wahrheit kommt, die nichts mit meinen Kampffertigkeiten zu tun hat.
Ich lasse also mein Opfer los und trete ein paar Schritte zurück, gehe außer Reichweite. Aber die Augen lasse ich nicht von ihm. Kehre deinem Feind nie den Rücken zu. Das habe ich bereits allzu früh gelernt. Im Kampf geht es nicht gerecht zu. Dieser Mann mag am Boden liegen, aber er ist nicht tot. Er kann mir immer noch gefährlich werden, egal wie gut ich bin. Denke nie zu selbstsicher. Im Kampf kann Arroganz deine größte Schwäche sein.
Es gibt nur wenige Regeln in einem Gefecht. Aber ich habe mich darin geübt, sie alle einzuhalten. Und ich übe mich weiter darin. Man hört nie auf zu lernen.
Mutters Worte haben sich in mich eingebrannt, sind mir bereits in Fleisch und Blut übergegangen und das obwohl ihre Lektionen Jahre alt sind. Aber ich werde sie nie vergessen. Ich werde meine Mutter nie vergessen. Und auch nicht meine Herkunft.
Der Mann vor mir keucht und schwitzt in der brütenden Hitze. Seine Hände presst er auf seinen Bauch und macht keinen Versuch aufzustehen. Dennoch wage ich es nicht, den Blick zu heben. Auch nur die kleinste Sekunde Ablenkung kann dein Todesurteil bedeuten. Und ich habe nicht vor zu sterben. Nicht heute. Nicht in nächster Zeit. Dafür habe ich noch viel zu viel vor.
"Hey, Hammer, stehst du heute noch auf?", ruft der Arenawächter provozierend. Der Mann steht irgendwo hinter mir, aber ich sehe ihn nicht an. Keine Ablenkung. Und doch kann ich mir genau vorstellen, was er für eine Miene zieht: gelangweilt, verächtlich. Dieser Typ macht den Job nur, um Geld zu verdienen und dabei die Kämpfe zu beobachten.
Aber ich erledige meine Opfer schnell. Ohne großes Spektakel. Es ist nicht das, was die Zuschauer wollen. Um sie bei Laune zu halten, muss man Blut fließen lassen. Sein Opfer reizen. Es verhöhnen. Seine Schmach in die Länge ziehen. Das ist mehr als barbarisch. Es ist unwürdig.
Und dennoch gebe ich den Zuschauern ihren Willen. Aber nicht beim Training. Denn auch wenn ich die Zuschauer auf meine Seite ziehen will, um mehr Geld zu bekommen und endlich aus dieser Hölle auszubrechen, so will ich mir auch keine Feinde in den eigenen Reihen schaffen. Schon zu viele wurden durch interne Rangkämpfe tödlich verletzt. Ich habe keine große Lust, die nächste auf dieser Liste zu sein.
Der Atem meines Opfers findet langsam wieder zu seinem normalem Tempo zurück. Er sieht auf und mir ins Gesicht. Ich weiß, er blickt in eine eiskalte Miene, ohne jede Empfindung. Ich habe daran gearbeitet, mir diese Maske zuzulegen und habe sie perfektioniert. In dieser Arena darf man keine Gefühle zeigen. Alles kann dir als Schwäche ausgelegt werden.
Der Mann ist ein Fels von Mensch, ein richtiger Brocken aus Muskeln. Er wird nicht umsonst Hammer genannt. Seine Faustschläge haben die Kraft von aufeinanderschmetternden Felsen. Deswegen muss man besonders darauf achten, niemals von ihnen getroffen zu werden. Man muss schneller sein. Und rein zufällig bin ich genau das.
Der Mann blickt mich taxierend an und fällt dann eine Entscheidung. Er schüttelt den Kopf. Kein Training mehr. Nicht heute.
"Okay, dann macht eine Pause", erklärt der gelangweilte Typ hinter mir an der Arenawand.
Nun beginnt meine soziale Arbeit.
Ich gehe auf den Mann zu und strecke ihm die Hand hin. Ein Friedensangebot. Eine Botschaft: der Kampf ist unser Soll, unsere Pflicht. Es ist nichts persönliches. Mehr kann ich ihm nicht bieten. Nur diese stille Zeichen. Symbole, die so klein erscheinen, aber große Wirkung haben können. Nach jedem Training biete ich meinen Gegnern die Hand an. Und manche nehmen diese Entschuldigung an.
So auch er. Seine Pranke liegt groß und fest in meiner schlanken Hand. Und doch ziehe ich sein schweres Gewicht auf die Füße. Ohne ein Ächzen. Denn ich bin stark. Stärker als ich sein sollte. Aber den Grund dafür hat noch keiner erraten. Viele bemerken es kaum, schieben es dem Training zu. Der Mensch findet für alles logische Erklärungen, auch wenn sie nicht der Wahrheit entsprechen. Der Mensch blendet Dinge aus, die nicht ins Schema passen. Das kommt mir und meinem Geheimnis nur zugute.
Stattdessen ächzt er leise wegen der Tritte in seinen Solarplexus. Aber wir Gladiatoren haben schon viel Schlimmeres erlebt. Deswegen wird er nicht einmal zur Heilerin gehen müssen.
"Achte auf deine Gleichgewicht", sage ich Hammer und blicke ihm geradewegs in die wachsamen braunen Augen. Ich könnte etwas anderes sagen. Könnte ihm schmeicheln: gut gekämpft oder ähnliches. Aber das hilft einem nicht in der Arena. Am Ende sieht er es noch als Provokation. Hilfreiche Ratschläge dagegen...die führen dazu, dass man mehr Geld verdient. Und aufsteigen kann. Denn sie helfen einem, sich zu verbessern.
Es ist mehr als andere bieten. Und deshalb wird er mir nicht in den Weg treten.
Er nickt und fragt:
"Noch was?" Ein schlauer Mann. Er schiebt seinen Frust über die Niederlage beiseite, um lernen zu können. Bändigt seinen verletzten Stolz. Denn diese Gefühle helfen einem nicht. Meine Ratschläge dagegen schon.
Ich behalte ihm aus dem Augenwinkel im Blick, während ich mich zum Gehen wende.
"Du hast zwei Fäuste. Nutze sie. Schwing zuerst den einen Hammer, nicht um zu treffen, sondern um deinen Gegner zum Ausweichen zu zwingen. Und zwar geradewegs in eine Falle: nämlich in deinen zweiten Hammer. Hast du ihn erst getroffen, solltest du keine Probleme mehr haben."
Er nickt. Stumm laufen wir weiter, an der Wache vorbei ins Innere der Arena, wo unsere Schlafsäle sind, die Küche, die Krankenzimmer und Waffen- und Trainingsräume. Wir zwei hätten uns nicht in der Hitze abmühen müssen. Aber es härtet ab. Man gewöhnt sich schneller daran. Und das alles bringt einem Vorteile im nächsten Kampf. Und im übernächsten. Immer wieder weitere Kämpfe, bis wir uns selbst unsere Freiheit kaufen können. Als Gladiatoren haben wir es von allen Sklaven noch gut getroffen: unsere Arbeit ist zwar am risikoreichsten, aber wir kämpfen für eine Chance. Nämlich für die Chance auf Freiheit. Denn wir verdienen Geld für das alles hier. Und mit Geld können wir uns selbst frei kaufen. Auch wenn das bisher kaum welche geschafft haben, weil der Preis so hoch ist und die Löhne niedrig. Es bleibt eine Chance. Es bleibt Hoffnung. Und Hoffnung hält besser am Leben als jedes Brot.
Im Inneren der Arena ist es kühl und nicht so hell. Zwar ist es nicht dunkel, denn Leuchtmoos wächst an den Wänden, was ein leichtes Licht verbreitet und den Weg erhellt. Vergleichbar mit dem Licht des Vollmondes bei wolkenloser Nacht.
"Ich gehe in die Küche und esse etwas. Kommst du mit?"
So viel mehr als eine Frage. Hier unten gibt es keine Freundschaften, auch wenn manche naive Leute, die gerade neu hinzugekommen sind, das glauben. Sie werden schnell eines Besseren belehrt. Hier unten gibt es nur Konkurrenten. Wir alle kämpfen um den Sieg, um mehr Geld. Doch es gibt Konkurrenten, die dich hinterhältig abstechen, um auf der Rangliste aufzusteigen und es gibt die anderen, die ihre Niederlage hinnehmen. Hammer ist einer von der letzteren Kategorie.
Sein Angebot abzulehnen, wäre dumm. Ein Schlag ins Gesicht und eine weitere Botschaft: wir haben keine Allianz.
Also nicke ich. Und schreite schweigend neben ihm her in die Küche. Überhaupt rede ich nicht viel. Spreche schon gar nicht über meine Herkunft oder wie ich hier hergekommen bin. Je weniger die anderen wissen, desto besser.
Gerade wollen wir vom Hauptgang in einen Seitengang abbiegen, als ein Junge auf uns zugelaufen kommt und schon von weitem schnaufend ruft: "Wartet!"
Überrascht bleibe ich stehen und betrachte den Jungen wachsam. Er scheint ein Sklave zu sein. Außerhalb der Arena tragen Sklaven keine hochwertige Kleidung, sondern lediglich braune Baumwollhemden und Hosen. Da er hier in der Arena ist, muss er wohl ein Bote sein. Die anderen Sklaven arbeiten entweder auf den Plantagen oder in Haushalten.
Warum dieser Junge wohl gekommen ist?
Seine helle Haut ist leicht gerötet und er schwitzt stark. Wahrscheinlich kommt er aus dem Norden und ist das Wetter nicht gewohnt.
Keuchend bleibt er vor uns stehen.
"Sprich", sagt Hammer, "was willst du?"
Der Bote keucht noch ein wenig, bevor er schließlich japsend sagt:
"Prinz Nero schickt mich. Ich soll die Gladiatorin Jaguar zu ihm bringen."
Ich hebe die Augenbrauen. Das ist die einzige Gefühlsregung, die ich erkennen lasse. Ein Prinz, der nach mir schickt? Das ist neu. Tatsächlich glaube ich nicht, dass jemals jemand von der königlichen Familie nach einem Gladiatoren geschickt hat. Sie sind bei den Kämpfen dabei, in der Ehrenloge, aber das ist auch schon alles.
Wieso sollten sie sich mit uns Gladiatoren abgeben?
Hammer stellt die Frage für mich:
"Warum?" Er scheint nicht minder verwirrt zu sein.
Doch der Bote schüttelt nur den Kopf. "Das hat er nicht gesagt. Ich habe nur den Auftrag, sie zu ihm zu bringen. Er wird ihr dann bestimmt alles erklären."
Ich blicke hinter ihn, aber wie ich bereits vorhin erkannt habe, sind da keine Wachen. Der Prinz ist doch nicht so dumm, mich ohne Wachen zu ihm führen zu lassen?
"Wo sind die Wachen?", frage ich daher. Der Bote sieht mich an, sein Atem nun etwas ruhiger.
"Die warten draußen. Bitte, könnt ihr mich zu der Gladiatorin führen? Der Prinz wartet nicht gern."
Hammer sieht mich an.
"Dann wohl kein Mittagessen. Viel Glück."
Er nickt mir zu und setzt seinen Weg zur Küche fort. Ich erwidere nichts, sondern sage zum Boten:
"Ich bin Jaguar. Also, dann bringe mich zum Prinzen. Wir wollen ihn ja nicht warten lassen."
Der Bote blinzelt kurz, als sei er überrascht. Doch er fängt sich schnell und geht mir voraus zum Ausgang der Arena. Der Arena, die ich ein ganzes Jahr lang nicht verlassen habe. Nicht nach den vielen Fluchtversuchen im ersten Monat. Und nun werde ich seit langer Zeit wieder einen Fuß vor dieses Gefängnis setzen. Ob ich je wieder hierher zurückkehren werde? Weshalb will der Prinz mich sprechen?
Ich kann mir keinen Grund vorstellen. Normalerweise schicken die der königlichen Familie Boten, um ihre Anweisungen mitzuteilen. Das hier ist... ungewöhnlich. Die Frage ist nur, ob ungewöhnlich schlecht oder ungewöhnlich gut. Aber das werde ich vermutlich bald erfahren.
Dennoch komme ich nicht umhin, mir leichte Sorgen zu machen. Ich habe bei der Sache hier ein ganz mulmiges Gefühl...aber mir bleibt nichts anderes übrig, als dem Boten zu folgen.
Ich hoffe nur, es wird nicht meine letzte Tat sein.
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