Kapitel 4
Am Wochenende besuchte ich meine Eltern. Sie wohnten eine ganze Weile weg von Arcadia Bay und ich konnte sie nicht so oft besuchen, daher freute ich mich so darüber. Allerdings kam ich nun nicht dazu, noch einmal mit Logan zu sprechen. Aber wahrscheinlich wäre dabei eh nicht viel herausgekommen. Doch ich wollte die Hoffnung noch nicht aufgeben.
Irgendetwas hatte Logan an sich, dass mich dazu brachte, mehr über ihn wissen zu wollen. Vielleicht war es diese geheimnisvolle Aura, die ihn umgab.
Am Montag nach dem Unterricht sah ich ihn auf dem Campus. Er saß etwas abseits von allen an einen Baum gelehnt. Vorsichtig näherte ich mich ihm. Doch als er mich entdeckte, sah ich, wie er schlagartig nach seinem Rucksack griff und gehen wollte. Mit schnellen Schritten war ich noch rechtzeitig bei ihm angelangt, bevor er sich verflüchtigen konnte. "Logan bitte warte", sagte ich, als ich leicht keuchend bei ihm ankam. Doch er verdrehte nur die Augen und sah an mir vorbei. "Hatten wir das nicht erst letztes Mal? Ich will nicht mit dir reden. Such dir jemand anderen, den du verarschen kannst."
"Ich will dir doch gar nichts tun oder so! Ich bin lediglich zum Reden hier."
"Reden worüber?", fragte er mit leicht gereizt klingender Stimme. Er sah mich mit seinen hellen Augen undurchdringlich an. Egal, wie sehr ich mich bemühte, ich konnte ihnen keine Gefühle entnehmen. Sein Blick war vollkommen emotionslos, was mir einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ.
Ich war ein wenig verunsichert, als ich sagte: "Über dich."
Logans Reaktion war nicht so, wie ich erwartet hätte. Er verschränkte die Arme vor der Brust und zog eine Augenbraue nach oben. Und anstatt sofort abzublocken, fragte er lediglich: "Und was genau willst du da über mich wissen? Es ist mir neu, dass jemand wie du sich für mein Privatleben interessiert."
Ich fing an zu stottern und lachte etwas verlegen. Wie sollte ich ihm bitteschön erklären, dass ich meine Erinnerung verloren hatte und nun von ihm wissen wollte, warum ich ihn eigentlich fertig gemacht habe.
'Hey Logan, erklär' mir mal bitte, warum ich dich scheiße finde. Danke.'
Äh jaa, nein. Lieber nicht. Ich musste mir also etwas anderes überlegen.
"Naja, ich habe mir Gedanken über all das gemacht und ich finde es echt scheiße, was ich alles gesagt und gemacht habe. Und ich habe mir gedacht, anstatt irgendwelche Gerüchte zu verbreiten, könnte ich ja einfach mal bei dir nachfragen, wie du denn wirklich bist. Um von deinem Psycho-Image wegzukommen."
Eigentlich hatte ich während meiner Rede ein ziemlich gutes Gefühl gehabt, da Logan keine negativen Anzeichen gemacht hatte. Doch als das Wort 'Psycho' meinen Mund verließ, entglitten ihm seine Gesichtszüge und in dem Moment wusste ich, ich hatte es verkackt. Und zwar richtig.
Logan hob seinen Rucksack auf, der neben ihm im Gras gelegen hatte und wollte gehen, doch ich hielt ihn am Arm fest. So schnell wollte ich ihn nicht wieder verschwinden lassen. Vorallem, da ich gerade jetzt anscheinend etwas gut zu machen hatte. Ich hatte keineswegs vorgehabt, ihn irgendwie zu verletzen. Auch wenn ich keine Ahnung hatte, warum er so empfindlich reagiert hatte.
"Hey, so habe ich das nicht gemeint. Bitte gehe jetzt nicht. Wir waren doch gerade so nett am Plaudern", entschuldigte ich mich bei ihm. Logan riss sich los und nahm ein paar Schritte Abstand.
"Du weißt rein gar nichts über mich oder über meine Persönlichkeit, also woher nimmst du dir das Recht, mich als Psycho abzustempeln?"
Ich spürte, wie ich mich automatisch auspannte. Mir gefiel diese fast schon bedrohliche Art von ihm überhaupt nicht. Vorallem, da sie mich einschüchterte und verunsicherte.
"Ich- Also, ich. Tut mir Leid. Ich wollte dir nicht zu nahe treten oder so etwas. Ich hab das nur so mitbekommen und-"
"Und weil andere das sagen, stimmt es natürlich auch. Deswegen nimmst du dir selbst das Recht, mich auch so zu nennen. Ist es nicht so? Ich gebe dir mal einen Tipp: Bevor du das nächste Mal über jemanden urteilst, bildest du dir erstmal selbst eine Meinung! Danach kannst du immer noch lästern. Und damit ist unser Gespräch hiermit beendet."
"Aber ich-"
"Wir sehen uns." Logan schob mich zur Seite, schulterte seinen Rucksack und ging ohne noch ein Wort zu verlieren davon. Ich blieb am Baum stehen und schaute ihm sprachlos nach. Das Schlimmste an der ganzen Sache war, seine Worte entsprachen allesamt der Wahrheit. Ich hatte nicht das Recht, über ihn zu urteilen und dennoch tat ich es.
**********************
"Man, dem hast du es aber echt gezeigt."
Ich schrak zusammen, als plötzlich eine Stimme neben mir ertönte. Ich sah mich um und entdeckte Warren, der wie aus dem Nichts neben mir aufgetaucht war.
Ich war mit ihm zusammen im Wissenschaftskurs, aber ansonsten hatte ich nicht viel mit ihm zutun. Gerade deswegen wunderte es mich, dass er auf einmal neben mir stand.
"Wo kommst du denn jetzt so plötzlich her?", fragte ich verwirrt. Er schmunzelte und sagte: "Ich wollte eigentlich Logan etwas fragen, aber dann hast du dich da so angeregt mit ihm unterhalten. Um es kurz zu fassen, ich bin schon eine ganze Weile in der Nähe und... möglicherweise habe ich euer Gespräch belauscht. Sorry deswegen."
"Was solltest du denn von Logan?", hakte ich neugierig nach.
"Müsste ich das nicht eigentlich dich fragen?" Warren lachte. "Zufälligerweise bin ich mit ihm befreundet und wollte etwas wegen der Wissenschaftshausaufgabe wissen. Ob du es glaubst oder nicht, er ist ein ziemlich schlaues Kerlchen."
"Du bist mit Logan befreundet?"
"Ja? Das müsstest du eigentlich wissen. Schließlich bin ich letztens dazwischen gegangen, als Jasper und du die ganze Stunde über Logan mit wässrigen Papierkugeln beschossen habt. Was war das überhaupt, was an denen dranklebte, Spucke? Das war ziemlich eklig, wenn du mich fragst."
Erschrocken darüber fragte ich etwas unsicher: "Und danach redest du noch mit mir?" Warren zuckte nur mit den Schultern und winkte ab. "Immerhin hast du mir beim Wegmachen geholfen. Ich bin nicht nachtragend, aber die Aktion war ganz schön scheiße von euch. Achja und die tausenden davor auch." Zerknirscht schaute ich auf meine Finger. "Tut mir echt Leid wegen dem Ganzen. Ich habe mich blöd verhalten, ich weiß", entschuldigte ich mich. Warren schaute auf seine Uhr und sagte dann mit eiligem Unterton: "Das solltest du Logan sagen und nicht mir. Ich muss jetzt los, ich habe noch einen Termin."
Als er das Wort 'Termin' aussprach, musste ich lächeln. "Soso, Termin also. Hat dieser Termin zufällig einen Namen?" Warren grinste und zwinkerte mir dann zu. "Zufälligerweise ja. Also, wir sehen uns Chloe!"
"Viel Glück mit deiner Hausaufgabe und viel Spaß noch mit Max!", rief ich ihm hinterher. Er begann zu lachen und drehte sich im Laufen noch einmal um. "Hey, ich habe nie behauptet, dass dieser Termin Max heißt! Das bleibt unter uns, okay?" Ich nickte grinsend. Damit drehte sich Warren wieder um und verließ eilig den Campus.
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