Kapitel 35

Ein Schritt. Ein Schritt um die Ecke und ich würde auf den Rest unserer Truppe treffen. Bestimmt warteten sie schon auf mich, sehnsüchtig, aufgeregt und gespannt auf das, was gleich passieren würde. Ein ungutes Gefühl machte sich in mir breit, als ich tief durchatmend langsam um die Ecke schlich; mein Blick fiel sofort auf die anderen, die zusammen im Halbkreis standen, der Blick gespannt auf die Fernbedienung in Jaspers Hand gerichtet, wartend und hoffend. Mit einem Mal wollte ich das alles nicht mehr, ein flaues Gefühl machte sich in meiner Magengegend breit, ich würde das hier abbrechen, sofort, würde ich es abbrechen? Warum sollte ich? Würde es etwas ändern?

"Chloe! Hör auf, so apathisch in der Ecke zu stehen und komme endlich zu uns!" Grinsend wurde ich von Grace zu ihnen gewunken. Wie in Trance setzte ich einen Fuß vor den anderen, Schritt für Schritt, dann war ich da. "Bereit?", fragte Jasper und warf einen verheißungsvollen Blick in die Runde. Nach einem allgemeinen fröhlichen Nicken atmete er ein letztes Mal tief durch.
Wir standen im hinteren Teil der Aula, versteckt hinter einem großen Vorhang, aber dennoch nicht so gut versteckt, dass wir nicht nach draußen lugen könnten, wenn wir wollten. Ich beugte mich ein Stück nach vorn, um durch einen kleinen Spalt zwischen dem Vorhang in die Massen zu sehen. Mein Blick huschte über die Köpfe unserer unzähligen Mitschüler, der Lehrer und allen, die heute zur Party gekommen waren. Nach einer kurzen Suche entdeckte ich Warrens Kopf in der Nähe der Tanzfläche, Max ziemlich weit vorn und fast unmittelbar neben ihr stand Logan, nach hinten schauend - suchte er mich?

"3...2...1..."

Der Countdown riss mich aus meinen Gedanken. Konzentriere dich, Chloe. Bleibe bei der Sache. Konzentrier' dich, schärfte ich mir selbst ein wenig Mut ein. Ein gespieltes Lächeln auf meinen Lippen und schon drückte Jasper den Knopf.

Ein Knall. Geschrei. Panik?

"Was ist passiert?"

"Scheiße, das war doch die Richtige! Ich habe es überprüft!"

"Chloe? Jasper?"

"Ich.Habe.Es.Überprüft! Das kann nicht sein!"

"Scheiße, scheiße, scheiße!!"

Was hatten wir getan? Was hatten wir getan? Was war überhaupt passiert? Ohne auf die panischen Rufe der anderen zu hören, stolperte ich hinter dem Vorhang hervor, sah das Chaos und ... atmete erleichtert auf? Kein meterhohes Feuer, keine eingestürzten Wände und dennoch war irgendetwas schiefgelaufen. Ein Teil der Bühne stand in Flammen, Schüler rannten panisch aus dem Raum, einige lagen am Boden. Wie konnte das passieren? Wir hatten doch die richtige Rauchbombe ... wir hatten die richtige! Ich war mir hundertprozentig sicher, dass es die richtige gewesen war.

Nachdem ich für keine Ahnung wie lang nur regungslos dagestanden und auf das Chaos vor mir gestarrt hatte, schien ich mich langsam zu fangen und war nun bereit, aktiv in das Geschehen einzugreifen. Leicht mit dem Kopf schüttelnd begab ich mich in die Menge und sah mich genauestens um, aber schon nach wenigen Sekunden war ich mir sicher, dass das niemals eine richtige Bombe gewesen sein konnte, denn dafür war es viel zu wenig Schaden. Gut, die Bühne brannte und einige Einrichtungsgegenstände waren hinüber, aber so eine Katastrophe wie in meiner Vision war es bei weitem nicht.

Meine Vision ... Vision ...  Logan!

Wo war er? Hatte er nicht mit Max ganz vorn gestanden? Ging es ihm gut oder war er verletzt? War jemand bei ihm?

Ich musste mich beruhigen, ich war zu aufgeregt. Tief durchatmen. Jetzt war keine Zeit, um in Panik zu geraten.

Als ich am anderen Ende der Aula angekommen war, suchte ich mit den Augen den ganzen Boden ab, doch nirgends war eine Spur von Logan oder anderen möglichen Verletzten. Aber was war das? Direkt vor der Bühne am Boden, auch auf der Bühne - Blut? Eine rote Flüssigkeit hatte sich ausgebreitet, inzwischen schon durch mehrere Füße breitgetreten. Das konnte nur Blut sein ... Scheiße. Ich stürmte nach draußen auf den Gang. Dort fand ich mehr oder weniger den Rest der Schüler, in Panik geraten, verängstigt und aufgebracht. Einige schrien mich an, wie unverantwortlich es doch von uns gewesen sei, in der Schule eine Bombe, Raketen, losen Sprengstoff zu zünden! Sie hatten alle keine Ahnung, was eigentlich passiert waren und dennoch nahmen sie sich das Recht, über mich und die anderen zu urteilen, uns zu verurteilen; aber so waren wir Menschen, nicht wahr? Wir redeten, lästerten, regten uns über alles mögliche auf, ohne dabei den Hintergrund zu kennen. Das lag in unserer Natur, deswegen konnte ich auch niemanden dafür anklagen, und wenn doch - war ich dann nicht genauso?

Endlich fand ich einen Lehrer, er stand weiter hinten im Gang und telefonierte eilig mit jemanden. Wahrscheinlich mit der Feuerwehr, Polizei oder sogar dem Krankenhaus - vermutete ich zumindest. Ich versuchte, ihn anzusprechen, aber er wies mich nur mit einer wilden Handbewegung von ihm ab. "..nicht jetzt", murmelte er zwischen seinem hektischen Telefonat. Also drehte ich mich von ihm weg, den Blick stur nach vorn gerichtet. Gerade als ich mir über mein weiteres Vorgehen Gedanken machen wollte, wurde ich von jemandem an den Schultern gepackt und beiseite gezogen. Vor mir stand Jasper und starrte mich entgeistert an. "Was zur Hölle ist gerade passiert?", fragte er ganz außer sich. Seine Haare waren zerzaust, ich sah, dass er zitterte, die Stirn war in Falten gelegt. Ich war nicht in der Lage, zu antworten. Mehrere Male öffnete und schloss ich meinen Mund, versuchte, wenigstens ein paar Wörter herauszubringen, aber ich schaffte es nicht. Zu tief steckte der Schock in meinen Knochen.
"Chloe, was sollen wir jetzt machen? Wir sind beide ja mal so was von buchstäblich am Arsch! Wir werden von der Schule fliegen, wir werden suspendiert, Chloe! Wir-"

"Jetzt komm' doch mal wieder runter!" Ich war kurz davor, ihm eine reinzuhauen, aber dafür hatte ich im Moment nicht genug Energie. Die war soeben für das Sprechen draufgegangen.
"In Panik zu geraten, bringt uns auch nicht weiter."

Jasper starrte mich weiterhin an, die Augen aufgerissen, der Mund halb offen, sodass ich in sein Inneres hineinsehen konnte. Nicht, dass ich es gewollt hätte, aber die Möglichkeit dazu war auf jeden Fall da.
Ich wand mich aus seinem Griff, schüttelte einmal kurz meinen Körper. Danach fühlte ich mich schon ein wenig besser.

"Wo sind denn die anderen?", fragte ich so ruhig wie es in solch einem Moment nun mal möglich war - nämlich gar nicht. Meine Stimme schwankte gefährlich und drohte, unter der Last zusammenzubrechen, meine Knie zitterten, ich hatte Gänsehaut am ganzen Körper. Aber wir mussten ruhig bleiben, richtig?

"Die sind alle beide sofort abgehauen, nachdem du auch weg warst. Aber frage mich ja nicht wohin, das haben sie mir nämlich nicht gesagt, diese Pisser! Hauen ab und lassen uns mit dem ganzen Mist hier sitzen!" Gereizt fuhr er sich durch die dunkelblonden Strähnen, lief auf der Stelle auf und ab, blieb dann abrupt stehen und starrte mich erneut an. "Warum hauen wir nicht einfach auch ab? Scheiß doch auf das Ganze!"

Bestimmt schüttelte ich mit dem Kopf.  Das war ja wohl die bescheuertste Idee, die ich je gehört hatte! Was sollte es uns nützen, einfach wie Feiglinge davon zu laufen? Und vor allem, wohin? Damit würden wir wahrscheinlich nur noch mehr Ärger beschwören, als wir so oder so bekommen würden.

"Das lassen wir mal lieber bleiben. Außer du hast Lust auf doppelten Stress mit dem Direktor! Lass uns lieber endlich mal die anderen Schüler und auch Lehrer finden. Das wäre jetzt erst mal das Wichtigste." Jasper schaut mich mit großen Augen an. "Und das soll dann bitte was bringen?"

Ich zuckte mit den Schultern. "Das muss ich erst noch herausfinden."

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Habe zurzeit eine fette Schreibblockade. Hut ab an alle, die mir noch treu geblieben sind.

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