Kapitel 30

"Jasper?"
"Chloe? Was zur Hölle soll das, ich bin mitten im Unterricht, das weißt du doch!", zischte er empört ins Telefon. Seufzend antwortete ich: "Ja, ich weiß, aber ich brauche dringend deine Hilfe." Stille. Nervös antwortete ich auf eine Antwort, während ich kurz davor war, an meinen Fingerkuppen herumzubeißen. Das hatte ich früher als kleines Kind immer gemacht, bis meine Mutter mir eines Tages angedroht hatte, sie abzuschneiden. Das war natürlich nicht ernst gemeint, aber es hatte geholfen. Seit dem Tage an hatte ich immer Angst davor, dass sie es wirklich tun würde, wenn ich erneut an meinen Fingern knabberte. Aber in diesem Moment war ich so nervös, dass ich etwas brauchte, um mich zu beruhigen.

"Was gibt es denn so Dringendes?", fragte Jasper nach einer gefühlten Ewigkeit. Seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern, dennoch wunderte es mich, dass er noch nicht erwischt worden war.
"Du musst mir sagen, wo du die Bombe versteckt hast", sagte ich, wobei sich meine Stimme fast überschlug. Sie zitterte, war brüchig, aber gleichzeitig so scharf und zielsicher.
"Warum das denn?", antwortete er hörbar verwirrt. "Die habe ich sicher verstaut, damit niemand herankommt." Ich konnte es ihm nicht übel nehmen. Wäre ich an seiner Stelle, würde ich wahrscheinlich genauso perplex reagieren. Doch darüber durfte ich mir jetzt keine Gedanken machen, immerhin hatte ich es eilig. Ich durfte keine Zeit verlieren. "Jasper, das ist keine Rauchbombe. Es ist eine richtige und wenn wir sie nicht von hier wegschaffen, fliegt die ganze Schule in die Luft und es würde unsere Schuld sein." 
"Okay, Chloe. Du hast eindeutig zu viele Actionfilme geschaut."
Ich konnte den Spott in seiner Stimme deutlich heraushören, doch mit größer Bemühung schaffte ich es, dies zu ignorieren und weiter auf ihn einzureden. "Es ist die Wahrheit. Ich weiß nicht, wie es dazu kommen konnte, aber diese Bombe ist nicht das, was wir erwarten. Bitte sag mir einfach, wo du sie versteckt hast."
Erneute Stille. Ich wusste, dass er nachdachte. Fast hatte ich es geschafft, ich zu überzeugen. Aber nur fast. "Das ist doch irre. Wie soll es bitte dazu gekommen sein?"
Ich zuckte mit den Schultern, aber dann fiel mir ein, dass er mich gar nicht sehen konnte und hätte mir am liebsten für meine Dummheit selbst eine reingehauen. "Woher soll ich das denn wissen? Vielleicht hat sie jemand ausgetauscht."
"Aber das würde dann heißen, dass die richtige Bombe hier irgendwo noch ist", erwiderte er nachdenklich. Ich hatte ihn, er glaubte mir. Innerlich stieß ich einen Jubelstoß aus, aber nur einen kleinen. Immerhin war noch lange nicht alles geschafft, dies war lediglich der Anfang.

"Richtig. Und wenn du mir endlich sagen würdest, wo du sie versteckt hast, könnte ich danach anfangen, eine zweite zu suchen", zischte ich ungeduldig. Ich hatte keine Zeit für irgendwelche Mutmaßungen.
"Okay, du hast Recht", kam es vom anderen Ende. Danach beschrieb er mir genauestens die Stelle, wo er die Bombe deponiert hatte und zudem auch gleich noch detailgetreu ihr Aussehen, damit ich auch feststellen konnte, ob es sich wirklich um eine andere Bombe als unsere handelte.

"Ach ja und Chloe?", sagte er am Ende unseres Gespräches zögerlich.
"Ja?"
"Pass auf dich auf."
Ich lächelte kurz und antworte: "Mache ich." Dann legte ich auf und ging sofort los. Immerhin durfte ich noch immer keine Zeit verlieren.

Während des Laufens schaute ich auf die Uhr meines Handys und musste mit Erschrecken feststellen, dass es weitaus später war, als ich es gedacht hatte. 3 Stunden noch.
Würde ich es wirklich schaffen? Ich durfte nicht aufgeben und diese Selbstzweifel brachten mich kein Stück weiter, dem war ich mir durchaus bewusst. Aber es war einfach so schwer, daran zu glauben, dass ich es allein schaffen würde. Auch wenn es meine Bestimmung war. Das war sie doch, oder?

Am besagten Raum angekommen atmete ich erleichtert auf. Die nächste Etappe war geschafft, nun musste ich nur irgendwie in das Zimmer hineinkommen, denn es war, wie Jasper es mir vorausgesagt hatte, abgeschlossen. Auch wiederholtes, verzweifeltes Hinunterdrücken der Klinke brachte mich da nicht weiter.

"Brauchst du zufälligerweise Hilfe?" Erschrocken über die plötzliche Stimme hinter mir zuckte ich zusammen. Instinktiv drehte ich mich um und er starrte mich aus seinen durchdringlichen grünen Augen direkt an.
"Logan.." Mehr bekam ich nicht heraus. Schwach, ich weiß, aber sein plötzliches Auftauchen hatte mich total aus der Bahn geworfen.
"Jasper schickt mich. Ich weiß, was du vorhast und dachte mir, dass du vielleicht Hilfe gebrauchen könntest", erzählte er, ohne den Blick abzuwenden. Er fragte nicht einmal nach, im Gegensatz zu Jasper.
Ich nickte nur stumm und wies auf die verschlossene Tür. Logan hockte sich vor das Schloss und zog etwas Kleines aus seiner Hosentasche, steckte es ins Schloss, drehte darin herum und in Nullkommanichts ertönte ein klackendes Geräusch. "Et voilá", schmunzelte er und machte eine einladende Bewegung in Richtung der nun offenen Tür. "Wie hast du-?", setzte ich an, doch er unterbrach mich.
"Betriebsgeheimnis. Und jetzt rein da!"

Wir beide betraten den Raum und sahen uns um, wobei es allerdings nicht viel zu bestaunen gab. Alte Kartons, Regale und lauter Krimskrams. Ich begann, in einer der Kisten zu wühlen. Jasper meinte, er hätte sie sicher in eine Kiste verpackt, wusste aber nicht mehr, welche es genau war. Da der Raum allerdings nicht allzu groß war, dürfte es nicht so lange dauern, bis ich den besagten Gegenstand gefunden hatte.

"Wegen vorhin..", begann ich zögerlich während meiner Suche.
"Ich weiß."
Verwundert sah ich von meiner Kiste auf und zu ihm. "Was weißt du?"  Logan schüttelte kaum merklich mit dem Kopf, bevor er antwortete. "Ich habe überreagiert. Es ist nur, dass-"
"Ich weiß." Dieses Mal war ich diejenige, die ihn mitten im Satz unterbrochen hatte.
"Ich habe einfach Angst davor, verletzt zu werden, verstehst du?" Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern und ich konnte genau hören, wie unangenehm es ihm war, darüber zu sprechen.
"Ja. Das verstehe ich sogar sehr gut. Ich habe aber auch nicht richtig reagiert. Du hast mich einfach in einer blöden Situation erwischt." Ich lachte kurz auf, bevor ich mich schließlich wieder dem Karton zuwandte. Doch schon nach wenigem Kramen stellte ich fest, dass die Bombe in dieser Kiste schon einmal nicht war.

"Suchst du vielleicht so etwas?", hörte ich Logan hinter mir fragen. Ich drehte mich um und sah ihn fragend einen zylinderförmigen Gegenstand hochhalten. Mit schnellen Schritten ging ich zu ihm und nahm es aus seiner Hand, um es genauer betrachten zu können.
"Sie sieht genauso aus, wie Jasper sie mir beschrieben hat...", sagte ich nachdenklich, während ich die vermeintliche Bombe in meiner Hand hin und herdrehte. Sie war ungefähr so groß wie meine Hand und nicht wirklich schwer. Doch während ich den Gegenstand so beobachtete, fiel mir plötzlich etwas auf. Ich drehte sie noch einmal und betrachtete sie genau. "Das ist es..", murmelte ich dabei nachdenklich.
"Das ist was?", fragte Logan sichtlich verwirrt. "Ich mag vielleicht Schlösser knacken können, aber mit Bomben kenne ich mich leider nicht aus."
"Der Unterschied, du Dummkopf", lachte ich. "Schau sie sie dir doch einmal genauer an. Jasper hat sie von einem Spezialisten gekauft, aber siehst du irgendwo ein Etikett oder Warnhinweis?"
Demonstrativ hielt ich ihm die blanke dosenähnliche Bombe unter die Nase. "Jasper hat mir auch eine ganz andere Farbe beschrieben."

Das war der Beweis dafür, dass ich nicht nur schlecht geträumt hatte. Nein. Das war alles real und nun musste ich einen Weg finden, es zu verhindern, ohne dass es auffällt. Immerhin musste nicht unbedingt die ganze Schule erfahren, dass sich hier eine echte Bombe befand, die alles in die Luft sprengen könnte. Aber ich war mir inzwischen sicher, dass ich es schaffen würde. Denn ich war nicht mehr auf mich allein gestellt.

"Und was machen wir jetzt?", fragte Logan. Ich schaute zu ihm und schmunzelte.
"Wir retten die Schule und gehen in die Geschichte ein. Gemeinsam."

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top