Kapitel 16
Die Krankenschwester lächelte mitleidig, als wir zu dritt bei ihr vor der Tür standen. Sie ging mit Logan in einen separaten Raum, während ich mit Warren davor wartete. Ich nutzte die Gelegenheit, um ihn ein wenig auszuquetschen. Allerdings wollte ich nicht sofort mit der Tür ins Haus fallen, deswegen fing ich erst einmal unauffällig an.
"Das war ja ganz schön mutig von dir vorhin. Danke, dass du dazu gekommen bist. Ich habe mich echt... nutzlos gefühlt", sagte ich, während ich mit meinen Fingern spielte. Warren lächelte nur bescheiden und kratzte sich am Hinterkopf. "Kein Problem. Ich konnte mir das einfach nicht mit ansehen. Ich bin froh, dass ich noch rechtzeitig gekommen bin."
"Ja, das bin ich auch", sagte ich leise. "Ich war ja zu unfähig, etwas zu tun. Ich fühle mich schlecht deswegen."
Das war nicht einmal gelogen. Wenn ich so im Nachhinein darüber nachdenke, war ich nicht besser gewesen als alle anderen. Tatenlos habe ich daneben gestanden und einfach nur zu geschaut. Ich hätte etwas tun sollen. Klar, Jasper hatte mich wegeschubst- dennoch war das noch lange keine Entschuldigung dafür, dass ich nur zugesehen habe.
"Gebe dir bitte nicht die Schuld, Chloe. Allein hättest du gar nichts tun können. Außerdem hast du doch mitgeholfen! Immerhin haben wir gemeinsam Jasper weggezogen. Also lass die negativen Gedanken, okay? Das tut dir nicht gut." Warrens Worte rissen mich aus meinen Gedanken und ein wenig brachten sie mich sogar zum Lächeln. Es munterte auf, so etwas von ihm zu hören. Ich bedankte mich bei ihm. Er lachte daraufhin nur leise auf und sagte: "Nicht dafür, Chloe." Dann herrschte eine Weile Ruhe zwischen uns. Wir standen einfach nur so da und jeder schien seinen eigenen Gedanken nachzugehen. Doch die Stille gefiel mir nicht, sie machte mich unruhig. Als es dann auch noch anfing regelrecht erdrückend zu werden, ergriff ich erneut das Wort.
"Was war das eigentlich vorhin, als ich den Witz gemacht habe? Du hast Logan so seltsam angeschaut. Habe ich was Falsches gesagt? Ich- ich wollte niemanden damit zu nahe treten oder so. Ich dachte nur, ich würde ein wenig die Stimmung auflockern."
Warren sah mich zuerst verwundert an, dann schien er nervös zu werden. "Ach das war gar nichts. Mache dir keine Sorgen. Der Spruch war nicht falsch oder so." Skeptisch zog ich eine Augenbraue nach oben. "Warum dann dieser seltsame Blick?"
"Ich weiß echt nicht, was du meinst", sagte Warren und kratzte sich am Hinterkopf. "Darf man jetzt nicht einmal mehr andere Menschen anschauen?"
"Du verhältst dich komisch. Gibt es da etwas, das ich noch nicht weiß? Weißt du, langsam fange ich echt an, mir Sorgen zu machen", sagte ich und verschränkte die Arme vor der Brust. Die ganze Sache war mir suspekt und Warrens Worte überzeugten mich nicht wirklich.
"Ich bitte dich, Chloe. Was sollte ich dir bitte verheimlichen? Es gibt wirklich keinen Grund, um sich Sorgen zu machen. Alles ist gut." Seine letzten Worte klangen unecht und gelogen. Doch ich merkte, dass ich hier nicht weiterkommen würde, also gab ich schließlich frustriert auf. Ich murmelte leise: "Dann halt nicht." Aber Warren schien es gar nicht gehört zu haben, denn er tippte nur auf seinem Handy herum. Kurze Zeit später steckte er es wieder weg und sah mich an. "Ich muss mal kurz auf die Toilette. Halte du derweil hier die Stellung, okay?" Ich nickte. Warren grinste kurz und verschwand dann. Nun stand ich alleine hier herum und wusste nicht, was ich machen sollte. Ein wenig fühlte mich mich verloren.
Ich setzte mich auf einen Stuhl, der in der Nähe der Tür stand und sah mich ein wenig um. Die Art Flur, in der ich mich befand, war nicht sonderlich viel eingerichtet. An der Wand hingen ein paar wenige Bilder von Landschaften, sonst war es ziemlich trostlos hier. Die Wände waren weiß gestrichen und vermittelten das Gefühl eines richtigen Krankenhauses.
Während ich so dasaß und darauf wartete, dass Warren wiederkam, hörte ich plötzlich von innen die Stimmen von Logan und der Krankenschwester.
Ich bin schon immer ein neugieriger Menschen gewesen, aber sollte ich wirklich lauschen? Es ging mich eigentlich nichts an, was sie miteinander besprachen. Ich würde es auch nicht wollen, dass man mir zuhörte. Trotzdem nahm meine Neugier die Überhand , also ging ich zur Tür und konzentrierte mich auf die Worte der beiden.
"...Bevor du gehst, wie geht es dir zurzeit? Du weißt schon..", hörte ich die gedämpfte Stimme der Krankenschwester.
"Dem Umständen entsprechend würde ich sagen. Zurzeit ist alles gut. Obwohl ich zugeben muss, dass ich manchmal Schmerzen habe."
"Soll ich dir was geben? Das ist überhaupt kein Problem und wegen der Schmerzen, mache dir keine Sorgen. Das kann manchmal vorkommen." Ich hörte Schritte und ein Klappern. Dann sprach sie wieder: "Hier. Wenn das wieder vorkommen sollte, dann nimm einfach dieses Schmerzmittel und es müsste wieder gehen."
"Und das verträgt sich auch mit der Chemotherapie? Ich meine-"
"Wie gesagt, mache dir da keine Sorgen. Dein Arzt hat sie mir für solche Fälle gegeben und er wird schon wissen, was richtig ist."
"Okay, dann ist gut."
"Okay. Ich schätze mal, deine Freunde warten. Wir sind hier fertig. Schone dich einfach ein bisschen und wenn dir wieder etwas weh tun sollte, dann nimmst du die hier oder du kommst zu mir. Bis zum nächsten Mal, Logan."
"Danke, auf Wiedersehen."
Schnell setzte ich mich zurück auf den Stuhl und zog mein Handy aus der Tasche, um beschäftigt zu wirken. Dabei konnte ich mich nicht wirklich auf das Gerät in meiner Hand konzentrieren, denn das, was ich gerade gehört hatte, brachte mich vollkommen aus der Bahn. Chemotherapie?
Logan hatte doch nicht wirklich.... Nein. Das konnte nicht sein. Davon hätte man doch irgendwann mal etwas merken müssen. Wäre das nicht in der Schule bekannt? Obwohl... er hatte nie viel mit anderen außer Warren gesprochen.
Wusste Warren davon? Bestimmt, sonst hätte er nicht so auf meinen Spruch reagiert. Jetzt ergab alles Sinn. Deswegen hatte er Logan so seltsam angeschaut, denn es war wahr. Logan war wirklich oft hier.
Ich konnte mir das trotzdem nicht vorstellen. Das hätte er mir doch gesagt, oder? Immerhin waren wir ja so etwas wie Freunde. Vertraute er mir nicht? Vielleicht bildete ich mir zu viel auf die Beziehung zwischen uns ein... aber das würde keinen Sinn ergeben. Warum sollte er Zeit mit mir verbringen wollen, wenn er mich eigentlich nicht mochte? Aber warum hatte er es mir dann verschwiegen? Oder verstand ich etwas falsch?
"Chloe? Bist du noch anwesend?"
Erschrocken zuckte ich zusammen und schaute hoch. Vor mir stand Logan und wedelte grinsend mit seiner Hand vor meinem Gesicht herum. Direkt daneben stand Warren, der allerdings zu telefonieren schien. "Ist dein Handy wirklich spannender als ich?", fragte Logan mit gespielt enttäuschter Stimme. Ich lächelte ihn kurz beruhigend an und steckte es dann weg. "Nein, natürlich nicht. Sorry, ich muss wohl weggetreten sein", sagte ich, während ich aufstand. "Können wir wieder?" Logan nickte und tippte Warren auf die Schulter. Dieser beendete sein Gespräch und gemeinsam verließen wir drei die Krankenstation wieder.
"Und, alles in Ordnung bei dir?", fragte ich Logan, während wir durch die Flure liefen. Warren hatte sich auf dem Weg verabschiedet, mit der Begründung, dass er noch etwas Wichtiges zu erledigen hätte.
"Jap, alles super. Bis auf ein paar blauen Flecken ist alles noch dran." Er lachte. Dann herrschte eine Weile Ruhe. Still schweigend gingen wir nebeneinander her. Mir tobten viel zu viele Gedanken auf einmal durch den Kopf, sodass ich nicht wirklich in der Stimmung zum Reden war. Logan bemerkte dies und blieb plötzlich stehen. Verwirrt schaute ich ihn an. "Warum gehst du nicht weiter?"
"Was ist los? Du bist so ruhig, beschäftigt dich irgendwas?", fragte er besorgt. Unsicher seufzte ich. Sollte ich ihn darauf ansprechen? Ich wusste nicht, wie er reagieren würde, wenn ich ihm sagte, dass ich das Gespräch zwischen ihm und der Krankenschwester belauscht hatte. Und noch weniger wusste ich, wie er reagiere würde, wenn ich erzählte, was ich dabei mitbekommen hatte.
"Du kannst mit mir über alles reden, okay? Ich sehe doch, dass etwas nicht stimmt. Also sag schon, was bedrückt dich, Chloe?" Logan griff nach meiner Hand und sah mich durchdringlich an. "Ich- ich weiß nicht", begann ich stotternd. Dass meine Stimme dabei so zögerlich klang, wollte ich gar nicht. Ich hatte versucht überzeugender zu klingen, aber das war mir nicht wirklich gelungen.
"Egal, was es ist, du kannst es mir ruhig sagen. Ich beiße schon nicht", lachte Logan. Dann wurde er allerdings wieder ernst. "Ich will dich natürlich nicht zwingen und das kann ich auch nicht. Aber manchmal kann Reden unglaublich helfen", sagte er mit sanfter Stimme. Erneut seufzte ich. Tief ein- und ausatmen. Ich würde es jetzt einfach sagen. Egal, wie er reagieren wird.
"Während du dort drinnen bei der Krankenschwester warst, da... da habe ich euch Reden gehört. Über... bestimmte Dinge." Logan zog ein wenig die Augenbrauen zusammen. Ahnte er etwas?
"Ich habe gehört, wie sie dir Schmerztabletten angeboten hat. Und..."
Verdammt, das war schwerer als gedacht. Inzwischen war ich mir ziemlich sicher, dass Logan wusste, von was ich sprach, denn er murmelte nervös und kaum hörbar: "...Chloe?"
Ein letztes Mal atmete ich tief durch. Dann sprach ich meine Gedanken gerade heraus.
"Hast du Krebs?"
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top