6
Elian
Scheiße, dieses mal hatte ich wirklich übertrieben. Mein Unterarm hörte gar nicht mehr auf zu bluten.
Fuck, fuck, fuck.
Ich griff nach einem Handtuch und presste es auf die mir selbst hinzugefügte Wunde. Doch nach diesem Schultag konnte ich einfach nicht anders. Ich musste diesen Schmerz fühlen um die Stimmen und Gedanken aus meinem Kopf zu vertreiben.
Es wussten nun alle aus meiner Schule, dass ich schwul bin.
Meine Beine zitterten bei dem Anblick des ganzen Blutes. Immer noch rannen mir stille Tränen die Wangen hinunter.
Ich schaute mir meinen Unterarm nochmal an und sah, dass es nun endlich nicht mehr so doll blutete, trotzdem musste ich mir da zumindest für einen Tag, einen Verband drauf machen. Da es Herbst war und ich sowieso nur Hoodies trug, würde das auch keiner sehen.
"Elian!", schrie meine Mutter.
Meine Fresse, konnte sie mich nicht für einen Moment in Ruhe lassen?
"Komme gleich!"
Schnell machte ich den Wasserhahn an um das Blut im Waschbecken loszuwerden und um die Klinge wieder sauberzumachen.
"Elian!"
"Ich komme!"
Ich legte alles wieder an seinen rechtmäßigen Platz und lief ins Wohnzimmer, wo meine Eltern saßen.
"Was ist?"
"Hol Zigaretten. Aber zum selber drehen. Ist billiger."
"Ja..."
Ich nahm das letzte Geld welches wir hatten aus der Küche, zog mir schnell eine Jacke über und lief los zum Kiosk.
In solchen Momenten wünschte ich mir, dass meine Eltern manchmal ein wenig einsichtig wären und ich ihnen erklären könnte, dass diesen Monat kein Geld mehr für Zigaretten drin war. Aber das wollten sie nicht hören. Sie würden mich im besten Fall anschreien und trotzdem darauf bestehen, dass ich welche holen gehe. Im schlimmsten Fall würde mein Vater die Hand erheben...
"Wie geht es dir, Elian?", fragte Hektor. Er war der Kioskbesitzer und arbeitete Tag und Nacht um sich selbst und den Kiosk über Wasser halten zu können.
"Gut.", log ich. "Und dir?"
"Könnte nicht besser sein. Sollst du Zigaretten holen?"
"Ja."
"Wie lange dauert es noch bis zu deinem Geburtstag?"
"Ein paar Monate. Warum fragst du?"
"Weil ich mich dann nicht mehr strafbar mache, wenn ich dir Zigaretten gebe."
"Ich sags ja keinem weiter.", sagte ich lächelnd.
"Das will ich auch hoffen."
"Schönen Tag noch.", verabschiedete ich mich von ihm.
"Ebenso!"
In schnellen Schritten lief ich wieder nach Hause. Es war sau kalt draußen und ich wollte unbedingt wieder ins Haus, unter eine Decke. Der Haushalt konnte heute auch mal einen Tag liegen bleiben.
"Lass uns reden!", hörte ich eine bekannte Stimme.
"Wir haben über alles geredet."
Es waren Dalia und Levin. Sie standen am Straßenrand und diskutierten anscheinend miteinander. Und wie das Schicksal es so will, musste ich genau da lang. Denn drei Meter hinter ihnen lag mein Haus.
"Ich dachte du hast auch Gefühle für mich."
"Hab ich nicht. Du bist ganz okay, aber auch mega anhänglich und darauf hab ich keinen Bock. Wir können ja Freunde bleiben."
"Freunde? Ich soll also eine Freundin sein mit der du ab und an mal ins Bett steigen kannst?"
"Nein, wir können auch einfach so Freunde sein, ohne Sex."
"Dir hat der Sex also auch nie etwas bedeutet?"
"Dalia, jetzt hör endlich auf. Ich kann doch nichts für meine Gefühle."
"Arsch...", nuschelte sie und verschwand in dem sie an mir vorbei huschte.
Nun erblickte auch Levin mich.
"Was glotzt du so?"
Ich sagte nichts, schaute zu Boden und wollte nur schnell an ihm vorbei. Doch er hielt meinen Arm fest, sodass ich gezwungen war stehen zu bleiben.
"Ist das alles für dich?", fragte Levin lachend und zeigte auf den Tabak.
"N-nein..."
"Oh hey, er kann doch reden."
Er schikaniert mich doch schon genug in der Schule, wieso konnte er mich nicht wenigstens jetzt in Ruhe lassen?
Levin nahm mir den Tabak ab und schaute es sich an.
"Das sind doch die Billigen. Die sind scheiße."
Mein Herz raste wie verrückt. Wenn er das jetzt wegwarf oder mitnahm, dann werden meine Eltern mich umbringen.
"Bitte, gib das wieder...", sagte ich kleinlaut und schaute nun das erste Mal vom Boden wieder zu ihm hoch.
Levin schaute mich lachend an. "Steh doch mal für dich ein, du Lusche."
Darauf erwiderte ich nichts. Er wusste, dass ich das nicht tun werde. Er wusste, dass ich Angst vor ihm hatte.
"Das ist nicht für mich.", sagte ich.
Als ob das irgendwas ändern würde.
Levin schaute mit seinem hasserfüllten Grinsen direkt in mein Gesicht. Dann verschwand sein Grinsen auf einmal und er verdrehte die Augen.
"Nimms.", sagte er nur, drückte mir den Tabak wieder in die Hand, dann verschwand er.
Erleichtert atmete ich aus. Heute war schon echt ein scheiß Tag gewesen und durch seine Begegnung wurde es nicht besser. Zumindest ist er abgehauen und hat nicht gesehen wo ich wohne.
Denn wenn er das wüsste, hätte er noch einen Grund mehr auf mich herumzuhacken.
Als ich wieder im Haus war, legte ich meinen Eltern den Tabak auf den Tisch.
"Endlich.", sagte mein Vater nur und nahm sich den Tabak. "Ist noch was oder warum stehst du hier so unnötig rum?"
"Nein.", sagte ich nur und drehte mich um.
"Warum ist er so komisch?", hörte ich meinen Vater fragen.
"Hat er bestimmt von dir."
Ich schüttelte nur den Kopf und verschwand nach oben in mein Zimmer. Wenigstens hatte ich noch meine Oma. Sie war die einzige mit der ich vernünftig reden konnte und die mich nicht verurteilte. Sie war immer für mich da.
Zumindest dachte ich das...
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