Kapitel 16: Sommerende
Es waren zwei Wochen vergangen...
Die Tage wurde kürze und die Nächte länger. Es wurde frischer und Windbrisen kündigten den Herbst an. Ich war wieder zuhause und saß auf dem schmalen Brett meines Fensters. Bis jetzt konnte ich es vermeiden zur Schule zu gehen. Megan hatte mir immer alle Aufgaben nach Hause gebracht, die ich jedoch nur schlampig und ohne Elan beendete. Meine Gedanken drehten sich Vierundzwanzig Stunden und Sieben Tage die Woche um meine Vergangenheit.
Ich hatte das Gefühl ein riesiges Loch in meinem Inneren zu haben, das nie heilen würde. Mit meinen Eltern sprach ich nur das nötigste.
Nachdem ich nach Hause gekommen war erzählten sie mir die ganze Geschichte von Anfang an. Meine Mutter konnte keine Kinder bekommen. Aus unergründlichen körperlichen Schwächen konnte kein Kind in ihr überleben oder sich vollständig entwickeln. Also beschlossen meine Eltern, es nicht mehr zu probieren und statt dessen zu adoptieren. Leider gestaltete sich auch das nicht so einfach.
Doch dann bekamen sie einen Anruf von einem guten Freund meines Vater. Er war Polizeioffizier und hatte auf einmal einen sechs Wochen alten Säugling, der keine Familie mehr hatte und dringend eine vorübergehendes Zuhause brauchte.
-Das war ich-
Ich war in keinem guten Zustand. Eine große Wunde an meinem Kopf, von ich bis heute die Narbe an meiner Stirn habe.
Selbst da hatten sie mich belogen. Mir wurde immer gesagt, das ich von der Schaukel gefallen sei.
Das war der Tag an dem sich ihr Leben veränderte. Meine Eltern willigten direkt ein, auch wenn sie wussten, dass sie mich wahrscheinlich wieder abgeben mussten.
Sie stellten keine Fragen und behandelten mich sofort wie ihr eigenes Kind. Meine Sachlage war kompliziert. Man suchte nach weiteren Verwandten, doch wurde nicht fündig.
Aus Tagen wurden Wochen, aus Wochen wurden Monaten und aus Monaten wurden schließlich drei Jahre.
Solange hatte es gedauert um den Sachverhalt zu klären. Die ganze Zeit war ich bei meinen Pflegeeltern.
Als das Jugendamt mich dann meinen Eltern weg nehmen wollten, kämpften sie für mich und schafften es vor dem Gericht sich durch zu setzten und mich zu adoptieren.
Ich seufzte und sah weiter aus dem Fenster.
Sie hatten mir auch angeboten mit mir zu dem Polizeipräsidium zu gehen, damit ich selber alle Unterlagen anfordern konnte, die es zu mir gab. So konnte ich selber nachvollziehen, was an jenem Tag passiert ist und was sie alles heraus gefunden hatten.
Meine Eltern wollten die Unterlagen nie sehen, deswegen konnten sie mir nichts dazu sagen.
Bis jetzt konnte ich mich noch nicht dazu durchringen es zu tun. Irgendetwas hielt mich davon ab. Ich wusste im Moment nicht wie viel ich noch ertragen konnte. Ich atmete tief durch. Morgen müsste ich wieder zur Schule gehen.
Mittlerweile war die Sonne unter gegangen. Ich konnte sehen das in Erics Zimmer noch das Licht brannte. Seit dem Unfall, dem Tag an dem er mir seine Liebe gestanden hatte, hatten wir uns nicht mehr gesehen.
Sein Auto stand auch jeden Tag in der Einfahrt. Er schien allso genau wie ich nur Zuhause zu sein.
Gerade als ich mich aufsetzten wollte erkannte ich einen Schatten, an seinem Fenster. Ich sah genau hin. Die Person drehte sich zu mir und dann sah ich sein Gesicht. Er riss die Augen auf, als er merkte, das ich es war, die ihn ansah. Es schien als würde die Zeit still stehen, denn keiner von uns bewegte sich.
Die letzten zwei Wochen bin ich durch die Hölle gegangen. Mein Vater und ich sprachen kein Wort mehr miteinander. ICH HASSTE IHN!
Ich hasste ihn dafür, was er Tilda angetan hatte. Aber noch mehr hasste ich mich dafür, was ich ihr angetan hatte.
Ich konnte mich kaum an den Abend erinnern. Als ich Tilda mit Lenny und Meg gesehen hatte, wie unglaublich schön sie war, kamen die ganzen Gefühle die ich Jahre zurück gesteckt hatte mit einem Mal wieder hoch.
Das sie seit neustem mit Blake befreundet war und wir uns so heftig gestritten hatten, machte die Sache nicht besser. Ich merkte gar nicht wie viel ich trank und konnte ab einem gewissen Punkt auch nicht mehr damit aufhören. Der Rest war dann nur noch Erinnerungsfetzten. Ich wusste das ich mit ihr reden wollte. Ich wollte mich entschuldigen und alles klären. Doch dann geriet alles außer Kontrolle.
Ich trank so gut wie nie Alkohol, deswegen hatte ich wahrscheinlich auch nichts vertragen.
Als Tilda dann erzählte was ich ihr angetan hatte, konnte ich fast nicht mehr stehen. Ich widerte mich selber so sehr an, dass ich dachte ich müsste kotzen.
Dabei liebte ich sie doch.
Ich liebte sie seitdem ersten Tag in unserer Vorschule. Als sie mit ihren zwei geflochteten Zöpfen den Raum betrat und sich schüchtern hinter ihrer Mutter versteckte. Ich verliebte mich in ihr Lächeln, in ihre wunderschönen Augen und in die rosigen Wangen. Ich hätte tausend Dinge aufzählen können die ich an ihr liebte, nur war ich immer zu feige es ihr zu sagen.
Und jetzt? Jetzt hatte ich sie für immer verloren. Das was ich getan hatte, konnte ich nicht mehr gut machen. Und obwohl ich sie so liebte, wäre mein einziger Wunsch sie als Freundin zurück zu gewinnen.
Gedanken vertieft zog ich mir ein neues T-Shirt an. Ich schlenderte zurück zu meinem Bett und wollte meinen gefühlt toten Körper darauf betten. Aber nicht ohne vorher nocheinmal zu ihr rüber zu sehen. Seit Wochen hatte ich sie nicht mehr gesehen und ich konnte sie auch nicht besuchen. Mein Vater ließ es nicht zu, denn ich steckte in genug Schwierigkeiten. Außerdem hätten es ihrer Eltern auch nicht zugelassen.
Ich blieb vor meinem Fester stehen und sah nach draußen.
Und da saß sie, keine Zweifel!
Sie sah mich direkt an und ich erstarrte wie Stein. Ich konnte mich nicht mehr bewegen und hielt die Luft an. Sie bewegte sich auch kein Stück und ich fragte mich unweigerlich, was das zu bedeuten hatte? Was sie gerade dachte? Und ob sie mir je verzeihen würde? Doch noch in diesem Moment verschwand sie hinter der Wand.
Ich blieb noch einen Moment regungslos stehen. In der Hoffnung sie würde nochmal an das Fenster treten, doch sie kam nicht wieder und bald darauf löschte sie auch das Licht in ihrem Zimmer.
Ich atmete hörbar aus. Hatte ich etwas die ganze Zeit die Luft angehalten?
Ich ging weiter zu meinem Bett. Morgen würde ich das erste Mal in die Schule gehen und ich wusste nicht was mich erwartete, aber ich bereitete mich innerlich auf das Schlimmste vor.
Denn ich wusste Tilda würde nicht die Einzige sein, der ich nie wieder unter die Augen treten konnte.
Nachdem ich ihn eine Zeit beobachtete hatte, löste ich mich aus meiner Starre und ging zu meinem Bett. Ich hatte ihm nichts zu sagen. Außerdem musste ich versuchen wenigstens ein wenig Schlaf zu bekommen.
Ich löschte das Licht, doch in meinem Kopf spukte ein Gedanke nach dem anderen. Ich konnte es nicht abstellen. Also ließ ich mich darauf ein und spielte jede Frage durch.
Was würde morgen in der Schule passieren? Bin ich in der Lange zu vergeben? Meinen Eltern und Eric? Warum hat Blake mich nicht besucht? Was wussten die anderen Schüler alles? Würde Everil wieder mit mir reden wollen oder mich weiter ignorieren? Und das wichtigste, will ich wissen was vor siebzehn Jahren passiert ist?
Alle Fragen und Möglichkeiten wiederholten sich in meinem Kopf in einer endlos Schleife, als mich die Müdigkeit dann doch übermannte und ich in einen tiefen Schlaf glitt...
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