Kapitel 9
Kapitel 9
Der Flug nach Korea war schrecklich. Eigentlich dachte ich, dass ich mittlerweile so oft geflogen war, dass mich nichts mehr erschüttern konnte. Ich lag meilenweit daneben und vermisste unser komfortables Privatflugzeug.
Auf die Schnelle, in der ich vor zweieinhalb Wochen wieder Flüge buchen musste, waren in der ersten Klasse keine Plätze mehr frei gewesen.
So saßen wir also beide in der Holzklasse und dann nicht einmal nebeneinander. Es war nichts anderes mehr buchbar gewesen.
Bereits nach zwei Stunden hatte ich dröhnende Kopfschmerzen von einem Kleinkind, das mir links ununterbrochen ins Ohr brüllte. Rechts von mir hörte jemand so laut Musik, dass ich quasi mitsingen konnte.
Die Beinfreiheit war ein Witz und ich wusste schon jetzt nicht wie ich die übrigen elf Stunden Flug durchstehen sollte. Dazu kam meine beinahe schon chronische Angst erkannt zu werden.
Durch die kurze Nacht waren meine Nerven aber auch nicht gerade die besten.
Minho warf mir drei Reihen schräg vor mir einen hilfesuchenden Blick zu. Auf seiner Schulter war doch tatsächlich sein Sitznachbar eingeschlafen.
Ich zückte mein Handy und fing seinen verzweifelten Blick ein. Minho hatte seine Aufgabe bisher sehr ernst genommen und hatte so gut wie alles gefilmt seitdem wir losgefahren waren. In meiner Wohnung war er sehr vorsichtig gewesen, um möglichst wenig zu zeigen. Es war mein privates Reich, das ging niemanden etwas großartig an.
Als wir ins Flugzeug gestiegen waren, wurde das Filmen durch die nicht nebeneinander gelegenen Sitze so gut wie unmöglich für ihn. Ich bestand sowieso nicht darauf, die ganze Zeit über für die Kamera gute Laune vortäuschen zu müssen. Auch wenn wir dieses Stück Verzweiflung, die mir Minho entgegen strahlte, wahrscheinlich nie irgendwo veröffentlichen würden- es war eine witzige Erinnerungen für mich. Wenn ich irgendwann aus meiner eigenen Hölle entkommen konnte, würde ich Minhos Situation sicherlich witziger finden.
Ich versuchte mich etwas bequemer in meinen Sitz zu drücken, was mir bedingt gelang.
Wie sollte ich die restlichen Stunden bloß herumbekommen?
Der Versuch, meine beiden lauten Sitznachbarn meinerseits mit eigener Musik zu übertönen, gelang mir erfreulicher Weise, sodass ich endlich ein wenig zur Ruhe kommen konnte. Ich zog mir meine Basecap tiefer ins Gesicht, sodass meine Augen bedeckt waren. Der wenige Schlaf in der Nacht zuvor und das frühe Aufstehen forderten ihren Tribut und ich döste langsam weg.
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Ich wurde wach, als es um mir herum unruhig wurde und ich den Geruch von Essen wahrnehmen konnte. Gerade noch rechtzeitig. Ich setzte mich ein wenig aufrechter hin, nahm meine Kopfhörer aus den Ohren und schob mir die Cap vom Kopf. Sie war mir einfach zu warm.
Ich bestellte mir irgendetwas von dem Essen, welches leicht undefinierbar aussah. Es schmeckte so einigermaßen. Viel konnte man vom Flugzeugfraß ja ohnehin nicht erwarten. Die Hälfte von der Pampe ließ ich zurück gehen.
Die Musik neben mir war nun nicht mehr zu hören und auch das Kind auf meiner anderen Seite war endlich ruhig.
Ich fühlte mich unwohl, als ich einen Blick auf mir spürte.
Der junge Mann neben mir, der zuvor laut Musik gehört hatte, sah mich mit offenkundiger Neugier an.
Oh nein, diesen Blick kannte ich. Es war eindeutig ein Fehler gewesen, meine Cappy abzunehmen.
Er schien zögerlich, als wisse er nicht recht, ob er mich ansprechen sollte oder nicht. Ich versuchte einen distanzierten Blick aufzusetzen, wandte mich etwas ab und kramte nach meiner Cappy, um sie wieder aufzusetzen. Als ich meine Kopfhörer wieder in meine Ohren stecken wollte, fasste er sich dummer Weise ein Herz und sprach mich an. So ein Mist.
"Hey."
Ich warf ihm einen schnellen Blick zu, nickte ihm kurz zu und beschäftigte mich auf meinem Telefon mit meiner zukünftigen Musikauswahl.
"Ach komm schon, ignorier mich nicht."
Er hatte Mut, das musste ich ihm lassen. Ich tat so, als hätte ich sein englisches Gerede nicht verstanden. Hilfesuchend ließ ich meinen Blick zu Minho schweifen. Der hatte sich seinem Schicksal ergeben. Der Kopf seines Sitznachbarn ruhte immer noch auf seiner Schulter. Ich konnte es nicht gut erkennen, aber ich glaubte, mein Freund schlief ebenfalls.
Der junge Mann neben mir gab immer noch nicht auf, auch wenn ich es sehr gehofft hatte.
"Hallo", versuchte er es jetzt in koreanisch.
Mir fielen fast die Augen aus. Einen Moment lang starrte ich ihn überrascht an, bis ich mich wieder an meine Manieren erinnerte.
Na super, jetzt konnte ich nicht einmal mehr so tun, als würde ich ihn nicht verstehen.
"Hi." Ich gab mich geschlagen. Ich hatte noch zu viele Stunden vor mir, als dass ich es mir mit meinem Sitzpartner verscherzen wollte.
Ein breites Grinsen stahl sich auf sein Gesicht. Er sah eigentlich ganz nett aus und war so in etwa in meinem Alter. Seine Gesichtszüge waren eindeutig westlich, keine Spur einer asiatischen Abstammung, seine blond gefärbten Haare ließen einen braunen Ansatz erkennen.
War er etwa einer der verrückten Army, der koreanisch gelernt hatte, um uns zu verstehen?
"Ich bin John Miller", sagte er nun in koreanisch mit einem schweren amerikanischen Akzent und hielt mir seine Hand hin. Ich besah die Hand wie eine Erscheinung und dachte nicht im Traum daran, einzuschlagen. Er zog sie langsam zurück, ein wenig unsicherer werdend.
"Und du bist Park Jimin", versuchte er es jedoch weiter. Ich sah mich wieder hilfesuchend im Flugzeug um, aber es wollte für mich einfach kein mysteriöser Retter erscheinen. Ich seufzte.
Er wollte mit mir reden? Na gut.
"Ja, richtig." Ich warf ihm wieder einen Blick zu, der ihm verdeutlichen sollte, dass diese Unterhaltung hier zu Ende war.
"Was machst du in Seoul?" Sehr gebrochenes koreanisch.
So langsam ging er mir wirklich auf die Nerven. Als ob ich es ihm sagen würde, weshalb ich nach Korea flog. War er wirklich so naiv?
Ich mochte unsere Armys wirklich sehr, aber auf so einem langen Flug neben einem zu sitzen und die ganze Zeit Fragen zu beantworten, brachte auch meine Geduld ans Ende.
"Ich mache dort drei Wochen Urlaub." Aha. Schön. "Es ist das erste Mal in Korea für mich", textete er mich nun wieder in englisch voll.
"Viel Spaß."
Er wirkte ein wenig enttäuscht, wahrscheinlich, weil ich so wortkarg war. Er zog eine Schnute.
"Können wir ein Foto zusammen machen?"
So langsam riss mir der Geduldsfaden. Ich atmete bewusst tief ein und aus, ehe ich mein Handy aus der Hand legte und ihn intensiv musterte. Je länger ich das tat, desto röter wurden seine Wangen.
"John", ich betonte seinen Namen absichtlich und nahm mir ein wenig Zeit mit meiner Antwort, ehe ich ihm in koreanisch antwortete. "Ich möchte hier bitte in Ruhe nach Seoul fliegen. Wir können keine Fotos zusammen machen", es stand in meinen neuen Vertrag, dass wir dies nach Möglichkeit vermeiden sollten, "und ich werde dir auch kein Autogramm geben."
Keine Ahnung, wie viel er von dem Satz verstanden hatte. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hatte er zumindest den Sinn hinter meinen Worten verstanden.
"Oh... Okay." Er sah ein wenig traurig aus. "Ich wollte dir nur noch das zeigen." Er krempelte seinen linken Ärmel hoch und entblößte mir seinen Unterarm.
Er hatte sich dort das Armylogo tätowiert, mitsamt eines Datums, dass zehn Jahre zurück lag. Es war unschwer zu erkennen, dass er ein Fan der ersten Stunde war.
Unbedacht strich ich sanft über die dunklen Linien und sah, wie sich eine leichte Gänsehaut auf seinem Arm ausbreitete.
Ich war so furchtbar abweisend zu ihm, dabei hatte ich Menschen wie ihm so vieles zu verdanken. Erst Army hatte uns groß und erfolgreich gemacht.
"Das ist schön", antwortete ich ihm auf englisch, "Danke."
Er wurde nur noch röter und so beschloss ich meine Finger bei mir zu behalten und ihn wieder ein wenig sich selbst zu überlassen. Aber er war scheinbar noch nicht fertig mit dem, was er mir mitteilen wollte.
"Ich weiß, dass du eh nicht darüber sprechen darfst, selbst wenn es so wäre", sagte er und betrachtete nun selbst sein Tattoo, "aber egal was kommt, wir stehen alle hinter dir. Hinter allen von euch. Komme was wolle."
Er sah mich auffordernd an.
Ich konnte ihm nichts antworten, zu groß war der Kloß, der sich in meinem Hals gebildet hatte. Also starrte ich ihn wieder an, wortlos.
"Ich werde auch keinem sagen, dass du nach Korea fliegst, egal was du machst."
Ich war zutiefst gerührt. Keine Worte der Welt könnten die Dankbarkeit ausdrücken, die ich empfand.
Für ihn musste jedoch ein gemurmeltes "Danke" reichen.
Ich wollte ihm aber etwas zurückgeben. Es gab nur eine Sache, die mir einfiel und die irgendwie in Frage kam. Ich wollte es mit ihm teilen.
"Warte. Lass mich dir auch etwas zeigen. Du musst mir aber versprechen es niemanden zu erzählen." Ich hielt ihm meinen kleinen Finger hin. Er hakte sich ein und es wurde mir wie sooft der gewaltige Größenunterschied meiner Finger zu den von allen anderen bewusst. Ich hatte echt kurze Finger.
"Versprochen."
Er sah mich neugierig an, als ich irgendwie versuchte in diesem begrenzten Platz mein linkes Bein über mein rechtes zu schlagen, sodass ich an mein Sprunggelenk kam. Ich schob die Hose ein wenig nach oben und meine Socke so gut es ging nach unten.
Es war deutlich zu sehen, mein Armytattoo, das ich seit einer Weile besaß und das außer Minho niemand aus meinem Bekanntenkreis kannte. Nicht einmal die anderen Member. Ich hatte es mir stechen lassen, kurz nachdem ich in Amerika angekommen war.
Tae war der Einzige, der es vielleicht vor zweieinhalb Wochen gesehen hatte, jedoch hatte er mich nicht darauf angesprochen und ich war mir nicht sicher, ob er es wirklich wahrgenommen hatte. Es war mir auch eigentlich relativ egal was er dazu sagte. Ich hatte deutlich größere und auffälligere Tattoos, von Jungkook ganz zu schweigen.
Er sah von meinem Fuß zu seinem Arm hin und her. Sie waren gleich. Wir hatten etwas gemeinsam und teilten etwas Außergewöhnliches. Es klingt vielleicht abgedroschen, aber wenn man sich entschließt sich etwas unter die Haut zu stechen, dann bedeutete es einem in der Regel etwas. Und für uns beide bedeutete es viel, das könnte ich in seinen Augen sehen.
Er streckte seine Hand aus, um mir genauso über das Tattoo zu fahren wie ich zuvor bei ihm. Ich schob jedoch mein Bein wieder nach unten, bevor er Gelegenheit dazu hatte.
Es war, als wäre zwischen uns das Eis gebrochen. Er verstand, dass ich vieles nicht erzählen konnte, weil es zu privat war oder weil ich es einfach vertraglich nicht konnte. Nun gut, von letzterem konnte er nicht wissen, aber es sich bestimmt denken.
Er erzählte mir von sich, wie er damals zu BTS gefunden hatte und seitdem treu die Band verfolgte. Die sogenannte Pause hatte ihn schwer getroffen, er versuchte aber das Beste daraus zu machen.
Ich sah, dass er sich freute, was der Zufall ihn hier beschert hatte und er sich mit mir unterhalten konnte.
Die Zeit verging nun nicht mehr so langsam. So wie es immer war, wenn man eine gute Zeit hatte, schien sie nun in doppelter Geschwindigkeit zu ticken. Es machte mir viel Spaß mit ihm an meiner Seite und wir lachten viel und ich lernte einiges über ihn.
Er half bei der amerikanischen Fanclubseite mit und war dort stark involviert.
Er versprach mir nichts zu verraten, was er mit mir erlebt hatte. Es tat mir ein wenig leid dieses Versprechen einzufordern. Für einen Army war es sicher mehr als schwer, solch ein Erlebnis mit niemanden teilen zu können. Ich war jedoch dankbar, dass er diesen Vorschlag von sich aus machte, passte aber trotzdem weiterhin auf, nichts Wichtiges zu verraten.
Die Flugstunden vergingen unglaublich schnell. John merkte auch, wenn ich mal einen Moment Ruhe brauchte, kam aber wieder mit neuen Themen mit mir ins Gespräch, wenn ich ihm mit einem aufgeschlossenen Blick entgegen sah. Am Ende steckte er mir zögerlich seine Telefonnummer zu. Meine übliche Reaktion darauf war eigentlich, sie in den nächstbesten Mülleimer zu entsorgen. Ich hatte mich aber mit ihm so gut verstanden, dass ich mir durchaus Kontakt in der Zukunft vorstellen konnte. Ich steckte sie sorgsam ein.
Das Flugzeug landete schließlich sanft in Incheon.
Minho sah erleichtert aus, als wir uns auf dem Weg aus dem Flugzeug trafen. Zwar hatte er unter dem Vorwand, dass er zur Toilette müsste, es geschafft, dass sein Sitznachbar nicht mehr auf seiner Schulter schlief, jedoch wurde er danach von ihm ohne Punkt und Komma zugequasselt.
Schnell hatten wir Minhos Gepäck auf den Laufbändern gefunden. Er dokumentierte alles sorgsam mit seiner Kamera, ganz dem nachkommend, weshalb er mitgeflogen war. Meine beiden Koffer ließen ein wenig länger auf sich warten, aber sie kamen schließlich an, sogar im Doppelpack.
Ich ließ meinen Blick kurz bevor wir in Richtung Bahn aufbrachen, über die Leute schweifen und fand schließlich wen ich suchte. Fröhlich winkte ich ihm zum Abschied entgegen. Er tat es mir gleich.
"Hast du jemanden kennen gelernt?", fragte mich Minho neugierig.
Ich nickte. "Ja, ich denke ich habe einen neuen Freund gefunden."
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