Kapitel 54
Kapitel 54
Man merkte Jungkook an, dass ihm dieses Redeverbot nur noch nervte.
Sicher, es war von Anfang an nicht leicht für ihn gewesen, aber er saß immer öfter mehr oder weniger schmollend in einer Ecke, wenn wir interviewt wurden und tiefe Furchen zeichneten seine Stirn.
Es passte ihm ganz und gar nicht, von vielem so zwangsweise ausgeschlossen zu werden. Doch ihn komplett von diesen Terminen zu isolieren, hätte vermutlich nur noch mehr an seiner Stimmung gefressen, weshalb niemand von uns diesen Vorschlag gemacht hatte. Dann würden wir lieber mit einem grummeligen Jungkook leben.
Während der Interviews benahm er sich auch wie stets vorbildlich, kaum ein Army würde hinter seiner Fassade sein Schauspiel bemerken, aber sobald die Kameras aus waren, kam seine schlechte Stimmung stets zurück.
Jungkook war mir schon den ganzen Morgen mit seiner miesepetrigen Stimmung auf den Keks gegangen.
Zwar versuchte ich es so gut es ging zu ignorieren, aber die ersten Nerven hatte es mich gekostet, ihn alleine schon aus dem Bett zu bekommen. Er sah vermutlich keinen Sinn darin aufzustehen, wenn er eh nur schweigend die Termine vor der Kamera wahrnehmen konnte.
Es war eine wahre Tortur gewesen, pünktlich auf Arbeit zu erscheinen, etwas, dass ich mir seit unserem Fauxpas dringend vorgenommen hatte, immer einzuhalten.
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Als wir hier angekommen waren, merkte Tae wohl, den wir noch auf dem Weg zur Garderobe und zum Make-Up trafen, dass unser Haussegen deutlich schiefer hing als sonst. Er hakte sich bei mir unter und dirigierte Jungkook zielsicher zu Seokjin, der sich seiner auch sofort annahm.
Wahrscheinlich war ich sogar selbst schuld, dass sich Jungkook derart benahm, stellte ich fest, als sich seine Miene gleich deutlich aufhellte, als Seokjin anfing, auf seiner ihm typischen Art mit Jungkook herum zu zanken.
Seitdem Jungkook angeschlagen war, benahm ich mich furchtbar ihm gegenüber und ich wusste, dass es ihm vermutlich halb in den Wahnsinn trieb. Das er betrunken und mit einem neuen Piercing in der Brustwarze vor drei Tagen nach Hause gekommen war, hatte meine wohl etwas sehr gluckige Ader nicht wirklich beruhigt.
Ich seufzte laut auf, als ich mich in den Stuhl fallen ließ und erntete einen etwas verwirrten Blick meiner Noona Yejin, die gerade dabei war, vor mir diverse Make-Up Döschen und Schwämmchen zu sortieren.
"Ist alles in Ordnung, Jimin-ssi?", fragte sie mich zögerlich, ich konnte aber die Besorgnis deutlich in ihrer Stimme hören und auch ihre Augen sahen mich fragend an.
Ein wenig ertappt über diesen Ausrutscher, war ich im ersten Moment etwas perplex, aber Tae an meiner Seite rettete gekonnt die Situation.
"Es war eine lange Woche, nicht wahr?"
Ich nickte ihm dankbar zu und meine Noona ging ebenfalls darauf ein.
"Comebackvorbereitungen sind immer anstrengend, nicht?"
"Sie sind das Schlimmste", murmelte ich leise, wohl wissend, dass sie sicher alles gehört hatte.
"Bis es dann zu den Promotionterminen geht", zählte Tae weiter auf und es stahl sich ein kleines Lächeln auf seine Lippen.
"Oder zu diesen endlosen Preisverleihungen und Interviewterminen", setzte ich die Liste fort.
"Welttourneen. Das war das anstrengendste, mit Abstand!", legte Tae sich nun zum dritten Mal fest.
"Wenn man euch so reden hört, bekommt man fast den Eindruck, dass ihr nichts von dem leiden könnt, was wir machen", merkte Namjoon an, der vor einem Moment in den Raum gekommen war.
Über den Spiegel vor mir sah ich ihn entschuldigend an und versuchte zu retten, was noch zu retten war und fuchtelte hilflos mit meiner Hand vor mir in der Luft herum.
"So meinen wir das nicht", versuchte ich es herunterzuspielen, als Namjoon ein ausgiebiges Gähnen entwich.
"Siehst du, sogar du bist hundemüde!", unterstützte mich mein bester Freund, erntete aber nur einen ungläubigen Blick von unserem Leader.
Dieser trat dichter an Tae heran und verwuschelte spielerisch seine Haare, die danach unordentlich in alle Richtungen abstanden. Ein Glück, dass seine Noona ihn noch nicht frisiert hatte, sie hätte mir sonst mehr als leid getan.
"Ich", meinte Namjoon leise und ich kam nicht umhin, den etwas spitzen Tonfall zu bemerken, "bin der Leader dieser Gruppe, habe ohnehin mehr Pflichten als ihr. Und nur für den Fall, dass du es vergessen haben solltest: Im Gegensatz zu euch habe ich einen Säugling Zuhause, der die ganze letzte Woche keine einzige Nacht durchgeschlafen hat."
Kurz hatte ich den Gedanken, dass ich momentan mit Jungkook kaum besser dran war als Namjoon mit seinem Kleinkind, ich verwarf ihn aber schnell wieder. Natürlich konnte man unsere beiden Situationen kaum gleichsetzen.
Namjoon nahm es nicht böse, dieses Herumgezanke gehörte zu uns, zu unserer ganz eigenen Gruppendynamik, deswegen verwunderte es mich auch nicht weiter, dass Namjoon sich einfach abwandte ohne eine Antwort abzuwarten. Als ich zu Tae sah, merkte ich aber, wie es in ihm arbeitete. Er presste seine Lippen aufeinander und sah seltsam nachdenklich aus.
"Entschuldigung Hyung", presste er heraus. Namjoon winkte jedoch nur ab und war bereits, wie so oft, wieder mit seinem Handy beschäftigt.
Ich schloss meine Augen, beschloss diese wenigen ruhigen Minuten zu genießen, die mir jetzt noch vergönnt waren und Yejin ihre Arbeit ein wenig zu vereinfachen. Sie würde wie stets einen guten Job machen, da brauchte ich mir keine Gedanken machen, ich vertraute ihr mittlerweile voll und ganz. Sie hatte mich bereits für so viele Fotoshootings und Drehs vorbereitet, das heute war mittlerweile nur Routine für sie.
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"So, fertig", meinte Yejin, ich öffnete meine Augen und besah mir
das Ergebnis vor mir im Spiegel. Wie immer, seitdem sie sich bei mir um mein Make-up kümmerte, war ich mehr als zufrieden mit meinem Spiegelbild, das meinen neugierigen Blick stumm erwiderte.
In den paar Wochen, die sie jetzt schon bei uns war, hatte sie bemerkenswert schnell gelernt, was mir besonders gut an mir selbst gefiel und noch wichtiger- was mir auch am besten stand.
"Vielen Dank Yejin-ah", lächelte ich ihr zu, als ich mich auch schon aus meinem Stuhl erhob und Platz für den nächsten machte. Namjoon stand auch schon auf und schlenderte zu ihr, er schätzte sie fast genauso sehr wie ich, auch wenn er im Moment noch immer mit seinem Telefon beschäftigt war.
"Jimin-ssi", hörte ich es hinter mir rufen, kaum das ich wieder auf meinen Beinen stand. Es war trotz der kurzen Zeit, seit der wir wieder zurück waren, schon fast wieder Routine für mich geworden, dass ich von einem Punkt zum nächsten gerufen wurde. Ich drehte mich schon fast instinktiv zu dem Mitarbeiter aus dem Stylistenteam um und trottete schweigend zu ihm. Er wartete geduldig auf mich.
"Hier, dieser Pullover ist für dich", meinte er und schob die Kleiderbügel auf der Stange auseinander, bis er mir ein Kleidungsstück präsentierte, das so einen tiefen Ausschnitt hatte, dass ich zunächst dachte, es handele sich um einen schlechten Scherz.
Zögerlich betrachtete ich das gute Stück.
Sicher, an mir war zumindest am Oberkörper fast nichts, was Army nicht sowieso schon einmal gesehen hatte und mir gefiel der Pullover sehr und ich war mir sicher, dass Army ihn lieben würde, jedoch fand ich es seltsam, dass ausgerechnet Hybe mit diesem Vorschlag kam. Kaschierten sie doch sonst in jedem Video jedes aufblitzen von Hautstellen, wo sie der Meinung waren, dass sie lieber bedeckt sein sollten.
Dieser neue Pullover würde auch mein neues Tattoo teilweise zeigen, spätestens beim Konzert wäre es aber wohl eh öffentlich, wenn ich daran dachte, was für Kostüme für die Bühne auf mich warteten. Es war eh fast unmöglich so etwas vor unserer großen Fanbase verstecken zu wollen, nicht bei der Arbeit, die wir nachgingen und die uns so oft in die Öffentlichkeit zerrte.
Der Mitarbeiter bemerkte wohl mein Zögern.
"Jimin-ssi, ist alles in Ordnung?"
Ich nickte leicht. Natürlich würde ich dieses Ding anziehen, Army würde es lieben mich darin zu sehen und sie waren das Wichtigste. Wir machten diesen ganzen Aufriss fast nur wegen ihnen.
Ich zog mir meinen eigenen Pullover über den Kopf, den ich heute früh wahllos aus meinem Schrank genommen hatte und fummelte den neuen von der Kleiderstange.
Hatte ich mir noch vor Wochen Gedanken darüber gemacht, wie Yejin reagieren würde, wenn auf einmal einer von uns halb oder fast ganz nackt in ihrem Sichtfeld auftauchen würde, so wusste ich, dass es auch mittlerweile für sie fast zur Routine geworden war. Kurz meinte ich ihre Augen auf mir zu spüren, als ich aber unauffällig zu ihr hinsah, war sie noch immer tief darin versunken, bei Namjoon das Make-Up aufzutragen.
Kaum hatte ich mir den mehr als gewagten Pullover übergezogen, war auch gleich schon wieder eine andere Noona bei mir, die sich sehr strecken musste, um mit ihrer Bürste, die sie in der Hand hielt, an meinen Kopf heranzukommen, um das Wirrwarr von meinen Haaren in eine vorzeigbar Ordnung zu bringen.
Wenn ich so viel Zeit mit den anderen Membern verbrachte, konnte ich leicht vergessen, dass nicht jeder so ein Riese wie Namjoon oder Jungkook war. Es dauerte einen Moment, bis mein Hirn sich einschaltete und ich auf die Idee kam, meine Beine ein wenig auseinander zu setzen und es so der Noona zu ermöglichen an meinen Schopf zu kommen, ohne sich den Arm regelrecht auszukugeln.
Sie lächelte mir leicht zu und flüsterte ein "Danke", das so leise war, dass wohl nur ich es hören konnte.
Währenddessen wurde Tae sein Outfit für den Dreh zugeteilt und ich kam nicht umhin zu bemerken, dass seines im direkten Vergleich zu dem meinem gerade zu zugeknöpft aussah. Wie so oft bekam er ein Hemd und eine Krawatte, es war sein Stil und stand ihm hervorragend, dennoch fragte ich mich, was für ein Bild wir am Ende abgeben würden. Ich wurde mir meines freizügigen Outfits nur umso mehr bewusst, je länger ich zu Tae sah und zupfte vergeblich am Halsausschnitt herum, in der Hoffnung, ihn doch irgendwie so zu platzieren, dass er mich ein wenig mehr bedeckte. Tae bekam das wohl mit, als ihm gerade die Krawatte von dem Stylisten gebunden wurde.
"Jimin, wenn du da so weiter daran ziehst, leierst du deinen wunderschönen Pulli noch aus!"
Nur allzu sehr war ich mir der vielen Mitarbeiter um uns herum bewusst, die unserem Gespräch lauschten, es war sogar jemand dabei, der eine Kamera auf uns gerichtet hatte und uns filmte.
Ich brummte, fummelte aber weiter an diesem Kleidungsstück herum. "Meinst du nicht, dass das etwas zu freizügig ist?", fragte ich leise und schielte gleichzeitig zu der Kleiderstange herüber, an denen noch Outfits hingen, die nicht so viel preisgaben, wie es das meine tat.
Tae nahm sich einen Moment Zeit und betrachtete stirnrunzelnd mein HerumgezuppeI an dem armen unschuldigen Kleidungsstück.
Schließlich zuckte er nur kurz mit seinen Schultern und besah sich selbst kritisch im Spiegel. "Ich denke, dass du nichts zeigst, was du nicht zeigen möchtest oder was Army nicht sowieso schon kennt. Außerdem", setzte er mit einem kurzen Blick auf mich hinzu, "steht es dir wirklich wahnsinnig gut. Ich kann verstehen, wieso sie dich da rein gesteckt haben. Jimin, einen Gucci-Pullover lehnt man nicht einfach ab", meinte er mit einem verschmitzten Lächeln.
Sicherlich hatte sein Werbevertrag den Weg geebnet, dass wir heute bei diesem Interview diese exklusiven Markenklamotten tragen durften.
Unschlüssig trat ich neben Tae an den Spiegel und betrachtete mich ebenfalls.
Der Pullover war eng, zeigte aber tatsächlich meine Proportionen mehr als vorteilhaft. Meine in den letzten Wochen mühsam aufgebauten Muskeln, waren sicher kein Anblick, weswegen ich mich schämen musste.
Ich sollte dringend an meinem Selbstbewusstsein arbeiten. In wenigen Tagen würde ich wieder auf der Bühne stehen und einige meiner Kostüme waren noch gewagter und zeigten noch mehr Haut, als es dieser Pullover tat.
Wenn ich aber auf der Bühne stand, übernahm der extrovertierte, öffentlichkeitsliebende Jimin die Oberhand. Gerade verkörperte ich eher die private, introvertierte Version meiner selbst, die nicht mit Adrenalin zugedröhnt war und deswegen so dermaßen mit diesem offenherzigen Pullover zauderte.
Seufzend kam ich zu dem Schluss, dass mein bester Freund wohl Recht hatte. Ich konnte mich hier drin wirklich sehen lassen. In der Vergangenheit war ich schon deutlich freizügiger unterwegs gewesen, es war bloß schon so lange her...
Außerdem wäre es wohl tatsächlich ein Affront, diesen Pullover abzulehnen.
Trotzdem, so ganz zufrieden war ich nicht, deshalb wandte ich mich noch einmal an unseren Stylisten, der nun Jungkook versuchte, ein nicht weniger gewagtes Kleidungsstück zu vermitteln. Natürlich nahm er es ohne große Widerrede entgegen, verbal konnte er sich ja derzeit sowieso nicht wehren und Jungkook war auch schon gerade in der Zeit vor unserer Pause einem offenherzigen Outfit nicht abgeneigt gewesen.
Als er jedoch mich in diesem Pullover sah, bildete sich die mir nur zu bekannte Falte zwischen seinen Augen. Es gefiel ihm gar nicht, was ich da an hatte, das sah ich sofort.
"Oh nein, vergiss es, du brauchst hier jetzt gar nicht mit mir diskutieren, ich behalte den Pullover an." Ich hatte mich jetzt festgelegt, nicht das ich eine große Wahl gehabt hätte.
Ein wenig von Jungkooks Reaktion angesäuert, ließ ich ihn links liegen und wandte mich an den Stylisten, der mich fragend ansah.
"Gibt es ein Problem?", fragte er mich leise und irgendwie ließ mich das Gefühl nicht los, dass die Frage eher an Jungkook als an mich gerichtet war, so wie er seitlich an mir vorbei schielte.
"Ja, alles in Ordnung", antwortete ich ihm, als ich aber auch schon merkte, wie sich eine kräftige Hand um meinen Arm schloss. Ich hatte wirklich keine Lust das hier vor so vielen unwissenden Augen aus zu diskutieren, versuchte es Jungkook mit einem genervten, aber strengen Blick deutlich zu machen. Er ließ mich aber einfach nicht los.
"Jungkook", setzte ich meinen strengen Tonfall ein und ich merkte tatsächlich, wie sich seine Hand ein wenig um meinen Arm lockerte, als ich ihn damit aus dem Konzept brachte, "darüber wird hier jetzt nicht diskutiert. Der Pullover ist für ein einziges Interview, fass dir lieber an die eigene Nase, deines ist mindestens genauso offenherzig!"
Es wunderte mich ein wenig, dass er damit solche Probleme hatte. In der Vergangenheit war es nie ein Problem gewesen, sogar die Kostümproben für das Konzert hatte er klaglos abgesegnet.
Vielleicht machte er einfach einen noch größeren Unterschied zwischen privatem und der Bühne. Eigentlich fand ich es sogar ganz süß, dass er so eifersüchtig auf die ganze Welt war, allerdings war es in diesem Moment eher ein wenig nervig. Er zeigte ja schließlich auch was er hatte und fragte mich nicht nach meiner Meinung.
Generell lagen meine Nerven wegen der letzten Tage und Wochen recht blank, sodass ich wegen Kleinigkeiten förmlich in die Luft gehen konnte und ich merkte, dass es Jungkook genauso ging.
Nur Taes beruhigender Blick, der auf mir lag, machte mir klar, dass ich mich beruhigen sollte und so atmete ich tief durch, ehe ich einen erneuten Anlauf wagte und mich wieder an den Stylisten wandte.
"Gibts es vielleicht noch Ketten oder irgendwas, damit das hier", ich deutete auf meine nicht durch Stoff bedeckte Brust, "etwas weniger... offenherzig ist?"
Endlich ließ Jungkook meinen Arm los, ich sah ihn noch immer nicht an, wusste aber, dass er merkte, wie sehr ich in diesem Thema einlenkte.
Der Stylist beobachtete uns kurz schweigend, bis er merkte, dass ich auf eine Antwort wartete.
"Oh, ja, natürlich, ich... Hier, wir könnten dieses Tuch umbinden, ich denke das ist genau das Richtige", brachte er etwas stotternd hervor, kramte aus den Untiefen des Aufstellers mit der Kleidung ein dünnes Tuch hervor, welches offensichtlich zu einem anderen Outfit gehörte. Der offensichtliche Mangel an Professionalität ärgerte mich allmählich, ich versuchte meinen Unmut jedoch herunterzuschlucken. Der arme Angestellte vor mir konnte nichts für meinen genervten Gemütszustand, selten hatte er sicherlich seinerseits solch eine Seifenoper wegen eines Pullovers vor sich gehabt.
Er machte sich auch gleich an die Arbeit und band mir das Tuch um.
Tatsächlich lenkte es sehr von meinem Ausschnitt ab, stellte ich zufrieden fest, als ich mich erneut im Spiegel betrachtete. Jungkook hatte derweil sein Outfit angezogen und es fiel mir schwer, bei diesem fast bauchfreien Oberteil einen Kommentar zu verkneifen. Dem Frieden zu liebe biss ich mir auf die Lippe und damit auch gleichzeitig einen entsprechenden Kommentar herunter, ließ meinen Blick suchend durch den Raum nach Tae schweifen und ging schließlich zu ihm, als ich ihn fand.
Mein bester Freund war stets für mich die richtige Anlaufstelle, er konnte mich auf andere Gedanken bringen.
Sogleich kam auch ein Mitarbeiter mit einer Kamera zu uns, der Aufnahmen von uns machen wollte für vermutlich exklusive Backstage-einblicke. Es war zum Haareraufen, tatsächlich war mir in der Vergangenheit der Mangel an Privatsphäre nicht so einschneidend in Erinnerung geblieben, wie ich ihn grade empfand. Diese vielen Augen und Ohren um uns herum waren für mich in meiner derzeitigen Gefühlslage beinahe schon lästig. Dennoch wusste ich, dass es nur einen Weg hier heraus gab, ich musste gute Miene zum bösen Spiel machen.
Army hätte später etwas, das sie sich ansehen konnten und je mehr Antworten oder Sätze ich jetzt hier ohne großes Dazutun von den Mitarbeitern von mir gab, umso schneller war er mit seiner Kamera nicht mehr in meiner Reichweite.
Also tat ich einzig das, was vermutlich sowieso gleich angesprochen worden wäre und thematisierte diesen Markenpullover, der bereits für so viel Unmut gesorgt hatte.
"Das größte Chaos ist bereits vorbei", begrüßte ich die dunkle Kameralinse vor mir. Tae nahm den Faden dankenswerterweise mit auf und ergänzte gleich das Gespräch, bevor es zu einer unangenehmen Stille kommen konnte.
"Jimin-ah gefiel sein von Gucci-Pullover nicht", neckte er mich und ich versuchte die Spitze zu ignorieren.
"Das ist gar nicht wahr", verschönerte ich die Wahrheit und gab ihm einen Klaps auf die Brust, eine Stelle, an die ich ohne große Verrenkungen heran kam. "Ich weiß, dass es Army sicher gefallen hätte, aber er ist doch etwas zu... offen geschnitten", suchte ich nach einem möglichst neutralen Wort und deutete auf die Region, wo das Dilemma seinen Anfang gefunden hatte. Es war bei solchen Dingen Diplomatie gefragt. Machte ich den Pullover zu schlecht, würde Army ihn sicher nicht mehr kaufen und wir hätten diese Marke zum letzten Mal getragen.
"Natürlich hätte es ihnen gefallen! Ich helfe ihnen mal ein bisschen", neckte er mich weiter und versuchte mir mein Tuch wieder abzunehmen, meinen Ausschnitt gleichzeitig noch etwas tiefer zu ziehen. Natürlich versuchte ich ihn mit allem was mir möglich war, daran zu hindern, sodass ein spielerisches Herumgebalge begann.
Ich wusste, dass Tae es nicht ernst meinte und nur ein wenig für die Kamera herumalberte und es war ok für mich. Er verstand, als es mir genug wurde und hörte auch auf und ich war mir sicher, dass der Mitarbeiter mit der Kamera über die Aufnahmen von uns wahrscheinlich froh war. Selten zeigten wir im Moment diese unbeschwerte Seite von uns, zu sehr waren wir mit den Trainings und Comebackvorbereitungen eingespannt. Nur mit Tae konnte ich so abschalten und ich war ihm sehr dankbar dafür.
"Ich bin mir mal eben die Beine vertreten", meinte ich leise zu meinem Freund, "soll ich dir etwas zu trinken mitbringen?" Es würde noch einen Moment dauern, bis Namjoon und Hobi mit dem Make-Up und der Garderobe fertig sein würden und ich wollte die Gelegenheit nutzen und ein wenig aus diesem Raum heraus und wieder zur Ruhe zu kommen. Sicherlich hätte ich auch einen der Mitarbeiter fragen können, es wäre sicher gleich jemand losgerannt und hätte mir etwas geholt, aber ich wollte keine Umstände machen und ein wenig selbst außerhalb des Raumes verschnaufen.
"Bringst du mir ein Wasser mit?"
"Klar", bestätigte ich ihm nickend seinen Wunsch und machte mich auf den Weg zur Tür, wissentlich keinen Blick in Richtung Jungkook werfend. Ich hatte schlicht und ergreifend gerade keine Lust auf ihn. Ein paar Minuten von ihm weg zu sein, war jetzt sicherlich genau das Richtige für mich.
Langsam schlenderte ich durch die mir mittlerweile so vertraute Gänge dieses riesigen Gebäudes.
Obwohl nach wie vor alle Flure gleich aussahen, fand ich mich nach so vielen Wochen gut zurecht und verlief mich nur noch selten.
Gerade war ich auf dem Weg zum nächstbesten Getränkeautomaten bei einer kleinen Sitzgelegenheit, die sich einfach nur den Gang etwas weiter runter befand.
Wehmütig blieb ich einen Moment vor dem Gerät stehen, sah die ganzen Softdrinks an, von denen ich mir so gerne einen nehmen würde, was mir aber meine Diät, die ich so kurz vor dem Konzert machte, nicht erlaubte. Würde es überhaupt jemand mitbekommen, wenn ich jetzt einfach...
Seufzend griff ich dann doch zwei der Wasserflaschen.
Nein, ich würde meine Selbstdisziplin nicht wegen diesen viel zu überzuckerten und ungesunden Getränken auf die Probe stellen. Nach dem Konzert konnte ich mir sicher wieder etwas mehr Freiheiten erlauben, aber für das Comeback wollte ich mein bestmögliches Ich präsentieren.
Die Ruhe genießend, ließ ich mich kurz auf den Sessel fallen und drehte die Flasche ziellos in meiner Hand. Ewig konnte ich mich nicht vor den Pflichten des Tages und vor Jungkook drücken, aber für den Moment tat mir die geringe Geräuschkulisse gut und war Balsam für meine Seele.
Das mit Jungkook würde sich schon wieder einrenken, da war ich mir sicher, zu wichtig waren wir uns besonders in den letzten Wochen geworden. Auch wenn die ganze Situation sehr an unser beider Nerven zehrte, so war ich doch froh, ihn an meiner Seite zu wissen. Dieses Herumgezanke zwischen uns war vielleicht die erste wirkliche Probe für unsere Beziehung, aber ich war mir sicher, dass sie sie nicht beenden würde. So viel war mir mein Stolz dann auch nicht wert. Heute würde ich ihn alleine wegen dieser Pullovergeschichte noch zappeln lassen, aber morgen würde ich auf ihn zugehen und dieses ganze Dilemma versuchen zu klären.
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