Kapitel 1


Kapitel 1
Mitten in der Nacht wurde ich unsanft durch mein klingelndes Telefon geweckt. Wer um alles in der Welt rief mich um diese Uhrzeit an? Ich konnte noch nicht lange geschlafen haben, nachdem es mir irgendwann geglückt war, meine Gedanken auszuschalten und zur Ruhe zu finden.
Ohne auf das Display zu gucken, welches sowieso viel zu hell leuchtete um irgendwas im Halbschlaf erkennen zu können, ging ich ran und hielt es mir ans Ohr.

„Hm?", fragte ich meinen unbekannten Gesprächspartner, nicht in der Lage, irgendwelche Sätze zu bilden, die Sinn ergaben.
Ich schielte kurz auf meine Uhr neben meinem Bett. Es war fünf Uhr morgens. Viel zu früh.
„Jimin?", fragte mich die mysteriöse Stimme am anderen Ende. Sie kam mir bekannt vor, ich konnte sie aber nicht einordnen.

„Yes?"
„Ich bin's, Tae."
„Tae?"

Mein schlaftrunkenes Gehirn versuchte zu verarbeiten, was ich gerade gehört hatte und schaltete sofort auf meine Muttersprache um.
„Wieso rufst du mitten in der Nacht an?"
Ich fuhr mir mit der linken Hand über meine Augen und strich mir einige meiner langen Haarsträhnen aus dem Gesicht.
„Oh." Stille. Ich seufzte. Da rief mich Tae das erste Mal seit Langem an und ich blaffte ihn gleich so an. Manchmal war ich echt ein Idiot.
„Was gibt's denn?", versuchte ich in einem versöhnlichen Tonfall zu retten, was noch zu retten war.

„Ich wollte dich nicht wecken, das tut mir leid", kam dann auch die Entschuldigung von ihm. „Ich habe ganz vergessen, dass es bei dir mitten in der Nacht ist."
„Schon gut...", nuschelte ich ins Telefon und setzte mich etwas auf. Diese Haltung war eine viel bessere Gesprächsgrundlage. Mein Telefon zwischen Ohr und Schulter geklemmt, angelte ich nach einem Band, um meine Haare zu bändigen. Umständlich  wickelte ich es um sie. So war es schon viel besser. Ich unterdrückte ein Gähnen.
„Wie geht es dir Jimin? Wir haben so lange nichts voneinander gehört..."

Schwang da etwa ein wenig Wehmut in seiner Stimme mit? Ich hatte den Kontakt zu den Anderen wirklich schleifen lassen. Hatte die Anrufe oft weggedrückt, weil ich gerade keine Zeit dafür gehabt hatte. Nur selten zurückgerufen. Bis sie schließlich aufhörten, mich erreichen zu wollen. Zwar erreichte mich ab und zu eine Textnachricht ... Aber sie konnten den Abstand zwischen uns nur spärlich mindern.
„Gut." Fieberhaft suchte ich nach etwas, was Ich noch sagen konnte. Mir kam nur sehr flacher Smalltalk in den Kopf. Innerlich schalt ich mich.

„Und... dir? Geht es dir auch gut? Du kannst dich ja scheinbar vor Aufträgen kaum retten."
Taehyung lachte etwas gequält auf. Seit dem Tag vor drei Jahren, als ich die Entscheidung getroffen hatte, auf unbestimmte Zeit mit unserer Gruppe zu pausieren, weil ich einfach nicht mehr weiter konnte, hatte ich gewusst, dass ich mir um Tae und um Jin keine Sorgen machen musste.
Arbeiten musste natürlich streng genommen niemand mehr von uns. Wir hatten genug Geld. Aber ein Leben ohne Beschäftigung konnte sich keiner von uns vorstellen. Ebenso wollten wir nur zu siebt als BTS auftreten.
Ich hatte lange mit mir gerungen, weil ich, als ich die Entscheidung traf, auch gleich wusste, was es für die Anderen bedeutete.

Tae und Jin waren in BTS die Visuals - die schönsten Gesichter der Gruppe. Tae hatte in unserer Pause tatsächlich viele Aufträge als Model bekommen. Und Jin war oft als Moderator in Fernsehshows zu sehen. Es war sogar hier in Amerika fast unmöglich für mich gewesen, nicht überall Taes Gesicht zu sehen. Er hing buchstäblichen an jeder zweiten Wand und war nicht zu übersehen.
Es wäre jedoch auch gelogen, wenn ich sagen würde, dass ich meine Freunde in der ganzen Zeit nicht im Blick behalten hatte. Natürlich hatte ich das.

Es war komisch jetzt mit ihm zu reden. Zu lange hatte ich keinen Kontakt mit ihnen gehabt. Im Nachhinein war es auch ganz gut so gewesen. So hatte ich ein wenig Abstand zu BTS und allem drum herum bekommen. Meine Seele konnte etwas heilen. Jedoch musste ich mir eingestehen, dass ich meine Freunde vermisste.
„Kaum zu glauben, aber Jimin... Ich bin jetzt das feste Werbegesicht von Gucci!", erzählte mit Tae voller Begeisterung. Natürlich hatte ich es schon mitbekommen, schon vor Wochen. Ich hatte mich damals ebenso sehr gefreut wie heute. Natürlich wusste ich um seine Leidenschaft für diese Marke.

„Herzlichen Glückwunsch!", brachte ich raus und mir entschlüpfte ein leises Lachen und Tae stimmte mit ein. Wie hatte ich ihn doch vermisst ...
Es wurde kurz still zwischen uns.
Ich stand von meinem Bett auf und ging zu meiner Fensterfront. Unter mir konnte ich die betriebsame Geschäftigkeit New Yorks sehen. Auch um diese Uhrzeit waren immer noch Menschen unterwegs.

„Jimin, wir haben uns überlegt..." Taehyung zögerte am Telefon und sprach nicht weiter. Jetzt war es also so weit. Wir kamen dem Grund für diesen Anruf mit großen Schritten näher.
„Hm?", versuchte ich ihm zu zeigen, dass ich zuhörte.
Er hatte wir gesagt. Also rief er nicht nur privat von sich aus an, sondern für ... die Gruppe? Hybe? BigHit?
„Jimin, wir möchten gerne wieder auftreten. Zusammen. Als BTS. Wir haben damals unseren Fans nie einen richtigen Abschied gegeben, sie verdienen das, auch wenn es jetzt schon einige Zeit her ist."

Ich blieb still an meinem Telefon, versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Natürlich wusste ich, dass unsere Pause, wie wir sie damals nannten, kein richtiger Abschied für alle gewesen war. Ich hatte einfach keine Kraft gehabt, um noch einmal großartig irgendwo auftreten zu können. Also hatten unsere Armys sich mit einem Video zufrieden geben müssen. Die Art und Weise tat mir immer noch leid. Unsere Fans hatten uns stets unterstützt und wir hatten es ihnen so gedankt.
Natürlich verdienten sie mehr, das hatten sie immer und das wusste ich. Es würde jedoch für mich merkwürdig werden, mit meinen alten Freunden wieder zusammen zu kommen, zu lange hatte ich sie nicht gesehen oder gesprochen.
Als es still am anderen Ende des Telefons wurde, wusste ich, dass Tae auf eine Antwort von mir wartete.

„Ja...", flüsterte ich in mein Telefon. So leise, dass ich mir selbst unsicher war, ob ich ihm geantwortet hatte. Hatte ich dem Ganzen tatsächlich gerade zugestimmt? Jeder, der mich gut kannte, wusste, dass ich für meine Fans fast alles tat.
Tae wusste auch nach dieser langen Zeit, in der wir kaum Kontakt zueinander hatten, welche Knöpfe er bei mir drücken musste, damit er das bekam, was er wollte.
„Ja?", drang Taes Stimme durch den Lautsprecher meines Telefons und ich kam nicht umhin die Freude bei ihm herauszuhören.
„Ja... naja, ich meine... Ich... Wir sind unseren Fans wirklich noch ein Abschiedskonzert schuldig, irgendwie." Die ganze Zeit über hatte ich natürlich das Gefühl gehabt, dass ich an allem schuld war. War ich ja auch. Ich hatte die Pause gebraucht. Trotzdem hatten die anderen Member mir immer wieder zu verstehen gegeben, dass es unsere gemeinsame Entscheidung sei und eben nicht nur meine Schuld. Auch wenn sich das in den letzten Jahren nicht so recht in meinem Kopf durchsetzen konnte, so verbesserte ich mich doch, als ich mit Tae sprach. Es hätte nur wieder unendliche Diskussionen ausgelöst.

Zögerlich wagte ich mich in diesem Gesprächsthema weiter vor.
„Habt ihr... denn schon was geplant?"
„Wir wissen natürlich nicht, wie es bei dir aussieht, aber wir anderen haben versucht uns im Juni etwas Zeit freizuschaufeln. Wir dachten, dass es kein besseres Datum als den dreizehnten geben kann. Natürlich brauchen wir ein bisschen Training und Proben vorher..."

Schnell ging ich im Kopf meinen Kalender für die nächste Zeit durch- Wir hatten Januar und der Juni war noch nicht in greifbarer Nähe. Ich wusste, dass ich in den nächsten Wochen viele Termine hatte. Der Mai und der Juni waren sicher auch schon teilweise verplant. Jedoch war dies nichts, was sich nicht verschieben ließe. Größtenteils private Projekte.
„Ich glaube das könnte ich hinbekommen..."
„Wir haben uns überlegt... Dass wir es als Überraschungskonzert machen wollen. Es könnte online übertragen werden. So erwartet niemand etwas von uns und der Druck ist nicht gleich überwältigend. Die Presse wird sich erst hinterher auf uns stürzen können. Und wenn wir es online übertragen und aufzeichnen, dann können möglichst viele daran teilhaben."

Für diese Überlegung war ich sehr dankbar. Nie würde ich es offen zugeben, aber ein wenig Angst hatte ich vor der ganzen Sache schon. Nicht vor den Armys, eher vor der Presse und dem ganzen Druck, der sich unweigerlich für mich aufbauen würde. Damit war ich damals schon nicht mehr klargekommen, was dann letztlich zu unserer Pause geführt hatte.
„Ihr plant das schon länger, oder?"
„Ja. wir wollten aber erstmal abwarten, ob wir deine Zustimmung bekommen, bevor wir alles endgültig buchen. Ohne dich würden wir das nicht machen." Eine Veranstaltung dieser Größe musste sorgfältig geplant werden. Natürlich hatten sie schon vorgeplant. Wenn wir jetzt erst anfangen würden, wäre es viel zu spät.

Irgendwie kam ich mir trotzdem übergangen vor. Sie planten das seit einiger Zeit ohne mich. Hatten sie schon vorher versucht, mit mir in Kontakt zu treten? Ich schluckte krampfhaft meinen Ärger herunter. Es würde nichts bringen, sich darüber aufzuregen. Es war sicher meine Schuld gewesen, dass sie mich nicht erreichen konnten. Jetzt hieß es das Beste daraus zu machen.
„Aber wenn es eine Überraschung wird - dann gibt es kein Publikum?"
„Doch, wir wollen Karten verlosen, allerdings unter dem Vorwand, dass es eine Best-Of-Show wird. Online kündigen wir es nur mit einem Timer an, der runterzählt."

Das könnte tatsächlich funktionieren. Hoffentlich kämen dann auch einige zu der Show. Aber so leidenschaftlich, wie viele unserer Fans waren, war es wahrscheinlich, dass wir nicht vor leeren Rängen singen würden.
„Aber... Wird es nicht zu auffällig, wenn wir alle zur gleichen Zeit in Seoul sind?"
Obwohl wir so lange nicht als BTS aufgetreten sind, stürzte sich die Presse immer wie ein Heuschreckenschwarm auf uns, sobald wir auch nur in der gleichen Stadt waren. Das war auch ein Grund für mich gewesen, nach Amerika zu ziehen. Diese ständigen Gerüchte, ob wir wieder zusammenkommen, ob wir weitermachen würden ... Diesmal würden sie stimmen.

„Ich wohne hier nach wie vor, ebenso Hobi. Namjoon wohnt in Ilsan, er hat es also auch nicht weit. Kookie ist in sechs Wochen mit seinem Militärdienst fertig, er will danach auch wieder nach Seoul kommen."
Jungkook war der letzte von uns gewesen, der in den Militärdienst gegangen war. Ich hatte es recht schnell hinter mich gebracht, als ich in die Pause von BTS gegangen war. Ich brauchte Ablenkung von allem und es hatte für mich auch gut funktioniert.

Leider war damals die Presse sehr präsent gewesen und hatte mir meinen Einstieg in den Dienst nicht leicht gemacht. Natürlich hatte ich seit dem Beginn auch keinen einfachen Stand bei meinen Kameraden, die alle den Rummel um mich sehr lästig fanden. Auch wenn ich damals einen sehr guten Freund gefunden hatte, mit dem ich immer noch fast täglich beruflich bedingt in engem Kontakt stand, so dachte ich ungern an diese schwierige Zeit zurück. Hoffentlich war es den anderen sechs besser ergangen als mir. Hoffentlich ging es Kookie gut.

Ich versuchte den letzten Gedanken beiseite zu schieben, in den hintersten Winkel meines Kopfes. Es hatte keinen Sinn, mich um ihn zu Sorgen.
„Ich denke, ich könnte für Seollal nach Korea kommen... Ich wollte sowieso meine Eltern besuchen, vielleicht... Kann ich danach nach Seoul kommen und euch sehen? Ich habe zwar nicht viel Freizeit, aber ein, zwei Tage sollten gehen."

Ein wenig von mir selbst überrascht, wartete ich auf eine Antwort. Es war schon längst überfällig, dass ich meine Familie wiedersah. Das letzte Mal war schon wieder viel zu lange her. Aber woher kam der plötzliche Drang, Tae und die anderen wieder zu sehen? Ich musste sie doch mehr vermisst haben, als ich mir eingestehen wollte.

„Ja, klar!" Ich konnte deutlich die Überraschung in seiner Stimme hören, als er mir antwortete. Aber auch die Freude über mein Angebot. "Hast du denn eine Unterkunft? Ich hätte hier bei mir noch Platz für dich, wenn du möchtest."
„Gern." Ein Gefühl der Wärme breitete sich in meiner Brust aus und ließ mich lächeln. Ich hatte meine Jungs definitiv vermisst.

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